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Das Ergebnis des Londoner Besuchs. Verschiebung der Aheinlandfragen. — „Neue günstige Perspektiven für die Entente." Deutsche Kandidatur für die Mandatskommission. — Das gündholzgeseh im Reichstage. — Kein Start -er Amerikaner. Lesahungsverminderung erst nach Kontrollej^cr^m.sm?!','!' -er zerstörten Ostwerke. Paris, 10. Mat. Zu der gestrigen Unterredung Chamber- lains und Briands berichtet der Havasvertreter in London: Ehamberlain und Briand haben sämtliche inter, natioualc» Probleme, die gegenwärtig die Ausmerklamkcit der Welt aus sich lenke» durckigesprochen. Obwohl man tu den offiziellen Kreisen nichts Genaues hat erfahren können, kann man doch leicht annchmen. dass der albanische Konflikt, die Beziehungen zu den Sowtets. die Vorgänge tn E b t n a, und vielleicht sogar die Tanger-Verhandlungen be rührt morden sind. In allen diesen fragen haben die beiden Außenminister die Uebereinftimmung ihrer Ansichten fest- stcllen können. So zeigt sich von neuem, das, Frankreich und England notwendigerweise in der Welt eine solidarische Politik betreiben müssen, deren Betonung bereits die Lötung sämtlicher außenpolitischer Schmierigkeiten außerordentlich erleichtern wird. Zum Schluß wird in dem Bericht des HavasvcrtrcterS hcrvvrgehobcn, daß in der Zukunft wie in der Vergangenheit die bmtonto oorckialo nur die Aufrechterhaltung des Friedens in Europa zum Ziele haben könne. Nach dem ..Matin" versichert man tn britischen Kreisen, baß Ehamberlain und Briand sich hauptsächlich über die Her» abselluug der Beiaßuuastruppe« im Rheinland als Vorstufe der vollkommenen Räumung beschäftigt hätten. Frankreich wolle bekanntlich von dieser Frage vor dem 1ö. Juni, also vor Beendigung der Zerstörung der Ost festungen. nichts wissen. Es scheine aber auch, daß Chamber- lain die Ansicht vertrete daß keine Kouzessioncn hinsichtlich der Rbeinlandbesesrnng ge macht werde« könnten, solange die ReichSregiernng «icht alle ihr gestellten Bedingungen erfüllt habe, und solange deren Anssührnna nicht lcstgestellt sei. Im „Echo de Parts" betont Pertinax» er glaube kaum, daß sich die gestrige zwetstiindigc Aussprache zwischen Ehamberlain und Briand auf Einzelheiten bezogen babe. Es sei nicht Briands Gewohnheit, sich in Einzelheiten zu er- gehen. Auch habe er keine Akten mit nach London genom men. Dazu käme, daß Englands Hauptinteresse der russisch- englischen Spannung gelte und Frankreich sein Hauptaugen merk aus de« Adria-Konflikt richten müsse. Zur Berschär. suna des jugoslawisch-italienischen Verhältnisses Cham- berlainS Politik wesentlich beigetragcn. Noch im Dezember hätte ein Wort von ihm genügt, dem Adria-Konklikt iede ge fährliche Wendung zu nehmen. Dieses Wort habe aber Ehamberlain eben nicht ausgesprochen. Frankreich «->- -> sjjr den Augenblick nichts anderes machen, als in Rom und B«l- einzuwirkcn. Im September dürste aber , -er Konflikt zur endgültigen Regelung vor den Völker- —bund gebracht werden. Zur russisch-englischen Spannung bemerkt Pertinax, duß sich London gegenüber Moskau zu sehr auf den offenen Kamps eingestellt habe, so daß es die letzten russischen Forde rungen nur ablehnend beantworte» und auf den Abbruch der Beziehungen hinarbciten könnte. Das sei eine heikle Sache für Frankreich, den» England werde in diesem Fall Frankreich zum Nach geben in der Räu mungsklage zu beeinflussen suchen, damit es Deutschland zur Abänderung seiner östlichen Politik bewegen könne. Frankreich könne aber England aus diesem Wege nicht folgen. Frankreich könne nicht in eine Verminderung seiner Rechte und Garantien zugunsten Deutschlands einwilligen. Der offiziöse „Petit Parisicn" drückt sich über die gestrige Aussprache in London ziemlich gewunden aus. DaS Älatt bemerkt, das offizielle KommuniguS über die Unter redung lass« erkennen, daß die beiden Minister wohl dasselbe Ziel verfolgen, es jedoch von verschiedenen Gesichtspunkte« aus be trachte«. Aus jeden Fall seien sie entlchlosseu, in weitgehendem Freund- schastSgeiste das unvermeidliche Kompromiß ausznarbeite«. da- die unabwendbare Opposition gegen die gemeinsamen Interessen notwendig mache. Bon neuen, genaue« Abmach««, ge« könne mau von London keinesfalls sprechen. Briand und Ehamberlain hätten aber für die Entente neue, günstig« Per spektive« entdeckt. Das „Journal" stellt die Staatspräsidenten-Reise als einen großen Höflichkeitsakt dar. Das gleiche stellt auch die Linkspresse fest, besonders das sozialistische „Oe uvre", das betont, die Behauptung sei unsinnia. die von einem französischem „Nachgebenmüssen" in der englischen Rutz- lands-Polltik spräche. „Times" feiert die neubelebie Enlenle. London. 1». Mat. Die „Times" feiert heute an leitender Stelle den Erfolg des Besuches des französischen Staats präsidenten. Der Besuch sei tatsächlich mehr als eine formale Bestätigung der alten Entente gewesen. Die jüngste Geschichte habe die Existenzberechtigung der Entente zwischen Frank reich und England so bewiesen, daß sie auch gelegentliche Miß stimmungen über Teile der Friedensprobleme in der Aus- legung der Verträge nicht hätten erschüttern können. sT.-U.) Doumergue und Brian- auf der Rückreise. London, 1». Mai. Präsident Doumergue und Minister Briand haben heute nach Beendigung ihres offiziellen Besuchs die Rückreise nach Frankreich angctreten. sWTB.j Deutschland will in die Mandalskommimon. Deulsche Schritte bei den Enienlemächien. Paris, lg. Mai. Der Brüsseler Sonderkorrespondent beS „TcmpS" berichtet seinem Blatte, daß der deutsche Gesandte tn Brüssel beim belgischen Außenministerium eine Demarche unternommen habe, »m die Unterstützung der belgischen Regierung zu erlangen wegen eines Sitzes in der Mandatskommission des Völkerbundes. Die deut schen Botschafter tn Paris und London seien vor einigen Tagen ebenfalls tn dieser Richtung vorstellig geworden. Der Korre spondent fügt hinzu, daß „angesichts der nationalistischen Kundgebungen lm Reiche" zu befürchten sei, daß der deutsche Vertreter in der Mandatskommission, falls man Deutschland einen Sitz gewähre, Schmierigkeiten Hervorrufen und Kritiken gegen die Mandatsmächte veranlassen würde. Wenn der deutschen Demarche Folge geleistet würde, würde das belgische Mitglied in der Mandatskommission getroffen werben. Man könne nicht zugebcn. daß man einen Deutschen an die Stelle eines Belgiers setze, um so weniger, als die Mit gliedschaften ohne Beschränkung der Mandatsdauer erfolgt seien. Am Quai d'Orsay wird bestätigt. daß der deutsche Ge schäftsträger Dr. Rieth bei einem seiner jüngsten Besuche die Frage der eventuellen Kandidatur Deutschlands für die Mandatskommission beim Völkerbund an geschnitten habe, um zu sondieren, welche Haltung Frankreich rtnnehmen würde. Frankreich stehe im Prinzip einer solchen Kandidatur Deutschlands durchaus günstig gegenüber. Leider aber scheine nicht dasselbe für das Foreign Office der Fall zu sein, wo die Kandidatur Deutschlands sttr diese Kommission aus hartnäckigen Widerstand stoßen soll. Ueber die Haltung Belgien» ist hier nichts bekannt. Die neue Wiener Regierung gebildek. Wien. IS. Mat. Der Nationalrat hat heute die tm Haupt. anSschuß vorgeschlagene Liste der neuen Regierung mit St gegen 70 Stimmen der Sozialdemokraten genehmigt. Die Sitzung wurde hierauf unterbrochen, um der neuen Re- gterung die Möglichkeit zu geben, die Eingelobung beim Bundesprästdenten »u leisten. Kein Osiloearno-Angebol. Berlin, IS. Mat. Zu der Meldung einer Berliner Zeitung, daß Deutschland im Zusammenhang mit den BesatzungS- verhandlungcn das Angebot eines Ost-Locarno gemacht habe, wird offiziös aus die Rede des RcichsaußenministerS tn Oeynhausen hingewicsen, tn der er klar und deutlich erklärte, daß unser Verhältnis zu Polen in Locarno geregelt wor ben sei. Kein Stark -er amerikanischen Flieger- Paris. IS. Mat. Nach einer Meldung des „New Aork Heralb" wird das Flugzeug, mit dem Bertaud und Ehamberlain den Ozean überfliegen wollten, vorläufig nicht starten können, da Bertaud wegen MeinungS- Verschiedenheiten abgesagt hat. Als Ersah für ihn käme viel leicht Leutnant Hinton tn Frage. (W. T. B.) Im einzelnen wird dazu berichtet, daß der Mechaniker Bertaud gegen den Besitzer des Flugzeuges, Levine. eine gerichtliche Verfügung erlangte, wonach der Flug ohne ihn nicht ausgeführt werden darf. Das Gericht wird Freitag darüber entscheiden, ob die Verfügung von Dauer sein soll. Lindbergh dürfte wahrscheinlich heute starten, da die Wetter meldungen günstig sind. Abbruch der Kandelsverlrags- Verhandlungen mil Kanada. Berlin, IS. Mai. Die deutsch-kanadischen Handelsvertrags. Verhandlungen sind abgübrochkn worden. Dte kanadische Ne» gterung besteht auf einer Herabsetzung der Mehlzölle, dte deutschevsetts nicht zugestanden werden kann. Wie hierzu offiziös verlautet, haben zwischen Deutschland und Kanada Vorbesprechungen nicht aber bereits osfi. zielle Verhandlungen über den Abschluß eines Handels vertrages stattgesunden. Diese Vorbesprechungen sind infolge zu weitgehender Forderungen Kanadas in der Mehlzollfragc ohne Ergebnis geblieben, doch hofft man später -och noch zu einer Einigung zu gelange». Appell an die gesilkele Wett. tBvn unserem ostobcrschlcstschc» Mitarbeiter.) Die neue Terrorwcllc in Ost-Lbcrschlcsicn. — Die Polizei paktiert mit den Banditen. — Der Woiwodc als ehemaliger Banditcnsiihrcr. K ö n i g s h ü t t c. 18. Mat. Uebersälle. Dnnamitanschläge, Erpressungen usw. häufe» sich wieder einmal in einem erschreckenden Maße. Würde Oft. Oberschlesien »och zu Deutschland gehören, müßte man an» nehmen, daß mir unmittelbar vor einem neuen Polcnaufstand stünden. Eisenstaugen, Knüppel, Revolver und Bomben spiele» in Ost-Obcrschlesicn wieder die geistigen Ueberzeugungswasseu tn den Händen von Banditen, die damit das Deutschtum zu ihrer eigenen Meinung bekehre» wollen. Damit die Ironie dabei nicht fehle, sei erwähnt, daß kürzlich der Woiwode in Be- antwortung einer Interpellation erklärte, daß sich dte öffentliche Sicherheit fortgesetzt bessere. Eine kleine Auslese mag zeigen, wie diese Besserung der öffentliche» Sicherheit anssieht. In Chwallowih drangen sechs In» surgenten in die Wohnung eines Deutschen, nachdem sie die ZugangStür eingeschlagen hatten, würgten den Deutschen und schlugen ihn und seine Frau nieder. Als der Deutsche die In- surgenten erkannte, nachdem er zum Krüppel geschlagen war und mit einer Anzeige drohte, wurde ihm von den Bandit«« geantwortet, daß der Woiwodc ihnen die Versicherung gegebe» hätte, daßeineBestrafungfürderartigeHelde». taten nicht erfolgen würde. Tatsächlich sind denn auch andere Banditen, die vor Monaten eine deutsche Katholiken. Versammlung sprengten und mehrere Deutsche so schwer ver. letzten, daß sic wochenlang das Bett hüten mußten, vor Gericht freigesprochen morden. In einem anderen Falle versuchten dte Insurgenten, in dem gleichen Orte in dte Wohnung eines Deut» schen einzudringen, die angcrufene Polizei blieb untätig, und der Ucberfallene wurde später auf dem Wege zur Arbeit lazarettsähig geschlagen. Zahlreiche andere Terrorakte möge« unerwähnt bleiben. Am schlimmsten wüteten die Banditen am letzten Sonntag tn Rybnik, wo kommunale Ersatzwahlen stattfanden. Eine Bande von zehn Mann suchte z. B. die Wohnungen der deut» schen Kandidaten aus und verübten dort Gewaltakte. Mehrfach wurde von den Banditen erklärt, daß sie Freiheit hätten und daß sie nicht bestraft werden würden. Ein Kaufmann S. wurde bis zur Bewußtlosigkeit mißhandelt, weil er für die Deutschen kandidierte. Deutsche Zettclverteiler wurden am Hellen Tage überfallen und mißhandelt. Ter „Obcrschlesische Kurier" sagt zu den weiteren Vorfällen: „Sowohl am Borabend wie am Wahltage selbst ereigneten sich Vorgänge, die allen, die um da» Ansehen Polens vor dem Auslande bemüht sind, die Schamröte ins Gesicht treiben muß." In Flugblättern wurde in offener Weise zur Gewalt ausgereizt, ohne daß die Polizei die Blätter beschlagnahmte. I» anderen Flugblättern wurden die Deut schen aufgefordert, der Wahl fern zu bleiben, obwohl das kommunale Wahlgesetz die Wahlpflicht enthält. Bor der Wohnung eines Polen, der sich einer gewissen Objektivität gegenüber den Deutschen befleißigt, wurde eine Bombe gelegt, die jedoch nicht explodierte. Als der Vorsitzende des katho« lischen Männervcreins zur Frühandacht achen wollte, wurde er mit Knüppeln niedergeschlagen. Ein Redakteur des „Ober- schlesischen Kurier" wurde auf dem Wege zur Kirche so schwer mißhandelt, daß er mehrere Knochenbrüchc erlitt. Die Proto» kolle, die über die zahlreichen Uebersälle angcfertigt wurden» nehmen den Raum einer stattlichen Broschüre ein. Selbst polnische Wahlkommissionömitglieder steckten mit den Banditen unter einer Decke. In einem besonders kraß liegenden Fall wurde der Familienvater mißhandelt, so daß die Kinder in Schreikrämpfc sielen, und schließlich raubten die Banditen noch das Bargeld des Mannes. Die Polizei wandte sich in ei«- zelne« Fällen noch obendrein gegen die Uebersallenen, bi« «« Schuß gebeten hatten! Den Massengrcneln znm Troß nahm die Polizei nicht eine einzige Verhaftung vor! Doch genug von dieser traurigen Aufzählung, die daS Gewissen der ganzen ge- sitteten Welt ausrütteln sollte. In der Welt außerhalb Polens wird man sich fragen, wie solche Zustände heute noch möglich sind. Nachdem die polnischen Nationalisten so unvorsichtig waren» beim letzten Nattonalfest einige bisher sorgsam gehütete Ge» Heimnisse Kreiszugeben, ist die Antwort ans diese Frage nicht mehr schwer. Sie haben nämlich jetzt offiziell zugegeben, daß d«r heutige Woiwode Graczinski beim dritte« Polcuaussta«» unter dem Pseudonym Borclowski tätig war. DaS Studium amtlicher Dokumente ergibt nun. baß der heutige Woiwode Graczinski alias Borclowski beim dritten Aufstand „Stabschef der Gruppe Ost" war. Als Sensation für die Kulturwelt mag ein Erlaß aus den Akten anögcgraben sein, den dieser Bore» lowski damals heranSgab. Er lautet Im AuSzuge: Bekanntmachung. 1. Dte Militär. Ztvilverwaltung übernimmt mit dem heutigen Tage das Gruppenkommanüo ... 8. Verrat. Spionage. Verständig«»« mit d«m Feinde (also des Deutschen mit seinem Baterlande) werden mit dem D»de Heftraft. 6. Sämtliche Schub- usw. Waffen müssen bei dem nächste« Plahkommanbo abgegeben werden. Zuwiderhandlunge« wer« den mit dem Tode be st rast.