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Dresdner Nachrichten : 19.06.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192606198
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19260619
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19260619
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-06
- Tag 1926-06-19
-
Monat
1926-06
-
Jahr
1926
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 19.06.1926
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L«mabend. IS. Juni 192S — «v«»vaer Ilachrkchte«'' —- Nr. Sette- Beilegung der Lessing-Konslittes. Skaalliche Belohnung für Vesfing. verli«, 18. Juni. Der amtliche Preußische Pressedienst gibt eine Erklärung bekannt, kn der eS n. a- heißt: »Die Unterzeichneten Professoren von preußischen Technischen Hochschulen und Universitäten sin- an- freier Ent schließung zufammengetreten. um den Versuch zu machen, die an der Technischen Hochschule zu Hannover entstandenen Un ruhen. wenn möglich, sofort zu beseitigen. Zu diesem Zweck haben sie sowohl mit Herrn Prof. Lesstna. wie mit der Vertretung der hannoverschen Studenten Kühlung genommen. Die Studenten habe» ,«gegeben, baß bi« an ber Hochschule zu Hannaver vorgekommencn Störungen «nb Unregelmäßig» reite» bem Rechte und der akademische» Ordnung «iber» spreche« und baß darum für die akademische und staatliche Autorität die Durchführung des Disziplinarverfahrens unser» «eidlich ist. Anderseits hat sich Herr Prof. Lesfing bereit» erklärt, kollegial au der Befriedung der Hochschule mitzn» arbeite». Das «nentzichbare Recht ber Vonin logonckt muh ihm gemahrt bleiben. Er beabsichtigt die von ihm angekün- digten Vorlesungen bis zum Schluß des Sommerhalbjahres zu Ende zu führen, und erwartet, darin keine Störung durch die Studenten zu erfahren. Seine Vorlesungen an der Tech nische» Hochschule z« Hannover würde er mit Ablauf des Semesters einstellen, in ber Erwartung, daß er vom Ministe» rinm «in dauerndes Arbeitsgebiet zur Durchführung seiner wtffeuschaftliche« Forschnngspläne erhält. Die Unterzeichneten In,den bem Herrn Ministcr empfohlen, auf dieser Grundlage daS Weitere zu veranlassen." Gez. Dr. Orltch, derzeitiger Rektor der Technischen Hochschule Berlin, gez. Dr. Fletschmann, derz. Rektor ber Universität Halle, ge». Dr. Scheel, Vorsitzender des Ver bandes der deutschen Hochschulen, gez. Dr. K a h l, Berlin, M. d. R, gez. Dr. LüderS, Berlin, gez. Dr. Nernst, Berlin. Hierzu schreibt der amtliche preußische Pressedienst: Nach- dem die genannten Professoren dem Kultusminister die in der obigen Bekanntmachung enthaltene Lösung des Hochschul-Kon- sliktc« in Hannover empfohlen haben, hat der Minister diesen Anregungen im Einverständnis mit Professor Dr. Lessing ent sprochen. Demgemäß ist dem Professor Lessing vom Wiuter» semester ab an Stelle seines bisherige» Lehrauftrages ei« dauernder Jorschungsaustrag erteilt worden. Professor Lessing wird seine Vorlesungen bis zum Ende des SommcrsemestcrS svrtsetzen. Er wird der Technischen Hochschule in Hannover vermöge seiner Vemo iegcnäi weiter» hin als außerordentlicher Professor angehvren. Die Disziplinarverfahren werben von Rektor und Senat -er Technischen Hochschule ordnungsmäßig weitergesührt. M Berlin, 18. Juni. Die Lösung, die man im Lessing. Konflikt jetzt gesunden hat, hat in Berlin allgemeines Erstaunen hcrvorgeruscn. Man sagt, daß diese Lösung, die vielleicht den an den Eintgungsvcrsnchen beteiligten Hoch schullehrern als zweckmäßig erscheint, alle die. die unvor- eingenommen den ganzen Skandal verfolgt haben, nur zum Lachen reizen könne. Dieser AuSgang zeige, daß daS Kultus ministerium nicht den Mut ausbringt, gegen Lessing tu der einzig möglichen Weise vorzugchcn, nämlich der, eine preu- W fusche Hochschule davor zu bewahren, einen solchen Dozenten ^ besitzen zu müssen. ES sei unglaublich, daß einem Hochschul lehrer, der in häßlicher Weise unter Umgehung der notwcn- digen Objektivität den Reichspräsidenten angrifs und der sür seine Haarmaiin - Berichterstattung eine Rüge des Kultus ministeriums erhielt, jetzt materielle Möalichkciten gegeben werden, um die ihn mancher hochverdiente Forscher von inter nationalem Ansehen beneiden könnte. Daß der Fall Lessing so auslausen würde, das hätte niemand erwartet. Lesflngs „Experimenlalpsychologle". »i« Beitrag zu» Charakteristik de» Mannes. Bvrli«. 18. Juni. Ein neues, sehr charakteristische» Bet- spiel dafür, was der Prof. Lessing für eigenartig« Ansichten von der Wissenschaft und wissenschaftlichen Experimenten hat gibt ein Aufsatz im »Frankfurter Generalanzeiger", in dem teilweise mit den eigenen Worten Lessing- die »Experimental- Psychologie", die Lessing fo nebenbei noch betreibt, geschildert wird. ES heißt da: Lessing stellt versuche mit der Liebe an. Erster Versuch: Er geht nachmittags in» Hotel und wühlt «ine 45jährige korpulente Dam« im Hovel, die sich in ber Gesellschaft eines älteren Herren, wahr scheinlich ihres Gatten, befindet. Lessing setzt sich der Dame gegenüber, legt seine Hand auf sein scheinbar kranke- Herz und markiert ein« schwärmerisch hingerissene Haltung, indem er die Dame unermüdltch anstarrt. Lessing teilt mit, «S habe 18 Minuten gedauert, big die magische Bestrahlung bei der Dame gewirkt habe. Zu nächst maßloses Erstaunen, dann unsichere- Erschrecken, ängst liche Blicke, Nesteln an ber Tatlle. ein Blick in den Taschen- sptegel, endlich motorische Entspannung. Die Dame steht auf und begibt sich tu die Toilrttenräume. von wo sie nach IN Mi nuten frisch gepudert zurückkehrt. So geht es ein« Weile weiter. Lessing verläßt zwischendurch einmal, »nicht ohne einen schmachtenden Blick auf sein Opfer geworfen zu haben", den Raum, legt draußen »seine dämonische Sttrnlocke" zurück und festigt die Enden seines Schnurrbart-, um dann stegeS- sicher auf seinen Platz zurückzukchren. Die Dame aber hätte tnzwischen ihre Umgebung auf diesen angeblichen »Sierfolger ihrer Tugend" aufmerksam gemacht. Der ganze Tisch und der Nachbartisch Hütten ihn mit Neugier betrachtet. Schließlich geht die Dame und läßt ihr Täschchen liegen. Lessing tritt an sie heran, überreicht ihr die Tasche und stöhnt, die Hand ans das Her» gelegt, aus »Uoberfülle gehemmter Leidenschaft": »Nehmen Ste die Tasche, gnädig« Frau, wir gern brächte ich Ihnen mein Leben dar." Lessing schließt, die Dame sei in eine „völlig banale Reaktion gefallen", sie hätte die Handtasche geöffnet und ihn »«leinmädchcnhaft" gefragt, ob sie ihm ans- Helsen könne. Mit diesen Worten habe sie Ihm einen 20-Mark- Schein in die Hand gedrückt. Er, Lessing, habe den ^Mark- Schein eingesteckt und »konstatiert, daß cs Personen gibt, die nie begriffen, daß man sie wunschlos und nur um ihrer selbst willen liebt". Bon anderen versuchen Lessing» wird dann noch erzählt, daß er auch einmal nach seinen Angabe» ein kleines blondes Mäd chen, etwa 17jährig, mit „klaren arglosen Sternaugen voll kindlichen FrosinnS" zum Opfer wählte. Lessing berichtet, sein Opfer hätte auf seine verliebten Blicke wie ein a n g e s ch o s s e n c s jun ges Reh reagiert. Man muß tatsächlich gestehen, daß man nicht weiß, was man zu dieser sonderbaren Art und Weise »wissenschaftlicher Erperimcnte", über die Lessing in seinen Kollegs den Studenten berichtete, sagen soll. Mit Recht aber hat eine Mutter daraus hingcwicsen. welche schivcre Ge» sahr sich ans einem solchen Zqnismns sür die junge« Leute crgcbeu könne, die einem solchen Mann wie Lessing als Stu denten in die Häude fallen. Welches Unheil, schreibt diese Mutter, nachdem sie Erfahrung von LessingS sonderbaren Ex perimenten erhalten hat, welche Zerstörung liegt in dieser znnischcn Anleitung junger Menschen! Wie solle» sie Achtung, Liebe, Glaube, Treue dem weiblichen Geschlecht gegenüber be wahren? Das ist das beste Mittel, die Grundfesten von Ehe und Familie zu zerstöre«. Und dieser Lehrmeister gebt nach seinen Worten »immer auf daS Ganze" bei seinen Versuchen. Nein, cs sind keine „nationalistisch verblödeten Studenten", die einen solchen Dozenten als Lehrer ablchncn; man muß sich nur darüber wundern, -atz sie ihn so lange mit Geduld er- tragen haben. Die Arbeit -es Enqueleausschuhes. Berlin, 18. Juni. Der Ausschuß znr Untersuchung der Erzeuger, und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft lEnqucteausschußi trat vormittags wieder zu einer öffentlichen Sitzung zusammen, deren Tagesordnung einen Bericht des Statistischen Reichs» mt«S über das vorl-andenc statistische Material und die schwebenden Arbeiten sonn« ferner einen Vortrag von Professor Dr. Harms über die Engnctemcthodcn in Amerika und schließlich Be richte der Unterausschüsse über den gegenumriigen Stand der Arbeiten vorsieht. Vorsitzender Lammers betonte, daß die Untcvansschllss« bereits eine lebhafte Tätigkeit entwickelt und erhebliche Er folge gezeitigt hätten, ^kim Teil seien sie in die materiellen Arbeiten eingciretcn. Die Ausführungen der Neichsregie- rung in der Eröffnungssitzung der Engnete haben im Lande einen ungewöhnlichen Widerhall gefunden. Ein« ft-likle von Anträgen ist beim Präsidenten und bei den ein zelnen Mitgliedern etngcgangen, so daß nftr noch nicht wissen, wie der Stoff überhaupt gesichtet werden soll. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Enquctckommission sich mit irgend welchen akuten Einzclsragen beschäftigt, soweit sic nicht grund legender Natur für unsere deutsche Wirtschaft oder die Welt wirtschaft sind. Alle diele Fragen müssen durch die Berufs organisationen, Lurch die zuständigen Ausschüsse des Reichswirtschastsrats und der Parlamente nach wie vor un verändert fortbehandclt werden. Der Ncichöwahlleiter Prof. Wageman» berichtete Wer die Arbeitsmethoden des Statistischen Reichs» amts. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählungen, die daS Statistische Rcichsamt vornimmt, sin- wohl das gewaltigste Zahlcnwerk, das jemals in der Welt in Angriff genommen worden ist. Auch in Amerika und England, wo die Statistik in großem U-nifange gepflegt wird, ist eine derartig umfassende Arbeit nvch nicht vvrgenommen worden. DaS Statistische NeichSaant hat diese Zählung mit einer Schnellig- keit erledigt, die in anderen Ländern nicht zu beobachten ist. Frontsoldaten! Kriegskameraden! I. q» licht»I «r tünrrt v«»a MN fttow Dieses Schandbild Ist mitsamt der Unterschrift eine ptzvto» graphisch getreue Wiedergabe aus dem „vorwärts", dem Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie und der Ent eigner. So verhöhnt die Internationale Euch, unö, die wir viereinhalb Jahre lang in Blut und Dreck das Unglück von der Heimat abgehalten haben. So schmähen die Vorkämpfer des Volksentscheids «nS, die wir im Stahlhelm mit Gewehr und Handgranate kämpften und litten, jetzt als Assen eines leiernden Monarchen. Hätten wir gewußt, daß dies der Dank und das Ende sein würde, so hätten wir vielleicht nicht so lange ausgehalten. Dann gäbe eS heute vielleicht kein Deutschland mehr. Daun würde Herr Scheibemann wahrscheinlich keine fette Pension beziehen, die er sich selbstverständlich nicht enteignen lassen will. Dann hätten wir aber wahrscheinlich auch keine Millionen und Mil- liarden durch die Kntisker, Katz, Kahn, Barmat und Genosse» sich verflüchtigen sehen, sondern wären allesamt in dem gleichen Elen- als Entente-Arbeiter in einem ausgetciltcn Deutschland. Euch Müttern, Euch Frauen zeigen wir dieses Bild arr- dem »Vorwärts", Euch, die Ihr das Liebste in dem Helöcn- kamps sür Haus und Herd hergabt und als „Dank" des revo lutionierten und inflationicrten Vaterlandes nur Not erntetet. So mußte cs kommen. Der Kampf gegen die Fürsten ist nur Vorwand: die rote Kapitaldcmokratie hat das Volk be raubt, und nun verlästert ste auch noch dieses Volk, das im Kriege ein Volk in Massen war. Der Stahlhelm, den wir in Ehren gegen eine Welt von Feinden getragen haben, der Stahlhelm, der uns alle einte, der soll herunter in den Kot. Von den aktiven Ossiziercn sind 89 Prozent gefallen, von den Mannschaften des Gesamt heeres 19 Prozent. Sie alle, hoch und niedrig, alle, alle unsere teuren Toten sind noch nie so beschimpft worden wie hier. In keinem anderen Volke der Erde wäre derartiges möglich, weil kein anderes Volk der Erde es geduldet hat, durch die Inter nationale so dumm gemacht zu werden. Jetzt soll -er Schlußakt des Dramas beginnen, die Ent eignung jeglichen Privatbesitzes, angcfangcn bei den Fürsten» fortgesetzt bei dem Grundbesitz, endend bei der Habe des kleinen Mannes, bis zu Sparkassenbuch und Trauring. Frontsoldaten! Kriegskameraden! Und Ihr Hinter bliebenen, Ihr Kriegsopfer, Ihr Jnflationsopfer: zeigt am 20. Juni, daß Ihr den Lästerern Eurer Opfer, Eurer Ehre, Eures ungeheuren Kämpfens und Leidens nicht ins Garn geht. Wir haben genug von der ersten Revolution, die auS der guten alten Reichsmark einen Fetzen wertlosen Papiere- machte und nur raffende Ausländer bereicherte: wir wünschen nicht den Beginn einer neuen Revolution. Recht soll Recht bleiben. DaS gleiche Gesetz für alle. Und endlich Ordnung im zerrissenen Staate. Mag der „Borwärts" zusehen, wo er am nächsten Sonntag die notkvcnüigcn zwanzig Millionen Dummgcmachter findet, die ihm noch auf den Leim kriechen, nachdem er sich so ent- hüllt hat! Ein Frontkämpfer vom ersten biS zum letzten Mobilmachungstag: 5t. Neues vom alten Pompeji. von E. F. Kary, Neapel. Hinter dem grauen Tor ivartet bas Wunder. Nur wenige linden heute Einlaß in das neue alte Pompeji, man muß die Erlaubnis, die jüngsten, noch unbccndeten Ausgrabungen zu besichtigen, in Nom oder Neapel erwirken, was nicht immer leicht ist. Ganz Glücklichen gelingt eS, mit ausreichenden Empfehlungen den perrnosno an Ort und Stelle von dem scharmanten Leiter der Ausgrabungen zu erhalten. Aber auch das bietet einige Schwierigkeiten: bis man in der toten Stadt das einzige Häuschen gesunden hat, in dem das Leben herrscht — und intensives Leben und Arbeit dazu —, die Dtrezione, vergeht viel kostbare Zeit. Und hat man eS gefunden, dann ist der kleine, joviale Herr, der hier unumschränkt gebietet, eben nicht da. sondern draußen, irgendwo bet seiner zäh- geduldigen Arbeit. Ohne das neu« Pompeji gesehen zu haben, kann man sich keine Vorstellung von der Art dieser Arbeit, von den ungeheuren Anstrengungen und der freudigen Genugtuung machen, mit denen ste eng verbunden ist. Wir haben Glück gehabt und unseren alten Bekannten nach kurzem Suchen gctrvsscn. Zwei Worte von seiner Hand ans unserer Visitenkarte und Sesam tut sich ans. Nicht gleich: vorher mustert uns der Wächter und prüft mit kundigem Blick den Umfang unserer Taschen — ob wir auch wirklich keinen, noch so kleinen photographischen Apparat einschmuggeln. Was wir hier zu sehen bekommen sollen, ist. als unvollendet, vor läufig strenges Geheimnis. ES darf nicht gezeichnet, nicht photographiert werden. Aber man darf eS beschreiben, und da- soll hier geschehen. Wenn man vom Forum südöstlich abzweigt, führt einen die abfallende Bia dcll'Abbondanza. die Wohlleben, siraße, zum grauen Tor. So wundervoll auch alles bisher Gesehene war —die Via di Nola, die Easa dei Vcttit, die Easa des Fauno, das Forum, die Eumachia — so verblaßt eS doch sofort beim ersten Blick in die Verlängerung der Via dkll'Nbbondanza. Hier stehen nicht mehr wüste Ruinen, son dern verlassene Häuser. kEtwas defekt vielleicht, aber durch aus nicht tot. Man hat die Empfindung, cs wäre Sonntag, und die Bewohner wären gerade auSgeslvgen, zum Meer hinunter, oder in die Arena, zn den Spielen. Da» kommt daher: die Häuser hier gleichen nicht, wie im übrigen Pompeji, dcckclloscn Schachteln, sondern eS sind wirkliche Häuser, mit Dächern »nd zumeist mit einem Stockwerk. Die Fassaden sind intakt, die Fensterrahmen sind da und die Gitter auch. Rechter Hand tragen die HanSmanern Waal- olakate. Sie sind nicht ans Papier gedruckt und sind nicht mit suggestivem Bildwerk geschmückt, aber ihre Eindringlichkeit steht keineswegs hinter den zeitgenössischen Manifesten unserer politischen Parteien zurück. Sie sind mit jenem Rot ans den Wandverputz gemalt, das seinen Namen von dieser erstickten Stadt erhalten hat. Es ist ein Not, wie eS ge- förmig, daß die Annahme, es wären hierbei sauber geschnittene förmig, daß die Annahme, cs uären hierbei sauber geschnittene Schablonen verwendet worden, gerechtfertigt erscheint. Diese Wahlaufrufe bringen lautes, leidenschaftliches, hastendes Leben in die Gespcnsterstadt, in der daß einzig wirkliche nur die königlich italienischen Kustodenmtitzcn und die Gummi- crspesohlcn oder Nagelschuhe -er Fremden sind. Nach fünf Minuten in der Via dell Abbondanza nennen sie sich und wir alle unS, ob wir diese oder jene Kleidung tragen, mit felsen fester Uebcrzeugnng .Liarbarcn". Selbst jene Jünglinge, die hier mit nackten Knien, Rucksack und Eispickel paradieren und aus purer Verlegenheit die Zigarette nicht aus dem Mund schaffen können. Die Bia dcll'Abbondanza, vom Forum zur Arena führend, war die lebhafteste und in einzelnen Abschnitten wahr- scheinlich auch die vornehmste Straße der unglücklichen Stabt. Und, wie man aus ihrer Anlage sieht, wohl auch die neueste. Sechzehn Jahre vor ihrer Erstickung durch den vesuvlanischcn Aschen- und Bimssteinregen wurde ste durch ein böses Erd beben fast gänzlich zerstört, aber von der reichen und tat- kräfttgen Bevölkerung mit einer amerikanisch anmntenden Geschwindigkeit wieder aufgcbaut. Aus diesem Umstand er- klärt sich leicht die gleichartige, wieder ganz amerikanisch an- mutende Anlage diese» Viertels. Die Straße, überall etwa sechs Meter breit — drei auf de« Fahrüamm, je eineinhalb auf die Bürgersteige — läuft pfeilgerade. Die zum größten Teil noch eingedcckten zahlreichen Seitenstraßen, immer rund vier Meter breit, münden senkrecht, genau so, wie bcispiclS- weise in BuenoS-Aire«. Die Wasserleitung, in Blcirvhrcn, liegt unter dem Bürgersteig und ist heute. 1847 Jahre nach der Zerstörung Pompejis, noch vollkommen praktikabel. Dem äußeren Gtraßenbild fehlt nichts als die elektrischen Lampen, um eS zu einem zeitgenössischen zu machen. Vielleicht liegen die Bürgersteige etwas hoch, und die Trittstclne im Fahrdainm mögen für unsere Automobile ein wenig beschwerlich sein, aber davon abgesehen würde die Via dcll'Abbondanza. so wie sie jetzt an» Tageslicht gebracht ist, allen modernen Ansprüchen reichlich entsprechen. In 24 Stunden könnte sie von den Ber. wöhntesten bewohnt sein, und dann wären diese noch in pcin- lichster Verlegenheit, wa» sie mit einem uns ganz fremden Raffinement anfangen sollten. Abgesehen vom Acsihettschc» und vollendet Künstlerischen der Inneneinrichtung —! entzückende, bisher nie geschaute Fresken auf »nveränder- lichem Stuck, Gartenanlagen mit Perspektiven, die den ge- läutertsten japanischen Geschmack beschämen, vollendete Ver teilung von Licht und Schatten in den einzelnen Gemächern — abgesehen von all dem, lassen uns die pompejanischen Architekten die Augen verwirrt Niederschlagen. Lassen wir die Zentralheizung, das Badezimmer, das bisher kein noch so erfahrener Fachmann nachahmen konnte, übergehen wir die verblüffend praktischen Jalousien, die nicht horizontal, sondern vertikal ausgeklappt werden, die Dreh- und Schiebe- türen, die Kanalisierung, die vor 2000 Jahren hier besser war, als sie heute in den meisten Palazzi Ncavels ist, lassen wir das alles und betrachten wir lieber die Einteilung eines Hauses. Nicht einer Prnnkvilla, sondern eines kleinbürgerlichen Heimes. Da steht das Haus eines Färbers. Aeußerlich unterscheidet es sich nicht von dem des Nachbarn, eines reichen Rentiers, eines Staatsmannes, der -cm öffent lichen Leben entsagt hat. Damals werden die Piirpurstreife» vom Balkon im ersten Stock heruntcrgchande» habcir, aus dem jetzt noch fünf Amphoren stehen, so wie sie im Jahre 79 dort gestanden und gewartet haben, daß ste vom Wirt gegen über abgeholt und frisch gefüllt werden. Tritt man durch die Türe — ohne zu läuten, was man aber tun köintte, denn die Glocke mit dem Zugdraht hängt noch da — so betritt nuxn da- Atrium, den viereckigen strauch- »nd blumciibcstandencn Hof, in dessen Mitte sich die Marmorzisternc, das Jmpluvinm, befindet. Durch die offene Stelle im Dach dringt Licht und Luft ein, und wenn cö regnet, plätschert das Wasser inS Marmorbecken. Link- und rechts liegen die kleinen Schlaf, räume, deren Hälfte vom eingebauten Bett eingenommen wird. Die sind gegen das Atrium bin offen, reichlicher Luft wechsel ist gesichert, Luftzug unbedingt vermieden. Ein Bor- Hang schützt vor jeder Indiskretion: eines anderen Schutzes bedarf man nickt. Links dann das Sitzzimmcr, der Salon, daneben daS „Boudoir" für die Damen, etwas kleiner, und gegenüber da» große Eßzimmer, das Triklinium. Im frisch- aufgcbanten Pompeji hat man die letzten Errungenschaften der Wohntechnik verwendet, und so finden wir, wenn auch nicht im Hanse dieses Bürgers, so doch in den vornehmere« Wohnstätten, fest eingebaute Spcifesofas, nach rückwärts sanft abfallend und unten, seitwärts, mit einem zwar praktischen, aber nicht sehr appetitlichen Ablauf zum spontanen Gebrauch für jene Tischgenosien bestimmt, deren Augen größer als ihr Magen waren. In -er Mitte der drei rechtwinklig ver bundenen SpcisesosaS ein kleiner Marmortisch mit einer AilSiveitlmg für den Leib des bedienenden Sklaven, der von diesem Platze aus die Speisen leicht herumreicken kvnnie. DaS ist daS Schema eines pvmpeianischcn Erdgeschosses. Der erste Stock, den auster uns bisher wohl sehr wenige betreten durften, entspricht in der Raumeintetlung so ziemlich dem
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