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Annahme des Derkranensanlrags für Wirlh. 220 von 421 Glimmen für Wirlh. Berlin. 15. Aebr. Der Reichstag hat das Vertrauens votum für die Regierung Wirlh mit 220 gegen 185 Stimmen in namentlicher Abstimmung angenommen. 16 Abgeordnete der Bay rischen Volksparlei enthielten sich der Stimme. Für das Vertrauens votum stimmten die Sozialdemokraten, das Zentrum und die Demokraten. Dagegen die Deutschnationalen, die Deutsche Volksparlei, die Unabhängigen und die beiden kommunistischen Gruppen. Anwesend waren 421 Abgeord vete. Das Ergebnis wurde bei den Regierungsparteien mit lebhaftem Bei fall ausgenommen. Die TNihtrauensanträge waren damit erledigt. Die Verhandlungen im Reichstag. ID r a b l »> c l d u » g unsrer VerltnrrSchrtsllcttung.s Berlin, l5. J-cbr. Zu Beginn der heutige» Reichstags- sitznng teilte ein Rcaiernngsvertretcr niit, das, die demo- kraiiiche J-nlerpcllativn über den Verlehr von Auren aus dem besetzten in das unbeictzte Gebiet in der nächste» Zeit beantwortet werde» soll. Dann wurde die zweite Lesung des Neichsmictengeseheö fortgesetzt. — Abg. Bahr iDein.s: Bei der allgemeinen Not lage könnten wtr es heute nicht wagen, die Mictzwangswirt- sch-rst völlig zu beseitigen. Leider bringen diese Gesetze eine Art Sozialisierung. Die Demokratie siel»c grund sätzlich auf dem Boden der Privativ! rtkchail, jedoch miistc sich das Eigentum gewisse Beschränkungen gefallen lassen. Scheitere dieses Gesetz, so würden die Gegensätze nicht ge mildert. sondern nur vcrsckmrit werden. Beide Seiten, Mieter und Vermieter, mühten Opfer bringen. — Abg. Fand «Bayr. Vp>: Das vorliegende Gesetz sei bei der gänz- licknn Auhcrachtlassung der Airtlichkeil undur chsüllr- bar. Eigentümlicherweise gingen alle Gesetze, die vom RcichSarbcttöministerium kommen, daran! aus, eine Un menge von Beamten hier und da unterzubringen. Wenn diese Geietzesmacherei so weitergelie. würden wir bald keine Arbeitslosen mehr in Deutschland haben. Leine Partei lehne dieses Gesetz ab. Allgemein sei im Reich ein Mißtraue,, gegen die Hausbesitzer znm Ausdruck gebracht worden. Das (Rietz sei nicht n„r versassiiiigündernd. sondern sogar verfassungswidrig. Die Verewigung der Zwangs- wirEchafi bedeute die Verewigung der Korruption, besonders für das Wohnungswesen. Das Gesetz sei für Berliner Ver hältnisse gemacht, und alles, was über Berlin hinaus liege, sei nicht berücksichtigt. Deshalb sei das vollständig »„soziale, ia antisoziale Gesetz abznlehnen. — Nachdem noch der Abg. Tender l.Komm. Arbeirsgemeinschnfti das Gesetz als u». annehmbar bezeichnet hatte, wurde die Beratung des Rciclis- mietengcsctzes unterbrochen und die Sitzung auf kurze Zeit vcrtagr. Kurz nach 4 Uhr eröffnet? Präsident Locbe die Sitzung von neuem. Am Negierungslifche hatten inzwischen der Neichsiangler mit sämtlichen Neickisministern Platz ge nommen. Es wurde nunmehr die Aussprache über die NegicrnngS-ErNärnngen z»m Eiscnbahnerstrcik fortgesetzt. Wie der Präsident seststellt«, lagen ein Ver. trauensantrag und vier Mißtrauensanträge vor. Der Antrag der Regie,ungsparteien. Marx iZeiur.j, Dr. Peterfen lDem.j und Müller-Franken lSvz.j. lautet: De. Reichstag billigt die Erklärungen der Reichsregierung. Ter Antrag der Deutschen Vo! kspartei hat folgenden Wortlaut: Der lltcichotag mißbilligt: t. das; der Reichskanzler die Verordnung des Ne che-präsidenteu vom l. Februar gegen ossenbare Be einige n i u> i angeivender hac: 2. dah der llieichslanzier. im Wideripeuch mit den Er klärungen der Neichsregierung. mit Führern der Reichs- geivcrkickmik Deutscher Eiienbaunboaml-en und -Anwärter verhandelt hat. bevor der Streik beendet war: 3. daß der gteichslanzler in bezug aus die T sziplinarbehandlung von Dicnilvergehen Zusagen gemach, hat. die nament lich im Zusammenhänge mit seiner Siede in der Reichs- tagssitzung vom >l>. d. M. geeignet sind, die S-aats- auivrität zu gefährden und die vitichtlreucn Beamten zu verwirre». Der Reichstag spricht deshalb dem Reichs kanzler Dr. A M, sein Piisurauen aus. Der d e u t s cb n a t i o n a l c Antrag lautet folgender maßen: Ta die Neichsregierung durch ihr bisheriges s ch io ä ch liches Verhalt e n und durch ungenügenden Schutz des > stichtlrrilcn Perseiials an dein Ausbeuch des Eisenbahnen! reite- i e! b st i t > ch n. l d ! g ist und an gesichts der Tatsache, das; beim Eisenbahner streik die Tntrn des Reichskanzlers nicht mit seinen Aorten überein stimmen, hat der Reichstag nicht die Zuversicht, das; di.' Staatsantorilat in den Händen der vom Reichskanzler Dr. Wirlh geleiteten Reich-rregicrung genügend gemährt ist und versagt insolgedeßc» der Regierung das Vertrauen, dessen sic nach der Reichsversassung znr Führung der Geschäfte bedarf. Der Antrag der Unabhängigen Sozialdemokraten besagt: Der Reichstag mißbilligt, daß eine Ausnahme»?, ordninrg gegen die streikenden Beamten erlassen wurde, daß dnich diese Verordnung unter Bruch der Ver fassung dos S'.reikrccht der Beamten aufgehoben wurde und daß die Regierung den Achtstundentag angcraitel har, das; ne Vert.andlnngcn mit de» Streikenden avgelennt hat und daß sie Maßregelungen von Streikenden vornehme» will. Kvnnnnniiii'che Anträge fordern Einstellung der D i' z > v! i n a ' v e r s a h r e n . Einzel- oderMaisene.it- laisungen sollen nicht erfolgen. Etwaige beschlagnahmte Ge Die gestrige NeichStagSsitzung hat die von Millionen mit Spannung erwartete Lösung der Frage nach dem künftigen Schicksal der deutschen Regierung gebracht. Die Regierung bleibt im Amte: eö ist ihr gelungen, mit einer knappen, aber immerhin ausreichenden Mehrheit von 85» Stimmen aus dem Abiiimmungskampsc um das von de» Regierungsparteien emgebrochte Vertrauensvotum hervvrzugehcn. TaS ist in knappen Worten der Tatbestand, wie man ihn ans den ersten Blick bei oberflächlicher Einschätzung des zahlenmäßigen Er gebnisses scststellen »ins;. Mit dieser nüchternen Feststellung kann sich natürlich niemand begnügen, der auch nur entfernt einen Begriff von der Gewichtigkeit der Fülle von Fragen hatte, die sich mit der Entscheidung des Abstimmuii-esgaiigeS und mit den einzelnen Mißtrancnsantragen beziehentlich dem vom Kanzler geforderten Vertrauensvotum verband. ES gilt vieimebr in den tieferen Sinn der trockenen Er- gebniSzifsern einzndringen und sie das künden zu lasten, was sich in ihnen verbirgt. Erst dann kan» der Spruch der Volksvertreter gewissermaßen lebendig werden, kann sich zeigen, ob die Negierung ihre offene Fcldscülacht gewonnen bat oder ob dir Partie vielleicht remis geblieben Ist. Das eiste, waS scstgeiteUt zu werden verdient, ist die Tatsache, daß von 4t« Ncichstagsabgrordneten nur 42l Insacsamt abge- srimm« haben: 47 Volksvertreter glänzten also bei dieser be deutungsvollen Entscheidung durch Abwesenheit. Nun war, wie erinnerlich. daS Stimmenverhältnis der Regierungs parteien zu den Oppositionsparteien, die die bekannten Miß- tranensanträgc eingrbracht hatten: 2-l> : 222. Die Stimmeii- zahi. die für das Vcrtranenövvtnin abgegeben wurde, beträgt genau 22ck. Es dürste sich also hierbei um einen lückenlosen Aufmarsch der RegierungSparteüer handeln. Tie 17 Ab wesenden würden sich demnach samt uns sonders auf die Ovvoiition und die 2l> Abgeordnete umfassende Schar der baorsschen Vvlkspartriler, dcS Bäurischen VaucrnbnndeS und der Welsen verteilen, von der kan», anziinrlimeii ist, daß sie auch nur mit einer einzigen Stimme für das Ver trauensvotum gestimmt habe» wird. Dabei rückt das Abstimmungsergebnis in ein bezeich nendes Licht. Die Zahl der kehlenden Volksvertreter würde genügt haben, die Vertraiiensmehrlieit für Wirkt, in das Gearnteil zu vertcbrrn, zumal wenn man dieser Zahl noch die ll> bäurischen Vvlksparteilcr innziirechnet. die sich der Stimme enthielten und die damit kiindigie», daß sie keinesfalls zu den Stützen des Wirtlnckien Kabinetts aezählt zu werden wünschen. Aus dieser rwrsiclntarn Eckiätzuna. an der stch brr eine oder andere Faktor nach de», Bekam,twcrdcn der genauen Ziffern wohl ander» maa. ol-ne daß dir Bedeutung dieser Abs«in>-mi»gsbetr,,ch.'„„g stch ändern sonnte, geht mit Dentllchkcit hervor baß die Regierung bei dem Anwcien- beitSstande der Volksvertreter wohl eine Mehrheit von Sst Stimmen erhielt oder zu erzeugen in der Lage war. daß ober diesem Mehr die erklärte Gegnerschaft von 18h und die gewissermaßen versteckte von st3 gegenstberstcht. Wer diese Zusammenhänge überschaut, der wird stch der Neberzcngung nicht verschließen können, daß der in der Relchstaassttzung zustandeaekommcne Svrnch der Volksvertreter nicht eigent lich ein Vertrauensvoll»!, der NeichstagSmckirheit genannt werden darf, von dem i» vollendetem Sinne nur gesprochen werden kann, wenn alle Abaeordnete. daS Plenum dcS HauseS. wirklich seine Stimme für oder wider die Regierung abgegeben hat. Es ist keine ZnsastSnicbrlieit. »in die cS sich hier handelt, wohl aber eine sorgsam konstruierte, deren Fertigstellung dem Kanzler wie den Regierungsparteien und ihren Führern keine geringe Mühe gekostet haben dürste. Der wahre Wert dieser Entscheidung wird noch dadurch ver ringert, daß es stch »m die Stell»,,anahme zu einer Er klärung liaudclle, in der mit keinem Worte von „Vertrauen zur Regierung" die Rede ist. „Der Reichstag billigt die Erklärungen der Neichsregierung." So lautete der trockene Satz, für oder gegen de» die Parteien stimmen sollten. Der deutichnationalc Abgeordnete Hegt hat mit vollsten, Recht die Zweifelsfrage an den Kanzler gerichtet, ob denn in diesem Satze tatsächlich das zum Ausdruck kommt. waS der Kanzler am Sonnabend unter einem „positiven Vertrauensvotum" verstanden hat. Man hätte ieibstverständlich in der heiklen Situation der gegenwärtigen allgemeinen politischen Lage einen regelrechten VertranciiSantrag, nicht nur eine vagic Auskordernng zur Nilligung der Regierungserklärungen über den Eisenbahn«?, streik erwarten müssen. Der Kanzler war genügsamer. Ihm war cs. wie er anSsüiirtc, ganz klar, was mit dem ko formulierten BillianngSantraa gemeint war. Aber ebenso klar bürste cS sein, daß eine wirklich aus Aufhellung der Situation bedachte Regierung, der eS ledig lich ans die Sache ankommt. nie und »Immer sich mit einer solchen dem Sinne nach umicüweisrnden Foriimliernng. aus der ein« VertrauenSbczruaung nur Indirekt abgeleitet wer den kann, einverstanden erkärt hätte. Mithin liegen die Dinge so, daß ein mit allergrößter Vorsicht, aus ganz bestimmte Punkte präzisierter, indirekter Vertrauensantrag von einer mühsam konstruierten Mehr heit einer Auswahl von Volksvertretern angenommen wurde. WaS damit gewonnen worden ist. ist herzlich wcirig. Das. woraus es ankam. nämlich den Beweis zu liefern, daß die ReaierungSpolitik sich wirklich aus die breite Mehrheit des Volkes und seiner Vertreter stiiten kann, das ist nicht erreicht worden. Fa, im Gegenteil, der Kampf für und wider Wirkt, unter den Parteien hat stch verschärft. Die Vorgänge, die stch im Reichstag und in den vorbereitenden Beratungen der Fraktionen untereinander vor der Abstim mung in diesen Tagen abiptcltcn, Icacn Zeugnis davon ab. Die Kluft zwischen der Regierung »nd den beiden führenden Rechtsparteien hat stch vertieft. Die große Koalition, deren stch der Kanzler im Kamps um seinen Testet durch Vermitt- > Iniig der Tcmokralci, wolck nur als Mittel zu», Zweck be diene» wollte, ist zerschellt, ohne daß sic Überhaupt erst ins Leben getreten wäre. Durch den Beschluß der Mehrhcits- ivzialdcmvkraten vom Dienstag ist „lede Kombination mit der Deutschen Voltspartei" abgclelint worden. Ans Seiten der Deutschen Bolkspartei wird nach dieser kategorischen Erklärung und nach der BrüSkirrung. die ihr der Kanzler zuteil werden ließ, mit Recht auf längere Zeit der io oft uon ihr an den Tag gelegte gnteWille zu einer nntzicl,affenden Einig»»«, mit den Parteien der Mitte »nd der mehrheits- Ivziallstiichen Linke» geschwunden sein. Auch die Snmpathicn, die man in weiten Kreisen der gckaniten Rechtsparteien für die bäurische Bolkspartei empfand, dürsten stch nach deren zweifelhafter Haltung im AbstiinuiigSgange wesentlich abgekühlt haben. Wenn die vanLiichc Bolkspartei ihre Stellungnahme mit dem Hinweis darauf begründete, daß sic WIrthS genuesische Reise nicht ge stört ichcn möchte, io muß sie dabei ganz vergessen haben, daß der von der Ncateruna ins Auae aesaßte Unterhändler Rathena» zwar über taktisches Verstandlnngsgeichick ver fügt. daß es aber mehr als zweiselbait sein dürfte, ob der neue Außenminister seine wcltpvlitischen WirtickiaftSpläne hinter die deutschen Interesten zurückzustellen in der Lage «ein wird. Sollte trotzdem ein aewißcr Vorteil damit ver bunden sein, daß die in ihrem Umfang durchaus nicht fest stellbaren Vorarbeiten de? Kabinetts Wirts, für Genna nach dem „AbstimmungSsicg" Ihren Fortgang nehmen können und weiden, io da,i dieser Vorteil in seiner Vedentimg nicht überschätzt werden. Denn einstweilen ist cs bei der Unaus geglichenheit des englisch französischen Gegensatzes noch abso- lnt unklar, ob und wann nun bestimmt die Konferenz statt- iinden wird. Nimmt man eine Verichicbnng der Tagung als argcben an. womit man iiche'-l'icl, nicht ziuvcit gebt, dann wäre anck, eine andere, feste, orientierte und von gröberem Vertrauen getragene Regierung in der Lage gewesen, ihre Vorarbeiten für Genna zu beenden Keinesfalls aber wäre nach einem Rcaicriingsmcchsel die Situation io gcweicn, wie sie der Zcntrnmsabgcordnclc Marx iwit seinem Schreckens- ruse kennzeichnen zu müssen meinte: „In dem Augenblicke, wo diele Negierung gestürzt wild, stehen »nS neue Sank- tioncn bevor!" Das heißt ängstliche Gemüter ins Bockshorn tagen wollen »nd stellt ans einer Basis mit dem von Wirth Immer wieder gegebenen Hinweis ans daS Ausland. Wohl sind wir abhängig vom Ausland, aber wir wollen uns ab- gcwöhncn. icdes Stiriirnnzeln VvincaröS oder Lloyd Georges mit einem devoten Senken des HanpleS hinzn- nehmen. lind da nnS das Kabinett Wirth auch nach seinem Bertranenstriuwph nicht geeignet erscktcint, die deutsche Politik in diese feste Bahn z» leiten, so habe» wir keine Ur sache trotz Genuas und aller Konferenzen sein Verbleibe» im Amte anders als eine vorläufige Gegebenheit anzusehe».