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71. Jahrgang. ^ 274 Dienstag. 14. Juni 1927 Gegründet 18S« D«a»1«r<ckrM, prachoUKte» v»«..»» F»nvvr»ch»r - Samm»Imim»»r, 2S 2^1 V« Nt» Nack«,,1vrL»«i 20011 B-ruzs-D-bühr VSÄÄ!« UivWL. SchriMrlluaa »nd AawiaeichS9«sirkl«, Maelenfteab« 3S"12 Druck «. Berlag von Utevia, ck «»tckaedt tn Drr»dr» Poftsck«ck»Kont« icrss D»««de« Nackdnick nur mii deuMch,-, ciiirllennnaab« >.Dr»»dnr, Nackr.'- »iizlltn. Unvrrlanql« SckrtUNilck» werden nick« »»sbrivakirt Konferenz der Außenminlster in Gens. Schwierigkeilen in -er Frage -er Osk-Konlrolle. — Keine Einigung mit Wol-emaras. Die sächsischen Regierungsverhan-lungen wieder ergebnislos. — Kommunlslen-Terror in Rathenow. — Milielholzer in Berlin, Brian- bei Slresemann un- Slresemann bei Ehamberlain. Senf. IS. Juni. Heute nachmittag um ö Uhr fuhr der französische Außenminister Brianb in Begleitung von Professor Hcsnard bei Dr. Slresemann vor. mit dem er eine ungefähr einftltndige Unterredung hatte. Daraufhin de» gab sich Dr. Slresemann zum Hotel Beaurivage. um Eham» berlai« gleichfalls einen Besuch abzuftattcu. vorher hatte Staatssekretär v. Schubert eine längere Unterredung mit dem belgischen Außenminister Ban der velde, die sich hauptsächlich um die Frage der Verminderung der Rheinland besatzung gedreht haben soll. Außerdem haben Ministerial» direktor Dr. Gauß und der Rechtsbcirat der litauische« Delegation über die von Litauen erhobenen juristischen Ein» wände gegen die Behandlung der Memelfrage vor dem Völkerbund verhandelt. Wie aus Kreisen der deutschen Abordnung verlautet, trug die Aussprache zwischen Dr. Stresemann und Brtand einen durchaus freundschaftlichen Charakter. Damit soll freilich nicht gesagt sei«, daß für die Lösung der Deutschland besonders intercssierendc« Probleme irgendwelcher Fortschritt erzielt worde« sei. Im Gegenteil kann der Eindruck nicht von der Hand gewiesen werden, daß diese Fragen sich noch i« eiuem Zustand der Stagnation befinden und eS ist durchaus noch nicht sicher, ob eS im Laufe der weiteren Besprechungen gelingt, sie einer uns befriedigen den Lösung entgegenzuführen. Daher kann man die gesamte Lage nicht optimistisch beurteilen. Die Schuld für eine solche Stockung und dafür, bah die Locarno-Politik nicht die Früchte trägt, die von ihr erwartet wurden, liegt nicht aus deutscher Seite. Uebcr diese Gründe gibt die französische Presse der letzten Zeit mancherlei Anhaltspunkte: es überwiegt offen bar in Frankreich das innerpolitischc Moment. Dagegen dürfte die in der Presse und auch in Gens ziemlich allgemein ver breitete Ansicht, daß aus dem Nichtzustandekommen einer Be sprechung der Außenminister am Sonntag Schlüsse zu ziehen seien, nicht zutrefsen. Bon deutscher Seite lag kein Anlaß vor, vor Beginn der eigentlichen Ratstagung bei den sremdcn Aubenministern Schritte zu unternehmen, die viel leicht den Eindruck erwecken konnten, als ob Deutschland als Gesuchsteller austrete. Die Tagesordnung selbst bietet übrigens Anhaltspunkte genug für Feststellungen über die Bereitschaft bei den übrigen Locarno-Mächten, aus die deutschen Wünsche und Erfordernisse Rücksicht zu nehmen. Dahin gehört z. B. die morgen zur Ver handlung stehende Frage deS litauischen Einspruchs gegen die Behandlung der von Deutschland eingereichten Memelbeschwerde, dahin gehören weiter dt« Sorgen DanzigS tn bezug aus das polnische MunttionSdepot aus der Westerplatte. AuS der Ausschaltung der an sich wenig bedeutungsvollen Frage der deutschen Flugzeugltsten von der Tagesordnung lassen sich jedenfalls irgendwelche Schlüsse nicht ziehen. Die Frage -er Ost-Kontrolle. Deutschland hält an seinem Standpunkte fest. Gens, 13. Juni. In der Frage der Kontrolle der zerstörte« Hstbcsestignngen scheinen sich nach den ersten einleitende« Ber» Handlungen, die ans die Möglichkeit einer Lösung hinaus» ,«lausen schiene», nicht ««erhebliche Schwierigkeiten geltend ,n ««che«, da ans deutscher Seite der Standpunkt der Alliierten, bi« Kontrolle ber zerstörten Ostbefeftignugeu durch eine Inspektion der drei Berliner Militär.Attachös,« regeln, nicht geteilt wird. Man steht in den Kreise» der dentscheu Delegation den weiteren Verhandlungen zwischen de« «nße«, minister« in dieser Krage mit Besorgnis entgegen, da «an deutscherseits nicht gewillt ist, der Inspektion ber Ostfestnnge« in Form einer irgendwie geartete« Kontrolle znznstimme«. * Berlin, IS. Juni. Nachdem der Sachverständige der Re-tchS- regicrung, Generalleutnant v. P a w e l S z, nunmehr die Be- sichiigung der Zerstörungsarbciten an den 84 Beionunter» stäuben im System der befestigten Werke an der deutschen Ost grenze, die nach der Pariser Vereinbarung vom 81. Januar >927 zu beseitigen waren, beendet hat. sind die Berliner Missionen der tn ber Botschafterkonserenz vertretenen Mächte sEnglanb, Frankreich. Italien, Belgiens heute durch das Aus- wärtig« Amt von der vereinbarungsgcmätzen Durchführung der Zerstörungsarbetten schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. sW. T. B.) Keine Einigung -wischen Slresemann un- Wolüemarc iol-emaras. Berlin, 18. Juni. Die gestrige Genfer AnSsprachc zwischen ReichSanßenminister dem deutschen «ii eichSanbenmintster Dr. Stresemann und dem litauischen Ministerpräsidenten Woldemaras über die Mcmelfrage hat, wie uns bestätigt wirb, z« keinem positiven Ergebnis geführt. Die Meinungen find nach wie vorgr « nb- verschiede» und die Aussichten zu einem direkten Aus gleich gering. Es ist kaum damit zu rechnen, daß es noch im letzten Augenblick gelingen sollte, aus die Gtellnngnahme des Bölkerbnndsrats von beide« Seiten zu verzichten. Derlagung -er Danzlger Flugzeugsrage. Genf, 18. Juni. In der heutigen Sitzung des Völkerbunds- ratcs wurde in bezug aus die heute vom Völkerbundsrat be handelten drei Danzlger Frage« entsprechend dem Anträge deS chilenischen RatSmitgliedeS Villegas beschlossen, die Frage ber Aushebung ber einschränkenden Bestimmungen für den Danziger Flugzeugbau in einer kurzen Diskussion zu behandeln. Scnatspräsident Sa hm bat, unterstützt vom Bölkerbundskommissar v. Hamei, um Beschleunigung der Entscheidung, an ber Danzig ein erhebliches wirtschaft liches Interesse habe. AuS sormalen Gründen wurde trotz dem die Vertagung bis zur nächsten RatSsesston beschlossen. Auf Bericht des polnischen Außenminister» Zaleski wurde die Einberufung einer internationale» juristischen Konferenz zur Kodifizier«»« verschiedener Nechtsmaterten in Aussicht genommen, wozu van Blokland, ber neue holländische Außenminister, zur Verbindung dieser Bölker- bundsarbeit mit der Internationalen PrtvatrechtS- konferenz im Haag eine Einladung nach Holland aus sprach. Ueber die Einberufung einer solchen Konferenz soll die nächste Völkerbundsversammlung entscheiden. — Ehamberlain begründete dann noch seinen Antrag auf Herabsetzung der Zahl der ordentlichen Ratstagungen von vier ans drei im Jahre, schlug aber entgegen den Erwar tungen der Ocsfentlichkeit vor, diese Frage erst in der nächsten Ratstagung und tn Verbindung mit der Bölkerbunds- versammlung zu entscheiden. Sinter -en Genfer Kulissen. »Journal de Gensve" über die deutsch-französische« Ber» Handlungen. Gens. 18. Juni. Das „Journal de Gensve", da» bekannt- sich dem französischen Außenminister nahestcht und daher mit unter als Sprachorgan BriandS gelten kann, besaßt sich heute mit dem voraussichtlichen Ergebnis der Unterredung zwischen Dr. Stresemann und Brtand und bemerkt hierzu solgenbeS: Die Räumung des NheinlandeS wird zweifellos gegen- wärtig noch nicht zur Erörterung gelangen. Die Stunde hierfür sei weder vom deutschen »och vom französischen Stand punkt aus gekommen. Der Gedanke, daß die Besetzung des NheinlandeS für die Sicherheit Frankreichs bedeutungslos sei und daß eS zweckmäßig wäre, hierauf gegen Gewährung polt, tischer Vorteile zu verzichten, habe aber in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht. Solange jedoch die sranzösischen Gencralstäbe an den Ostgrenzen Frankreichs noch nicht die «otwcndige« Befestigungen dnrchgcsührt haben «erden, wird ein Teil der öffentlichen Meinung Frankreichs eine Räumung deS NheinlandeS nicht zulasie«. Zweifellos vermindere sich die Bedeutung ber Besatzung für Frankreich von Tag zu Tag. Zu der im FrtedenSvertrag vorgesehenen Räumung deS Rheinlande» im Jahre 1985 würben die französischen Truppen ohne die Erlangung anderer politischer Vorteile da» Rhein land ränmen müssen. Wenn die dcntsche Reaicrnng Gednld hätte, so würde der Tag kommen, wo Frankreich von sich an» die RänmungSverhandlnngcn ausrollen würde. Das Ziel der gegenwärtigen Verhandlungen zwischen Dr. Stresemann und Vrianb sei, das Terrain für die endgültigen RäumunaS- verhandlnng im Herbst vorznberciten. Zunächst spiele hierbei "e Herabsetzung der Rhcinlandtrnppen eine grobe Rolle. Dr. Stresemann würbe wahrscheinlich eine Verminde rung um 10990 Mann verlangen. Briand aber würde daraus Hinweisen, baß Frankreich seit Locarno bereit» 8990 Mann zurückgezogen und 8900 Wohnungen freigemacht habe. Hier auf würde Briand die Frage ber Zerstörung ber Ostfestungen tn dt« Wagschale werfen können. Trotz der einwandfreien rechtlichen Position Deutschland» tn dieser Frag« sei jedoch anzunehmen, daß eine Einigung erzielt werben könne, da Dr. Stresemann kaum die Absicht haben könne, die Beziehungen zu Frankreich in dieser Frage weiterhin zu belasten. Man könne daher ««nehmen, daß die gegenwärtigen Verhandlungen mit einer befriedigende« Regelung ber Inspektion der Ost. festungea «nd einer Herabsetzung der Nheinlandtrnppen endige« würde. Eine saarlSn-ische Delegation in Gens. Genf» 13. Juni. Heute vormittag ist unter der Führung de» GehetmratS Röchling eine saarländische Delegation tn Genf etngetrofsen. Auf der Tagesordnung der Ratstagung stehen diesmal k e t n e Saarfragen, jedoch wird, wie ver- lawtvt, die saarländische Delegation mit den Ratsmitgliedern in Fühlung treten, um auf die ernsten Widerstände aufmerk, sam zu machen, die sich tn ber Bevölkerung de» SaargebteteS gegen die Einführung der auf der Herbsttag««- be- schlossen«« Bahnschntztrnppe geltend mache«. Keine denische DermiiNung zwischen R«b- land vn- England. Berlin, 18. Juni. Der „Jntransigeant" wußte zu de- richten, baß Dr. Stresemann von dem russischen BolkSkommts- sar T s ch t t s ch e r i n gebeten worden wäre, eine Reihe pcrsöp- sicher Vorschläge TschttschertnS an Ehamberlain zu über, bringen und folgerte darau», baß Stresemann beabsichtige, als Vermittler zwischen London und Moskau zu bienen. Zu dieser Meldung deS Pariser Blatte» ist festzu- stellen, daß von einer VermittlnngSaktion des deutschen Außenministers zwischen England und Rußland nicht ge sprochen werben kann. Deusschland als rentables Geschäsl. Parker Gilbert, der Reparattonsgemaltige in Deutsch, land, hat seinen tu der wirtschaftlichen Welt mit Spannung erwarteten Zwischenbericht über das Funktionieren des Dawes-Planes erstattet. Eine seit dem großen deutschen Börsenkrach im Auslände eilfertig betriebene Legenden, btldung hatte ihm sensationelle Enthüllungen über einen un- gewöhnlich günstigen Stand der deutschen Wirtschaft und Ein- wände gegen einzelne Posten des deutschen Etats, besonders des NeichSwehretats, angebichtet, die angebliche Manöver deS Retchsbankpräfident Dr. Schacht gegen den Dawes-Psa« unterbinden sollten. Aber die Sensation ist ausgeblteben. Der Bericht enthält von diesen Märchen nichts. Trotzdem haben wir alle Veranlassung, uns eingehend mit Parker Gilberts Urteil über die deutsche Wirtschaftsentwicklung zu befassen, denn es ist das Spiegelbild, in dem bas gesamte Ausland die deutsche Wirtschaft sicht. Deutschland als »goiu« oouoorn", als gutgehenden Geschäftsbetrieb, wieder herzustellen und eine gerechte Probe ber Zahlungsfähigkeit Deutschlands anzustellen, bezeichnet Parker Gilbert als den Zweck des Dawes-PlaneS. Wenn er aber erwähnt, baß die Uebertragungen der deutschen Reparationsleistungen an die Dawcs-Glänbiger laufend vor sich gegangen seien, ohne die Stabilität der deutschen Währung zu gefährden, obwohl „Barübertragungen einen wachsenden Anteil haben", wenn er weiter ausschließlich den großen Einfuhrüberschuß der letzten sechs Monate für die Beanspruchung ber Reichs» bankrcserven und für die Erreichung des GvlderportpunkteS verantwortlich macht, dann liegt hier für Deutschland ein überaus gefährliches Außerachtlassen der großen reparationS- politischen Bedeutung der letzten Entwicklung unserer Wäh rungspolitik vor. Es soll dabei keineswegs verkannt werden, daß das erschreckende Anwachsen der Passivität unserer Han- bclsbilanz bas besorgniserregendste Moment unserer ganzen volkswirtschaftlichen Entwicklung ist. Niemals aber läßt es sich rechtfertigen, daß ber Rcparationsagent in dieser Zeit kriti- scher Passivität der deutschen Wirtschaft den deutschen Devisen markt durch große Devisenankäufe noch weiter schwächt, um Barzahlungen an die Dawes-Gläubtger vorzunehmen. AuS den Ueberschüflen der deutschen Wirtschaft, d. h. au» den Ueberschüssen der deutschen Ausfuhr über die Einfuhr allein, ergeben sich nach den klaren Ausführungen des Dawes-PlaneS Möglichkeiten zur Barübertragung. Unsere Handels, «nd Zahlungsbilanz aber ist hoffnungslos passiv. Gewiß» die deutsche Währung ist nicht gefährdet worden. Und die Währung wird auch stabil bleiben, wenn die Barübertragun gen fortgesetzt werden,- denn die deutsche Währung ist durch die strengen DeckungSvvrschriften derart gesichert, baß sie schwerlich tnS Wanken geraten kann. Es fragt sich nur, zu welchen gefährlichen, die deutsche Wirtschaft fesselnden und einschnürenden Maßnahmen die Reichsbank gezwungen wer ben kann und muß, um die gefährlichen Maßnahmen Parker Gilberts auszugleichen. Ncichsbankpräsident Schacht hat durchaus recht: »Die Währungsfrage ist in Deutschland kein Problem mehr. Problem ist lediglich die Wirtschastsfrage. DaS aber ist gerade bas Gefährliche der augenblicklichen reparationspolitischcn Lage: die für uns im DaweS-Plan liegende Sicherung, daß Reparationsleistungen nur insoweit zu machen sind, als die Währung nicht gefährdet ist, wird dadurch, baß die Währung der konstante Faktor bleibt, die RetchSbank aber, um ihn konstant zu halten, zu Kredit, etnschränkungen, Diskonterhöhungen und anderen Wirt- schaftöschäblichcn Maßnahmen gezwungen wird, aufgehoben und an ihre Stelle der Maßstab gesetzt, wie wett man dt« deutsche Wirtschaft Erschwerungen, Drosselungen und einer weiteren gefährlichen Auslandsverschuldung aussetzen kann, ehe Dawes-Plan und Barüberweisungsmethodcn revisions bedürftig erscheinen. Und dieser Maßstab wird von dem Aus- länber Parker Gilbert anders angelegt als von Dr. Schacht. Die letzte Diskonterhöhung ber Rcichsbank zeigt dabet, baß wir trotz unserer Gegenwehr den Gefahren nicht ganz auS- zuweichen vermögen, die uns von dieser Entwicklung des Transferproblems drohen. Ein schrankenloses Hereinströmen von Auslandskrediten über das volkswirtschaftlich notwendige und nützliche Matz hinaus hatte früher der RetchSbank Devisen tn reichem Matze zu- geführt und hatte zur Folge, daß das Defizit unserer Zah. lungsbilanz nicht nur ausgeglichen, sonbcrn der ReparattonS- agent überhaupt In die Lage verseht wurde. Devisen zu Bar. Übertragungen zu erwerben. Wir können aber nicht ewig von ge- borgten: Gelbe leben. Kredite müssen in Devisen verzinst und zurtickgezahlt werden. Das heißt, daß mit fortschreitender Verschuldung ein znncbmcnder Velraa der de ilsso - > o- Suktion über die Dawcsbclastung hinaus von jedem Produk« tionSgcivtnn an das Ausland abzufiihrcn ist und den Betrag, der für die Lebenohaltung des deutschen Volkes bleibt, ver- mindert, soweit nicht eine mit dem AuSlandsgeld ermöglichte stärkere Produktion die Zahlungen auSglcicht. Seit Jahres frist hat Dr. Schacht vor dem Ueberhanbnehmen der AuS-