Suche löschen...
02-Abendausgabe Dresdner Nachrichten : 19.06.1930
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1930-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19300619028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1930061902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1930061902
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1930
-
Monat
1930-06
- Tag 1930-06-19
-
Monat
1930-06
-
Jahr
1930
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Beginn »es Nnnzlauer SaItenm«r»rr«ZkiirS Ltgvaar vralrtbartodl 6«r »0r»«ln«r dl»a^rtvi»t»o" Prenzlau, >9. Juni. Im SchwurgertchtSsaal beS Prenz lauer Lanügerichtsgebäubea begann heute der Gattenmorb- prvzeb gegen den Zahnarzt Fritz Gutmann aus Schwebt a. d. Oder. «ns dem GerichtStisch waren anfgeban«: Der rote Morgenrock und das blutbefleckte Nacht- hemd, mit denen die ermordete zweite Frau des Angeklagten bekleidet war, als man sie im Badezimmer tot auffand, ferner das Schloß des Badezimmers, an dem der Angeklagte mit seinem Opcrationswerkzeug herumhantiert hatte, um vorzu- tauschen, das, seine Frau sich eingeschlvssen habe: das Hals tuch, das er ihr um den Hals gelegt haben will, ferner der Revolver öeS ZahnarzteS, M v rr> I> i u >» packnnge n, die noch von der ersten Frau stammen, deren merkwürdiger Tod alü Illustration zu dieser Anklage mit zur Erörterung kommen wird. Außerdem hat daö Gericht eine grobe Pappattrappe des Gutmannschen HauseS, Schloftsreiheit 15, anfertigen lasten, deren Oberteil sich abhebcn labt und einen Blick in diegenau Hochgebil dete W o h » u » g gestaltet. Man sicht in jeden Raum hin ein. vor allem auch in das Badezimmer mit der am Boden liegenden Reiche, der scheinbar nmgestürztcn Leiter, der Badewanne, alles in genauem Verhältnis der tatsächlichen rösten maile dargestellt. Unter diesen Umstanden wird ein Lokaltermin in Schwedt voraussichtlich erspart wer den können. Im Badezimmer wurde auchdieersteFrau Gutmanns tot ausgesunden. „Das verfluchte Badezimmer!" soll sa der Angeklagte gerufen haben, als ihn die erste Feststellung über den Tod seiner zweiten Gattin traf. Wenige Minuten vor Beginn der Verhandlung wurde Guimann von Gesängnisbeamten vorgeführt. An dem <1 Fahre alten Mann, dessen eingefallenem Gesicht man die halbjährige Untersuchungshaft deutlich anmerkt, fällt der merkwürdige Bau des spitzen, kahlen Schädels aus, vor allem seine fliehende Stirn. Während er sich scheinbar ruhig und gelegentlich auch lächelnd mit seinem Verteidiger RA. Dr, Freu unterhält, schweift der Blick von de» tiefliegenden, dunkelumränderten Augen lauernd und beobachtend über die Rethen der Presse und der Zuhörer. Der erste allgemeine Eindruck dieses von allen, die ihn kennen, als brutal und gewalttätig geschilderten Mannes ist jedenfalls kein günstiger, und man versteht, dah er als Zahnarzt in Sch w edt außerordentlich unbeliebt war und da« man ihm rein gefühlsmäbig sowohl die Schuld an dem Tode der ersten wie auch der zweiten Frau sofort zugetraut hat. Der Angeklagte erklärte, er sei am 30. Dezember 183g in Berlin geboren und in erster Ehe mit Lena geb. Baer, in der zweiten Eh« mit Rost geb. Kerber verheiratet gewesen zu sein, und dab zwei Sinder vorhanden wären, daß er ferner den Krieg als Keldarzt mttgemacht und da« Eiserne Kreuz S. Klasse erworben habe, vors.: ..Angeklagter, schildern Sie einmal Ihr Leben bi» zu Ihrer ersten Ehe." A n ae k l.: »Ich bin al» Sohn des Zahnarztes Advls Gutmann in Berlin geboren. Ich habe, wie ich sagen darf, eine sorgfältige Erziehung genossen. Meine Eltern hinge» mit grober Liebe an mir. sAufaeregt:) Ehe ich fortfahre, mus, ich hier etwas etnschalten. Man hat mir bei meiner Vernehmung im Vorverfahren immer nur meine Strastaten vvrgehalten, jedoch niemand bat sich um meine Verteidigung gekümmert, sonst hätte man all das Gerede und den Kleiustadtklatsch früher und schneller zer störe» können. Ein grober Teil der Zeugen brachte starke Belastungen für mich aus meinem Vorleben. Eine grobe Rolle bei diesen Schilderungen haben wohl vielfach Aussprüche meines eigenen Vater» über mich gespielt. Niemand hat es wohl in seinem Lebe» besser mit mir ge meint als mein Vater, aber es gab auf der anderen Seite keine» schlechteren Psychologe» uud Erzieher als ihn. Mein Vater stammte aus reichem Hamburger Haus, er über- warf sich mit seinen Eltern, betrieb sein Studium aus eigenen Mitteln und erwarb in Berlin eine ungeheuere Praxis. ES ging meinem Vater so gut, dab er bei seiner Eheschltehuug selbst aus die grobe Mitgift meiner Mutter verzichten konnte. Er war aber auch von geradezu unglaublicher Rücksicht»- lostgkeit und duldete keinen Widerspruch. I» meiner Kindheit »eigte ich zu Schwiudeleie», au» Angst vor meinem Vater, denn ich bin als Kind geschlagen worden. Wochenlang bin ich mit verbundenen Armen und Beinen hernmgclansen. Mein Vater hat einmal einen Haus lehrer, der dagegen protestierte, dab mein Vater mich so scharf bestrafte, gleich mit verprügelt. lDie Verhandlung bauen bei Schluß der Redaktion ans Nor »rm Allonaer Bembenlegerorozetz Kiel. 19. Juni. In dem Altonaer Verfahren wegen der B o m b e n a t t e n t a t e hat die Ltraskammer, wie di« Justiz. Pressestelle mittetlt. nach Ablaus der den Angeschuldigten be willigten ErklärungSsrtst nunmehr das Hauptvcrfahre-n vor dem Schwurgericht gegen die Angeschuldgten Heim, Volk, Nickels, Schmidt, Rathjen, Rehling. Wtborg, Johnson, Wischte, Matti-eS, Hennings, Vick tun., Lnhmann, Becker, Menecke, Rieper, die Eheleute Holländer, Bosten, HamkenS und Bruno von Lalomon eröffnet. Hinsichtlich der Angeschuldigten Heim, Volk. Nickels, Schmidt, Rehling. Johnson und Rieper hat die Strafkammer Fortdauer der Untersuchungshaft beschlossen. Die übrigen Angeschuldiglen. deren Verfahren »ach Altona siattgegcbe» worden ist. sind auber Vcr- solgung gesetzt worden. Die Anberaumung des Haupt- Verhandlungstermins ist in den nächsten Tagen zu erwarten. OeetttcheS und Sächsisches WM veoKea IM oh« NltMklim«? Vemerkenswerter Wechsel im Veäst-tmu »er Slaheesschau Am kommende« Mittwoch wirb sich ba» Präsidium de, Jahre»schau Deutscher »rbett darüber schlüssig werden, ob im nächsten Jahre wieder eine Ausstellung veranstaltet werden soll. Bekanntlich war für 1931 eine Internationale Kunst. auSstellung geplant, und Direktor Dr. Posse hat bereits ein bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete» Programm vorgelegt. Sollt» die Internationale Kunstausstellung nicht zustande- kvmmen — ausschlaggebend hierfür wird die Bereitstellung eines städtischen und staatlichen Kredit» sein —. so will man l»3t eine Ruhepause eintreten laste», um alle Kräfte aus 193.' zu konzentrieren. Zur Vorsorge ist schon setzt ein Abbau des in diesem Jahre recht bedeutenden VerwaltungSapparateü der Ausstellung etngeleitet worden. Im übrigen wird Bankdirektor Stadtrat Dr. Krüger in der kommenden Woche sein Amt als Präsident ntederlegen. An seine Stelle wird voraussichtlich Reichsminister a. D. Dr Külz treten. Förderung -es Wohnungsbaues »eitere s Millionen Reichsmark als staalltche -ilssma-nalnne Angesichts -er tu diesem Jahre etngetretenen, in erster Linie aus Finanzierungsschwierigkeiten zurückzuführendcn Stagnation auf dem Wohnungöbaumarkte hat sich die Re gierung dazu entschlossen, weitere 5 Millionen Reichsmark zur Förderung der Wohnungsbautätigkeit und damit zur Lin- -eruna der Wohnungsnot wie der groben Arbeitslosigkeit üc- reitzustellen. In der Erkenntnis, daß vor allem die Be- schaffung zweiter Hypotheken grobe Schwierigkeiten bereitet, hat das Finanzministerium zunächst die Landeskulturrenten- bank ermächtigt, sür das Jahr 1930 an Darlehen und Vor schüssen zu Kletnwohittttigsbauten für die minderbemittelte Bevölkerung nicht nur 8 Millionen — wie im Vorjahre —, sondern bis zu b Millionen Reichsmark zu gewähren. Auber- dem wird, um auch den noch immer bestehenden Schwierig- ketten der Beschaffung erststelltger Hypotheken bet Klein- wohnungSbauten zu günstigen Bedingungen zu begegnen, der LandcSkulturrcntenbank aus Grund der letzthin vom Landtage beschlossenen Ergänzung des LandeSkulturrentenbankgelctzcs ein weiterer Betrag von 3 Millionen Reichsmark au» der Staatskasse darlehnSwetse zur Verfügung gestellt, der tn der Form von Tilgungsdarlehen an Unternehmer von Klein- wohnungsbauten zu günstigen Bedingungen wettcrgegebcn werden soll. Gesuche sind an die LandeSkulturrentcnbank tn DreSden-N., Astcrstrabe 3, z» richten, bei der auch die näheren Bedingungen zu erfragen sind. Stemwürfe gegen -as Berliner poimsche Konsulat Berlin, 19. Juni. Vier oder fünf Personen gaben gestern abend gegen !4l2 Uhr ihrer antipolnischen Gesinnung dadurch Ausdruck, dab sic mehrere Fensterscheiben des in der Kurfttrsteustrabe gelegenen polnischen Konsulats mit Steinen einwarfen. Zwei Motorradfahrern, die dauernd hin und her fuhren, gelang es. die Aufmerksamkeit des vor dem Gebäude postierten Schutzpolizeibeaiiiteii abzulenke» Plötzlich hörte der Beamte Scheiden klirren. Als er hinziieilte. sah er nur noch einige Personen hinter der in der Nähe liegenden Kirche ver schwinden. Die Tater sind entkommen. Mcm nimmt gn. dob die Kundgebung im Zusammenhang mit Sen Lemberger Todesurteilen gegen K v m - mu nisten steht, dg gus diesem Anlab ähnliche Demonstra tionen auch vor dem polnischen Konsulat tn Prag statt gesunden hatten. Der Ehef des Protokolls, Gras Tattenbach, hat tn den Vormittagsstunden des Donnerstags dem polnischen Ge sandten das Bedauern des Auswärtigen Amtes über diesen Zwischenfall ausgesprochen und zugesagt, dab der Vorfall polizeilich nachdrücklich verfolgt werden würde. Erneuerung »er deutschen MbteS-Sllpendirn London. 19. Junt. Dr Rektor des New College in O x - sord erklärte gestern aus dem Iahresessen der Treuhänder der Rhodos-Stipendien, Cectl RbodeS habe zur Förde rt»,g des Weltsriedcns und der allgemeinen Wohlfahrt die Zusammenarbeit des britischen Reiches, der amerikanischen Republiken und der deutschen 'Ration sür notwendig erachtet. „Wir glauben", fuhr der 'Redner sort, „dab trotz der Unter- drechnng der Freundschaften durch den Krieg die Rhodes- Stipeudie» sich in einem den damaligen Umständen ent sprechenden beschränkten Umfange als wohltätig erwiesen haben. Jinolgedessen haben wir. die Rhodeö-Treuhänder, den Veschlub gefabt. die deutsche» Stipendien zu erneuern, so dab im nächsten Semester wieder deutsche Studenten nach Oxford kommen werden." Rückkehr -er -rutschen Flotte Kiel, l9. Juni. Nachdem bereits gestern nachmittag di« zweite Torpedoboot-Halbflottille und das Linienschiff „Hessen", von seiner Auslandsreise kommend, wieder in den Kieler Hasen eingciaufen ivaren. trafen heute vormittag der Kreuzer „Königsberg" mit dem Befehlshaber der Ausklärungsstreitkräfte an Bord, und später auch das Flottenslaggenschisf „Schleswig-Holstein". —* Ernenn»«» »nb Beförderung beim Kinanzminlstc, rinm. OberregierungSrat Dr. Schwede wurde zum Mini- sterlalrat ernannt und Regtcrungsrat Dr. Kluge zum Ober- regtrrungSrat befördert. —* Deutschnationale Wablkundgebung. Morgen, Freitag, 8 Uhr findet di« letzte grobe Wahlkundgebung der Deutsch- nationalen Volkspartet unter Mitwirkung der ehe maligen Hoftrompcter, die durch historische Welsen die Feier umrahmen, tm groben Saale des VeretnShauseS. Zinzendori- strafte, statt Die Hauptrede hält RelchötagSabgeordneter Graf Westarp Über: „Sozialdemokratische Auften- und Innenpolitik": aufterdem sprechen noch Generalleutnant a. D Freiherr v. F a l k e n h a u s c n. der frühere Kommandeur der Infanterieschule. und Landtagskandidat Bergdirektor Dr Eckardt, Vizepräsident der letzten Landtage. Der Eintritt ist frei. Einlab 7,15 Uhr. Karten sür numerierte Plätze sind aufter in den bekanntgegebenen Ausgabestellen, falls noch vor handen, auch an der Abendkasse erhältlich. —* Arbeitsvermittlung sür Lungenkranke. Die Lande». Versicherungsanstalt hat mit dem Landesarbeitsamt eine Ver- einbarung aetrossen. nach der mit Wirkung vom 1. Juli ab im Interesse einer durchgreifenden Tuberkulosebekämpfung die arbeUSsürsorgerische Tätigkeit tn den Heilstätten erweitert werden soll, um die a»S der Heilstätte Entlassenen möglichst in Arbeitsstellen »ntcrzubrinaen, die eine Gefährdung der Entlassenen und ihrer Umgebung ansschltetzen. AlbertTheater Gastspiel des Itiötttre >»tion»l de l. Ollson, Paris Das „OilSon" ist neben der l'rnue.'iwo" daö zweite SiaatStheaier in Paris, Slätte grober Traditionen, aber auch durch seinen Direktor Firmiu Geiuier Theater der Gegenwart und in gewissem Zinne der Moderne. Wenn dieses berühmte französische Theater sich ans eine Gastspiel reise nach Deutschland gemacht hat, so liegt dies zugestandcner- niaben im Sinne der „Expansion" französischer Kulturpropa- gan-a, aber es ist auch zugleich ein Stück Weiterarbeit au der Lieblingsidee Gönners. ein „Wetttheater" zustandczubringen. Man entsinnt sich der Gründung des „Weltverbandes der Schauspieler", der vorläufig allerdings noch eine ziemlich platvni'che Angelegenheit geblieben ist. Man kann auch die Bestrebung, gerade daS Theater in den Dienst der Völker verständigung zu stellen, als besonders geeignetes Mittel an- erkenueu. Aber wichtiger und unmittelbarer wirksam ist die gute Ausführung echter srcmzösischer Stücke als Probe der künstlerischen LeisluiigSiähigkeit des Theaters. „Spielt mau gut!" möchte man sagen und all jene schöne» Ideen zunächst aus sich beruhen lauen. Und gut spielt dieses Theater Möllere schon ganz gewib: das bezeugten die im Alberttbeaier am Mittwoch gegebenen drei Komödien, in denen ein umlauareicheS Em'emble sich in einer Lebenssrische und Sviellauue oiseubarte, die alle Zuschauer mit svrtrisscn. „I/.Xv-ii-t-", „Der Geizige", wird da in» einer Verve her- uitteraesvielt. die unierem schwerem Geblüt unerreichbar scheint. Bestechend wirkt da zunächst einmal die Znngenserttg- keit der Sprecher, denen die lebendig fließende, von Witz und Geist beflügelte Prosa Moliörcs mit allem Wohllaut und aller Ziersamkeit des gallischen Idioms vom Munde geht. Schon diese Leichtigkeit des Konversationstones tn klassischer Dichtung können wir mit unserem llcbersetzungsdeutsch nicht aufbringen. Das ist ja ganz natürlich, aber es bestimmt auch den Vori-maston des Ganzen. Für die Franzosen ist Moliöre lebende Gegenwart, für inik ist er ein fremder Klassiker. Wieviel an Ikeberliefernng der Spielart sich in der Ausführung des modernen Theaters erhalten haben mag, ist sür uns schwer zu beurteilen. So viel aber wird deutlich: Sie spielen „6oms,l>«», lustiges Theater, packende Unterhaltung auch im Kostüm de- Barock, bürgerliche- Lustspiel mit vielen traditionellen Zügen, die dennoch individuelle» Leben haben. Wenn w t r den „Geizigen" aufsühren, so glauben wtr zu willen, dab da vor allem ein- mal „Typen", nicht indinidnelle Menschen vorgesithrt werden und vor allem, dab s>arvaaon der Geiziae. Tnvns und In begriff alles Ge»,cs ist. „Der Geizige" ist liir »"s eine der großen Charakteriomödien Mol-eres die alle um die schärfste Typik einer bestimmten Leidenschaft kreisen. Und so wird Harpagon zu einer Art Dämon der Geldgier, zn einem Wahnbesessenen. zu einer furchtbaren Entartung menschlicher Anlagen überhaupt. Unsere größten Charakterdarsteller haben ihn so gespielt, und wir waren erschüttert von der dunklen Tiese solcher Tcelcnvfsenbaruna. Das ist deutsche Fühl weise und Spielweise. Ganz anders die Franzosen. s'Man darf die Künstler des „OdSon" gewib als allgemeinen Mabstab nehmen.» Bet ihnen ist die Licbesiittrige des Stückes, sind die komischen Dicnerszcnen und allerlei komödiantisches Sptel- betwerk ebenso wichtig wie die Ncuberungen des Geizes an Harpagon. lind dieser Harpagon ist gar nicht dämonisch, gar nicht genial in seiner seelische» Entartung und Gemütsver wilderung. Er ist ein braver Bürger, der zwar einfach, aber anständig gekleidet geht, der sich solange unauffällig und natürlich gibt, als nicht au den wunden Punkt seiner Seele, dem Gelbe, gerührt wird. Dan» freilich ist es au» mit ihm, dann dreht er sich weg. wird taub, ist nicht zu sprechen. So er scheinen Geisteskranke dem Laien ganz „normal", bis ihr Wahn, ihre „fixe Idee" an einer Stelle hervorbrtcht. Ein Harpagon als gelinder Irrer fügt sich natürlich viel leichter in den allgemeinen Komödicnlon des ganzen Spiels. Daher die Leichtigkeit, der nitterhaltende Charakter der französischen Dar stellung. der Mangel an abstrakter und theoretischer Tyven- schilderuna, das Individuelle im Komööienstil Moliäres. Die Regie kann sich dabei Späße leisten, die bei uns wahrscheinlich plump wirken würde» und »ns gegen den hintergründigen Ernst der Charakterkomödie zu verstoßen schienen. Wenn z. B. Harpagon und Valärc den geschwätzigen Koch und Kutscher tn einer Person rücklings zu Boden werfen und bann über seinem dicken Bauche sich die Hände reichen und aus ihn die Füße stützen, so wäre das bei uns eine bedenkliche Derbheit. Bei de» Franzosen läuft das so nebenbei in einer ganzen Reibe lustiger Lvielctnsälle mit. ohne den Fluß des Ganzen zn störe». Nie lassen sie vergessen, daß mir vor einer Komödie sitzen, dab die Berulknng eines Geizkragens kein Verbrechen, sondern ein lustiger Spab ist. Die FamilienerkennungSizene am Schluß wird in aller Breite anSgenollen. so dab Harpagon für eine ganze Weile zurücktritt. Und doch fehlt es diesem nicht an Gelegenheit, auch die seelischen Qualen seiner Leidenschaft zu zeigen, nur dab dieser Ton weder der Grnndton, noch die alles beherrschende Stimme ist Wir sind eben nicht tn der Tragödie, iondern tn der.Komödie. Diese deutliche Erkenntnis franziisi scheu Tpielgelstco gegenüber deulichcm Ernst ist ein grober Gewi»», den uns daö Gastspiel gebracht hat. Sich über so grundlegende Unterschiede klar zu werden, ist eben ein Stück des KennenlernenS ver- schiedener Anlagen der Völker. Die Künstler des „Odson" haben uns da etwa» gewährt, da« wir nun auch durch ent- sprechend« Gegenleistung in Part» entgelten sollten. Herr Chamarat, der den Harpagon svielt, ist ganz der Typus des firmen, scharfen, rationalen Franzosen, ein geistvoller Darsteller ohne Dämonie, -in a-w-naier nvmndienipieler mit arnner wimikcher Au^dr-'^skrait Er er'-osit'.-ste unS nsi''», aber er unterhielt und si'öeltc >>nS. aan: im Sinne der Au'- laisuna des Stückes Ein anmutiger Scha-l">'"ier wie Richard-Willm lCGantei. ein beherrschter Darsteller wie Raymond. Girard IVaNdref. volkstümlich« Komiker wie Harry-James lMaitre JaqueSj und Georg««-Lusin iLa Flächet stehen neben graziösen Rokokogestalten der Damen An nie Ducaux und G e r in a i n e Cavs lElise und Mariannes. Scharfe Charakterkvmtk bieten Suzanne Courtal als Frosine und Paul Oettly als Anselme, der diesen alten Glücksritter zu einer Parodie auf sentimentale Rührfiguren macht. ES wäre fesselnd, auch in diesen aus gezeichneten Schauspielern die spezifisch französischen WcienS- züge auszuzeigen. DaS Publikum, das zwar nicht das Hans füllte, aber doch zahlreich war. dankte nach jedem Akte den Gästen auS Paris mit fühlbar freudig erregtem Beifall. D r. F e l i x Z i m m e r m a n n Kunst un- Wissenschaft Opernhaus Viorica Ursnleac vom Frankfurter Opernhaus hat man von einem Gastspiel als Senta her noch i» bester Er innerung. Nun hörte man sie auch als Leonore in .Macht des Schicksals"-, und musste sich erneut sagen, dab ihr Sopran eine nicht alltägliche Onalttätsstimme ist. Er hat leuchtenden, fast hochdramatischen Glanz, kann aber auch tn ein wunderschönes, warmes, lyrisches Piano zurückgehcn und zeigt alle Vorzüge beherrschter GesangSkultur. Da auch eine vorteilhafte Bühncncrschcinung und Sinn für geschmackvolle, lebendige Darstellung dazu kommt, hat inan es hier mit einer künstlerischen Kraft zu tn». in der grobe Möglichkeiten stecken. Das wäre nun wirklich einmal eine Sängerin, die, obwohl anders geartet, doch die verwaiste Stelle Meta SelnemcyerS wieder auösüllen könnte! Darum zugegrtsfen, ehe Berlin ober Wien zuvorkommen! Die Aufführung selbst war übri gens durch plötzliche Verhinderung ihres Dirigenten Strieg le« gefährdet: kühn bestieg aber Solorepetttor Schröder das Pult und zog sich erfreulich geich'ckt aus der heiklen Affäre. Was für einen famosen Fra Metttove wir in Er- moid haben, muble man sich angeiicb's der beiche'dencu Lei stung eines sür ihn cinspringendc» Aushilssgast'M lagen. S. 8. Mitteilungen -er Sächsischen Siaatscheater Opernhaus Morgen Freitag, auber Anrecht, statt »Orpheus in der Unterwelt" »T o S c a" von Puccini mit Llatre vorn in der Tttelpartie, Hlrzel. Plaschke. Schmalnaner. Musikalische Leitung: Striegler. Spieilritnna: Erhardt. Anfang 8 Uhr. Sonnabend, den 21. Juni, außer Anrecht, tn der neuen Inszenierung , D aSMhejnaol d". Z»m ersten Male in der neuen Inszenierung singen Burg i'Wotani Lchössler iDouneri. Schmalnaner sAlberichs, Teftmer sMimes. Anbrcien lFaineri. Wie in der ersten Ausführung sind beschäftigt Dittrtch Kremer, Bader. Helene Jung. Angela «olntak, Dort« Do«. Erna
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)