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02-Abendausgabe Dresdner Nachrichten : 09.03.1928
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1928-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19280309025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1928030902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1928030902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-03
- Tag 1928-03-09
-
Monat
1928-03
-
Jahr
1928
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Nr. NS Sette L IM! L. MM ^ » 1 /TM^T»EyDkl» Frettag. ». Lvkz 1«S Fortsetzung -er Ekats-ebake im Lan-tag. Finanzminister Weber droht mit dem Rücktritt. Der zweite Lag der Aussprache. 72. Sitz«««. Dresden, den V. März 1M8. Der Landtag seht heute die Beratung des Staatshalts, tzaltplane» für das Rechnungsjahr 1928 fort. Abg. Dr. Berg (D.-N.) begründet zunächst einen Slntrag seiner Partei, die Negierung zu ersuchen, im VvlkSbildungsmiiiisterinm beim Eintrete» einer Vakanz eine Neserentin für das Mädcheuschnlwesen zn ernennen, inzwischen aber eine geeignete Kraft aus der Praxis des Mädchenschiilwesens als -Hilssarbeilerin zu zuziehen. Der Abgeordnete wendet sich dann dem Etat zu und weist darauf hin. daß der Gesamtbedarf sich seit 1914 ver vierfacht habe. Die finanzielle Entwicklung des Staates müsse grobe Sorge bereiten. Es könne ans diesem Wege nicht mehr lange so weitergehen, denn es sei unmöglich, an eine Erhöhung der Ltenereiiiga'nge zu denken, wenn man die trostlose Lage der Landwirtschaft und anderer Wirtschaftszweige betrachte. Im Gegenteil sei eine Steuersenkung angebracht, die früher von dem Finanz- minister selbst gewünscht worden sei. lieber die werbende» Betriebe sei der Finanzminisler in seiner EtatSrede schnell hiniveg- gegangen. In Verbindung mit der Tchieckichen Denkschrift müsse geprüft werden, welche Unternehmungen wirklich noch als werbende Betriebe gelten könnten und ob cs nicht höchste Zeit sei. bestimmte Betriebe entweder ganz zu beseitigen oder wenigstens so zu gestatten, das; sie nicht dauernd Zuschüsse er fordern. Man sei noch nicht von der Befürchtung befreit da» die Aktiengesellschaft S ä ch s i s ck e Werke sich »icht nur aus ihre eigentliche Staatsausgabe, die Stromversorgung, beschränke. Es würde dort etwas zu sehr aus dem grobe» Topf gewtrtschastet. Bei der Behandlung der VerwaltungS- refvrm werde seine Partei erneut den Antrag auf Nermiilderung der Abgeordnctenzahl einbringen. Es müsse mit dem Sparen doch irgendwo einmal angesangen werden. Die Parteien sollten sich auch mit dem Stellen von Anträgen beschränken. Zu beanstanden sei es, dab der Letter der Nachrichtenstelle der Staatskanzlek ein An. gehöriger der Opposition sei. ES sei höchste Zeit, die Frage der Verringerung der Z'hl der Ministerien ernstlich zu behandeln Tie Verschuldung der Länder müsse doch unbedingt zur Sparsamkeit drängen. Ter Verwaltnngs- apparat sei überall in Deutschland zu grob geworden. Die Dcnkschrist über die Staaiöthcater habe seine Partei nicht befriedigt. Dian werde daS Gefühl nicht los, datz sich die Staatsrhealer den Luxus von Ur aufführungen leisten, die nicht immer erfolgreich seien und den künstlerischen Nus der Ltaatsthcater herabdrückten. Im Ausschüsse werde seine Partei zu den einzelne» Kaviteln ein- gehend Stellung nehmen. Er sei sich darüber klar, da» dem gegenwärtigen Ftnanzminister nicht die Schuld an den heutigen Zuständen beigemeisen werden könne, aber man müsse doch die dringende Bitte aussprechen, das; der Finanz- mtnistcr den Etat nicht nach alten Ueberlteferungen ansstelle, sondern sich als der neue Mann zeige, der Faules be seitige und das Nene, das nötig sei, unbedingt durchführe. Es sei nicht nur erforderlich, durch Erhöhung der Einnahmen einen Ausgleich zu schaffen, sondern vor allem durch Verringerung der Lasten nun eine Gesundung der Wirtschaft und aller VolkSkrcise zn erreichen. Finanzminisler Weber nimmt zu -er Kritik des Vorredners Stellung. Zu den Staatsbetrieben habe er in seiner Elatrede alles ge sagt. was nötig gewesen sei. Tatsächlich sei beabsichtigt, die Frage der Erhaltung und Weiterführung der Staatsbetriebe tn Verbindung mit der Schteckschen Denkschrift »u behandeln. Man sei dabei, bi« genauen Unterlagen herbei,»ziehen. ES werde immer wieder der Eindruck erweckt, als wenn die Staatsbetriebe weitgehend tn die Privatwirtschaft eingriffen. Di« Staatsaufgabe der A.-G. Sächsische Werke sei die Stromversorgung. Es sei dafür gesorgt, dass sich ihre Tätig keit auf diese Ihre eigentliche Ausgabe beschränke. Die An griffe ans dt« A..G. Sächsische Werke mochten endlich einmal aufhöre», oder cS müsse Material beigebracht werden, worauf sich diese Angriffe gründete». In den a » ft e r o r d e n t - l i ck> e n Etat feie» nur Ausgaben eingestellt, die sich pro duktiv answirktcn. Man müsse etwas vorsichtiger mit der Kritik sein, da der StaatSkerdlt darunter leide. Er habe die begründete Hossnung, baft man baS Defizit wesentlich herabschrauben könne. Alles vom Ftnanzininister zu verlangen, sei nicht möglich, da er an feine verfassungsrechtliche Stellung gebunden set. Abg. Gbel (Soz.) äuftert, dass die Sozialdemokratie als stärkste Partei Anspruch auf die Leitung deö Staates habe, wenn die Renegaten von der A.S.P. nicht die Mehrheit der Bürgerlichen ermöglicht hätten. Der Bürgerblvck habe gegenüber der Arbeiterschaft eine miheiloolle Pvtttis getrieben. Der Staat sei weiter nichts als ei» HerrschaftSinstrument für ausbeuterische und reaktionäre Zwecke. Ans dieser Koalition werde eine Ver« waltungSrefvrm nicht herauskommen, weil die Gegensätze viel zu scharf seien. Das sei auch gut so. denn für eine solche Verwaltungsreform müsse man sich bedanken. Eine zentra listische Aushöhlung der Länder und Gemeinden müsse man ablehnen, weil dahinter die Schwerindustrie stehe und eine solche Entwicklung auf Kosten der Arbeiterickmft gehe. Die Länderkonserenz sei eine elende Komödie gewesen. Die Einheit des Deutschen Reiches müsse verbunden sein mit der Eroberung der politischen Freiheit. Die heutigen reaktio nären Parteien würde» diese Forderungen aber nicht zum Ziele führen können. Das Unrecht des LteuervertcilungSschlüsfelS werde auch von seiner Partei zugegeben. Dab in Berlin nichts erreicht werde, beweise die Ohnmacht des Bürgerblocks tn Sachsen. Der Löwenanteil an Steuern werde von den breiten Massen aufgebracht. Die Denkschrift Schrecks fordere, daft an die Steile des Wohlfahrtsstaates, den man angeblich habe, mehr und mehr der Verwaltungsstaat treten müsse. Tie brutalen Zahlen des Etats redeten aber eine andere Sprache. Es bestehe ein krasseö MiftverhältntS zwischen den Ausgaben für Verwaltung und für soziale Zwecke. Immer wieder spare man znuiigunste» der arbeitenden .Klasse. Der Redner stellt einen Antrag, 500 000 Mark zum Ausbau der Einrichtungen für Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeiter zu bewilligen. Er betont, daft Sachsen wieder ein Stützpunkt der freiheitlichen Bewegung werde,, müsse. Seine Partei freue sich aus die kommende Wahlschlacht, um ein Stück vorwärts zu kommen aus dem Wege zum Sozialismus. Abg. Dr. Frucht (D. Vp.) führte aus, daft die sächsische Wirtschaft den Etat mit Spannung erwartet habe. Sie habe gehasst, daß der Finanzmlnister daS verwirklichen werde, was er seinerzeit in Aussicht gestellt habe. In den verflossenen zwölf Monaten habe er aber noch keine Gelegenheit dazu gehabt. Die Wirtschaft müsse seststellen» datz der Etat sich in keiner Weise von seinen Borgängern unter- scheide. Ter Etat bringe ein weiteres Ansteigen dcS Bedarfs und eine wettere Verschuldung. Diese Kurve der Entwicklung der StaatSsiuanze« sei aufterordentltch bedenklich und gefährlich. Der Landtag müsse versuchen, alle agitatorischen Anträge, die auf eine Ueberziehung der Kapitel hinanslause», abzulehncn. Die Wirtschaft blicke mit starker Besorgnis i» die Zukunft. Sie stehe mit der ausländischen Konkurrenz in einem schweren Kampfe. DaS Ausland habe bet weitem nicht dle steuerliche Vorbelastung zu tragen wie dt« sächsische Wirtschaft. Wenn nicht eine Entlastung etntrete, würden sich Industrie und Ge werbe bald in einer ähnlichen Notlage befinden wie die Lanb- wirtschast. Tie Ausführungen des Abg. Edel seien wenig sach lich gewesen. «tr öranchee« »nbedtugt eine« Schutz s»r di« deutsche Ardeit, eine« Zollschutz gegenüber dem Auslände. Die steuerlich« V«. kastung der Industrie habe sich gegenüber der Vorkriegszeit aus da» Neun, bi» Tlsfache gesteigert. Die Netlage der Laudwtrtschast set ebenfalls auf die verfehlte Wirtschaft--, Zoll, und Steuer. Politik »urückzusübre». Gerade Sachsen habe «tn großes Inter- esse daran, dab die Landwirtschaft jede Förderung erfahre. Daher feien alle Maßnahmen im Etat zu begrüben, um dieses Ziel zu erreichen. Die Klage über die «„gerechte und einseitige Verteilung der MtetzinAfteuer wollten nicht verstummen. Es müsse möglich sein, daS private Baugewerbe mehr als bisher heranzuziehen. S» könne viel günstiger baue» als der Regleba». Die Wirtschaft habe ein großes Interesse an einer Vereinheitlichung des ganzenSteuermesenS. Wen» die Regierung eine Ver zinsung und Amortisation der Elsenbahnschulb erreiche, werde eS möglich sein, dle Gewerbesteuer zu senken. Man werde im Ausschüsse zn prüfen haben, inwieweit die gewerbliche» Betriebe aufrechtznerhalteii seien. Zu begrüßen set die Einstellung von Mittel» für den Ausbau von Bad Elster und der staatlichen Kraftwagennnternchmungcn. Die Kreditpolitik der Staatsbank entspreche »icht in allen Punkten den Wünschen der Wirtschaft. Es sei nötig, bei den Beratungen der einzelnen Etatkapitel schon die Anregungen -er Schleck- schen Denkschrift zu berücksichtigen. Jede, anch dle kleinste Ersparnis müsse gemacht werbe«. Die Abgeordneten sollten nicht jede Gelegenheit zur Partei. Polemik benutzen. Es würden Im Landtage vielfach Dinge be handelt. für die das Reich zuständig sei. Das sei unnütze Dopvelarbeit. Die Ausführungen des Abg. Dr. Bltther über den dezentralisierten Einheitsstaat deckten sich durchaus mit den Wünschen der Wirtschaft. Finanzminisler Weber wendet sich gegen den Abg. Frucht. Er, der Minister, habe de« Eindruck, daß die Regierungsparteien in der Kritik am Etat sich etwas mäßigen möchten» sonst würde es dem Finanzmlnister unmöglich gemacht, sein Amt z« verwalten. Was der Vorredner gesagt habe, set im höchsten Maße an- fechtbar. ES sei ihm unverständlich, daft die schwersten Vor würfe gegen ihn erhoben würden. Die tatsächlichen Mehr- belastnngen seien zwanglänfiger Art. Abg. Lieberasch (Komm.) steht in dem Etat eine Zusammenstellung der Mittel, die vom Staate verwendet werden zur Unterdrückung und Nieder- Haltung der werktägtgcn Bevölkerung. DaS sogenannte Wohl- fahrtS. und Arbcitömtnisterium set ein Instrument zur Ver- trctniig der kapitalistischen Interessen. Wie üblich, leert sich bei der Rede LieberaschS, tn der er immer wieder dieselben Behauptungen aufstellt, das HauS bis auf ivenige Abgeordnete. Der Redner erhebt die alten Borwürfe gegen dt« A.^l. Sächsische Werke in Böhlen, wo die Arbeiter auSgebeutet wür- den. Die A.-G. Sächsische Werke diene in erster Linie der Großindustrie, der der Strom möglichst billig geliefert werden solle. Zum Schluss« seiner Rede wendet sich Lieberasch gegen die linke Sozialdemokratie. Den Arbeitern müsse bet den Wahlen aesagt werden, daft sie den Sozialdemokraten nicht auf den Mund sehen möchten, die Arbeiter möchten vielmehr ihre Taten prüfen. Die Sozialdemokraten trteoey dauernd Kom- munlsterihetze und stimmten In allen Fragen mit de« Bürger lichen zusammen. Die Arbeiter müßten außerhalb der Paria- mente für den Kamps zum Sturze der bürgerlichen Gesellschaft rüsten. lBel Schluß der Mebaktion bauert die Sitzung noch an.) ..Musik". Littengemälde von Frank Wcdckiud. Erstaufführung im Schauspielhaus, 8. März 1928. Vor zehn Jahren, am 9. März 1918, ist Frank Wede- kind gestorben. Ein Unvollendeter. Er war kaum über Kampf und Not seiner frühen Schaisenöjahre hinaus und schien einer neuen Entwicklung zuzutreiben, da brach dies friedlose Dasein ab. Schwer auszudenken, wie daö Biid des „ab geklärten" Wedekind ausgeiehe» hätte. Was seine dramatischen Werke, die vorliegen, spiegeln, ist ein Gesicht voll Unrast und Wachheit. Hohn und Spott, aber anch Kraft und Güte. Er hat doch immer nur sich selbst gedichtet und gegeben. Er war kein „objektiver" Gestalter einer Umwelt, er war immer An kläger. Verhöhner. Sittenprediger, Zerschmettere! alter Tafeln. Selbstspötter. Bet keinem anderen Dichter tauchen so viel Selbstbildnisse in den Werken auf, gewollte und un gewollte, und daß Wedekind für bestimmte Rollen seiner Stücke sein bester Schauspieler war. bestätigt nur diesen inneren Zu sammenhang zwischen Gestalt und Gestalter. Kämpfer gegen die Zeit, mißverstanden, verfolgt, gehaßt — kam er sich oft ge nug als Narr seines Genius vor und malte mit unerbittlicher Grausamkeit die Fratze seines Ich. Der Literat Lindekuh i» dem Stttengemälde „Musik" ist gewiß sein bitterstes Selbst bildnis. dao Gesicht eines Moralisten, der wtt seinem Fanatis mus. die Menschen verändern zu wolle», als Narr und Tölpel dasteht, beim Mißglücken seiner Absichten zu tiefster Demüti gung bereit. Hier Joses Meißner, der GeiangSpüdagoge. herz loser Verführer, nackter Egoist, eitler Poseur — sür seine Schandtat gepriesen und ans allen Klemmen glatt entwischend: — da Franz Lindekuh, der Literat, der Weltverbesserer, anch von denen verkannt, denen er helfen will. Es kann keine» hohiivolieren Gegensatz geben. To ist das Leben, — »ach Wedekind. Ta» er selbst beide Rollen abwechselnd gespielt hat, zeigt, wie stark er die beiden Pole seines Wesens und seiner Gestallcnwelt alS den Dualismus in seiner Brust empfand. Das Stttengemälde „Musik" nimmt in der Reihe der Dramen Wcdekinds eine besondere Stellung ein. Es ist eine Tendenzdichtung in der Form einer dramatisierten Bänkel sängerballade. Die vier Bilder hat der Dichter mit Titeln überschriebcn, die Kolportage sind: Bei Nacht und Nebel — Hinter schwedischen Gardinen — Vom Rege» i» die Trause —- Der Fluch der Lächerlichkeit. Die Tendenz richtet sich gegen den 8 218 des Strasgesebbnches, der die Abtreibung der Leibes- rucht bestraft, bekanntlich henie wieder einer der nmstritten- ten Paragraphen. Indessen, genau besehen, nimmt der Dichter ,ar nicht Stellung sür oder wider die Abichgssung, sondern ührt nur ein Weibesschicksal vor, das vcranttvorlmiaSlvse Ge meinheit des Mannes in die Lage gebracht hat, alle Qual der Selbstveruichtttng als Folge dieses Verbrechens erleiden zn müssen. Der Schluß daraus liegt viel weniger aus strasrecht. I >em alS auf moralischem Gebiet. Viel stärker ist die Sexual- l rigkeit dieser Klara Hühnerwadcl dem Schönling Joses b.eißner gegenüber betont, dem sie ein zweites Mal verfällt und der sie genau so kalt ihrem Schicksal überläßt wie zuvor. So vollzieht sich eine moderne Gretchentragödie in scheinbar Herz- loser Selbstverständlichkeit vor unS. Selbst das Mephistowort: „Sic ist die erste nicht'." sällt. Liest man daS Buch, so tritt die Kälte und Grellheit der Lchancrballade In dem nüchternen Ton- fall des Dialoges erschreckend hervor. Wedekind will uns am Schluß sogar einrede», daß Klaras Leiden tn seiner letzten Steigerung bis an die Grenze dcS Wahnsinns dem Fluche der Lächerlichkeit zu verfallen drohe. AlS wenn er sagen wollte: wozu soviel Aufregung über etwas Alltägliches, etwas z»m Schicksal dcS Weibes nun einmal Gehöriges. Aber gerade das ist die Maske des Bänkelsängers, der ans dle gemalte Moritat hindeutcnd, die Begebenheit tn Klapperversen dazu ableiert. So sang er von „Brigitte B." und vom „Tanlenmörder". so hat er eine wirkliche Münchner Skandalassäre zum „Sitten- gemälde" dramatisiert. .Hinter dieser literarische» Maske aber schlägt das zuckende -Herz des Menschen, die empörte Leiden- schast des Dichters Wedekind, der allerdings der Meinung ge» wese» sein mag, daß mit Abschaffung des 8 218 eine Quelle weiblichen Elendes verstopft werden würde. Seine Tendenz kam nicht aus der Argumentation des Gesetzgebers, sondern aus dem groben Mitgefühl des Dichters. Diese Auffassung hängt eng zusammen mit der Frage, wie Wedekind gespielt werden soll und wie tm besonderen „Musik" darznstellen wäre. Wedekind wollte gespielt sein „wie ein Klassiker", und er meinte damit ossenbar: nicht mit natnrall. stikcher Kleinmalerei. Aber er wollte auch mit Lcideuschast ge spielt sein und crklärie das sür den eigentlichen Sinn der Schauspielkunst. Es ist also mit dem Plakatstil, in dem ver schiedene Komödien Wedelinds aewiclt zn werden pflege», nicht getan. I o s c s G > e l e n alS Rcaisseur der „M»sik"-Nussührn,ig hat erkannt, welche Glut und Leidenschaft hinter der scheinbaren Külte doS Wortlautes steckt und hat aus dem Werke, daS viel leicht kcins der bedeutendste» und sedcnsalls kclnS der meist- beachtcten Wcdekinds ist. so viel »icnschliche Lcidcusqiial heraus- geholt, daft eS ein ganz neues Ansehen erhalten hat. Das Bänkelsängerlsche ist t» den Titeln geblieben. In den Szenen herrscht -Haft und Liebe. Furchtbare Erregtheit fiebert Im ersten Bilde, hetzt drei Menschen »meliiandcr. zitiert ln wilder Furcht vor Skandal und Sühne. Entsetzlich ist öle Qual der dennoch Gefangenen unter den grausamen moralischen Peinigungen dnrch die Gesängiiisdiszipli» und die hochmütige -Herablassung ihrer Befreier, die doch ihre Verderber sind. Kämpferische Leidenschaft herrscht in der Szene, die Klara von neuem in der Gewalt des Verführers zeigt, freilich gewillt, die neue Mutter schaft gegen die Welt zn verteidigen. Und in alle Tiefen des Jammers führt die Szene >„ der fernen Dachkammer, wo das Klub stirbi. Klara- Mutter eine Rasende findet, der Nnstistcr alles Unheils um seiner dauernden „Frcnndschasi" willen be lobt, der ttligeschickte -Heller Lindekuh aber moralisch gebrand- markt wird. Taft diese vier Bilder in einen von großem Stil- gesühl Adolf MahnkcS geschossene» nüchternen, aber jede Sttmmnna richtig deutenden Nahmen gespannt sind, gibt dem lockeren Szenengesligc znsammenschNeßcnben Hintergrund. Die stärkste innere Bindung erhält die Aufführung aber durch eine schauspielerische Einzelleistung und eine Geschlossen heit des Zusammenspiels, die unser Schauspiel wieder einmal auf höchster Höhe zeigen. Jenny Schafser gibt tn ihrer Darstellung ein Letztes, was ihrer Kunst erreichbar ist und sür die Klara Wcdekinds denkbar scheint. Ihre zarte, zier« Ge stalt hilft das Leiden des reinen Mädchens und sein Aus- geliefertscin an einen brutalen Verführer besonders rührend zu machen, und der feine und grazile Umriß der Gestalt adelt die Gefangeneiitracht und verleiht der jungen Mutter an der Wiege eine zage, volksttedliafte Schlichtheit. Nie geht die Würde einer Erniedrigten verloren,- um die Stirn der Büßen den liegt eine Märtnrerkrone. Ihre Hlngegcbenheit, ihr reuiger Jammer tm Gefängnis, ihr grausames Mutterglllck und ihr wahnsinniger Zusammenbruch sind aus Innerster Leidenschasilichkett geboren und werden mit einer bi» zur Selbstauslösung gesteigerten Schmerzhaftigkeit gestaltet. I» diesem reinen Feuer des Nacherlebens eines WeibeSschtcksals schmilzt alle Tendenz, die der Dichtung noch anhastet. Vor einer großen künstlerischen Tat wie die der Jenny Schaffer schweigen die Bedenken gegen ein Werk, dem sie alles an Seele gibt, was Ihm fehlt. — Die anderen Mitspieler sind mit größter Sorgfalt gewählt »nd bewähren sich Im erhöhten Ton dcS Ganzen. Kleinoschegg als schöner Bollbart, ein kalter, breiter Egoist als Reiftiier, nicht roh nach cniften, vtelmelir mit aufreizender Kultur der Formen,- Stella David als Frau Meißner im ersten Bilde besonders in wirbelnder Ans- regnug einer skandalbedrohten. gekränkten Ehefrau voll meistcr. sicher Charakteristik: Erich Ponto i» verdüsterter Masse Wcdekinds ein gezeichneter Weltsrcmdling und schiecher Un glücksmensch: Clara Salbach zuletzt in verzeihender Mnttergütc als -Hoffnungsstrahl ins Dunkel brechend. Tic Episvdensignren Pc> nlsenS als GcsäiigittSdirektor, Kotten- sa »ipS als Arzt. LtcdtkcS alö Aufseher und besonders der Lotte CrnslnS alS haßerfüllte GesängniSansscherln mit scheelem Blick und sprungbereiten Naubtlcrbcwegungcn — alles fern der oft übliche» Wedekliid-Karikatiirzelchnung, alles runde Menschen der Wirklichkeit, jeder ausgesucht richtig am Platze. Die gewiß nickst erfreuliche und gewiß nicht einwandfreie Dich tung hat in solcher Aufführung einen Ernst «nd eine Würde gewonnen, die fast zn einer Uebcrschätznng ihres inneren Wertes verführen könnten, sedenfalls als Gedenkfeier für den toten Dichter die schönste Huldigung einer Bühne darstellt, die sich den Werken des Lebenden »och ziemlich spröde verschließen mußte. Die Wirkung war ernst «nd ergreifend. Dr. F e l t x Z t m m e r m a n n. Kunst uud Mstenschaft. Wochenspielplan der Sächsischen Staatstheater. Opernhaus. Sonntag tll). außer Anrecht: „Die Meister singer von Nürnberg" <5 bis 10). Montag, AnrechtSretbe „Tiefland" l>48 bi» gegen M). Dienstag, SnrechtSrethe Xr »Don Giovanni" <7 bis >411). Mittwoch, für de» Bereist
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