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- 332 - Obergeschoß steigend, ruft er mit Heller Stimme hinaus: Fritz und Hugo, Heini, Heinz und Panschen. Alix und Baby, schnell herunter, der Wagen rst in Sicht!" Wie alle jauchzten und hüpften, wie es um den Bater tanzte und sprang, der, trotzdem er immer nur ein zärtliches Wort für seine Kleinen halte, heute doch einige Ungeduld gegenüber ihren Liebkosungen zeigte. Baby watschelt wie ein Entlein herum uns Hali sich olle Augenblicke an Opas Knien fest, ko dag er cs aus den Arm nimmt, damit man es nicht umfloßt. Aber wie gerade letzt das rollende Geräusch der Equipage hörbar wird, setzt er es doch schnell ans den Teppich und springt mit fast jugendlicher Hast die Freitreppe hinunter Aus dem weiten Familicnwagcn winkt und griisit und lanchzt es ihm schon ent gegen. Man läßt ihm keine Zeit zu einem begrüßenden Wort sür die anderen, an seinem Halse hängt Euchen, weinend und lachend zu gleicher Heit. „Biel zu lange," flüsterte er >hr m. „viel zu lange habe ich Dich entbehrt, »icin Liebling!" Nu» läßt er sie auS einen Armen, um Papa Wollersdorf die Hand zu bieten, und derweil hat Oskar Eva uiwchluuge» und kützt sie innig voller Ungestüm. „Nun. sich nur. Freund Nichte! sagte der alte Herr i» gemacht klagendem Tone, „so aeht's mir! Einen RUß batte ich dem Schlingel erlaubt, den hätte ich schließlich vor Dir vertreten, und nun iiieblt er sich täglich Hunderte, und sagt von jedem, dieses sei der eine erlaubte!" Charlotte und Eva halte» sich fest uimchlungen. „Fit es licht iu Deinem -Herzen, mein Schwesterchen?" fragt Charlotte, prüfend ihr in die Augen sehend. „Sonnenhell, Lotti. sonnenhell!" jauchzt Eochen. „Ach. Schwesterlein, wie glücklich bi» ich, wie unfaßbar glücklich! Aber Du, Charlotte, Du, was antwvriest Du mir aus solche Frage?" „Ich habe keine Wünsche mehr, seit ich wieder in der reinen Lust unseres Barerhauses lebe. Aller Kummer liegt i» weiter Ferne hinier mir. Ich bin wieder besser geworden durch Papas Nähe. Du darfst um mich nickt klagen, Liebling." Nun drängen sich die Kinder um die Heimgekehrte und sind !o uurmisch, daß Oskar ordentliche Angst empfindet, man konnte sie zerdrücken, »nd immer dem Andrang wehrt, der sich gar nicht abstillen will. Endlich findet Charlotte ein Mittel: „Komm. nach dem Eßzimmer." bittet sie, ..sitzen wir erst alle um den Tisch, dann hört doch jeder, was ihr zu erzählen habt. Wir lind, kläglich genug, in den letzten Wochen nur mit Karten abgespeist worden." „Ja, so geht's den Batern," meini der Kommerzienrat, der Euchens Hand noch nicht aus der leinen lassen mag. „Nicht ein Brief ist an mich gekommen, seit Vater und Sohn Watters dorf ui Genf weilten!" „Weißt Du. woran das lag," erklärte der alte Herr. „Wir wollten es nicht cinaeslehen, ich. daß ich beschwindelt war, jene Gesellschaft dort, daß sie mich beschwindelt hatten" „Erzähle, erzähle!" ries'L von allen Seiten. „Das ist mit zwei Worten gesagt. Unser Reiseplan war so gemacht, daß wir erst mnige Wochen in den Bergen uns bernmtreiben wollten, dann sollte das Endziel Genf -ein. von wo wir in Gesellschaft der Mädels die Rückreise anzutreten beabsichtigten. Aber es kam anders. Oskar, der Schlingel, besorgte die Billetts. Wir dampften ab, in die 'Nacht hinein. Der gute Rotkpohn, den er mir zum Abendessen verschaffte, verhalt mir .u einem festen Schlaf in der kleinen Kose. Am Morgen, als ich mich znm Frühstück im Speisewagen einsinde. sitzt mein Herr Sohn schon da und studiert das Reisehandbuch. ..Wo und wir denn eigentlich?" frage ich. „Hat der Luruszug eine andere Tour? Das summt ja mit den Stationen gar nicht. Nach meiner Schätzung müßten wir bald in Lindau sein." „Wir sind in drei Stunden in Genf." sagte der Spitzbube nut nieder geschlagenen Augen. „Schockschwerebretl!" fahre ich in die Höhe, da legt er seine Hand aus die meine: „Sei doch nur still, Papachen. die Leute hier lachen uns sonst aus, weil wir das Kunststück gemacht, sogar mit der Eisenbahn den Weg zu verfehlen." „Was ollie ich tun? Schweigend mich weiter schleppen lachen, um hernach dadurch sehr über rascht werden, daß in Genf Eochen und Emmy zufällig auf dem Bahnhof waren." Man lachte herzlich. Die Kinder, die diesen Bericht natürlich wörtlich glaubten, jubelten hell auf. In ihren Augen war Oskar durch die Entführung seines Baters nun ein wunderbarer Held geworden, und die beide» Sekundaner raunten sich Wiederholt: „Schnei diger Mensch", „Tadellos". ,,Famoser Witz" zu. Auch der Kommerzienrat sah mit ver gnügtem Schmunzeln aus seinen alten Freund, der in dem Glück seines Sohnes wieder jung geworden schien. „Papa Richter," begann Herr Aoltersdorf noch einmal und klopfte schon im voraus begütigend auf dessen Schulter. „Du kennst ine-ne feinen diplo matischen Wendungen. Latz Dir gestehe», ich habe wieder eine Mission übernommen. Was meinst Du wenn wir >n einigen Monaten, sagen wir im Frühhcrbst, in der Billa Richter ein .Hochzeitsfest feierten? Sieh', ich denke mir. bei dem Gekrabbel, wie es jetzt wieder hier herrlekl. kannst Tn wohl ein Blondköpfchen entbehren, das dem etwas Siirfilgeii Glanz im Hauie Deines alten Freundes anfküst. Denn au-Z dein Hanse lasse ich mein Lieblingstochtcrchcn nicht ! Ich will aufs Altenteil gehen und die Parterrewohnung nehmen. Das junge Paar soll die zwölf Zimmer in der Beletage haben, Jugend muß sich einrichten lernen, wie?" Der Kommerzienrat seufzte leise: „To bald schon soll ich das Kind verlieren, das ich so lange entbehrt habe?" sagte er zögernd. „Verlierst sie ja nicht." tröstete der alt« Herr. ..Bekommst sogar noch einen Sohn dazu — — na, und der OSkar ich will ja den Schlirmel nicht loben " „Neu,, das brauchst Dn nicht, der lobt sich selbst," sagte rasch HerrRichter und streifte mit einem zärtlichen Blick den jungen Mann. Dos Zimmermädchen trat hinein und überreichte Charlotte «inen Brief. Sie öffnete, las und sagte dann zu dem Bater: «Die Spreeorter melden sich schon. Sie meinen, gestern wären die Unseren heimgekehrt, da mahnen Sie um Einhaltung des Versprechens.' „Die neuen Direktors?" fragte Eochen. „Stehen sie Euch so nahe? — >sind es nette Leute, Lotti ?" „Herr v. Hilgcndors ist, was den Charakter anbetrifst, ganz unseres Baters Ebenbild. — Könnte ich noch mehr sagen, um ihn Dir zu empfehlen, Evchen ? Und seine Frau ist mir eine teure Freundin geworden." „Dann muß ich sie näher kenne» lernen," sngte mit einer galanten Verbeugung gegen Charlotte der alte Woltersdorf. „Und wenn Papa Richter sich mit seinen zehn Kindern dort zum Besuch einstcllt, darf er mich und Emmy auch noch ins Schlepptau nehmen." „Ich garantiere den freundlichste» Empfang," versprach dieser, „und darf jedem die genußvollsten Stunden in Aussicht stellen." So nahte auch bald der Tag, an dem man in Spreeort die Fahnen zum Empfang der lieben Gäste hochzog und die freundliche Villa schaute noch einladender als sonst aus dem Grün hervor, nun eine so große, fröhliche Gesellschaft den blühenden Garten, die Räume des Hauses und den großen Rasenplatz vor demselben bevölkerte. Ueberall sab man strahlende Mienen, aber am glücklichsten schaute doch das schöne Paar aus, das in diesem Eden lebte und webte. Des Hausherrn stramme Haltung, der lebhafte und heitere Gesichtsausdruck, ließen ihn völlig verändert erscheinen. Mit freudigem Stolze führte er sein« Gäste durch sein kleines Reich, das in seiner ganzen anspruchslosen Einrichtung den einfachen Sinn seiner Bewohner wideripieaette, die hier den Frieden und das Glück gefunden hatten, nach dem ein Menschenherz sich sehnt. Nichts von Lursus und äußerem Glanz fand man hier, Wohl aber überall eine Behaglichkeit und Gemütlichkeit, die jedem, der in dieses Haus blickte, unerreichbar dünkte. Und dieser Vorzug ging in erster Reche von der liebreizenden Hau» srau aus, die allem in ihrer Umgebung den Stempel einer eigenartigen Anmut uufdrückte. Immer um ihre Gäste bemüht, folgten die beiden einander doch stets mit den Blicken, als versicherte» sie einander jederzeit ihrer Zusammengehörigkeit. Ihre Seelen erklangen in einer Harmonie, die sie selbst und alle, die ihnen nahten, in einen Zauberbann zog. Das waren allenral glückliche Stunden, die die befreundeten Familien miteinander verlebten. Nicht nur der gleiche Berns der Männer wob das Band, das sie vereinigte. Die Gefühle von Hochachtung und Verehrung hatten längst auch die persönlichen Interessen zu gemein- tarnen werden lassen und wie sie die schweren Zeiten vereint getragen, so standen sie auch fetzt im Glücke Schulter an Schulter neben einander. Und ebenso war es mit den jungen Frauen, deren innige Sympathie gleich beim ersten Begegnen erwacht war und durch ledcs Beisammensein verstärkt wurde. „Pier kannst Du lernen was es heißt: glücklich sein," sagte Charlotte zu Evchen gewandt, als sie neben dem jungen Ehepaar sieben. „Das sind zwei und doch in Wahrheit eins." Läßt sich glücklich icin — erlerne» ? Was ist denn Glück?" meint Evchen, während Oskar erschreckt fragt: „Muß sie es erst lernen, Charlotte ?" Und Eva, deren Reiz jetzt oft durch einen sinnigen Ernst erhöht wird, flüstert ihm, indem sie sich innig an ihn lehnt, zu: „ Wie könnte man lernen, was unS als ein Himmelsgeschenk gegeben ward! — Aber man kann sich mühen, es zu verdienen — so meinte es Lotti — und das wollen wir." Als dann der schöne Tag zur Rüste gegangen war und Albrccht und Agathe, nach der Abfahrt der Freunde, noch im Garten promenierten, um manches gute Wort durch die Erinnerung daran besser ansklingen zu lassen, wiederholte Agathe Evchens Frage: Was ist denn das Glück? und die Hände schlingen sich fester ineinander, als sie fast gleichzeitig es aussprachen: „Was uns ein gütiges Geschick bescherte." Aber Akbrecht fugte noch hinzu: „tlnd doch, — was wäre die beglückende Gegenwart ohne das Gefühl der Sicherheit des Besitzes. — Das äußere Glück bleibt immer Ziifall, — das Fundament dazu, das wir in unserem Innern erbaue», steht fest bei allem Wechsel der Zeiten. Sich, Geliebte, dort kommt schon der andere Tag und er zeigt uns Glücklichen das gleiche freundliche Antlitz des vergangene», möchte er cs allen nach Veredelung redlich strebenden und kämpfen- den 'Menschen auch zuwenden." Nächsten Dienstag beginnen wir mit dem Abdruck: „Unser Landsmann." Erzählung auS dem russisch-türkischen Kriege von I. Arenberg. (InS Deutsche übertragen von Johannes Bernhard.)