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Getzlers Kandidatur erledigt. Das Zentrum fordert das Amt des Reichskanzlers für Dr. Adenauer. Warschau völlig in -er Land Pilsu-skis. — Massenprolesle -er Angegriffenen gegen -en Berliner Polizeiskan-al. Getzlers persönliche Ablehnung. Berlin, 14. Mat. Der Reichswchrminister Dr. Gehler erstattete heute gegen i Uhr dem Reichspräsidenten Bericht über eine Fühlungnahme mit den Parteien. Als Ergebnis stellte Dr. Gehler sek«, bah er selbst nicht in der Lage sein werde, auf der bisherige» Grundlage eine Regierung zu bilden. Er «erde sich aber um die Klärung der Lage be mühe« und hasse, bis morgen vormittag dem Herrn Reichs präsidenten einen positiven Vorschlag unterbreiten zu können. Das Zentrum präsenlierl Dr. A-enauer. Berlin, 14. Mai. Wie die T. U. erfährt, hat die Zen- trumSfraktion des Reichstages in ihrer heutigen Sitzung den Beschluß gefaht, in der gegenwärtigen Regierungskrise die Führung zu übernehmen und für die Besetzung des RcichS- kanzlerpostens einen Kandidaten zur Verfügung zu stellen. Man hofft, dah der Oberbürgermeister von Köln, Dr. Adenauer, der heute abend hier eintrifft, die Rcgierungs» bildung übernehmen wird. Wie verlautet, würden di<^ Sozialdemokraten einem solchen Kabinett gegenüber wohl wollende Neutralität bewahren. Dr. Adenauer, der zu den bekanntesten Führern dcS Zentrums gehört und Vorsitzender des Preuhischen Staats rats ist, wurde bekanntlich schon in früheren Krisen als Kanzlerkandidat genannt. Im übrigen hat man in Zentrumökreisen auch daran ge dacht, als Reichskanzler den Landeshauptmann von Westfalen, Sorion, für den Kanzlerpvsten in Vorschlag zu bringen. Das Zentrum begründet seinen Anspruch auf den Kanzler posten nicht nur damit, das, es von de» bisherigen Koalitions- Parteien die stärkste sei. sondern auch damit, das, der neue Reichskanzler ein Mann sein müsse, der die Gewähr dafür bietet, dah er mit der Sozialdemokratie nicht gleich in Kampf gerate und der trotzdem geeignet sei, auch den mehr rechts politisch eingestellten Parteien und der Deutschen wie der Bayrischen Volkspartci zu gefallen. Diese Vorzüge, so glaubt das Zentrum, könne nur ein Zcntrumsmann in sich vereinigen. Wie die Dinge zurzeit liegen, glaubt man in einem Teil der Regierungsparteien, dah, wenn nicht die bisherige Koa lition anfrcchterhalten bleibe» könnte, dann vielleicht die Bil, dong einer Koalition der sogenannten kleinen Mitte sZen- trum, Deutschc Volkspartci und Bayrische Bolkspartcij übrig bliebe, die sich mit jeweiliger Unterstützung anderer Parteien halte» mühte. In der Fraktionssitzung der Deutschen Volkspartei er stattete der Vorsitzende Abg. Scholz einen Bericht über die bisherigen Verhandlungen, bei denen die drei groben Fragen der Flaggenvcrordnung, der Fürstenabfindung und des Aus- ivcrtungsgesctzcS eine Rolle spielten. An ein weiteres Zu sammengehen der Deutschen Volkspartet mit den Demo kraten dürste, wie in der FraktivnSsitzung zum Ausdruck kam, für die Deutsche VolkSpartet nur dann zu denken sein, wenn die demokratische Fraktion die Flagge», verordn»»» anerkennen würde. Ferner hielten heute nach der RcichstagSsitzung noch Fraktionssitzungen ab die deutsch nationale Fraktion und die sozialdemo kratische Fraktion. Die Deutschnationalcn verhalten sich in der Ncgierungssrage zunächst abwartcnd. Die versumpsen-e Krise. Berlin, 14. Mat. Nachdem die Aussichten, bah es dem Ncichswchrministcr Dr. Gehler gelingen könnte, die Regie rungskrise zu beende», sich schneller als erwartet als trügerisch erwiesen hatten, sich« man sich jetzt, wie schon immer bei Regie rungskrisen, die der deutsche Nachkriegsparlamcntarismns im Gefolge hatte, einer Situation mit scheinbar ungewöhnlich schwer zu überwindenden Schwierigkeiten gegenüber. Da man aber den Wunsch hat, die Dinge in möglichst kurzer Zeit dahin zu bringen, dah die Ncgierungsgeschäste wieder von verant wortlichen Ministern geleitet werden, und da die Verwirk lichung des Gedankens, jetzt nach einer Basis zu suchen, die längere Zeit einem parlamentarischen Kabinett das Leben gestatten würde, endlose Verhandlungen voraussetzt, so scheint man gewillt zu sein, sich vorläufig wieder einmal mit einer Zwischenlösung zu begnügen, die die Erledigung der Regierungsgcschäste wenigstens während der nächsten Monate ermöglichen würde. Die Aussichten, nach der rechten oder der linken Seite hin mit einer der grohen Flügelparteten in enge Verbindung zu kom men, verringern sich auch immer mehr. So soll jetzt eine Kabinettsbildung versucht werden, die sich ausschliehlich ans die bisherigen Koalitionspartcicn beschränkt und deren Führer ein Mann ist. dem nicht sofort von einer der Fliiaclpartcien Oppo sition entgcgengebracht würde. Dr. Gehler selbst scheint der An sicht zu sein, dah diese Zwischenlösung zunächst die beste wäre. Dieser Zwischenlösung steht aber die Schwierigkeit ent gegen, dah die Gegensätze zwischen den bisherigen Regierungs parteien vorläufig schwer übcrbrückbar erscheinen. Man glaubte deshalb in parlamentarischen Kreisen annehmcn zu können, dah der Reichspräsident morgen vielleicht den Führer der Demo kraten, den Abg. Koch mit dem Versuch der Kabinettsbildung be auftragen würde. Der Luthcr-Ttürzer würde zwar von den Sozialdemokraten mit einiger Freundlichkeit ausgenommen werden. Dieser Ver such würde aber zweifellos daran scheitern, dah weder die Deutschc Volkspartei noch besonders die Bayrische Volkspartci, aus deren Veranlassung im Januar Koch das Innenministerium versagt blieb, mit einer derartigen Lösung einverstanden sein würden. L«lhers AbsÄle-sauilienz bei Äinbenburg. Berlin, 14. Mai. Der Reichspräsident empfing heute mittag 12 Uhr den scheidenden Reichskanzler D r. Luther in Abschicdsaudienz und sprach ihm bei dieser Gelegenheit noch mals in warmen Worten seinen Dank für die dem -Vaterland geleisteten hervorragenden Dienste aus. lW. T. B.j Zenirumsparlet und Fürstenabfindung. Berlin, 14. Mai. Am Mittwoch, dem Ist. Mai, wird laut „Germania" der N e i ch s p a r t e i v o r st a n d der Zen trumspartei im Reichstage zu einer Sitzung zusammen- trctcn, die sich mit der Frage der F ü r st c n a b s i n d « n g. insbesondere der Stellung des Zentrums zu dem bevorstehen den Volksentscheid beschäftigen wird. Eine kurze Aeichslagssihung. lDrahtmetbung onterer Berliner T ch r I t I l « i t n n g.I Berlin, 14. Mai. Die Regierungstische sind bei der heutigen RcichstagSsitzung unbesetzt. Präsident Löbc verliest die amtliche Mitteilung von dem Rücktritt des Reichskabtnctts. Als er er wähnt, dah Neichswehrminister Dr. Gehler vorläufig die Geschäfte des Reichskanzlers führt, entsteht bei den Kom munisten Unruhe. Sie rufen: E i n c sc t n c N u m m e r. Der Präsident rügt die Zwischenrufe. Auf der Rechten ertönt der Ruf: Sie haben Angst. Auf der Tagesordnung steht die zweite Lesung des GesetzentwursS zur Acndcrnng der Neichsoerordnung über die Fürsorgepslicht. Danach wird die Beteiligung der Hilfsbedürftigen am Für- sorgeversahren sestgelegt Abg. Frau Teusch, Köln sZcnir.», berichtet über die AuSschuhvcrlmndlungcn. Der Ausschuß empsiehl« u. a. einheitliche Richtsätze. Nach kurzer Debatte wird die Vorlage mit einem ZrntrumSantrag, wonach bei der Durchführung der Fürsorge und der Ausstellung der Richtlinien an Stelle der Fürsorge, berechtigten auch Vertreter ihrer Vereinigungen oder von Vereinen, die Hilfsbedürftige betreuen, bcrangezogen werden sollen, sowie die Verbände der Sozialrentner. Kleinrentner, Kriegsbeschädigten. Gewerkschaften und die CharataSverbände in zweiter Lesung angenommen. Dir Novelle zur dritten Stcuernotverordnung. di« Nch mit dem GeldentwertungSauSgletch bei solchen Neubauten besaht. die mit Beihilfen aus öffentlichen Mitteln auSgcflihrt sind, wird in zweiter «nd dritter Lctung angenommen. Angenommen wird ein Antrag des volkswirtschaftlichen Ausschusses, der die Rcichsrcgtcrung ersucht, bemüht zu bleiben, dah die von der Golddiskontbank zunächst mit einem Kapital von Söll Millionen eingelöteten Mahnahmen zum Zwecke der Umwertung schwebender Wechsclvcrbindlichkciten der Landwirtschaft in langfristigen Hypothckkrcdit wesentlich ansgcstaltct wird. Bestätigt werden Beschlüsse des volks wirtschaftliche» Ausschusses über die Elektrizitäts- Wirtschaft. Der Ausschub fordert bis 1. Oktober b I. die Aushebung oder Acndcrung dieser Verordnung über schleds- gerichtliche Erhöhung von Preisen bet Lieferung von elek trischer Arbeit und wünscht weiter eine rclchsgesetzliche Regelung der Elcktrtzttätswtrtschaft. Das HauS vertagt sich dann auf Sonnabend nachmittag. Der Berliner Vertrag in Moskau rakisizierl. Moskau, 14. Mai. In der letzte« Sitzung des Rats der Volkskommissare ist der Berliner Vertrag vom S4. April ratifiziert worden Gleich nach der Natisizie- r«ng benachrichtigte Tschitscherin die dcntschc Botschaft und sprach ihr im Namen der Sowjctrcgicrnng seine Glückwünsche ans. (T.-U.) ^ Wer zähst die meisten Skeuern? Von Syndikus Karl T ö g e l, Cohmannsdorf. Wer im öffentlichen Leben steht, weih, bah seit langem die Linke damit krebsen geht, dah sie behauptet, die große Masse der Arbeiter bzw. des Proletariats zahle die meisten Steuern, und der übrige Teil gcntehe tu viel höherem Maße steuerliche Vergünstigungen als gerade diejenigen, die am schwersten ums Dasein ringen. So ist in letzter Zeit die Absicht der Regierung, zum Wiederaufbau der Wirtschaft steuerliche Er leichterungen zu schassen, geradezu als Geschenk an Industrie, Handwerk und Landwirtschaft bezeichnet worden. Diese Meinung ist aber auch in anderen Ständen weit verbreitet. So stellt sich z. B. in einem Rundschreiben mit der Ucberschrift „Zur Abwehr" der Stcuerausschuh eines namhaften Be amtenverbandes auf ähnlichen Standpunkt, wenn er schreibt: „Nicht untnterestant ist es aber, einmal zu sehen, wie und von wem die Steuern im Reiche aufgebracht werden. Nach den monatlichen Uebersichten des Retchsfinanzmintsteriums im Retchsministertalblatt betragen in de» Monaten April bis Dezember 1925 tneun Monatcj die Einnahmen an Ein kommensteuer 1 682 364 484 Mk., und zwar Lohnsteuer 1 101 606 791 Mk. und 680 697 092 Mk. andere Einkommen steuer. Die Einkommensteuer ist mit t,7 Millionen Mark veranschlagt, mithin 1,275 Millionen Mark auf neun Monate. Der Voranschlag wird sonach fast allein schon durch die Lohn steuer erreicht. Wenn man daun weiter in Betracht zieht, dah in gleichem Zeiträume auch die Umsatzsteuer, die eben falls von den breiten Massen getragen wird, einen Ueberschuh von 25 Millionen Mark gebracht hat, dagegen die Körper- schaftssteucr, die von Aktiengesellschaften, Gesellschaften m. b. H. usm. z» entrichten ist, und die Vermögenssteuer in gleichem Zeiträume ein Minus von weit über 206 Millionen Mark ergeben haben, so wird wohl auch dem Laien klar, wer unter der Belastung von Steuern zu leiden hat." Die hier angegebenen Zahlen sind richtig. Die Folge rung aber ist völlig abwegig. Nicht etwa so, daß nun der Unternehmer in besonderem Maße Steuerlasten trage und der Arbeitnehmer gar keine. Denn es ist überhaupt falsch» die Steuerlast mechanisch so z» verteilen, wie sie sich durch die gesetzlichen Bestimmungen unter die Steuerschuldner verteilt. Um auf einzelnes einzugchcn: Dah die Vermögenssteuer gesunken ist, ist ganz selbstverständlich, da wir durch die Inflation verarmt sind, wie noch nie. Feder Mann, der a»ch nur ein kleines Grundstück hat, weih, wie gering der Wert dieses Ver mögens ist. Die Kurse unserer Aktien zeigen, dah ein reicher Mensch ganze Aktienpakete und damit ganze Fabriken für einen Pappenstiel kaufe» kann, und das übergroße Angebot von Gütern in allen Zeitungen müßte auch den Laten zeigen, -ah auch der deutsche Bauer arm geworden ist. Das Zurück» gehen der Vermögenssteuer ist darum kein Beweis, dah die breiten Masten besonders hohe Steuern zahlen, sonder«, dast die Verelendung und Verarmung unseres Volkes in ver hängnisvoller Weise weiter fortschrcitet. Ganz falsch ist auch die Argumentation, wenn man von der Körpers chaftS- steuer ausgeht. Zur Steuer der Wahrheit muh zunächst fcstgcstcllt werden, dah der Gewinn der Aktien» g e s e l l s ch a f t c n zweimal zu versteuern ist — wenigstens ein Teil des Gewinnes, nämlich einmal in der Vermögenssteuer — und da»» bei der Einkommensteuer, da der Empfänger der Dividende diese als Einnahmen zu dekla rieren hat. Aber auch hier liegen ja die Verhältnisse so, dah einmal das Aufkommen aus der Körperschaftsstcucr 1925 bis jetzt nur ans Vorauszahlungen bestand, und die heutigen Zahlen ein klares Bild überhaupt nicht geben können, sodann setzt das neue Kürperschaftsstenergcsch die Körperschaftsstcucr ans volle 20 Prozent des Gewinnes fest. Bedenkt man nun, daß außerdem die Dividende bei dem Einkommen wieder mit versteuert wird, so ergibt sich auch hier ein Satz, der nicht zu beanstanden ist. Nun läßt sich aber daran nicht vorllbergehen, daß eben aus den Einkommen die größten Steuern gezahlt werden. Ja, und das soll und muh so sein. Muh erst recht so sein in einem völlig verarmten Volke, dem man die Substanz in den letzten Jahren besteuert hat bis zum Weißbluten. Man muh eS einmal offen und in aller Klarheit aussprechcn: Die einzige reelle »nd richtige BestcucrnngSgrundlage ist das Einkommen. Und wenn die letzte Steuerreform überhaupt Sinn hat, so ist cs der, dah unser Volkseinkommen durch die Veranlagungen festgcstellt wird, und man steht, wie viel Steuern das Volk zahlen kann. Und mehr kann man