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88. Jahrgang. AK 24S Mittwoch. 2. Juli 1924 Dradlanlchrili: «achrtch«»» »r,«»«» Fernlprecher-Sammelnummer: LS 241 Itür lür Nachtgelpriiche: 20 011. Gegründet 1838 tz/ Oscikao, Leiiokolaüe. E^sokifitünen. Tucker'vvai'LN. silpmil aonc 1t>gg . 1t, rn-»I "r->^,H«n^ Schrlftlettung und A»u»tg»Ichaft«1lellr: worteogratz» 3S 40. Drrlag von Uteptch » «etchae»! m Dresden. Poftichech-Kanta 1OSS Dr»,de». vom >. dis IÜ./7. bei tiigl. zweimal. ZuileU. Irei Kau« I.dv Goldmork. I Die Anzeigen werden »ochGoldmarl, berechnen di» lipali.Zümmdr. Zeile ZV-!, i. ausw.zsz. Fomiiienanzeiaenu. Stellen,eiuch» ahn« >)"AUg5-WLvUl)l Pohdezugrpreis i. Monal Zu» Z.vv cs.-M <liaz«ia»«mer >0 G.-PI». j ^lllHLIZtzll'Olse. Rada» lvz, uuherd.M^, dtevOmiu dreileRelilamezeile ISvz,out>erl>.20vz. Offerlengebühr Ivz. Ausw. Aunrage geg.Vorausdezadl. Aachdruch nur mii deutlicher Quellenangabe ^.Dresdner Nachr."> mlälftn — Unveriangi» SchriliftUch» werden nichi auidewadrl. Hotel kellevue dlsclimitiggtss, kLMeig- unci /^bsnLl- tecks! im (Zstisn, guf cisr Isrrgsss uncj im IskmsssnsZZl eui cssr ^Ibs ösksnnts voimsstlms Isfslmusik Frankreichs Sabotage der Ruhramnestie. Die außerordentlich schwierige Finanzlage -es Reiches. Wichtige Mahnahmen -es Reichskabinells hinsichiiich -er Guiachlengesehe. — Vermehrung -er Mitglieder -er Kontrollkommission. Die Amnestie eine leere Geste Kerriols. <D r a h t m e l d u n g unsrer Berliner Schriflleitung.i Berlin, 1. Juli. Es zeigt sich jetzt aufs deutlichste, daß die groste Geste des neuen französischen Ministerpräsidenten, den Ausgewiesenc» die Rhein- und illuhrheimal miedergebe» zu mosten, tatsächlich nichts anderes als eine Geste war. Die bei weitem grösste Zahl der sogenannten „Rück kehrer" kann tatsächlich gar nicht zurtickkehrcn. weil ihre Wohnungen von der Bcsatzungobehördc beschlagnahmt sind, und im besetzten Gebiete infolge der Anforderungen der fremden Zivil- und Militärbehörden eine ungeheuere Wohnungsnot herrscht. Außerdem ist noch, wie bekannt, für jeden einzelnen eine besondere Nttckkehrerlaubnis notig. Boy den Beamten entfällt der grösste Teil auf die Eisen bahner. Von deren Wohnungen ist die Hälfte für die Militärbehörden und vo„ der ziveitcn Hälfte rin grober Teil für die französischen und belgischen Regiernngsbeamten be schlagnahmt. Die Negieverwaltunq lehnt die Uebcrnahine der deutschen Eisenbahner ab. Praktisch kommen also die Sisenbahner nur in verschwindend geringer Zahl für die Rückkehr in Frage. Die Nückkehrenden würden nicht nur obdachlos, sondern auch beschäftigungslos sein. Mehr und mehr zeigt sich, dab der „Gnadenakt", von dem in manchen Kreisen Deutschlands so viel Aufhebens ge macht wird, eigentlich kaum etwas anderes, als eine Farce darstcllt. Derhan-lungen im Reichslagsausschuh für -ie befehlen Gebiele. Berlin, l. Juli. Im ReichütagSausschub für die besetzten Gebiete wurde die AuSgewiesenensrage behandelt. Seitens der Neichsregierung wurde betont, dast von den Ausgewiesenen höchstens IN Prozent in ihre Wohnungen znriickkchrcn könnten, da der grösste Teil ihrer Wohnungen von der fran zösischen Militärbehörde beschlagnahmt »nd zur Unter bringung der Soldaten und Offiziere verwandt worden ist. Es wurde beschlossen, das Auswärtige Amt zu ersuchen, unter Hinweis auf die soeben gemeldete Beschlagnahme von 4M Wohnungen in Wiesbaden bei der französischen Regierung unverzüglich dahin z» wirken, dast weitere Wohunngssordc- rungen im besetzten Gebiete unterbleiben, weil andcrnsalls die Rückkehr der Ausgcwiesencn durch neue uuüberslcigliche Schwierigkeiten gefährdet wird. Ferner wurde ein deutschnationaler Antrag angenommen, der verlangt, die Reichsrcgierung möge alsbald auf das nach drücklichste Vorstellungen dahin erheben, das, durch Verminde rung der Besatzungstruppcn und -beamten die Möglichkeit zur Rückkehr der bisher Ausgewiesenen gegeben werde. Beschlagnahme von Landgütern. Berlin, l. Juli. .^Nachdem die Franzosen seit 132» eine ganze Reihe Landgüter im altbcsetzten Gebiete zur Einrich tung von landwirtschaftlichen Schulen beschlag- tzahmt und die Wegnahme weiterer Landgüter angedroht nbcn, sind sie neuerdings dazu übcrgegangcn, auch Landgüter m Einbruchsgebiete wcgzunchmcn. In Stockum bei Düsseldorf haben sie ein Gehöft nebst Wirtschaftsgebäude und etwa »N da bestelltes Land als Unterrichtsgut gefordert. Weiter haben sie das Gut Hans Stade in Ickten bei Kettwig mit etwa 7 0 ka Land zur Einrichtung einer landwirtschaft lichen Schule beschlagnahmt. Der Pächter hat das Gut in kürzester Zeit mit seinem gesamten Hausrat und wertvollen Viehbeständen räumen müssen. Das Gut Haus Sladc ist der grüstte landwirts ch a ftlichc Betrieb des Kettwiger Bezirkes. Tic Beschlagnahme must daher auf die Ernährungö- vcrhältnisie der dortigen stark bevölkerte» Gegend äustcrst schädlich wirken. Die rechtswidrige Wegnahme von Land gütern im Einbruchsgebictc zur Einrichtung von landmirt- sckwstlichen Schulen, also für ans lange Sicht gestellte Unter nehmen, beweist, wie wenig die Franzosen daran denken, diese Gebiete, entsprechend den Vorschlägen des Dawcs-Gutachteno, zu räumen. Turnen und Sport unler Enlentekontrolle In den nächsten Monaten wird Deutschland, vielleicht ohne dast man in der Ocsseutlichkeit Wesentliches davou wahrnimmt, der Gegenstand ausgedehnter und eindringlici)- ster Entcntcschnüsfeleicn sein. Die von der Neichsregierung zugelasscnc Gencralinspektion des deutschen Militürwesens. ein in der Geschichte übrigens beispielloser Vorgang, wird cs mit sich bringen, dast zahllose Prüfungskommissionen unter französischer Führung sich über das Land ergicsten und alles all notnm nehmen, was ihnen beunruhigend oder verdächtig erscheint. Ganz gcwist werden diese Beauftragten einer krank haften Angst vor deutschen Nevanchcabsichten nickt nur an Kascrncntore und Munitionsfabriken klopfen, sondern wer den überraschend in chemischen und technischen Werken vor- sprechen, um nach Material für ihren übertrieben empfind- lichen Argwohn zu forschen. Und wehe uns. wenn es ihrer schnellzüngigen, zynischen Propaganda gelänge, gewisse zu fällige Absonderlichkeiten, auf die sie stosten, zu Vertrags widrigkeiten aufzubauschcn, ans denen der Anlast z» weiteren Inspektionen und zu neuen Forderungen hergeleitet werden könnte. Wir würden erneut als heimliche Brandstifter hin- gestellt werden, die den Funken künftigen Weltbrandcs im Verborgenen nähren und wir würden über Jahr und Tag hinaus die auf diktatorischen Machtspruck der Ententcregie- rungen hin sich vollziehende Kontrollspionage nicht los- werdcn. Die Gefahr solcher Möglichkeiten ist zweifellos auster- ordentlich grob und drehend. Aber sie belastet uns augen blicklich innerlich nicht so stark, wie die Tatsache, dast sich das Prüsungsversahrcn der bevorstehenden Gcneralinspck- tion auch mit Gebieten befassen wird, die mit militärischer Rüstung auch nicht das Geringste gemein haben. Tie deutsche Note an die Botschaftcrkonsercnz, die Herr v. Hösch vor einigen Tagen in Paris überreicht hat. lässt erkennen, worum es sich hierbei handelt. Turnen, Spiel, Sport, jene groben und starken Lebensadern deutschen Volkötums und ihre auf sehenerregende Entwicklung, die sich während der letzten Jahre in Deutschland vollzogen hat, sind es. die von den Entcntekommissionen scharf unter die Lupe genommen werden dürften. In welcher Form das geschehen wird, ist noch un gewiß. Dast dieses Kapitel der Gencralinspektion aber einen weiten Raum im Rahmen der Kontrollhaudlungen ein- nehmcn wird, ja dast cs wahrscheinlich das Hauptinteresse der Entcntebcaustragten in Anspruch nimmt, steht ganz auster Frage. Weist man doch heute in Paris und London nur zu genau, dast Deutschlands tatsächliche Rüstungen, das vor handene Wassenmatcrial, die Qualität und Menge der ver fügbaren Kriegsmaschinen weit unter dem Durchschnitt der Rüstungen europäischer Kleinstaaten stehen und dast es dem Scharfblick der zahllosen offiziellen und inoffiziellen Späher der Westmächtc nicht entgangen wäre, wenn an irgend einer Stelle Deutschlands Ricscngcschtitze oder Kampfflugzeuge konstruiert würden, die eine llebcrschreitung der Versailler Bestimmungen darstcllten. Von der Nebcrflüssigkctt einer solchen Kontrolle ist man am Quai d'Qrsay wie im Foreign Office vollständig überzeugt. Anders aber verhält cs sich mit der Nachprüfung des Standes der deutschen Wehrhaftigkeit überhaupt, mit der Feststellung des Grades körperlicher Ertüchtigung, wie sie durch turnerische und sportliche Betätigung mit Erfolg und in zunehmender Ausdehnung der deutschen Jugend in den Nachkriegsjahren ancrzogen worden ist. Hier wittern die Weststaaten und Frankreich vor allem Gefahr. Sic sehen in den hervorragenden Leistungen deutscher Mannschaften und einzelner Spvrtlcutc und Turner nicht das, was diese Leistungen wirklich und bei uns einzig und allein darstellen, den Ausfluß starker Lcbenscnergie. der Freude an körper licher Gewandtheit und Kraft, sondern sic betrachten Deutsch lands sportliche und turnerische Entwicklung im Zusammen hänge mit politischen Zukunstsmöglichkeitcn. Was kann eine Bevölkerung mit Millionen sportlich und turnerisch gestählter Männer und Frauen, denen Sinn für Organisation und Disziplin inncwvhnt, in dem Augenblick leisten, wenn man ihr Waffen in die Hand gibt oder wenn sie sich Waffen zur Abwehr oder zum Angriff zu schmieden versteht? Das ist die bange Frage, die sich die Westmächte vom Tage von Versailles an immer wieder vorgelcgt haben. Im Sinne dieser Frage wurden im Versailler Dokumente alle „militärischen" Organisationen verboten, wurde jede „militärische" Reglementierung, jede Erziehung in „milttü'cht Die ungeheure Getünot -es Reiches. Ein be-eulsames Interview -es Reichs- finanzminislers. Slerlin, 1. Juli. Der Berliner Vertreter des „Nieuwe Rotterdamschcn Evurant" berichtet seinem Blatt über eine Unterredung mit dem Rcichssinanzministcr Dr. Luther über die Finanzlage des Reiches. Die Unterredung verlief folgendermaßen: Frage: Aus dem letzten Rcichöbankausweis hat das Aus land und wohl auch das deutsche Inland vielfach die Ansicht gewonnen, daß die Finanzlage des Reiches außerordentlich günstig ist. Anderseits haben Sie, Herr Minister, vor einigen Tagen in einer Sitzung des Steucrausschusses des Reichstags die Gunst dieser Finanzlage bestritten. Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Antwort: Bei Beurteilung der Finanzverhältnisie Deutschlands mutz man die Finanzlage und die augen blickliche Kasicnlage genau auseinandcrhaltcn. Aber auch die augenblickliche Kasicnlagc hat sich in der Zwischenzeit bereits erheblich verändert. Zudem must ich daraus Hin weisen, daß die im Ncichsbankausweis genannten all gemeinen Zahlen nicht nur die Guthaben des Reiches, sondern die Guthaben aller anderen össcntlick»en Körper schaften umfasien, also z. B. der Länder, der preußischen wirtschaftlichen Betriebe und dergleichen mehr. Das Gut haben des Michcs hat seinen Höl»ep«nkt am 28- Juni mit etwa ISN Millionen Mark erreicht gehabt und ist seitdem so gesunken, das, cs lgmte nur noch etwa 8»N Millionen umfaßt. Dieser Abfall von rnud lSN Millionen erklärt sich daraus, daß in der Zwisckstmzcit etwa 1LN Millionen Nentenmark-Schatzwcchsel seitens des Reiches cingclöst worden sind, und das Reich auch im übrige» zur Deckung seiner lausenden Rediirsnissc !>» Millionen hat abzichen müsien. Die jetzt noch vorhandenen rund 8»» Millionen setzen sich zusammen aus etwa tilg Millionen Mark Er lösen aus der Begebung kurzfristiger Ncntenmark-Schatz- wcchscl, aus lll» Millionen Forderung der Rcntcnbank, die ebenfalls kurzfristig ist. und aus einen, Gutlmben der Ncichsdruckcrei sBctricbssondoj von lt> Millionen. Der dann noch verbleibende Restbetrag von etwa VN Millionen ist als einziger Sletriebssonds für die innere Verwaltung mit rund 8 Milliarden Jahresumsatz völlig unzureichend, so daß aus seine dauernde Anssiillung durch knrzsristigc Kredite gerechnet werden mnß. Frage: Dann ist es aber doch nicht recht verständlich, daß baS Reich in der Zwischenzeit sein Guthaben aus verkauften RLntenmark-Schatzwechseln derartig hat anschwellen lassen? Antwort: Wie Ihnen wohl bekannt sein wird, gibt cs zurzeit in Deutschland verlsiiltnismäßig viel täg liches lÄeld. Ich nnterstreiclw dabei das Wort verhältnis mäßig, weil ja das allgemeine Bild Deutschlands das einer ins ungeheure gestiegenen Geldnot i st Für dieses tägliche tzield. das sich in den Stanken an- sainmclt, suchen die Banken naturaemäst eine kurz fristige Anlage nnd haben zn diesem Ziveckc in steigen dem Maße die Ncnicnmark-Lchat,Wechsel des Reiches gern genommen. Diese Art der Geldansnahmc war in soweit dnrchznsühren, als eine vorsichtiae Finanzvcr- waltung ans die Unsicherheit der Finanzlage Rücksicht nehmen und deshalb einen notdürftigen Betriebsfonds l>erstellen mußte, solange damit aercchnet werden konnte, daß der Fonds, soweit er vom Reich nicht benötigt wurde, der Wirtschaft wieder zugute kam. In dem Umsangc, in dem diese Boranssctznngen nicht mehr zntrascn. hat das Reich die weitere Ausgabe von kurzfristigen Schuß wechseln cinstellen müsien. Frage: Wie stellt sich denn nun unter den vvn Ihnen soeben entwickelten Gesichtspunkten die wirkliche Finanzlage des Reiches dar? Antwort: Der dem Reichstag kürzlich zngclcitctc Haushaltplan für 1824 weist einen Fehlbetrag von 47» Millionen Mark ans. Wenn das Reich trotzdem noch Immer zahlnngssähig geblieben ist, so beruht das daraus, das, in dem seit dem 1. April laufenden Rechnungsjahre noch gewisse Beträge aus dem in den Wintcrmonatcn erhobenen einmaligen Stenern »nd ans den Darlehen, die die Rcntcnbank gesetzmäßig dem Reich gegeben hat, entnommen werden konnten. Freilich stehe» diesen Be trägen gegenüber die Aufwendungen, die das Reich, nm seine Währung zu erhalten, für den Ankauf der Gold- anlcthc hat machen müsien. Anderseits ist das gesamte Ergebnis der Steuer» in den ersten Monaten des Recki- nungssahres etwas günstiger gewesen. Nur dadurch und durch fortgesetzte Ansgabcndrosielung war cs überhaupt möglich, bisher die Lasten zu traacn. die uns durch die immer noch andancrndc Besetzung des Rhein- nnd Rnhr- gcbietes einschließlich der Borcnthaltnna der dortigen Zollcinnahmen »sw. noch immer anferlegt werden, ob gleich im Sachverständigengutachten aus das deutlichste dargclcgt ist. daß die deutsche Wirtschaft diese Lasten nicht aufznbringen vermag. Wie recht der Lachverständigen- bericht hierin hat, geht daraus hervor, daß die Lage der deutschen Wirtschaft jetzt beginnt, wirklich verzweifelt zu weiden.