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Dresdner Nachrichten : 08.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189906081
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990608
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990608
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-08
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 08.06.1899
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Sette LS«. Belletristische Donnerstags-Beilage zn den »Dresdner Nachrichten". stüen« Festigkeit des Willens, die Widerspruch gegen ihre Wünsche schwierig. Wen» nicht unmöglich machte. Einen entschiedenen Gegensatz zu ihrer Schwester bildete die siebzehn jährige Dora. Sie war einfach ein liebenswürdiges, fügsames, für Eindrücke sehr empfängliches, hübsches Mädchen, das seine Mutter rnnig liebte und seine Schwester, die es „Königin" nannte, anbetete. Am Morgen des Tages, wo Barnes einen so frühen Besuch bei Mitchel «achte, sahen die beiden Schwestern im reich ausgestattete Salon ihrer Wohnung. „Weiht Du, woran ich allen Ernstes gedacht habe, Königin?" fragte Dora. „Du und ernst?" erwiderte Emily lachend und kniff ihre Schwester in die hübsche Wange. „Tu kleiner Schelm, Du könntest gar nicht ernst sein, Mld.wenn Du Drr die größte Mühe gäbest." „O, meinst Tu? Hör' mich an. Ich werde Bob bitten —* „Bob?" „Ach. Mr. Mitchel. Ich habe ihm gcstem gesagt, ich würde ihn von letzt ab Bob nennen, und daraus hat er mich geküßt und gesagt: Abgemacht." „Geküßt bat er Dich? Nun. ich muß sagen, Fräulein unverschämt, das gefällt mir." „Mr hat's auch gefallen, aber Tu brauchst nicht zu schelten, denn Du weißt ja doch, was Bob sagt, ist Gesetz. Du hast gerade so viel Angst vor chm. als — na, als die übrigen Herren vor Dir. Aber was ich sagen wollte, Bob soll mich mitnehmen, wenn Ihr Beide wieder in's Theater geht. Was sagst Du dazu?" „Was ich dazu sage? Ich halte Las für einen ausgezeichneten Gedanken, denn ich habe Dich sehr lieb. Schwesterchen, und gönne Dir iedcs Vergnügen." „Du reizende, liebe Königin!" ries das junge Mädchen, sprang ihrer Schwester ungestüm aus den Schooß und bedeckte ihr Gesicht mit Küsten. »Darf ick Dir noch etwas anvertrauen, Königin?" fuhr sie schüchtern fort, nachdem der erste Sturm vorüber war. „Nun. Kleine, was werde ich denn nun zu hören kriegen?" „Ich habe einen Herrn aufaefordert, hier Besuch zu machen," erwiderte Dora. „Ist das Alles ?" fragte Emily lachend. „Wer ist denn das Ungethüm ? Wo hast Du ihn kennen gelernt?" »Ich habe ihn in verschiedenen Familien Nachmittags beim Thee getroffen, rnd das letzte Mal hat er mich gefragt, ob er mir seinen Besuch machen dürste. — Ich habe rhm erlaubt, heute Nachmittag zu kommen, weil ich wußte, daß Du zu Hause sein würdest. War das sehr unpaffend von mir?" „Nun. Dora, ganz paffend war es gerade nicht, aber da Du ihn bei mehreren befreundeten Familien getroffen hast, ist es nicht so schlimm. Wie heißt er denn?" „Alphonse Thauret." „Ein Franzose?" »Ja, aber seinem Englisch hört man den Iren,den kaum an." „Franzosen habe ich im Allgemeinen nicht gern. Ich weiß, das ist ein albernes Borurthcil. aber jedes Mal, wenn ich einen kennen lerne, muß ist im Stillen denken, daß er vielleicht ein Abenieurer ist. Sie erinnern mi. mit ihrem süßlichen, einschmeichelnden Wesen an Katzen, und ich erwarte immer, daß sie im nächsten Augenblick ihre Krallen zeigen. Indessen, Liebchen, vielleicht kommt Dein Franzose gar nicht, und dann —" - „O ia. er kommt ganz bestimmt — diesen Nachmittag, und deshalb bin ich so nervös — ich fürchtete immer. Du würdest am Ende doch ausgehen, and —" „Nein. ich werde zu Deinem Schutze hier bleiben, und außerdem erwarte ich Bob jeden Augenblick. Er sagte, er wolle gegen Mittag kommen, und es ist schon zwölf Uhr durch. Vielleicht ist er das — ja, es klingelt dreimal." Bald darauf trat Mitchel ein. beugte sich über Emily und küßte sie leicht auf die Stim, wobei er innig flüsterte: Meine Königin!" „Emily, ich habe mir die Freiheit genommen, einen meiner Bekannten austufordern, hier Besuch zu machen," sprach er sodann laut. „Du hast doch nichts dagegen?" „Selvstverständilch nicht, Roy." Sie hatte diesen Namen für ihn durch Weglassung der ersten Silbe seines zweiten Vornamens, Leroy, gebildet und gemeint, sie könne ihn aus diese Weise „König" nennen, ohne daß es die ganze Welt merkte. Fast unmittelbar darauf klingelte es wieder, und Bamcs wurde ein geführt. Mitchel stellte ihn den beiden Damen vor und widmete sich dann Dora, so daß der Detektiv ungestört mit Emily sprechen konnte. Uno als die beiden Anderen bald an's Fenster traten und ein eifriges Gespräch begannen, meinte Barnes, seine Gelegenheit sei gekommen. „Verzechen Sie. Miß Reinsen," sprach er, „und lasten Sie das Interesse des Sammlers als Entschuldigung gelten, wenn ich die prachtvolle Vorsteck- - nadel, die Sie tragen, so ansmerksam betrachte. Heutzutage werden Kameen wenig gewürdigt, und doch gehört eine große Geschicklichkeit dazu, einen so kleinen Gegenstand zu schneiden." „Da bin ich ganz Ihrer Ansicht und gar nicht böse, daß Sie meine Nadel bewundern. Mr. Barnes." Bei diesen Worten löste sie die Nadel und reichte sie chm. Sie war das genaue Ebenbild der Knöpfe, die Mitchel trug, nur daß sie in einen breiten, mit Brillanten besetzten Goldrahmen gefaßt und mit dem Kopfe Shakespeare's geschmückt war. „Sie werden kaum glauben. Mr. Barnes, daß das früher ein gewöhnlicher Knopf war." „Ein Knopf mag es wohl gewesen sein, aber sicher kein gewöhnlicher," entgegnete Barnes mit gut gespielter Ueberraschung. „Nun, ein gewöhnlicher allerdings nicht. Sie werden wohl wissen, daß ich mit Ihrem Freunde verlobt bin?" Bames bejahte mit einer Verbeugung. „Kurz nach unserer Verlobung." fuhr Emily fort, „machte ich eine Reise «ach Europa. Dort entdeckte ich einen Juwelier, der die prachstvollsten Kameen schnitt, und das veranlaßte mich, eine Garnitur Knöpfe zu bestellen." „Alle so. wie dieser?" „Aehnlich, aber nicht ganz so. Dieser trägt den Kops Shakespeare's, die «rdercu stellen Romeo und Julia dar." Jetzt entschloß sich Bames zu einem kühnen Schlage. Er zog den Knopf aus der Tasche und überreichte rhn Emily. „Hier ist eine Kamee mit einem Juliakopse. Vielleicht interessirt Sie das ?" »Das ist wirklich wunderbar! Einer von meiner Garnitur!" „Einer der Ihrigen? Haben Sie einen verloren? Wie viele hatten Sic ?" „Einschließlich dieses Shakespearekopfes waren es sieben. Tie anderen sechs —" Sie brach plötzlich ab und erröthete tief. „Glauben Sie wirklich, daß dies einer von Ihrer Garnitur ist. Miß Remsen? Wenn das der Fall ist, mache ich mir ein Vergnügen daraus, ihn seiner rechtmäßigen Eigcnthümerin wieder zu geben. Aber haben Sie wirklich einen verloren?" „Verloren ? Nein — das heißt, ich weiß cs nicht." Sie schien sehr ver wirrt und betrachtete den Kopf mit gespannter Aufmerksamkeit. Plötzlich änderte sich ihr Ausdruck jedoch vollständig. „Ich habe mich geirrt." sprach sie mit einer Ruhe, die Bames verblüffte. „Ties ist keiner der ursprünglichen Garnitur, aber er ist ihr sehr ähnlich." Barnes wußte nicht, was er denken sollte. Hatte sie eine unbestimmte Ahnung, daß es gefährlich sein könnte, das Vorhandensein eines achten Knopfes zuzugcben. oder hatte d eser unvergleichlich gewandte Mitchel sic schriftlich gebeten, zu sagen, daß die ursprüngliche Garnitur nur aus sieben bestanden habe? Er konnte sich nicht klar darüber werden und entschloß sich, einen zweiten Schlag zu wagen. „Ich habe Ihr Bild gesehen, Miß Remsen, und es ist mir ausgefallen, daß das Profil auf dem Knopfe eine Nachbildung davon ist. Was denken Sie darüber?" Wieder begann die junge Dame verwirrt zu stottern. „Ich weiß nicht," sprach sie dann plötzlich mit vollkommener Fassung, ma, ich glaube. Sie haben Recht, es ist eine Nachbildung meines Porträts. Es ist im vorigen Sommer gemalt worden, und nachher habe ich dem Maler gestattet, es anszustellen. Ich glaube, es sind auch Photographien darnach angesertigt worden, und vielleicht hat der Kameenschneider eine davon als Vorlage benutzt." Das war sehr erfinderisch, aber es konnte Bames nicht überzeugen, denn er hielt es für mehr als unwahrscheinlich, daß ein anderer Kameenschneider das Bild benutzt, es dann ebenfalls Julia genannt und sogar auch einen Knops daraus gemacht haben sollte. Er schloß deshalb, daß die junge Dame eine einigermaßen annehmbare Antwort auf eine Frage erfunden, die Mitchel einfach zu beantworten verweigert hätte. Um indessen nicht den Verdacht zu erregen, daß er ihren Worten nicht glaube, entgegnete er rasch: „Das ist sehr möglich, und er hätte bestimmt kein besseres Vorbild für seinen Gegenstand finden können." „Mr. Bames." fuhr Emily fort, „Sie haben mir soeben, im Glauben, daß ich den Knops verloren hätte, den Ihrigen angeboten. Natürlich dürfte ich eigentlich von einem Herrn, den ich erst so kurze Zeit zu kennen die Ehre habe, kein Geschenk annehmen, aber Sie sind ja Air. Mitchel's Freund, und da es mir wirklich nicht angenehm ist, mein Bild in den Händen eines Fremden zu wissen, mache ich von Ihrem Anerbieten mit Dank Gebrauch." Das war eine ganz unerwartete Wendung. Bames hatte ihr den Knopf in sicherer Erwartung einer ablehnenden Antwort angeboten. weil sie durch Annahme zugegeben hätte, daß sie ihn verloren, und daß also ein achter Knopf vorhanden gewesen sei. Nun schien es, daß sie ihn eines wichtigen Beweisstückes berauben wollte. Er war noch unentschieden, was er thun sollte, als Mitchel zu ihnen trat. „Nun, Emily, findest Tu meinen Freund Barnes unterhaltend?" „Mr. Bames ist außerordentlich liebenswürdig gewesen, Roy, und sieh' nur 'mal, er hat mir ein Geschenk gemacht," erwiderte sie und reichte Len Knops ihrem Verlobten, in dessen Antlitz Barnes ein flüchtiges Lächeln des Triumphes zu sehen glaubte. „Ich bin stolz aus Dich. Emily. Wo Tu erscheinst, erzwingst Du mldignngen. Weißt Du wohl, daß Mr. Barnes mir diese Kamee erst diesen korgcn abgeschlagen Hai? Du kannst Dir doch denken, warum ich sie gern haben wollte ?" „Weil sie mein Bild trägt?" „Natürlich. Mr. Barnes, gestatten Sie, daß auch ich meinen Tank aus spreche ; Sie werden es wohl begreiflich finden, daß wir dieses niedliche Ding gern in unterem Besitze haben möchten?" Barnes fand das sehr begreiflich. Er sah, daß er wieder hineinacfallen war und daß er nichts dagegen machen konnte, ohne einen peinlichen Auftritt zn veranlassen, denn er begegnete einem Blick Mitchel's, der ihn an sein Versprechen erinnerte. Eben fing es an, ihm aufzudämmem, daß er ein Starr gewesen war. ein solches Versprechen gegeben und den Besuch in diesen, Hause überhaupt gemacht zu haben, als eine neue Wendung eintrat, die seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Ein Dienstmädchen meldete: „Dir Alphonse Thauret." Dieses Stamms erinnerte sich der Detektiv sogleich, denn er hatte aus der Karte gestanden, die ihm der Franzose gegeben hatte, ehe er in Stamford aus dem Eisenbahnzug gestiegen war. Seine Augen waren forschend auf Mitchel gerichtet, und er meinte, einen Ausdruck des Verdrusses darin wahr zunehmen. Kannten sich die beiden Männer und warm sie vielleicht Verbündete ? „Mr. Mitchel, gestatten Sie mir, Mr. Thauret vorzustellen," sprach Dora. „Ich habe bereits das Vergnügen, den Herrn zu kennen," antwortete Mitchel und trat nach einer steifen Verbeugung an Emiyls Seite, als ob er verhindern wollte, daß der Franzose auch dieser vorgestellt werde; aber das war natürlich unmöglich, und Mitchel war offenbar ärgerlich. Emily reichte Thauret die Hand, wandte sich dann um und stellte ihn Barnes vor, der ein fach ein» Verbeugung machte. „Ah, Mr. Bames," sprach Thauret, „ich freue mich, Sie wiederzusehen." „Wie, Sie kennen Mr. Bames auch?" rief Dora überrascht. „Wer kmnt Mr. Barnes, den berühmten Detektiv, nicht!" Er sprach in dem überhöflichen Tone, den seine Landsleute so gem annehmen, wenn sie sehr verbindlich sein wollen, und doch hatte Bames das Gefühl, als ob der Belletristische Tonncrstags-Bcikage zu den »Dresdner Nachricht«»-. Seite SÜD. Sprecher einen geheimen Beweggrund habe, des Detektivs Beziehungen zur Polizei offen zu verkünden. Wollte er es ihm dadurch uumöglich machen, seinen Besuch bei den Damen zu wiederholen? Wenn das der Fall war. so war es ihm nicht gelungen, bei Dora den gewünschten Eindruck hcrvorzu- bringen. „Was? Ein Detektiv? Sind Tie wirklich der große Barnes?" rief sie ganz entzückt aus. „Ja, ich bin wirklich ein Detektiv, kann aber kaum Anspruch auf die Bezeichnung „groß" erheben." „O ja, gewiß, Sie sind groß! Ich habe gelesen, auf welch' wunderbare Weise Sie diesen Pettingill überführt haben. Und nun erzählen Sie mir einmal, werden Sie auch den Mann erwischen, der die Dame gestern im Zuge von Boston bestohlen hat?" „Woher wissen Sie den», daß es ein Mann gewesen ist?" fragte Barnes, von diesem Ungestüm belustigt und sehr zufrieden mit der Weirdung, die das Gespräch genommen hatte. „O, eine Frau war es ganz bestimmt nicht; keine Frau wäre schlau genug. Alles so genau zu überlegen und durchzusührcn." „Das ist sehr interessant," »ahm hier Thauret das Wort. „Sie erinnern sich ja wohl, Mr. Barnes, daß ich auch im Zuge war und zuerst durchsucht wurde. Der Spitzbube war jedenfalls ein schlauer Geselle, meinen Sie nicht?" Mitchel war bei Seite getreten und anscheinend in ein Gespräch mit Emiyl vertieft, allein Barnes war überzeugt, daß ihm nichts von dein ent ging, was gesprochen wurde. Unter gewöhnlichen Umständen wäre cs ihm nicht in den Sinn gekommen, von einem so wichtigen Falle in Gegenwart eines Menschen zu sprechen, der der That verdächtig war, aber die Umstände waren eben ungewöhnlich. Hier waren zwei Männer, die beide in einem acheimnißvollen Zusammenhang mit dem oder den Verbrechen standen, deren Urheber er zu entdecken suchte. War einer von ihnen oder waren gar beide schuldig, dann ging aus der Unverfrorenheit, womit sie das Haus betraten, worin der Mord begangen worden war, hervor, daß eine große Geschicklichkeit dazu gehören werde, sie zu überführen, und der Detektiv hielt es für am betten, diesen Menschen gegenüber ein Verfahren anzuwenden, das ebenso kühn war als ihr eigenes. „Ich glaube allerdings, daß der Dieb ein schlauer Bursche ist," sprach er o laut, daß Mitchel ihn verstehen mußte, „aber er ist doch nicht ganz so chlau, als er glaubt." „Wieso?" „Er meint, er habe mich in die Irre geführt, und glaubt, ich hätte die Juwelen finden wollen, als ich den Beschl gab, alle Reisenden zn durch suchen. während ich nicht nach den Juwelen suchte, sondern nach dem Diebe." „Wie machten Sic denn das?" „Sie werden mich vielleicht für eingebildet halten, aber ich hoffte, ihn an seinem Benehmen zu erkennen, und das ist mir auch gelungen: ich weiß, wer die Steine gestohlen hat." Das war eine kühne Behauptung, besonders da sich Barnes noch gar nicht über den Dieb klar war. Er hatte die Absicht, den Eindruck zu beobachten, den diese Behauptung aus die beiden Männer machte, aber er erreichte diesen Zweck nicht, denn Mitchel that so, als ob er nichts gehört hätte, und der Franzose blieb ganz ruhig. «Bravo, bravo! Sie sind größer als Lecoca: das ist ja die reine Hexerei. Sie lassen die Verdächtigen vor sich aufmarschiren, und dann, presto! haben Sie den Verbrecher am Kragen. Das ist eine reizende Methode I" rief Thauret spöttisch. „Aber sagen Sie mir doch einmal. Mr. Barnes, wie hat denn der Mensch die Brillanten versteckt? Es waren doch Brillanten?" „Diamanten und andere Edelsteine. Aber ich will Sie^mal fragen: Wie würden Sie sie versteckt haben, wenn Sie an seiner stelle gewesen wären?" Ter Schuß traf, denn dem Franzosen schien die Zumuthung, sich an die Stelle des Verbrechers zu versetzen, gar nicht zuzusagcn. „Wissen Sie wohl," erwiderte er jedoch mit schnell wiedergefundener Ruhe, „daß ich gerade daran viel gedacht habe? Natürlich würde ich mich sehr ungeschickt bei so etwas anstellen, aber es ist mir doch etwas eingefallen." „Eine Art, die Edelsteine zu verstecken, so, daß sie bei der Durchsuchung nicht gefunden worden waren, und doch an einem Orte, wo Sie sie nachher wiederbekommen konnten?" „Ja. das meine ick. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, mein Planchen wäre gar nicht übel. In den Zeitungen steht, die gestohlenen Juwelen wären ungefaßte Steine gewesen. Nun, ich hätte sie in die Seife im Waschraum gedrückt. Kein Mensch hätte daran gedacht, sie da zu suche», und selbst wenn sie gefunden worden wären, hätte der Verdacht nickt aus mich fallen können. Nachher hätte ich mir die Seife geholt, und die Steine wären mein gewesen." „Ta haben Sie sich sehr verrechnet." „Wieso?" „Sie waren der Erste, der untersucht wurde, und ich habe Tie beobachtet, bis Sie den Zug verließen. Später aber mit einem anderen Zuge nach Newyork zu fahren und an die inzwischen auf ein Seitengeleise gebrachten und in den Händen der Scheuerfrauen befindlichen Wagen zu gelangen. daS wäre Ihnen sehr schwer geworden, und selbst wenn es Ihnen gelungen wäre, hätten Sie Ihren Zweck nicht erreicht, denn ich hatte alle seife entfernen und neue Stücke hinlegen lassen." Ein Lächeln, das um die Lippen Mitchel's spielte, bewies, daß er zu hörte, und daß ihm die Umsicht des Detektivs Spaß, machte. „Na, da sehen Sie ja," sprach der Franzose achselzuckend, „Ich habe keine Anlage zum Spitzbuben, und außerdem war auch noch die Handtasche da, und die hätte ich natürlich nicht in die Seife stecken können." „Sfim, die konnte der Dieb zum Fenster hinauswerfen." „Sie denken doch an Alles, Mr. Barnes," sprach Thauret mit einen, scharfen Blick, der Unruhe zu verwichen schien. „Aber," fuhr der Franzose fort, „sagen Sie uns doch, wre glauben Sie denn, daß der Dieb die steine im Zuge versteckt hat?" „Er hat sie außerhalb des Zuges versteckt," entgegnete BarneS rasch und bemerkte zu seiner Genugthuuiia, daß beide Herren leicht zusammenfahrm. Mitchel schien offenbar zu denken, es sei Zeit, sich an dem Spiele zu de« theiligcn, denn er verließ Emily und trat zu den Änderen. „Sie sprechen über den Diebstahl im Eoenbahnzua?" „Ja." rief T ora, „und es ist geradezu reizend, wie Mr. Barnes Alle- herausgcbracht hat" „Alles herausgcbracht? Hat er das wirklich?" „Ja. er weiß, wer der Dieb ist. und daß er die Edelsteine außerhalb dej Zuges versteckt hat." „Nun. das muß ich sagen, Mr. Barnes, das ist sehr geschickt, daß Sie das herausgebracht haben. Wo sollte er sie auch anders versteckt haben, da der Zug und sämmtlichc Reisende untersucht worden sind?" Tie Art, wie Mitchel Barnes' Findigkeit stets herabzusetzen suchte, ver droß diesen, und er war etwas ärgerlich, als crjeinennächsten kühnen Schlag führte. „Ich will Ihnen sagen, wo der Dieb die Steine im Zuge selbst hätte verbergen können — eine Stelle, die zu durchsuchen Niemand, nicht einmal mir selbst eingefallen ist. Die Dame hatte die Juwelen in einer Handtasche. Nehmen wir nun an, der Dieb hätte die Tasche gestohlen und aus dem Fenster geworfen, die Steine aber der Dame, während sie schlief, in die Tasche ihres Kleides gesteckt. Wenn die Dame beim Erwachen die Tasche vermißte, mußte sie natürlich denken, daß auch die Steine fort seien, und der Dieb konnte sich nach beendeter Untersuchung wieder in ihren Besitz setzen." Barnes hatte große Hoffnung auf diese Enthüllung gesetzt, aber er hatte eine» entschiedenen Mißerfolg zu verzeichnen. Entweder war das Verfahren des Diebes anders gewesen, oder Mitchel und Thauret waren Beide unschuldig, den» Beide lächelten ungläubig. „Das ist denn doch ein bischen gar zu gesucht. Mr. Bames." sprach Mitchel. „Wie sollte er sich denn wieder in Besitz der Steine gesetzt baden?" „Durch Ermordung der Dame," antwortete der Detektiv. Wieder war sein Schlag fehlgegangen, denn keiner der Beiden zuckte mit einer Wimper. Barnes war für den Augenblick besiegt, aber keineswegs entmutkigt, denn das Znsainmenfahren der Beiden, als er die Bermuthung ausgesprochen hatte, daß die Steine außerhalb des Zuges geborgen gewesen seien, bedurfte noch der Erklärung. „Sinn, nun, Mr. Bamcs," fuhr Mitchel fort, indem er ihn vertraulich aus die Schulter klopfte, „nehmen Sie sich die Sache nicht gar zu sehr zu Herzen. Wenn Sie sich so in eine Annahme verbeißen, verleugnen Sie die Geschicklichkeit, die Sie so häufig bewiesen haben. Ich glaube, ich selbst konnte Ihnen mit einer besseren Annahme ansmarten." „Sie dürfen mich nicht für gar zn dumm halten, Mr. Mitchel: wenn Ihnen meine Annahme abgeschmackt vorkommt, so folgt daraus noch nicht, daß es meine einzige ist. Wir Detektivs müssen cmen Fall von jedem Gesichtspunkt aus betrachten, und ich gehe jede Wette ein, daß ich Ihne» sagen kann, was Ihre Annahme ist." „Gut, ich nehme Ihre Wette an. Ich werde meine Annahme hier ans diesen Zettel schreiben, und wenn Sie richtig rathcn, schulde ich Ihnen ein antesDiner." Er schrieb einige Worte aus ein Stuck Papier und reichte eS Dora. „Sie meinen, daß der Dieb das Täschchen einfach einem Helfershelfer ans einer vorher verabredeten Station zngercicht hat. „Bravo!" ries Tora. „Sic sind wirklich ein großer Detektiv und haben Ihre Wette gewonnen. Das steht hier." „Hätten Sie Lust, noch eine Wette zn gewinnen, Mr. Barnes?" fragte der Franzose langsam und jede Silbe betonend- „Gewiß," antwortete der Detektiv scharf. „Dann will ick mit Ihnen wetten, daß, wenn Sie die Sache jemals auf« klären. Sie genöthigt sein werden, zuzugebcii, daß keine der erwähnte» An nahmen richtig war." „Diese Wette kann ich nicht annchmen, weil ich gewiß bin. daß das Vom Dieb wirklich befolgte Verfahren hier noch nicht erwähnt worden ist." „Aha, Sie haben noch eine Annahme!" rief Thauret beinahe höhnisch. „Gewiß, und zwar die richtige," versetzte BarneS, „aber ich ziehe vor, sie für mich zu behalten." „Ta haben Sie sehr Recht," mischte sich Emily in die Unterhaltung. „Ich muß offen gestehen, daß ich keinen Augenblick geglaubt habe. Sie würden uns Ihre wahre Ansicht enthüllen, denn ich kenne Sie als einen Mann von großer Vorsicht, und es wäre doch thöricht gewesen, das zu thun." „Vielleicht, aber was manchmal thöricht ist, kann in besonderen Fällen das Klügste sein." „sehr richtig, und nun, meine Herren, bedauere ich. Sie entlasse» zu müssen. Wir gehen heute Abend aus einen Ball, und Sie wissen ia. daß Damen dazu immer langer Vorbereitungen bedürfen." Das war so ihre Art, und die Herren nahmen sie ihr nie übel: sic ge horchten einfach. Barnes aber war sehr erfreut, daß bie beiden Anderen gleichzeitig mit ihm gehen mußten, denn er hatte eine Falle für Mitchel vor bereitet und konnte nun beide Vögel hineinlockcn. 6. Kapitel. Mr Barnes' Falle. Aus dem Erzählten darf der Leser nicht den Schluß ziehen, daß BarneS seine alte Geschicklichkeit verloren hätte. Er sah noch nickt klar m dem Falle, den er in Händen hatte, aber das kann auch gar nicht Wunder nehmen, denn es waren kaum zwei Tage seit dem Diebstahl verstrichen, und während eines großen Theiles dieser Zeit war ec in anderen Angelegenheiten von Newyork abwesend gewesen. Stach seiner Enttäuschung bei der Entdeckung, daß der Knops von geringerem Werthe war, als er gehofft, hatte er sich für ein anderes Vor gehen entschieden, von dem er sich lehr viel versprach. Manchen Verbrecher hatte er seine Fassniiq verlieren sehen, wenn er unerwartet seinem aemordclcn Opfer gcgenübcrgestellt wurde, nnd daraus gründete er seinen Plan. l cAorticiung Lonittag.)
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