Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 12.10.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192410122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19241012
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19241012
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-10
- Tag 1924-10-12
-
Monat
1924-10
-
Jahr
1924
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 12.10.1924
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
'''5,<nes Nachsict^iki i»enr Aü^ag ^»mlag.I2.0ktoberI92^ Der AUe von Bazeilles. Drei Begegnungen. Bon OSkar Klauser, Licbenwerda. 1P18 mar S. Zu sechs Gymnasiasten waren mir seit drei Wochen auf Fahrt. Quer durch Westfalen, durchs RhetnlaüL, die Eifel waren mir gezogen. Die belgischen Grenzpsählc batten uns nicht gehindert, und zehn Lage später auch nicht die franzö sischen. Sedan wollten mir sehen und Bazeilles, die RnhmcS- stätten deutscher Bergangenhcit. Sedan hatte uns sehr enttäuscht, eine dunkle, finstere Stadt, in deren Mauer» der wütendste Haft auf alles Deutsche uns begegnet mar. BazciUeS mutete uns noch trostloser an. Häßliche Häuser, eine geschmacklose Kirche, und — Beklau,e mit den geschieht- lichen Orten französischer Niederlagen. ..Viaison cke In ckernidre Ckntoncticdas Haus der Uebergabeverhandlungen von Sedan, ein historisch gewordener Schlosipark und hin und wieder ein Schutthaufen — die Trümmer eines 1870 zu- sammengeschussencn Hauses, im übrigen gerade eintönige Straften mit kitschigen Häusern, das mar Bazeilles. Etwas abseits in einem Park lag die Totengruft, in deren Dämmer die Gebeine deutscher und französischer Helden von >870 ruhe». Ein mcifthaarigcr Veteran führte uns. Er hielt »ns, dank unseres leidlichen Gnmuasial-Französisch, für lvlgischc BvyseoutS. Mit bemerkenswerter Sachlichkeit er läuterte er die Geschehnisse der Schlacht, an der er als Ser geant teilgenvinmen, bei der er znm Krüppel geschossen mar. Mit welch scheuer Bewunderung sprach er von den Bayer»! Wie lobte er den Heldenmut und den Schneid der „l'ru.-csik-ns". „Ach ja, dagegen konnten wir arme» Franzosen nicht an." Es war ergreifend, wie das Auge des Alten anfslnmmte, wenn er von dem Lchlachtgetümmel erzählte, und wir lauschten, deutsche Jungens, Söhne dieser Helden, stolz auf ihre Taten. Da geschah etwas Unerwartetes. Unser Jüngster hatte ganz naiv den Alten in echt westfälischem Platt gefragt: „Tcgg üs, mat för» Kiärl ivas datt denn?" Und wies dabei auf die etwas exotische Uniform, die in einer dunklen Ecke bei den Ge- beinen der Franzose» stand. ES waren, wie eine französische Anschrift zeigte, die Ueberrestc eines Zuavcnkapitälis. Auf die Frage kam keine Antwort. Eine kurze Weile Stille, dann meinte ich: „Jupp, Du muft den Kiärl op FranzösiSk an- auafseln." Der „Kiärl" sprach noch immer nicht. Mit un sicheren Augen sah er uns an, überprüfte er unsere Gestalte», unsere sonnenverbrannten Gesichter, die abgerissene Kluft und die schweren Stiefel. Und dann fragte er langsam: „kries-vou» ck«"> Psvs-bas?" Er mochte unsere heimatliche Mundart für Holländisch gehalten haben. Kanin wgr die Frage heraus, da platzte Jupp dazwischen: „O.natsch, wir find —" und dabei warf er sich mit all seiner Tertianerivürdc in die Brust und atmete tief — „deutsche Wandervögel." Da war'S vorbei! Kurz drehte sich der Alte auf seinem Stclzsuft um, so daft seine Ehrenzeichen, mit denen seine Brust besät war iwie die eines deutschen EtappenkriegerS von 10181, flirrten, und laut knurrte er heraus: „Vlcrciel Solas prussicns!" Was das bedeutete, lernte ich erst später — nicht auf der Schule, lind dann brach bet dem Alten der urgallischc Haft aus. Seine ganzen vorherigen Erläuterungen waren vergessen. Die Urnssians, die kovorois, die »Ions, sic alle waren 1870 eine Bande von Mördern und Schändern gewesen, die die ge meinsten Taten vollbracht hatte» und alles andere, nur keine Soldaten gewesen waren. Schier endlos dröhnte dieser Haft gesang durch die niedere Gruft. Er entwarf uns jungen Kerlen plötzlich ein so anderes Bild von unseren deutschen Helden. Irgendwie dagegen Front zu machen, wagten wir nicht. Der betftc, tiefe Haft, der ans dem Manne uns entgegcnschric, ver schlug uns den Atem, aus,erden, — wir hatten keinerlei Pässe und durften nicht mit Behörden i» Berührung kommen. De>7 Alte war am Ende, wir standen am Eingang. ES schien ilim Zeit, den Eindruck, den seine Haftredc unzweifelhaft auf uns gemacht haben muftle, uns durch eine» theatralischen Abgang echt französischer Zutuiiftsmusik zu verstärken, „tcknis. mcv«>ieur», nos krärcs cke 1870 »eroot vcmgäs!" Der Krieg wird ausbrechen. Ganz Frankreich wird sich erheben und Bache nehmen für die Greuel und für den Baub des Elsaft. Wir Alten von 187V gehen wieder mit, ct ä Fcrlin, cm entenckra Io mor.-ceillome: „TUIon», anlonts cke Io rmtcie!" Und ganz hingc- risscusang -er Alte mit heiserer Stimme das Lied. Er hatte wohl ganz vergessen, daft wir noch bei ihm waren. Mit geschul tertem Stock stelzte er im Marschtempo den Weg zum Tor entlang. — Er träumte von dem Einmarsch in Berlin. Den Franken, den er für die Führung zu bekommen hatte, nahm er aber doch an. Wir sprachen noch lange von diesem furchtbare» Haft tust dem Alten. Wir muhten ja noch nicht, wie tief er im Volke sah. Wir kannten etwas anderes, das uns lächeln lieft, wir kannten unsere Soldaten, unser Heer und glaubte» nicht an dg- französische, dessen Vertreter in Seda» auf uns einen fast- nachtSmäfttgen Eindruck gemacht hatten. Ein« halbe Stunde später prügelten wir u»S in Givonnc mit Franzosenlümmcls, denen unser Singen nicht gefallen wollte. Wie ivir — am Abend aus dem gottgesegneten Frankreich hcrauSgeworfc» wurden, davon später mal. Wir hatten uns damals, im September 1018, geschworen, nicht wieder freiwillig in dieses ungastliche Vaud zu ziehen, und ahnten nicht, daft schon ei» Fahr später der Traum des Alten von Bazeilles in Erfüllung gehen würde. Der Krieg kam, aber die Marseillaise klang noch nicht in Berlin, vor läufig zog die „Wacht am Bhein" durch Seda» Paris zu, und wir — zogen freiwillig wieder nach Frankreich, kriegssrciwillig. Drei von uns kehrten nicht mehr aus dem ungastliche» Lande heim. Sie liegen unter dem grünen Nasen bei — Sedan. April lttl». De» erste» freien Sonntag der unfreiwilligen Friedensarbeit beim Slurmbataillvn benutzte ich zu einer Reise nach Sedan. Ich hatte mir in dem nun sauberen „Kaff" einige neue Unisormstückc erstanden, ui» mit meiner speckigen „Verdun"-Garnitur das ästhetische Gefühl des Etappenkvin- manbantc» nicht zu verletzen. Auftetdcin, es war auch »ölig. — Am Nachmittag bummelte ich vor Langeweile ziellos durch die Stadt. Vor einem Verwaltungsgebäude siel mein Blick auf ein Schild: „Nach Bazcilleö." — Ob der Alte noch da war? Fn Bazeilles fand ich »och alles beim alten. Stur das, vor dem Hause cke I« ckernidra crorioiiclm von 7V eine Gruppe von Landstnrnitrainsahrcru sah. Sie klopfte» echt deutschen Skat, und einer von ihnen spielte mit eine», kleinen „Bazillen- Kind", wie unsere Feldgrauen die Bazeiller Jugend nannten. Ich fand mich bald zurecht und stand vor der Gruft. Sic war verschlossen.. Aus einem Schilde stand: „Der Schlüssel be findet sich im Hanse Nr. . . ." Ich suchte und fand — unseren Führer von 101,8. Aus meine Frage nach de», Schlüssel kam er freundlich heraus und humpelte mit mir. Ich stand wieder in der dunklen stillen Gruft, und mein Denken war bei denen, die hier vor mehr als 10 Jahren für deutsche Ehre gestritten und geblutet lwtten. Wehmütig wanderten die Gedanken zur Hülle von Verdun, dessen Schluchten und Täler in diesen Mon den zu einer unendlichen Totengrust wurden. Leise erzählte hin und wieder, wenn ich lesend vor einer der Ausschriften Halt machte, der Alte von 187». Ernst, würdevoll,- und als ivir am AuSgang standen, seufzte der Franzose und meinte: „Ja, und nun sind die Deutschen wieder Sieger." „Ja, Herr Sergeant, es ist anders gekommen, als Sic vor drei Jahren meinten." Erstaunt reckte sich der Alte auf und sah mich fragend an. Und da erzählte ich ihm, was sich im Herbst 18 hier zugetragen hatte, und in welcher Bachclnst er damals vom künftigen Kriege gesprochen hatte. Mit zuckendem Msiiide hatte der Alte zugehürt, und nun legte er die Hand an die abgerissene Mütze, und bitter kam cs hervor: „Ol, mon lieutenant. die Deutschen sind entsetzliche Soldaten. Dagegen kommen wir nicht an.' Ehe wir Waffen hatten, waren sic schon da, und unser armes Frankreich muft leiden, muft noch lange leide». Sie sind gute Menschen, diese Deutschen. Wir werden ihnen nichts tun, wenn der Tag der Bache kommt, tckcm lientenaoi, glauben Sie cS, der Tag kommt!" Und wieder kam das Glühen des Hasses in den Alten, er reckte sich heraus und schrie cs heraus: „Frankreich wird mit seinen Helden die Dorische» aus dem Lande jagen, und wir werden in Berlin einziehcn." Ich war starr ob dieses Glaubens. ES war dasselbe, was alle die unglücklichen Bewohner der Dörfer hinter unserer Front, die äuf,erlich mit stoischer Ruhe die unabwendbaren Nöte des Krieges trugen, immer wieder prophezeiten, was wir immer wieder belachten. Wie sollte das je geschehen, wo unserer Heere Heldenmut uns so tief in das Herz Frank reichs geführt hatte? Auch jetzt wieder wollte ich lächeln über den Aberglauben und konnte es doch nicht, als ich das Ge sicht des Alten sah, das wieder anigclebt schien bei dem Ge danken an die endliche Vergeltung. Fast herzlich war unser Abschied. Der Alte bedankte sich unendlich für die paar Zigaretten, die ich ihm geben konnte. Am Abend fast ick, beim Pfarrer meines Ouartierdorfcs. Ich erzählte ihm das Erlebnis mit dem Alten. Er lächelte nur und meinte, jeder echte Franzose glaube an den französischen Endsieg, und das schon bringe den Sieg, ich verstand das damals nicht. Ich habe den Alten von Bazeilles nicht wieder gesprochen. Aber begegnet ist er mir doch noch einmal. 1018 im Juli. Der Tag von VtllcrS Evttcrcts und der Fehlschlag an der Marne war gewesen. Ich war verwundet und lag endlich in einem Lazarettzng nach Deutschland. ES war tief in der Nacht. Schlafen konnte ich nicht. Der brennende Schmerz der Wunde und eine würgende Angst lieftc» nicht Buhe. Wir hatte» Furcht bares hinter uns. Tic Eindrücke der letzten Tage hatten unsere Zuversicht aufs tiefste erschüttert. Es war mir klar geworden: ivir gingen einem Abgrund entgegen. Solange wir uns in den letzten Wochen gegen die Erkenntnis gesträubt hatten, eS hals nichts. Furchtbar war und blieb die Wahrheit: die Heimat verläftt uns! Man grübelt und grübelt, man sorgt und guält sich, das Rechne» bleibt dasselbe, cs geht in den Abgrund. Wir rollten mit dem Zuge durch die Nacht, der Heimat entgegen. Deutschland, wie oft träumten wir Frontsoldaten von einem siegreichen, blumengeschmücktcn Einzug, vom Dank des Vaterlandes. Wieviel schöne Bilder hatten uns vvr- geschwebt, die alle nun schwanden und einem anderen Platz machen muftten: die Heimkehr eines trotz aller Siege ge schlagenen Heeres in die zerrissene, kraft- und mutlose Heimat. Für die also waren die Tausende dahingesunken, lagen die Abertausende im kühlen Nasen Frankreichs, lagen die hier im Lazarettzug und litten und stöhnten vor Schmerz und vor Weh. War das notig? Bittere Gefühle wurden wach. Der Zug holperte und sttcft über einige Weichen. Die Lichter draufte» zeigten die Nähe eines Ortes. Und schon führen wir in die Halle eines Bahnhofes ein, der Zug hielt. Gleichgültig schaute man nach draufte», wo im Schein der rot glühenden Bogenlampen Krankenträger mit Bahren warteten. Nene Verwundete. Im Schein einer Lampe hing ein Schild: „Bazeilles". Bazeilles, der Name gnält, das Bazeilles unserer Väter von 1870, das Bazeilles, in dessen Totcngruft die Gebeine der toten Helden den Lebenden Kraft gegeben. Ich höre wieder den Alten der Gruft, ich sehe ihn vor mir, prophetisch ruscnd: „Der Tag der Rache wird kommen!" Ja, ich glaube cS, er ist da! Frankreichs Heer bat sein Ziel erreicht. Plötzlich steht die Wahrheit des Krieges vor Augen. Frankreich, dessen Volk unter den Härten des Krieges so tausendfach mehr gelitten als nnser deutsches, hat de» Glauben an den Sieg, den Willen zum Sieg nie verloren, »nd . . . das deutsche Volk hat ihn sich rauben lassen, hat sich selbst entnervt nnd sein Heer im Stich gelassen. Das ist wahr, Frankreichs Haft war grösser als Deutschlands Kraft. Der Zug fauchte in die dunkle Nacht. Er fährt müde, hoffnungslose Soldaten der Heimat entgegen. Ich stiere durch das Fenster in die sternenklare Landschaft. Ich weift, dort liegt die Gruft. Und vor meinen Augen ersteht die Gestalt des Mannes, des Alten von 1870 mit seinem glühenden Fana tismus, mit seinem unerschütterlichen Glauben an den Sieg. Ich war froh, daft ich ihn nicht besuchen konnte. Ich hätte mich schämen müssen für ein ganzes Volk . . . Der Reisebegleiter. Von Enthcrine G o d w i n. Aster Nenmann, ein junger Literat, wollte einen reichen älteren Herrn an das Meer begleiten. Er lieft sich eilends zwei neue Helle Anzüge bauen, kaufte diverse imponierende Schlipse nnd Scidensockcn, ja. er staffierte sich neu ans und glaubte an das Neue. Sein Entschlnft war spontan in ihm gereift, die Anirvnce bezüglich des Reisebegleiters plötzlich vor ihm aufgetaucht und ebenso rasch war der Kontrakt mit dem begüterten Herrn abgeschlossen, der in den Süden strebte nnd einen feinfühligen gebildeten Gesellschafter suchte. Wie ein Lord stieg der Reisebegleiter ins Kupce und lieft den reichen Herrn, der alles bezahlte, im Schatten. Der reiche Herr war damit zufrieden. Denn er hatte cs an der Milz und allerlei kleine Leiden, die ihn dem lauten Treiben abhold machten,- er suchte Frieden und wollte den Strom des Lebens nur noch an sich vorüberfluten sehen. Aster Ncumann vermochte mit Takt abseits zu stehen und Distanz zu den Dingen zu wahren: er deutete nach dem Leben mit erläuternden Gesten, er wufttc Bescheid in der Kunst und im Kursbuch, in Hotels nnd im Hvtelpublikum. Er bewies sich als ein souveräner Wegweiser, ja, er verriet sogar Kentnissc in der Medizin und begann mit wissender Miene und harmlosen Mitteln den älteren Herrn zu kuriere». Der Leidende vergast seine Milz, entwickelte Appetit und knüpfte Konversationen weiter, die der „Lord" mit Geschick begann. — Da hatte er anscheinend einen günstigen Griff gc- Gewttker am Skrand. Ein Sturm stand auf. —- In die Dünen we>t Brachen donnernde Wogen. «Srelle Blitze zerrissen die Dunkelheit, Die kreischenden Möven flogen. llrriesen fegten den bunten Strand. Die Orgel» der Tiefe klangen. Sturmstöfte zerrissen das eiserne Band. Das meine Seele umfangen. In heißem Jauchzen, im Brausen allein Durst'Ich mein Sehnen stillen. Ich warf meinen Schrei in den Sturm hinein ttud in der Möven Schrillen. Frieda Schanz. Auf in -en Kampf. Torero! Ein Sticrgefccht in Madrid. Von Hans D i t t m c r. Man kennt das Sprichwort: Er war in Rom und hat den Papst nicht gesehen. Mit demselben Recht würde gesagt werden tonnen: Er war in Madrid nnd hat keinem Lticrkampf bci- gcwohn«. Um mich solchem Vorwurf zu entziehen, nahm ich die Gelegenheit wahr, Zeuge des großen Ereignisses zu sein. Für Spaniel, i st cs das große Ereignis. Das Kino spielt iw Leben des spanischen Volkes bei weitem nicht die Rolle wie etwa bei uns. Dafür erlebt der Domingo, der Sonntag, ganze Völkerwanderungen zur „Plaza de Toros", in der die „Eorrida", der Sticrkamps, stattfindet. Um cs vorweg zu iagen: eS ist nicht damit getan, daft wir das Sticrgefccht von vornherein als barbarische Unsitte ablchnc». Wenn cs nicht wirklich etwas hcröorragend Sportsmäßiges bedeutete, eS blickte gewiß nicht auf eine vielhnndertiährigc Geschichte zu« rück. Denn schon bei den Römern soll eS Stierkümpfe gegeben haben. Aber erst die Mauren erfanden feste Formen hierfür; von ihnen stammt auch das Spiel mit dem roten Tuch. Die Ehrtsten pflegten die Küns» mit derselben Leidenschaft nnd um l'>00 war sic ein unerläßlicher Bestandteil der Bildung jedes Adeligen. Hcrvorgchvben werden muft, daft der Stterfechter damals den „Toro" von seinem edlen Pferde ans bekämpfte »ud daß die Verwundung des Pferdes für ihn selber einen Schimpf bedeutete. Um 1700 bildete sich der Sport in seiner jetzigen Form aus, wobei die Kunst der Muleta, des roten TncheS, aufs höchste entwickelt wird. Päpste habe» versucht, das grausame Spiel durch ihr Verbot zu unterdrücken. Spanischen Ministern war cs 180k, gelungen, es für zwei Jahre zu verhindern. Aber dann blühte es um so stärker auf, und die spanischen Regierenden haben sich in der Folge dieses Ventils für die VolkSlcidcnschastcn wohl zu versichern gewußt. * Ein Julinachmittag fand mich um fünf Uhr an der Stätte großer Taten. Fast senkrecht prallte noch die Sonne ans den gelben Sand des gewaltigen Rands, wo die Sitzreihen zu beträchtlicher Höhe ansttcgen. Sv nahm ich einen Logenplatz „im Schatten" und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Ein Brausen wie im Bienenschwarm. Mehr denn zehntausend Menschen- harrten des Beginns des Kampfes, hefteten die schiparzc;,, Augen auf ein Tor in der Arena. „Toro 1" tönt cs ungeduldig, „ toro!" Schon begannen oben irgend wo die Fanfaren den Stierkämpfer-morsch zu schmettern, die „V u a d r i l l a", leuchtend von Farben, hält ihren Einzug. An der Spitze die beiden Algnazilcs zu Pferde, schwarz, mit webenden Straußenfedern am Hute, darauf die drei TvreroS, farbenprächtig, der Mittlere mit blauer Hose, kurzer Jacke, Goldstickerei. Dann die Eapcadores und alle ander». Zu letzt das Maultiergcspann, das später die Opfer des Festes hinansschleifen wird. Dir Musik ist verstummt, die Unruhe im Publikum bricht plötzlich ab. Von der glänzende» Eua- drilla sind nur die Mantelschwinger und Picadores zu Pferde zuriickycblicbcn. Da stürzt aus einem dunklen Gefängnis der wildschwarzc Stier in die blendende Helle des Sandes. * Das Spiel beginnt. TIesbclcidigt richtet sich das Auge d>,S schon.verärgerte» Tieres auf diA rote Eapa, die dort hin und her geschwenkt wird. Aufbrttllcnd vor Wut stürmt er ihr entgegen, aber mit anmutiger Gewandtheit ist ihr Träger zttr Seite gehuscht, schon neckt ein rotes Tuch an anderer Stelle. Und wenn der Toro meint, endlich einen Lappen erwischt zu haben, dann donnert er, ins Leere stoßend, gegen den Hvlz- oerschlag, um ratlos dazustehc». Immer eine andere frechrote Muleta, die er im Vvllgalvpp zn erreichen sucht; nie gelingt es ihm, und er brüllt auf in ohnmächtigem Grimm. — Doch waS komtüt da? Der Picador zu Pferde. Aber die alte Schindmähre, der man das eine Auge verbunden bat, sträubt sich, dem Zügel seines Reiters zu folgen; man muß sic näher an den Toro heranführen. Der senkt nur zornig den Kops, ein leichter Stoß — und das Pferd hat durch das hcraus- gnellende Gedärm plötzlich fünf Beine bekommen, während der-mit Watte anSgcpolsterte und unter dem umbrechenden Gaul begrabene Picador, der dem anstürmendcn Toro einen heftigen Lanzenstich in den Nacken versetzte, durch das aufs neue einsetzende Mantelspiel der Ehulus gerettet ist. Die arme Kracke aber bleibt nicht die einzige, die geopfert wird. » Trompetensignale. Der zweite Alt. Nun steht der Bandcrillcro dem rasenden Untier gegenüber. Seine Aufgabe ist, dem ans ihn Einstürincnden in Frontstellung mehrere Paar bunte Stäbe mit Widerhaken zwischen den Hörnern hindurch in den Rttckcnwnlst zu setzen. In der Ele ganz der „Snertcn" liegt ihr Wert, aber die furchtbare Gefahr. Einmal sah ich den Bandcrillcro stürzen, »m Zcntimctcrbreitc von den furchtbaren Hörner» entfernt; aber schon schwenkte der Toro ab, von einem sich blitzschnell nabenden rote» Man tel magisch gelockt. Nun ist er durch den Blutverlust für den Schlußakt reif geworden. * Vor der Loge des Präsidenten verneigt sich der Mata dor und weiht ihm den Tod dcS Stieres. Er hat sich durch die Kommunion für den Kamps gestärkt. Jetzt tritt er allein mit dem Degen und der Muleta der Bestie entgegen. Durch das kunstvolle Spiel mit der Eapa hat er den Widerstand des Gegners zu brechen, in der Ruhe nnd Schönheit seiner aui- rcchtc» Haltung allen Glanz zu zeigen. Und endlich öffnet sich der rote Mantel; ein strahlender Degen steht eine Sekunde zielend in der Luft. Wundervoll, diese in einem Punkt zn- sainmengcballte Spannkraft von Seele »nd Geist. Die Nerven, alle Muskeln aespannt. Die lichte Erscheinung des Torero gegen die Verkörperung der Finsternis . . . Noch einmal wird der Kopf des Stieres durchs rote Tuch zn einem An sturm nach »ntcn gelenkt. Da zuckt der Todesstoß, der Degen steckt bis ans Heft im Nacken. Ein Augenblick stärkster Stzan- nnng. Unbeweglich der Stier. Hat der Stahl ihn ans Herz getroffen? Der Torero wehrt nervös vorzeitigen Beifall. Doch nun ein Sturm des Jubels der Toro beugt das Knie, zn Tode erschöpft, das Blut eniftröint seinem Maul ... da gibt ein Pnntillero dem Sterbenden den Gnadenstoß. * Nicht immer ist der Mensch im Kampf der Sieger. Ein Spanier erzählt mir, daft er schon sechs Fechter unter de» Hörnern deSTorv enden sab. Und dennoch: die TvreroS sterben nicht anS. Sie werden in Spanien vergöttert — der deutsche Zuschauer des ÄampsspicIS wird sic nicht minder bewundern. Aber er wird nicht verstehen, die Grausamkeit, mit der man im ersten Akt arme altersschwache Pferde dem Wütenden opfert, und nicht nur ihm allein, sondern ebenso den rohen Instinkte!, der Masse, die sich an de», Stcrbcnmüssc» der Opfer meidet.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)