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Dresdner Nachrichten : 18.07.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-07-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189907185
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990718
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990718
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-07
- Tag 1899-07-18
-
Monat
1899-07
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 18.07.1899
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Sette 334. Belletristische Beilage »u den »Dresdner Nachrichten-. .Oh. er ist ein prächtiger Mensch. Ich bin entzückt von ihm I" »Ein Edelmann durch und durch I" .Glaubst D« nicht, sah er einen voyüglichen Schwiegersohn abgeben würde 7" fuhr er fort, gerade auf sein Ziel losgehend. ,WaS Mt Dir ein? Baron von Buchow Agnes heirathen! Die besten Familien der Residenz stehen ihm offen!" .Gehören wir denn nicht auch zu den besten Familien des Landes? Aber das ist nicht die Frage. Mutter. Ich will wissen, was Du dazu sagen Wüwest." ^ »Ich? Für rin Geschenk des Himmels würde ich es ansehen, wenn so Etwas pass,ne. Aber Agnes ist ja viel zu unbedeutend —" -Da sei außer Sorge! Eine „bedeutende" Frau heirathet ein Lebemann Wie Buchow nicht I Hast Du nicht schon selbst gesehen, daß er in Agnes vernarrt ist? Das wurde Deinem mütterlichen Scharfblick keine Ehre machen, er läßt ja kaum einen Blick von ihr!" .Hat er schon etwas zu Dir gesagt? frug erregt Frau von Tillmann. .Nicht direkt, daß er sie bestachen wollte! Aber ich kenne Günther zu gut. um nicht zu wissen, daß das seine Absicht ist. er hat noch nie von einer lungen Dame so geschwärmt, wie von Agnes!" .Was das für ein Glück Mr sie wäre! Ja, ich gestehe, mk schien es schon auch io, als ob er sich für sie interessirte, aber ich hielt es nur für eine vorübergehende flüchtige Neigung!" „Keineswegs. Mutter! Ich bin fest überzeugt, er hat wirklich Absichten! Aber einen Haken hat das Ding doch! .Und das wäre?" .Agnes selbst. Ich glaube, daß sie nicht die geringste Neigung für Günther hat. daß sie —" .Wenn sie sieht, daß er wirklich um sie anzubatten gedenkt, dann wird sie ihn schon anders behandeln. Ich habe es gestern Abend auch gesehen, daß sie viel zu schüchtern und zurückhaltend war —" ^Zurückhaltend I Unartig war sie und ich will DK auch sagen, warum! Sie rst gar nicht so schüchtern, wie Du meinst! Im Gegentheil — verliebt ^fie und zwar in niemand Anderen als in Richard Harrig, des Pastors .Der Richard Harrig? Das ist ja gar nicht möglich! „Wie kommst Du auf die Idee?" „Doch, Mutter! Hat der alte Pfarrer Nichts über sein Herkommen während seiner Weihnachtsferien gesagt? Ist Richard jetzt nicht in Burgdorf? Sieh'" fuhr er fort, als die Mutter zustimmend nickte, „den ganzen Abend über war Agnes zerstreut und einsilbig, ihre Gedanken waren ganz wo anders. Aber ich hätte gar Nichts bemerkt, wenn sie nicht das alberne Lied gesungen, das uns einst der Pfarrer als Kinder eingctrichtert und das sie unzählige Male mit Richard gesungen. Da sah sie Io verklärt aus, daß mir es mit einem Male wie Schuppen von den Augen fiel, llebrigens, er wird ja wohl hier auch antreten, da halt 'mal Deine Augen offen und sich' zu, ob ich nicht recht habe." .Nun, das wäre ,a unechört! Gut. daß Du mir das gesagt hast! Agnes und Richard Harrig I Ein Studenr der Medizin I" „Na, das Letztere bat nicht viel auf sich. Sestdcm Töchter fürstlicher Häuser sich an gewöhnliche Aerzte verheirathet und Prinzen Medizin studirt haben, dünkm sich die Herren gut genug, nach Allem die Hand ausstrecken zu dürfen. Und Richard Harng kaue ich die Absicht ganz gut zu. sich über die gesellschaftlichen Schranken hinwegsetzen zu wollen, umsomehr, als Agnes, wie mir scheint, ihm auf halbem Wege entaegenkommt!" Ein bitteres Lächeln umspielte seinen Mund, aber die Mutter viel erregt ein: .Daraus wird Nichts, verlaß Dich darauf! Die Schrullen wollen wir Agnes schon austreiben!" .Sieh' nur vor Allem zu. daß der Vater Nichts davon erfährt I Er hat immer Richard begünstigt, und wenn Agnes gar noch erklären sollte —" .Laß' mich das nur machen. Ich werde schon dafür sorgen, daß Nichts daraus wird. Agnes eine Frau Doktor! Und noch dazu so einen „Herrn von Habenichts!" Nein, sie muß eine reiche Parthie machen, sonst — sonst steht es überhaupt schlecht um uns und um Burgdorf! Du hast uns schon viel gekostet, Otto! Weit mehr, als wie wir vertragen können!" .Na, Mutter, nur keine Strafpredigt! Mt dem Zuschuß, den mir der Vater gewährt, kann ja doch kein anständiger Mensch auskommen, geschweige denn ern Kavallerieoffizier, nnd daß die Pumpjuden so viel Prozente nehmen, ist doch nicht meine Schuld!" „Ich weiß, es ist nicht viel, was Dir der Vater giebt," begütigte die Mutter, „ich weiß auch, daß Du Dich an Manchem betheiligen mußt, was über Deine Kräfte geht, aber laß nur das Spiel sein! Vater sagte erst neulich, als er das letzte Mal Deine Schulden bezahlte: »Spielschulden bezahl' ich für ihn nie wieder!" Eine kurze Weile schwieg Otto still, seine Stirn hatte sich in Falten gelegt, offenbar behaate ihm diese Mittheilung nicht, dann fuhr er in leichtem Tone fort: .Na. so schlimm wird er es wohl nicht gemeint haben! Ich kann mich doch von den Kameraden nicht ausschließen! Aber eben dämm muß Agnes euren Mann bekommen, dem ihr väterliches Erbe gleichgiltig ist und der auch im StaxZe ist, seinem Schwager eventuell unter die Arme zu greifen. Nnd je eher das geschieht, desto besser ist es. Und Günther ist der richtige Mann dazu!" „Ich stimme Dir vollkommen bei, Otto. Und verlaß Dich aus meine Hilfe. Was ich thuen kann, das soll geschehen! Dieser Richard Hakig, den toll sie sich bald ms dem Kopfe schlagen." 6. Kapitel. Die Pfarrstelle von Burgdorf war früher von dem Gute abhängig ge wesen, aber schon seit Jahrzehnten miterstand sie der Staatsverwaltung. Pastor Harrig war seit nunmehr beinahe dreißig Jahren der Seelsorger der Gemeinde. Es waren ihm schon oft andere Stellen angeboten worden, aber stets hatte er jede Beförderung abgelehnt, man solle ihn da lassen, wo er die glücklichsten Jahre seines Lebens verbracht, wo sein einziges Kind geboren, wo sein Weib begraben lag. Er fühlte sich glücklich hier in seine: ' aller Welt un besten Ei Und da die Stelle im Gebirge lag, wo der Winter lang und gar mancherlei Beschwerden mit ihm verbunden waren, so hatte sich schon seit Jahren Niemand sehr nach ihr gedrängt und man hatte im Ministerium seinen Wünschen gewillfahrt und ihn in Burgdorf gelassen. Was ihm die Stellung so besonders angenehm machte, war sein Verhältniß zur Gute-Herrschaft. Der ältere Herr von Tillmann war ein verschlossener, fast finsterer Charakter gewesen, mit dem er wenig Umgang gehabt- Aber seitdem Kurt von Tillmann auf Burgdorf als Besitzer einge.zogcn, hatte sich das ganz geändert. Sie hatten sich bereits aus der Universirüt gekannt, hier waren sie bald innige Freunde geworden. Pastor Harrig besaß hohes Berständniß für Herrn von Tillmann's Liebhabereien und Sammlungen und manche Stunde verbrachten sie zusammen in dem „Burgdorfer Museum", wie die benachbarten Gutsbesitzer die Zimmer nannten, in denen Herr von Tillmann seine schätze niedergelegt hatte. Auch eine Partie Piquet spielte» sie oft zusammen und wenig Wochen waren in dem langen Lauf der Jahre verstoßen, in denen Pastor Harrig nicht mindestens einen Abend im Herrenhause verbrachte. Es war naturgemäß, daß die Freundschaft der Väter sich auch auf die Kinder verpflanzte, umsomehr, als Pastor Harrig ihnen allen drei die echten Umerrichtsstunden ertheilt hatte. Richard war, als er noch im väterlichen Hause wohnte, täglich Gast auf dem Gute gewesen und besonders, seitdem er einst Agnes mit eigener Lebensgefahr aus der hoch angeschwollenen Laupa gerettet, da hatte der alte Herr von Tillmann ihn ganz in sein Herz geschlossen und ihn ganz wie zur Familie gehörig behandelt. Später, nachdem er nach Laupa auf's Gymnasium gekommen, waren seine Besuche natürlich seltener geworden, nur des Sonntags und während der Ferien war er erschienen, aber an den Tagen pflegte er sich immer noch wie in früherer Zeit mit Agnes — Otto besuchte zu jener Zeit bereits die Kadettenschule — tüchtig in Park und Wald und Feld herumzutummeln. Seit drei Jahren aber, seitdem er die Universität bezogen, hatte er sich nur noch zur Weihnachtszeit einstellen können, trotzdem hatte Herr von Tillmann ihm stets ein warmes Angedenken und Interesse bewahrt. Es war deshalb auch nur ganz selbstverständlich, daß er. als er am zweiten Feiertag sich anmelden ließ, von Herrn von Tillmann mit großer Herzlichkeit empfangen wurde und Frau von Tillmann mußte zu ihrem Aerger gestehen, daß die Art, wie ihr Gatte Richard willkommen hieß, sich außerordentlich von seiner vorgestrigen Begrüßung des Barons von Buchow unterschied. Er schüttelte ihm mit unverhohlener Freude die Rechte und beinahe ein väterliches Wohlwollen leuchtete ans seinen Zügen. Umso kühler und zurückhaltender behandelte Frau von Tillmann den Besucher. Seine freie, offene, oft dem Impuls des Augenblickes folgende Sprcch- und Handlungsweise, die er schon als Knabe an den Tag gelegt, waren ihr nie sympathisch gewesen, sie hatte dies stets als einen Ausdruck ausgesprochenster Respektlosigkeit aufgcfaßt, und selbst nach der oben erwähnten Nettungsthat hatte sie sich nicht entschließen können, ihn ihrem Herzen näher treten zu lassen. Die Intimität zwischen Agnes und dem Pastorssohn war ihr stets zuwider gewesen, aber sie hatte Angesichts des Verhaltens ihres Gatten nicht viel daran zu ändern vermocht und sich stillschweigend darein fügen müssen. Selbst die spätere Seltenheit der Rickiardschen Besuche hatten diese Abneigung nicht vermindert, daß sie heute ihm kein wärmeres Entgegenkommen an den Tag legte, war leicht verständlich. Dennoch kam ihr der Besuch genehm, er gab ihr die beste Gelegenheit, beobachten zu können, ob Otto mir seinem Verdacht Recht gehabt oder nicht. Zwischen Agnes und Richard war die Begrüßung anders als srüher. Noch vor einem Jchre war sie ihm mit lautem Jubelrus entgegengesprungm und hatte sich vor Vater und Mutter nicht genirt. ihrem alten Spielgefährten mit kindlicher Herzlichkeit die Arme um den Nacken zu schlingen; letzt Kat sie crrötbend, in ichüchterner Verlegenheit ihm entgegen, nur zögernd reichte sie ihm die Hand und stammelte in solcher Verwirrung ein pan: Worte, daß der Vater verwundert aufschaute und kopfschüttelnd fragte: „Na. Tn thust ja als lei Dir Richard ein Fremder geworden!" Das nef sie zwar zu ihrer Natürlichkeit zurück und nnt dem alten, herzigen Lächeln schaute sie zu Richard auf, dennoch blieb sie meist stumm und betheiligte sich nur wenig an dem darauffolgenden Gespräch. Wunderbar, wie unterhaltend der Vater sein konnte, freilich, es war auch eine ganz andere Konversation als die, in der Baron von Buchow zu Hause war. Richard verstand nicht viel Von Pferden und Hunden. Wettrennen und Schnitzehagden waren ihm ein unbekanntes Terrain, aber in Fragen von allgemeiner Bildung war er glänzend bewandert. Von den staunenswerthen Fortschritten in der Medizin kam man auf Ent deckungen und Erfindungen überhaupt zu sprechen, die neuesten Entwickelungen der Technik wurden ebenso erörtert, wie Produkte von Kunst und Litteratur, selbst Tageskagcn politischer Natur, so verschieden die Ansichten der beiden Herren in dieser Hinsicht waren, wurden mit in den Kreis des Gesprächs gezogen, und als Richard endlich wieder aufbrach, da hatte Niemand gemerkt, daß über eine Stunde jo im Fluge vergangen war. In derselben herzlichen Weise kennte sich Herr von Tillmann von ihm. „Komm' während Deines Aufenthaltes in Burgdorf recht oft zu uns!" bat er seinen jungen Schützling und Richard sagte bereitwilligst zu. Dann verbeugte er sich artig vor der Frau des Hauses, die sich mit keinem Worte an der Unterhaltung betheiligt hatte, und verließ das Zimmer. Agnes gab ihn, bis zur Hausthür, wie sie das in früheren Jahren zu thun pflegte, das Geleit, aber während ihr Mund aus Rücksicht auf die umherstehenden Bediensteten geschlossen, ihr Benehmen zurückhaltend, fast förmlich war. sprachen ihre Augen eine beredte Sprache, sie erzählten deutlich von ihrcni Glück und ihrer Liebe nnd dem Stotz, den sie über ihren sprach gewandten Richard fühlte, und beseligt und freudigen Herzens kehrte er heim m's Vaterhaus. vcistlichcn Wirksamkeit nnd stand mit rinvernehmen. Frau von Tillmann blieb allein un Zimmer zurück- Sie war sich voll kommen klar darüber, das Otto Recht gehabt: Agnes war in Richard Harrig Belletristische Beilage r« de« »Dresdner Nachrichten". Sette 338 verliebt. Gestern Nachmittag hatte sie noch daran gezweifelt, es war ihr zu absurd erschienen, daß ein Fräulein von Tillmann für einen Studenten ernstere Gefühle hege» sollte und die Beweise, mit denen Otto seine Ver- muthung begründet batte, waren ihr doch nicht unumstößlich gewesen; umso mehr, als Agnes seit ihrer Rückkehr von der Kirche wie umgewandelt erschien und ein ganz anderes Benehmen dem Baron gegenüber an den Tag gelegt hatte, heiter, voll sprühenden Witzes war sie auf seine Konversation einge gangen, ihre Antworten waren schlagend und geistreich, ihre Munterkeit frisch und natürlich gewesen, so daß Günther, der Lies natürlich als einen persön lichen Erfolg ansah, in Wonne beinahe geschwommen. Nach der heutigen Beobachtung hatte sie freilich ihre Hoffnung, Otto habe phantasirt, wieder aufgegebcn, Agnes' mädchenhafte Verwirrung, mehr noch der glänzende Aus druck ihrer Augen hatten zu deutlich verrathen, was in ihrem Herzen lebte, offenbar war das gestrige Verhalten Günther gegenüber nur ein Ausbruch glücklicher Erregung gewesen, die Beiden hatten sich wahrscheinlich während oder nach dem Gottesdienst gesehen und gesprochen. Indessen war Ernestine von Tillmann nicht die Person, die sich von einen, einmal gefaßten Plan so leicht abbringen ließ. Sie hatte in ihrer eigenen Jugend die «schwere der Armulh kennen gelernt, hatte sie doch selbst Curt von Tillmann nie geheirathet, wenn ihm nicht plötzlich durch seines Bruders Tod ein Vermögen in den Schooß gefallen wäre, ihrer Tochter sollte ein derartiger Zuiiand erspart bleiben. Gewiß gefiel ihr Baron von Buchow an und für sich, die materielle Seite war aber doch die Haupt sache. Auch sie wußte, daß die Finanzen in Burgdorf in den letzten Jahren sich sehr verschlechtert, sie fürchtete auch, daß Otto bei seiner leichtfettigen Schuldenmacherci bleiben würde, wer konnte wissen, was die Zukunft bringen würde, es war nach ihrer Ansicht einfach unumgänglich nvthwendig, daß diese projektirte Ehe mit Günther bewerkstelligt wurde. Nicht allein die Zu kunst der Tochter, sondern ihrer selbst wegen, einen reichen Schwiegersohn zu besitzen, hat immer für eine Mutter etwas Beruhigendes. Tie Henensgcfnhle, die Agnes soeben an den Tag gelegt, galten ihr in der Hauptsache wenig, so ein bischen romantische Jugendliebe macht ja am Ende jedes Mädchen einnial durch, die wird überwunden, und sie war über zeugt, wenn Agnes erst einmal zum Berständniß gekommen und eingeiehen, wie viel sie bei solch' einem Tausch gewonnen, dann würde sie es sicherlich noch einmal der Mutter Dank wissen. Die Frage war nur. wie das wohl am besten zu machen sci^ Ten Vater in's Gcheimniß ziehen, das ging nicht, das würde falsch sein, sie kannte ihren Gatten ganz genau, sie wußte, wenn sie ihm offen ihre Pläne gestehe, sein Erstes würde sein, mit Agnes Rück sprache zu nehmen. Utilitätsgründe gab es für den unpraktischen Mann nicht, wenn die Wünsche seines Lieblings in's Spiel kamen, und daß Agnes in ihrer jetzigen verliebten Denkweise ihr sofort die Pläne durchkreuzen und ganz entschieden eine derartige Zumuthung zurückweisen würde, davon war sie eben falls überzeugt. Nein, ihr Gatte war abhängig von Dem. was Agnes beschloß, demgemäß mußte Agnes selbst gewonnen werden. Aber wie? Nachdem, was sie soeben gesehen, war von jeder direkten Einwirkung, zur Zeit wenigstens, unbedingt abzusehen. Auch von einem längeren Aufenthalte Günther's versprach sie sich nichts, so lange Richard Harrig in Burgdorf ver weilte, so lange die Beiden sich sehen und sprechen würden, war jede Beein flussung in anderer Richtung ausgeschlossen. Sie mußte ruhig abwarten, bis Richard wieder nach seiner fernen Universitätsstadt abgereist, dann war cs Zeit zu handeln. Agnes war ja noch ein Kind, siebzehn Jahre alt. Was hatte sie denn bis letzt von der Welt gesehen! Einen Ball hatte sie in der Residenz erst niitgcmacht und wie hatte der ihr gefallen, köstlich hatte sie sich amüsitt und noch Tage lang davon gesprochen, wie ganz anders wäre cs gewesen, als die Ide äunsants in Laupa oder die Gesellschaften, die die ein zelnen Gutsbesitzer der Gegend monatlich zu geben pflegten: welche Pracht, welcher Glanz hatte sich da entwickelt! Und damals hatte sie auch mit Wärme des Barons gedacht, der sich ihrer so sehr gewidmet, sich ihr während ihres Aufenthaltes beinahe ganz zur Verfügung gestellt. Ja, das war der beste Plan: für's Nächste ruhig den Dingen ihren Laus lassen, durch kein Wort, keine Geste ihre Absicht verrathen, selbst etwaige Zusammenkünfte zwischen Agnes und Richard nicht zu verhindern, dann aber, sobald Letzterer von Burgdorf weg. den Feldzug zu beginnen. Ganz nnaufsallend gedachte sie von der Residenz nnd dem dort herrschenden Geselllchastsleden zu sprechen und zu schwärmen, Betheiligungsvorschläge zu unterbreiten, nöthigenfalls. wenn Agnes keine Neigung dazu au den Tag legen sollte, cinjach einen Tag festsetzen, an dem sie und Agnes nach der Residenz fahren würden, dort würde sich schon mit Otto's Beihilfe es arrangiren lassen, daß sie an allerhand Ver gnügungen Theil nehmen könnten und dann — dann würde es sich schon machen, daß Günther den Rivalen aus dem Felde schlüge und Agnes ihre plebejischen Grillen über Bord würfe: „aus den Augen, aus dem Sinn" sei ein gutes, altes Sprichwort, das würde sich auch diesmal bewahrheiten. Das war ihr Plan; demgemäß wollte sie handeln. Daß das Schicksal selbst allerdings in einer für sie selbst tles einschneidenden Weise ihr zu Hilfe kommen würde, das ahnte sic da freilich nicht. Als Otto und Günther von der Jagd znrücklchrten, wurde Letzterer un angenehm überrascht durch die Neuigkeit, Fräulein Agnes habe Kopfschmerzen nnd lasse sich für den Abend entschuldigen. Er batte sich nach der belebten Unterhaltung des gestrigen Tages außerordentlich auf den Abend gefreut, in Wahrheit wäre er am liebsten gar nicht zur Jagd gegangen. Sein Herz hatte richtig Feuer gefangen und die auffällige Umwandlung in Agnes' Benehmen hatte seiner Eitelkeit ungemein geschmeichelt, er glaubte, seine Liebenswürdig keit und Unwiderstehlichkeit hätte auch hier in gewohnter Weise triumphirt, und er hatte ogar schon während des Tages den Gedanken in Erwägung gezogen, ob er nicht ichon vor seiner morgigen Rückkehr nach der Residenz ein entscheidendes Wort sprechen sollte. Er machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, Agnes krank zu finden; sebr zu Frau von Tillmann's Be ruhigung zog er auch die Wahrheit dieses unwillkommene» Unwohlseins durchaus nicht in Zweifel, im vollsten Ernste bat er» Fräulein Agnes sei« aufrichtigsten Wümche baldiger Besserung zu übermitteln. Am nächsten Morgen, die Abreise der beiden Herren war auf neun Uhr festgesetzt, zeigte sich AgneS für eine ganz kurze Welle. Frau von Tillmann konnte deutlich die Freude über Günthks Abreise in ihrem Gesicht lese«, dieser selbst aber faßte auch jetzt wieder ihre Freundlichkeit als eine chm selbst gewidmete auf. Agnes sah in ihrem schmucklosen Morgenkleid prächtig au» und Günther hatte nur für sie Augen. Er empfahl sich mit unverhohlenem Bedauern, sobald schon von Burgdorf wieder scheiden zu müffcn, mit großer Genugthuung. nahm er Frau von Tillmann's Aufforderung, bald seinen Be such zu wiederholen, entgegen, und sprach auch seinerseits die zuversichtliche Hoffnung aus, die Damen recht bald wieder in der Residenz begrüßen za können, und als chm Agnes die Hand zum Abschied reichte, wnnte er «nht unterlassen, einen feurigen Kuß darauf zu drücken. Und auf der Rückfahrt im Schlitten konnte er dem Verlangen nicht wider stehen, dem Freunde fern Herz auszuschütten, er erklärte, er sei d» AgneS sterblich verliebt und sein höchster Wunsch sei, sie heirathen zu dürfen, und Otto, in seinem Innern jubilkend, versprach chm, nach Kräften helfen zu wollen. Richard blieb noch mehrere Tage länger in Burgdorf und die beiden Liebenden sahen sich täglich. Es war eine kurze Zeit unbegrenzten Glücke-, ob auch die Natur im Winterschlaf lag und Eis und Schnee dre Ecke riutzS umher bedeckte, in ihren Heizen war sonniger Lenz, in rosigem Licht lag di« Zukunft vor ihnen, Luftschlösser wurden gebaut und in süßän Liebcsgestufter verging ihnen Tag für Tao. Doch am einunddreißigsten Dezember schlug auch für ihn die Scheide stunde, er mußte den Morgenzug benutzen, um noch au demselben Tim die ferne alma watsr erreichen zu können. Schon mn fünf Uhr brach er auf. er küßte Tante Liese, die es sich nicht hatte nehmen lassen, ihm noch trotz all« Frühe eine Tasse heißen Kaffee zu bereiten, den alten lieben Mund herzlich, wie das Wiedersehen zwischen Vater und Sohn gewesen, so war auch d« Trennung, sie schüttelten sich kräfttgdie Rechte und der Vater gab ihm »och einen Segenswunsch mit auf den Weg. Jetzt trat er reisefertig auS der Thür, Alles lag noch in tiefem Schlummer, eS war noch Nacht, nur Nero, der Hofhund, erkannte ihn und schlug mit seinem kräMgen Schweis wedelnd auf den Boden seiner Hütte. Aber drüben im Herrenhaus sah er ein Fenster erleuchtet, er kannte es wohl, es war Agnes' Stube. Gestern hatte er Abschied von ihr genommen, aber die Geliebte wachte, am Fenster stand sie in ihrem weißen Nachtgewand und ihr Keines Taschm- tuch wehte ihm einen Abschiedsgruß zu. Mit der Hand winkte auch er ibr noch einnial zu, zeigend, daß er fern Lieb erkannt, noch etu Blick zurück kr'S Vaterhaus, dann riß er sich los. mit kräftigem Schritt griff er aus und bald war er den Blicken der Zurückbteibenden entschwunden. als stände ihr Schweres, unendlich Schweres bevor. 7. Kapitel. An einem Balle hatte Frau v. Tillmann Jahre theilgenommcn, ein zweiter stand bevor, merksamkeitcn ^ ^ Ausenthalts war , prächtiges Gespann hatte ihnen stets zur Verfügung gestanden. Trotzdem hatte Agnes keine große Sinnesänderung an den Tag gelegt. Sie war artig nnd freundlich gewesen, hatte sich auch über die allerhand Keinen Gefällig» und AgneS bereit« im neue« Günther hatte sich in Aas» und Zuvorkommenheit fast überboten. Während des ganze» oar er den Damen beinahe nicht von der Seite gewichen, fein keite» gefreut, aber Frau v. Tillmann hatte dock gefühlt, daß Günther wenig Fortschritte gemacht und daß er dem Herzen der Tochter noch immer fern stand. Dennoch war sie zufrieden. Sie hatte sich darauf gefaßt gemacht- daß es Zeit kosten würde, bis diese Liebelei, wie sie Agnes' Gefühle für Richard nannte, aus ihrem Herzen verbannt sei und sie hoffte von der Zukunft. Doch die Zukunft brachte eine ganz andere Wendung. Es war Mitte Februar, als eines TageS Otto plötzlich aus Burgdorf erschien. Er hatte sich in keiner Weise angemeldet, me Strecke von der Waldstation hatte er zu Fuß zurückgelegt, knietief war er bisweilen in den Schnee versunken, die Haare klebten chm feucht an der Stirn, bleich und hohläugig trat er unerwartet im Herrenhaus ein. „Wo ist mein Vater?" so hatte er Johann gefragt, der ihn erschrocken als sähe er einen Geist vor sich, anblickte. „Der gnädige Herr ist in seinem Arbeitszimmer! Soll ich den Hm» Leutnant anmelden?" stammelte verwirrt der Diener. „Ist nicht nöthig! Sagen Sie Niemandem, daß ich da bin I" Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieg er die Stufen hinan. Ungesehen gelangte er bis an seines Vaters Thur, ein tiefer, schwerer Athen»« zug hob ihm die Brust, dann pochte er an nnd trat ein. Hm v. Tillmann laß an seinem Schreibtisch, vor ihm lagen eine Anzahl Rechnungen. „Otto! Du hier? Und wie siebst Du aus? WaS ist geschehe» ?" frug er erschrocken, als er so plötzlich den Sohn vor sich sah. Ottos Antlitz war todtrnbleich, aus seinen Augen leuchtete ein unheim liches Feuer, der Mund war fest geschlossen, als traute er sich nicht, da- Schwere zu verkünden. „Nun, Otto, was giebt eL? Was führt Dich jetzt nach Burgdorf?" fragte noch einmal der Vater, während sein Ängc die gebrochene Gestatt dr> Sohnes überflog. „Vater, ich bin ruinkt I" kam es lelfe über die blutlosen Lippen. „Ruinirt? Was soll das heißen? Wer hat Dich ruinkt? was hat Dich ruinkt?" Die Stimme des Herrn v. Tillmann klang ernst drohend, die Etim hatte sich in tiefe Falten gelegt, er war selbst bleich geworden; streng und kalt blickte er den Sohn an. als ahn« er die Wahrheit. <Ä°rtici»ng Do»n«rSU>».Z
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