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Dresdner Nachrichten : 21.12.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189912216
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991221
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991221
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-12
- Tag 1899-12-21
-
Monat
1899-12
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 21.12.1899
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Seite SÜS. Belletristische Beilage zu de» „Dresdner Nachrichtens Bei der Besichtigung fand man Alles sehr schön. Vera zeigte und erklärte. Riki betrachtete ne dabei mit glücklichen Augen. Vogelfang betrachtete jedes Stück, bis er bewundernd tagte: „Kinder, bei Euch werde ich Haus freund !" Und der Maler, der als nunmehriger Vetter mit chm Brüderschaft gemacht Halle, entaeanete erfreut: „Angenommen. Tu hast sozusagen unser Glück gemacht, hast mute Auskunft" über mich gegeben: cs soll immer für Dich «n unserem Tische gedeckt sein'. Nicht wahr. Vera?" „Natürlich." „Und für mich nicht?" fragte Otto. Lachend wurde auch chm „ein Teller Suppe" in Aussicht gestellt. Doch der junge Offizier meinte: «Suppe — nee. Ich schwcningere; dagegen eine Flasche Rothipohn stellt mir warm. Warm! Das heitzt Zimmer temperatur I Nicht etwa kalt, wie es die Barbaren machen'." Dann drängte aber die Braut nach Haus. Es waren zwar bis zur Trauung noch mehrere Stunden Zeit, doch sie behauptete, mit dein Anziehen nicht festig zu werden. Niki blieb mi Atelier, bis es Zeit war. Er legte Frack und weise Weste an. dann setzte er sich vor Veras Bild und wartete ans seine alte Mutter, die chn abholen sollte. Er fühlte sich in Feierstimmnng. Tie Bilder an den Wänden sahen chn ringsum an wie eine Geschichte seines Lebens, seiner Arbeit. Da hingen Skizzen aus den ersten bittersten Anfängen, noch aus seinen Soldateniahren. Sein Bursche hatte chm sitzen müssen und die alte Zimmervermielherm. bei der er wohnte. Dann lachte ihn dost aus der Ecke eure grüne Wiele au, eine Studie aus dem Bois de Boulogne, au der er sich im Sturm und Drang nicht hatte genug thun können, sie so giftgrün wiedcr- zugeben als nur möglich; dann der Blick den Boulevard St. Michel herab aus einem Fenster des vierten Stockes, wo ein Freund wohnte. Und der Gegenwart näher, aus der Münchener Zeit: Holzfiößcr auf der Isar. Endlich Lin Gesundbrunnen", Arbeiterleben bei cinbrechendem Abend — sein erstes Berliner Bild. Der Maler überschaute sein Ringen und Kämpfen, die ersten Wirrnisse seiner Jugend >md Entwickelungsjahre. Er lief im Atelier auf und nieder, die Sonne lachte herein, die Frühlingsionne. und er fand es wundersam, wie sich sein Leben gestaltet hatte. Ganz von selbst war es gekommen, hatte es sich gemgt. Er batte nichts dazu gethan. Das Leben hatte er an sich hcran- treten lasten, uns jetzt schienen chm die Jahre unerhört schnell enteilt. Was er schon gearbeitet, wie er sich angestrengt mir aller Anspannung der Nerven um seine Kunst, das dünkte chm nun ein Kinderspiel zu sein. Er freute sich, daß er nun sein Heim begründen durste, woran er klein- müthig doch immer gezweiielt, seitdem er den Drang gefühlt, eine Frau sein eigen zn nennen. So stellte er sich vor den Spiegel, den er zur Selbst- korrektur beim Malen brauchte, besah sich, lachte sich an, zog sich den Frack rurecht und schritt dann feierlich und langsam im Atelier auf und nieder, bis die Mutter kam. Sie blieb in der Tbür stehen uird betrachtete ihren Sohn, dann rief sie mit sreudenhellstem Ausdruck in den alten, lieben, runzeligen Zügen: „Nein, daß ich das noch erleben darf!" , Der Sohn reichte ihr den Arm und sagte zur alten Aufwartung im Flur: .Ist das Brautpaar nicht schön?" Bei Oevelhorft's war schon Alles versammelt. Nur die Braut wartete noch, bis Niki gekommen wäre. Endlich trat sie ein im weißen Seidenkieidc mft dem Myrthenkranz im Haar, und Niki überreichte ihr den Brautstrauß weißer Rosen. Man fand sie etwas „angegriffen" ausschauend. aber es blieb keine Zeit zu langen Betrachtungen, denn lofort wurden die Wagen gemeldet. In der Sakristei der Marienkirche warteten die übrigen Eingeladenen. Der Generalleutnant eilte, im Schmuck seiner Orden, geschäftig hin und her. festzusrellen, ob noch Jemand fehle, aber in der Aufregung konnte er dainit nicht zu Stande kommen, so daß ihm Otto beispringen mußte. „Alles da, Papa! 's kann losgehen!" Nun setzte sich der Zug in Bewegung, der General seine Tochter. Niki seine Mutter führend, dann folgten Brautführer und Brantiungfern. endlich dir Ncbngen in langer Reihe. Tie kleine Kirche war gedrängt voll Zuschauer, die sich auf diese oder ! Weise Karten verschafft, viele Oevelhorft'iche Bekannte, alte Kameraden Generalleutnants und Verehrer von Niki Sandtner's Kunst, Kollegen, Maler und Bildhauer, allerlei Leute, die bei Allem dabei sein mußten, was st» Berlin geschah und die Hochzeit des großen Malers nicht versäumen wollren. Er zeigte sich so wenig in der Oeffenllichkeit, daß man chn doch wenigstens auf diese Weise gern einmal sehen wollte Heim Turchichreiten der Neugierigen, die zu beiden Seiten des Mittel- aauges in den Kirchsnbänkcn standen, entdeckte Niki seine drei Freunde, den schönen Gumpinger, Kühne, den Schriftsteller, und den Bildhauer Gerstenftock. Seine Frau, grotz. ein wenig massig, schwarz, schön und geistlos dreinschauend Wie immer, stand neben ihm. Ter Maler begrünte die Freunde durch teichles Reigen, und sie winkten chm stürmisch zu. so lieb, so wie immer, als alte Kameraden, daß er. wie er nun weiterschritt znm Altar, die Gewißheit mit- nahm. sie hätten es chm nicht übel genommen, daß er sie nicht cingciaden zu Heu beiden Tugen. Der Geistliche sprach kurz, warnt, eindringlich: wie sie sein sollten, ein Neisch, ein Geist, wie sie sich immer erinnern sollten des Wortes: „Tie Liebe ober ist die größestc nnlcr ihnen". Er ermahnte sie, einander die Treue zu halten bis zum Grabe, dieser Stunde eingedenk zu bleiben ewiglich. Er Kieste eine rechte Ehe als Freundesbuud. Er sagte, die Gatten müßten Nach sicht üben einer gegen des anderen Schwächen und Fehler Sie iollren sich ergänzen und gemeinsam tragen, was Gott ihnen an Brüning geschickt, aut daß d:e Last leichter zu tragen wäre, sie sollten miteinander Freude imd Glück therlen, damit es doppelt würde. Niki hörte die schönen, milden Wcishcitswortc des alten Seelenhirten «M, und sein Herz schwoll vor Wehnnith. Glück und tiefer Bewegung. Laut klang sein „Jaals er gefragt ward, ob er dieser Jüngste,u angeyören wolle, und ein Schauer ging ihn» über den Leib, als das „Ja!" der Braut an seiner Seite tönte. Dann erhoben sie sich und er reichte Vera den Arm. Jetzt gehörten sie einairder an für Zeit und Ewigkeit, nicht zu trennen. Sinn hatte er das Recht, allein mit ihr zu gehen, die seinen Namen trug von dieser Stunde an. Und in der neuen Reihenfolge, das Brautpaar voran, schritten sie den Weg durch die Kirchenbänke zurück, in denen sich die Neugierigen drängten. Die Orgel brauste in den tiefsten. gewaltigsten Registern, und dieses Mal. in Gluckestraum und Seligkeit, sah Niki nicht mebr die Gesichter der Freunde, die ihm wieder zulächetten. Er sah nichts. Er schaute vor sich hin, geradeaus, wo durch das offene Kirchenportal das Licht fluchend hcrcindraiig in den dunklen Raum der Kirche. Er meinte jetzt mit diesem Gange erst recht das Leben zu beginnen, das darzustellen, wie er es sah, ihm ein freundlich-reiches Geschick in die Brust gepsianzt batte. Er fühlte, daß sein Gesichtskreis sich erweiterte, daß ihm neue Schöpferkraft in Hirn und Herz und Händen wuchs. Die Kraft enivsand er. zu arbeiten, zu schaffen, zu bilden, was einst in seinem Inneren empfangen, nun groß geworden war und reif, an's Lickt zu treten. Die Helle Sonne blendete von der Straße herein. Er blickie hinaus; er ging ja dem Lichte entgegen. 11. Kapitel. Das junge Paar hatte auf die Hochzeitsreise verzichtet. Dafür wollten sie lieber den Sommer fort. Natürlich hatten sie Niemandem etwas davon gesagt, und die Hochzeitsgesellschaft war im Glauben gewesen, die Neu vermählten gingen nach Italien. Sie hatten den Mädchen Weisung gegeben, keinen Menschen vorzulasscn. Vera gefiel dieser Gedanke. Es war etwas Besonderes, nicht der gewöhn liche Kreislauf, wie es alle Menschen machten. Tie Heimlichkeit ihres ersten Aufenthaltes in der Wohnung sagte ihr zu. Da konnte >re doch ihren 'Niki ganz für sich allein haben. Sic würden leben wie die Turteltauben. Dabei gab es unendlich zn thun. denn die Einrichtung würde Wochen in Anspruch nehmen. Nur das Schlafzimmer war volltommen hcrgerichret, sonst hing noch nicht ein einziges Bild, kein Möbel stand am rechten Fleck, ja. es war noch nicht einmal ausgemachte Sache, daß die Vertheilung der Räume auch wirklich so sein sollte, wie sie vorgesehen. Nur die Ateliers waren natürlich Ateliers, und die Küche blieb ihrem Zweck erhalten. Sonst hätte Bera am liebsten Alles umgestürzt. Aber schließlich stand es doch fest, daß Nikis ehemaliges Wohn- und Schlafzimmer, ein kleiner Raum neben dem Atelier, als Wohnraum eingerichtet würde, in dem man Nachmittags Thce trinken könnte oder Abends nach dem Theater noch einen Imbiß zu sich nehmen. „Das muß „Schmollwinkel" heißen! Oder „attsr-noon-taa-Zimniee" — aber das ist zu lang!" meinte Vera, indem sie sich an Niki lehnte. Er war sehr glücklich über den Gedanken. Dort neben dem Atelier mußte Vera sein, während er arbeitete, denn sie hatte erklärt, ihn nie auch nur einen Augenblick verlassen zu wollen. Dann würde sie nebenan sitzen mit einer Handarbeit, lesend, ihren Haushalt ordnend, und das beseligende Gefühl der Nähe der Geliebten mußte überströmen in sein Schaffen, es segnen. Tic beiden Vorderzimmer machten sie zu Salons. Das große mit den neuen Nibbeln: in das stemme wurde Veras Mädchenzimmer aus der Bellevne- straße übertrage», an Lessen Stelle sich der General letzt ein Fremdenzimmer eingerichret halte. Das Berliner Zimmer ward Eßzimmer. Hinten neben dem Schlafzimmer des jungen Paares blieb ein Raum leer, an den Küche und Mädchenkammer stieß. Vera hatte gefragt wozu? und ihren Kopf an Nikis Brust geborgen, als er geantwortet: „Falls wir etwa nicht allein bleiben sollten zum nächsten Jahre, denn sonst, wenn wir nicht Platz hätten, müßten wir ia gleich wieder ausziehen!" In den ersten Tagen wurden fortwährend die Möbel hin und her geschoben. Dieies patzte nicht und jenes. Einmal mußte ein Sophasitzplatz hergerichtet werden, ein ander Mal versuchten sie. ob es nicht hübsch wäre. Alles wirr durcheinander zu stellen. Und immer nachdem sie einen Stuhl an eine andere Stelle gesetzt, belohnten sie einander für die aufgewendete Mühe durch einen Kuß. Dadurch kamen sie nur langsam vom Fleck. Dazwischen schwatzten sie dann auch und erzählten: „Weißt Tn noch, wie unsere Hochzeit war. Vera?" „Natürlich!" „Weißt Du wirklich, wer Alles da war?" Sie begann sämmtliche Eingeladene aufzuzählen. Von den Meisten hatte Niki nur eine flüchtige Erinnerung. Er ließ sich die Familienverhälinisse. den Grad der Verwandtschaft auseinandersetzen, dann stöhnte er über die Menge Namen und Menschen, indem er sich im Stillen freute, nicht weiter von ihnen belästigt zn werden. Nun erinnerten sie sich gegenseitig an einzelne Vorkomm nisse und kleine Ereignisse bei der Hochzeit: wie viel Rede» gehalten worden und wer Alles gesprochen, daß der Vater — jo nannte auch Niki jetzt den General — trotz langjähriger Uebung rin Sprechen während seiner Dienstzeit, regelrecht stecken geblieben sei, so daß einige peinliche Augenblicke cingetreten waren. Wie sie so von Einem zum Anderen kamen, wie sie Otto lobten, der sich gleich io herzlich zu ihnen gestellt, blieben sie unwillkürlich bei Ewald. Als Vera den Namen nannte, schwieg Niki. Sie erzählte noch etwas von ihrem Bruder. Er antwortete nichts darauf. Da nahm sie seine beiden Hände — zog ibn in eine Ecke des Salons auf's Sopha und fragte: „Niki. Du mußt mir die Wahrheit sagen — Tu kannst Ewald nicht leiden. Nicht wahr?" „Er ... er war nicht gerade lehr sreundlich gegen mich." „Es ist nicht seine Art. liebenswürdig zu sein, weißt Du?" Der Maler brauste auf. Im Glücke seines Festtages hatte « sich über den eisigen, beinahe ungezogenen Schwager keine Gedanken gemacht. Nun kam die Ueberlcgung hinterdrein, und er gestand sich, wie Ewalds Benehmen in» Grunde genommen so gewesen war. daß er keine Veranlassung hatte, sich um den Memchen irgend zn kümmern. Ec antwortete init einiger Erregung Belletristische Beilage zu Len „Dresdner Nachrichten". Seite SOS. in der Stimme: „Liebenswürdig — Las verlange ich nicht einmal, wenn ich ihn» nickt passe; aber ich denke, er braucht deswegen noch nicht ungezogen zu sein!" Damit brachen sie das Gespräch ab. Nur am Nachmittage, als sie wieder an derselben Stelle in» Zimmer neben dem Atelier der Verabredung gemäß den Thce tranken, fragte Vera noch einmal: „Aber sonst sind sie doch Alle nett gegen Dich, Niki? Papa und Otto, nicht wahr?" Er gab cs freudig zu. indem er nun seinerseits wissen wollte, ob ihr die Mutter denn nicht auch gefalle. Vera hatte schon ihr Urtheil gesagt. Jetzt wiederhole sie cs. daß sie die aste Frau lieb häkle wie ihre eigene Mutter. Ta sie nun in ihrer Zurückgezogenheit noch keines der Eltem gesehen hatten, beschlossen sie. in diesen Tagen sowohl Vater als Mutter einmal ganz unerwartet zn überfallen. Aber so bald wurde nichts daraus. Sie waren noch immer zu sehr mit sich selbst und der Einrichtung beschäftigt. Vor Allem war ihr Eines ausgefallen: die Möbel waren angeichasst, Teppiche, Vorhänge dazu — aber es fehlten die kleinen Gegenstände, die ein Zimmer erst wohn lich machen. Vera besaß zwar eine Menge von NippeZgegcnständen, doch es fand sich, daß das eigentlich nur für ibr kleines Zimmer ausreichte, das sie Boudoir nannten. Was sich etwa im Atelier befand an Waffen. Teppichen. Decken, alten lapanffchcn Bronzen und Masken, daS sollte auch dort bleiben. Sie trösteten sich zwar damit, daß es in jeder jungen Ehe wohl ähnlich sein würde und die Vervollständigung der Häuslichkeit erst mit den Jahren durch Anschaffungen und Geschenke stattsinven tönntc. Aber Vera wollte. nicht so lange warten. Ein förmliches Fieder, rinzurichten, hatte sie befallen.! Es mußte Alles gleich sein. Ter Gedanke. Geduld haben zu sollen, war ihr! fürchterlich. Darum schlug sie vor. etwas zu kaufen, damit es nicht so kahl ^ und leer in ihren Räumen ansiähe. Niki wollte erst an das Aushängen der Bilder gehen. Mit seinen älteren! Entwürfen hätte sie ein ganzes Museum ausstatten können, so viel gab cs j ihrer. Doch Vera hatte einmal den Gedanken gefaßt, einzukausen. Dabei z wollte sie bleiben. Als er nicht sofort zuslimmte, umarmte sie ihn zärtlich! und erstickte ihn fast init Küssen, indem sie unausgesetzt bat: ..Mein Niki, so thue mir doch den Gefallen! Bitte, bitte. Tie Bilder hängen wir ein andermal aus". Ta freute er sich, seiner jungen Frau einen Wunsch zu crsüllen, weil sic so schön bat, und sie gingen zusammen in die Stadt, uni Einkäufe zu machen. Sie war sehr stolz, an seinem Arme zu schreiten, und er freute sich, wie die Leute seiner schönen, jungen Frau nachblicklen. Was sic kaufen wollten, wußten sie eigentlich nicht. .Etwas Schönes' niuß es sein. Vera träumte von etwas „ganz Avartem", das kein anderer Mensch besäße. Als sie hin und her überlegten, immer im Gehen die Läden der Leivzigeritraße musternd, sahen sie ein paar Bekannte von Weitem, die Eitern einer Freundin Veras, die Brautjungfer bei ihrer Hochzeit geweien war. Schnell bogen sie in die Wilhelmstraße ein. Vera in der ersten Befangen heit der eben Verheirathctcii. Niki, weil er einem Ausstagen der fremden Leute, die ihm gänzlich gleichgiltig waren, aus dem Wege gehen wollte. Sie freuten sich Beide über ihre Flucht, lachten und drückten einander den Arni. Vera sprach: „Wir wollen keinen Menschen sehen! Was gehen uns die Anderen an?" Tann blieben sie Unter den Linden an einem Schaufenster stehen. Bronzen waren ausgestellt, die Vera reizend fand. Süßliche, geleckte Waare, für den Handel, für Leute mit ungepflegtem Geschmack. Sie begriff nicht Nikis Widerstand, der erklärte, solches Zeug nicht in seinem Hanie zn dulden. Wenn es sich um die Kunst handelte, wurde er lebhaft, dann flössen ihm die Worte reicher, dann entzündeten sich seine Gedanken. Er »nutzte Vera er ziehen zu seinem Geschmack. Er hatte sich ausgemalt, wie sie an ihm wachsen sollte, wie er ihren Geist bilden müßte und ihre Anschauungen. Er hatte es als besondere Freude empfunden, ihr eine Richtung zn geben, der seinen gleich. Sie war ja so inng und biegsam, sic würde mit der Anpassungsfähigkeit der Frauen bei ihrer Schmiegsamkeit und Auffassungskrast eine gelehrige Lchulerin sein. Es sollte ja sein Glück werden, sie, die er sich zur Gefährtin erkoren, zn erziehen zur rechten Frau eines Künstlers. Und er begann ihr zu erklären, warum lene Bronzen vor dem Küustleraugc nicht bestehen könnten, daß sie unkünstlerisch und glatt wären, charakterlos, süßlich, abscheulich, für Philister in die gute Stube. Während er sprach, waren sie weiter und weiter gegangen über die Fricdrichstraßenkieustliig dem Schlosse zu. Er erzählte fortwährend und war so eifrig in seinen Auseinandersetzungen, daß er Vera nickt in's Gesicht sah, bis er endlich bei einem Blicke merkte, daß sie Thränen in den Augen hatte unter dem Schleier. Ta kam er zur Wirklichkeit zurück und machte sich Vorwürfe, daß er seine junge Frau durch seine wegwerfenden Worte gekränkt, statt ihr langsam mit der Zeit einen besseren Geschmack bcizubringen. Um seinen Fehler wieder gut zu macken, icklug er ihr vor, sofort zu Gurtitt zn gehen. Ivo, wie er wußte, eine Reihe Kunstgegenstände ausgestellt waren. Dort würden sie schon etwas zur Ausschmückung ihrer Zimmer finden. Köpping's Gläser standen da in einem GlaSschranke: wundersam ge formte. skilistrte und doch natürliche Blumenkelche in allerlei Farben. Vera fand sie, wie ihr Mann, von hervorragendem Geschmack und stiller Schönheit. Nur für unpraktisch hielt sie die Gläser. Man tonne sie nur hinstcllcn, nicht daraus trinken. „Das soll man auch gar nicht!" gab Niki lachend zurück und wählte einige aus. Tann betrachteten sie die Gemälde miteinander, und Vera lauschte eifrig ihres Mannes Bemerkungen, die ihr vom Wesen und Schaffen dieses oder jenes Malers ein Bild zu geben suchten. Er bemühte sich die Technik zu erklären, besprach die Komposition. Wahl des Vorwurfes und Farbengebung. Einigen zollte er Anerkennung; Bewunderung einem Böcklin; ein einzelnes Bild, von mächtigem Umfang, das icdoch nichts dem Beschauer zu lagen wußte, nannte er einen „Riesenschritten", den Künstler einen „stitich- maler". einen "Verbrecher" und sein Werk eine „eroütcA Vera hörte aufmerksam zu. hing an seinen Lippen, bewunderte kt» Urtheil, sein Wissen. Seine Ausdrucke ließ ne sich erklären, wenn sie ihr «t- verständlich waren. Als sie heimkehrten, meinte sie aanz erschrocken: „Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf sicht vor lauter Namen »O Bezeichnungen. Ich glaube, ich habe Alles schon wieder vergessen j Ist da» nicht schrecklich. Nikr?" „Es kommt Alles mit der Zelt I" antwortete « lächelnd. Doch st« schüttelte ein wenig traurig den Kopf. „Ich glaube, das werde ich mir nie merken!" „Wir werden ja sehen! Freust Du Dich denn über die Gläser?" „Riesig. Niki. Die sind schön!" „Du findest sie wirklich schön?" „Praktisch nickt gerade, aber schön. Ja. ia, ich finde sie schön." „Und Du hast sie lieber als die Bronzen?" Sie senkte verlegen das Köpfchen. „Niki, versprich mir. nie wieder von den Bronzen anzufangen l" Abends kamen die Gläser an, und es wurden ihnen sofort nach Erproben ihrer Wirkung hier und dort Plätze angewiesen. Aber eS fand sich bald, daß sie längst nicht ansreichten, den Zimmern einen wohnlicheren Anstrich zu geben. Ucberall fehlte noch etwas. Sie mußten in den nächsten Tagen wieder auf die Suche gehen. Es war schon spät geworden, doch Vera konnte es nicht erwarten, die Bilder auszuhängcn, die im Atelier irgendwo lehnten, und sie schickten die Mädchen zu Bett, nachdem sie sich hatten Nägel, Hammer und Diebeleisen geben lassen. In der Stille der Nacht gingen sie daran» die Gemälde aus- zusnchen, dann vom Atelier durch den langen Gang nach vorn in den Salon zu tragen. Vera wollte Helsen, doch Niki trug allein. Sie könnte sich Schaden thun bei dein schweren Heben, meinte er. Da bewunderte sie seine Kraft, daß er die großen Bilder in den Riesenrahmen trug, als wären sie Kindcrspielreng, und er freute sich ihrer Anerkennung, ließ die Muskeln seiner Arme befühlen und zeigte ihr. wie sie in der Beugung zum steinharten Knollen anschwollen. Er war stolz auf seinen kräftigen Körper. „Das gehört zum Gleichgewicht im Menschen. Ich arbeite mit Kops und Herz, da darf der Ann nicht vergessen werden. Drum habe ich früher gern gefochten und Hantelübungen gemacht!" „Aber Tu arbeitest doch immer mit der Hand beim Malen, mit dem Arm. . ." „Nein, das ist nur äußerlich. Ich denke, eigentlich arbeite ich nur mit Auge, Gehirn, Seele." „Und der Handfertigkeit . . ." „Die wird von dem Anderen erst geleitet. . ." Sie begriff es nicht recht. Sie hatte gemeint, die Geschicklichkeit der Finger sei doch das, was den Ausschlag gäbe. Als die Bilder drüben lehnten, gewahrte sie erst, wie er ihr die einzelnen zeigte, daß cs lauter Dedikationen von anderen Malern waren. Von Mki ielbst war keines dabei. Vera aber wollte nur Bilder von ihrem Niki in ihren: Salon haben. Dagegen wehrte er sich jedoch. Er fände. eS sehe sonder bar ans, wenn er mit eigenen Werken dieLZände der Wohnräumc schmücke! Vera dachte einen Augenblick nach. „Tu hast recht, 'Niki, dann könnten die Leute sagen, wir hingen hier das auf, ivas Niemand haben wolle, was imverkäuflich sei!" 'Nikis 'Angen wurden groß. Ter Stolz des Künstlers bäumte sich in ihn» auf. Er dachte an seine bitteren, schweren Anfänge, als Niemand von ihm etwas wissen wollte, als man ihn zurückgewieien auf den Ausstellungen, als . man Bilder von chm verlacht, an die er Tage, Nächte. Wochen. Monate ! seines Lebens geletzt hatte. Und ei hielt inne beim Nageln, drehte sich auf der Kücheuleitcr herum, die ec herbcigeichasst zn seiner Arbeit, und sagte beinahe drohend, den Hammer in der Rechten wiegend: „Und wenn sic das dächten! Wenn sie dächten, das sind lauter unver käufliche Bilder, so wäre das nur eine Ehre I Ein Lob für meine Bilder l Tenn weißt Du, was so fort geht wie warme Semmeln, das ist oft gerade das Schlechte. Und was Keiner haben will, dafür werden manchmal, wenn der Künstler todt ist und begraben und vermodert, Hunderttausende geboten!" Vera blickte ihn erstaunt an. Sic erschrak fast vor seine»» Ausdruck» antwortete nicht, sondern ließ ihr Auge starr auf ihm ruhen. „Was hast Tu denn ?" fragte Niki nach einer Weite, und sein erhobener Am» sank langsam herab. Die augenblickliche Erregung war von ihm ge wichen. Die Spannung seiner Züge Uetz nach. Sein Ansdruck wurde weich. Er lächelte die schöne junge Frau am Fuß der Leiter an, die Frau, die ihm gehörte, deren Besitz chn glückselig machte über die Maßen. Das Licht stand hinter ihr, so daß ihr Gesicht im Dunkeln lag und nur ihre Gestalt sich ab zeichnete. der vornehme Kopk mit dem Blondhaar, das in einzelnen, wider spenstigen Strähnen hell erleuchtet ihre Stirn uniboa. Er lächelte noch einmal: „Was hast Du denn. Vera?" Das Hinge Weib in ihr regte sich. Sie hatte ihn bewundert in seiner Erregung und sprach langsam: „So bist Du hübsch, Niki!" Ta warf er den Hammer fort, sprang herab und schloß Vera in die Anne. Sie küßten sich heiß. Er bedeckte Hals und Wangen mit seinen Küssen, iwd als sic eine Sekunde anfathmen konnte, fragte sie. indem sic das Köpfchen schelmisch hob: „Hast Tu das gern, wenn ich das sage?" „Das tollst Du immer sagen! Immer!" Sic nahm seinen Kopf in beide kleinen Hände und bog ihn rückwärts, ihn z» bewachten: „Tann sage ich's noch 'mal: Tu bist hübsch, Niki! Du gefällst mk 1 Ich liebe Dich so sehr!" Und nach einer Weile, beinahe zaghaft: „Gefalle ich Dir auch?" „Vera, mein Lieb!" war nur seine Antwort. Dann schritten die jungen Gatten Arni in An» davon, nachdem sw löfflst ' j hinler ffrh daS Lickst gelöscht! Ac-r!sttz!ng Lciriiiag,)
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