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«6. Jahrgang. 2S4 Dienstag- 20. Juni 1922 Gegrün-el ISS« Draht« Ichrtft: »achrtchl« »r«»«. Y»rns»k»chrr-Sam«»l«omn»r! 20 241 «m Nr «achter»«»«! »0 011. Schrtstlrltu», und Lau»lg»IchS»-st«Ilr: Marlruftr-ft, SS/40. Verl« »« M«sch ch Slrtchardt in Dresden. Poftichedk-lionlo 1OSS Dreade». D^g-.«°bühr IWMNS ! W,ze>g°n-Pr°II°. ««»»ruck nur mit druINch-r N«N>«nan,»I>» «.»r—im-r «achr.1 - Um>«lan,i, Schrift»»», ««»« «Ich« auch«»-»«. I^SX SIÜSS Nselif. dloritretruöe iS. VSlvacktu»x»kürpvr,LIvk1rI»cke PILttvn, Locklvpks, 8cdütte - I^auL - Xockplutten. NkkIVIälM SCNUI.2. N«rn»preet>«r AoMMNNtzltgvvSlievstntt r>ru»pr«ck«r: IE«. IE«. IE» 1» Lettrchlvnrg«»»» 1L remvnrll-kr 28804 8Smt>. kknkmskigen öervkStte. kinsnrislle kenttmg Vslvscisi's LiMIscks Isllssss 4Ukr 1-«tg»o>i Swir »rill« kIb«r-0rcft»»1»r-Nonr«rt« «-7 wir uns S—ISUMi Xon2srts Wslrn-sstsursnt — Sen- i^rlllistÜQksstubs Günfttges Ergebnis -es Volksbegehrens. Die nolwenbige Siimmenzahl Lberlrossen! 118 718 Eintragung«« l« Dresden. Rach einer vorläufigen Zusammenstellung des städtischen Wahl, und Listcnamtes sind im Stadtgebiet Dresden skr das Volksbegehren 118718 Stimme« ab» -egSde« worden. Dresden hat also von de« 898 798 er, forderlichen Stimme« allein beinahe 18 Prozent ansgebracht, vei der Stadtoerordnctenwahl im »origen Jahre — die letzte LanbtagSwahl läßt sich wegen -er inzwischen ersolgten Einverleibungen nicht znm Vergleich heranziehe« — «nrde« in Dresden 188 87b bürgerliche Stimme« abgegeben. Am jetzige« Volksbegehren habe« sich also 83 Prozent der damalige« bürgerlichen Wähler Dresdens oder 88 Prozent der gesamte« Wahlberechtigte» in Dresden beteiligt. Nach de» aus dem Lande bis gestern, Montag, abend -erliegenden ZählungScrgebnissen haben sich in die Liste« zu« Volksbegehren eingetragen in: Planen i. B. von 68 888 Stimmberechtigte» 88988; Zittau von 28 888 Stimmberechtigte« 8718; Riesa von 9181 Stimmberechtigten 2718: Chemnitz sStadtj von 198888 Stimmber. 88 198: AmtShanvtmannschast Chemnitz 18 882: Leipzig von 111888 Stimmberechtigten 113718. * DaS Ergebnis dcS sächsischen Volksbegehrens, soweit es sich in den voranstehenden Zahlen anbentet, entspricht den Erwartungen, die man im bürgerlichen Lager an diesen wichtige« staatspolitischen Vorgang knüpfte und knitpsen durfte. Die Unzufriedenheit mit den Handlungen der säch sischen Regierung, die Ueverzeugung, daß Schritte zu einem baldigen Wandel der politischen Verhältnisse Sachsens getan werden mutzten, sind denn doch in zu wette Kreise deS sächsischen Volkes gedrungen, als datz man diesmal mit einem Fehlschlag zu rechnen berechtigt gewesen wäre. Wer in Liesen vergangenen vierzehn Tagen an den Stellen, an denen die Listen auslagen, seine Beobachtungen machte, der sah, datz der Mann im Arbeitskittel nicht seltener sich zur Eintragung meldete, als das mit Vorliebe nach Acugerlich- keiten als „bürgerlich" bezeichnete Element. Das scheint denn auch für ein vorsichtiges Urteil ein ebenso günstiges An zeichen deS Meinungsumschwunges in Sachsen zu sein, wie LaS zahlenmäßige Ergebnis des Volksbegehrens selbst. Ge wiß haben wir allen Anlaß, uns über diesen Erfolg zu freuen. Mehr Anlaß aber haben wir noch, ihn mit vollen Kräften wahrzunehmen und auszubauen. DaS liegt vor allem in der Natur deS ganzen komplizierten Prozesses der Willensäußerung des Volkes begründet, deren erster Schritt allein mit dem Volksbegehren geleistet worden ist. Kommt eS, wie man zunächst annchmcn muß, zum Volksentscheid, bann ist eS unumgänglich notwendig, daß die Beteiligung aller an einer Aenderung der Verhältnisse interessierten Kreise eine noch wesentlich stärkere wird. Bis auf den letzten Mahler muß das sächsische Bürgertum bet dieser Gelegen heit auf den Damm gebracht werden. Das Ist gewiß keine kleine Aufgabe, deren Schwierigkeit jeder richtig cinschätzen wirb, der schon beim Volksbegehren die Wahrnehmung machte, daß die sozialistischen EinschüchternngSversnche bei spielsweise kleinen Beamten gegenüber nicht ohne Wirkung blieben, und daß mancher, dessen Ucberzeugung gut bürger lich ist, sich durch versteckte Drohungen davon abschreckcn ließ, sich in die Listen einzntragen. Dem muß unbedingt vorgebeugt werben. Dem sozialistischen offenen und ge heimen Terror mutz der feste Wille entgegengesetzt werden, mtl--««- bisherigen Regime zu brechen. Das müssen sich besonders auch diejenigen einprägen, die ans vermeintlich größerer Erkenntnis der politischen Vorgänge und'Zusam menhänge heraus meinen, das Regiment LipinskiS' wirt schafte sich von allein ab, ohne daß die persönliche WillenS- meinung des einzelnen vonnöten wäre. Gewiß, der Justiz etat und der Polizeietat sind von der Mehrheit des Land-. tageS abgelehnt worden, und es ist möglich, baß die höhere Weisung der Kommunisten von der Berliner Zentrale auf Ablehnung des Gesamtetats lauten wird, so daß die Regie rung dann wollend oder nichtwollend zum Rückzug blasen müßte: aber das alles sind Vorgänge und Möglichkeiten, von denen sich niemand in Sicherheit wiegen lassen darf, und die auf keinen Fall die Aktivität auch nur eines Staats bürgers entbehrlich machen. Darum kann die Parole des Bürgertums in Sachsen auch in Zukunft nicht anders lauten als: Alle Mann an Bord! Es gilt zu zeigen, daß wirklich die VolkSmebrheit zur Besonnenheit, zur Besinnung um gekehrt ist! Es gilt schon in den nächsten Wochen, nach dem erfolgreichen Volksbegehren die Grundlage für einen erfolg reichen Volksentscheid zu schaffen! Das Resultat der Londoner Reise Poincares. Neue Untersuchungen -er Aeparallons- Aommission. London, 19. Juni. Nach der Konferenz zwischen Lloyd George und Poincars wurde amtlich bekanntgegebe«. daß di« ReparationSkommissio« eine Untersuchung über die Mittel veranstalte« werde, «m die deutschen Finan zen wieder in Ordnung zu bringen. Poincars «erde wahrscheinlich Ende Juli nochmals nach England reise«, «m de» Kommissionsbericht zu erörtern. I» der Zwischenzeit sind Zwangsmaßnahme« gegen Deutschland nicht in Aussicht genommen. vle Aussprache zwischen Lloyd George und Polncars. Paris» 18. Juni. Nach einem Bericht des Sonderbericht erstatters der Agence HavaS, der den Ministerpräsidenten Poinears auf seiner Reise nach London begleitete, trug die Unterhaltung zwischen Poinears nnd Lloyd George einen herzlichen Charakter. Sie drehte sich ausschließlich um die Haager Konferenz und das RcparattonSproblem. Poinears habe mitgeteilt, daß er den französischen Dele gierten die bereits gemeldeten Weisungen gegeben habe. Die französische Delegation werbe im Haag bleiben, da eS ausgemacht sei, datz die Erörterungen keinen poli tischen Charakter tragen und datz die zu behandelnden technischen Fragen nur ack rokorsnckum geregelt werden können, ohne die Regierungen zu verpflichten, ferirer, daß jede Macht das Recht habe, die Stellung betzubehalten, die si« in Genua eingenommen habe. Lloyd George habe sich von dieser Entscheidung sehr befriedigt gezeigt. Die Leiben Staatsmänner hätten hierauf eine Aussprache über das Reparationsproblem begonnen und diesem Deik -er Unterhaltung habe außer Lord Balfour, -er während der gesamten Besprechungen anwesend gewesen sei, auch Sir Robert Horne Veigewvhnt. Ein oder zwei mal seien auch die Sachverständigen des Schatzamtes zu Rate gezogen worden. Die durch den Mißerfolg -er inter nationalen Anleihe geschaffene Lage wurde besprochen, aber in allgemeiner Form, da sich die Reparationskommtsston augenblicklich damit beschäftigt, eine Finanzkontrolle in Deutschland zu organisieren, die sich insbesondere erstreckt auf die Budgets (Verminderung der Ausgaben» Ver mehrung der Einnahmen), auf den Banknotenumlanf und auf die Ausfuhr ausländischer Devisen. Das sei eine An gelegenheit, die man im übrigen nicht in einigen Tagen überstürzen könne. Die interalliierten Regierungen hätten sich also später über die aus dem Bericht der ReparationS- kommisslon zu ziehenden Folgerungen zu verständigen. Wen« Deutschland sich weigere, die Kontrollmaßnahme« an» zunehm«« vb«r wen« Deutschland sie umgehe, «ach de« «S sie angenommen habe, würde eine beabsichtigte Verfehl»«« seinerseits vorlicgen und eS könnten entsprechende Maß nahme« ergriffe« werden. Der HavaSberichterstatter, dessen Bericht zurzeit in Paris noch nicht vollkommen vorliegt, fügt hinzu: Nach dem heutigen Meinungsaustausch scheine es nicht, daß ernstliche Mißverständnisse befürchtet werben könnten, wenn die Diskussion dieser Frage endlich sachlich wieder ausgenommen wird. (W.T. B.) Frankreichs offizielle Teilnahmeerklärung für -en Kaar. Haag, 19. Juni. I« der heutigen Rachmittagssttzung der vorbereitenden Kommission erklärte -er französische Delegierte Veno ist namens der französische« Regierung» Frankreich werde sich bei der am 28. Juni beginnenden Tagung vertrete« lasse«. Seine Regierung wünsche aber, daran zu erinnern, daß eS sich nur um eine Zusam menkunft vou Sachverständigen aü roloronännr haildele und baß jede politische Frage von de« Beratungen anögeschlosie« sei, ferner, daß seine Negierung sich die Frei, heit Vorbehalte, ihre Sachverständigen jederzeit znrück- zuziehe«, namentlich wen« das Auftreten der Sowjets dazu Veranlass««- gäbe. Der Franzose Alpha « d unterstützte Liefe Erklärung und sagte, die Beschlüsse der Allgemeinen Kommission könnte« weder frühere noch zukünstige Ent» fcheiduuge« der Regier««« beeinträchtigen. Der belgische Delegierte Cattier war mit dieser Erklärung einver standen. Die lle-er-ake von Kalkoroitz an Polen. Benthe«, 19. Juni. Kattowitz ist «unmehr in polnischen Besitz übergegangen. ES gibt keine deut» scheu Hoheitszeichen mehr ans de« ösfenttiche« Gebäude«. Gestern abend 8 Uhr sind Post und Eisenbahn de« p»l«ischen Behörde« übergebe« worden, nachdem 21 Stunden vorher die polntsch« Polizei mit starke« Kräfte» de« Sicherheits dienst übernommen hatte. Die Polizei ist «ach eng, lische«Muftera«Sgebildet und uniformiert. I« der Postverwaltnng sind einige Schwierigkeiten ent standen, da in letzter Stunde noch «ine Anzahl Beamte« sich, entgegen ihrer ursprünglichen Absicht, »»« Weggehen entschlösse« hatte. Heute morgen ist in feierlicher Reise unter dem Spiel der Rationalhymne die bisher bei der interalliierte« KreiSkommissio« ruhenbe ösfentliche Gewalt anf di« neue polnische Zivilbehörde übergegange». Die Fahne« der drei interalliierte» Staate« wurden «inaezoge« und di« polnisch« Kahne gehißt. ES ist bis jetzt nirgends z« irgendwelche» Anstrittev gekommen. Allerdings steht die eigentliche Feier erst für de« morgen stattfindende« Einmaeich der polnisch«« rrnppe» bevor. Sozialdemokratischer Theaterdonner. Es kriselt im Reichstage wegen -er Getreideumlage oder richtiger gesagt: die Sozialdemokratie donnert hinter den Kulissen, um dem verehrlichen Publikum graulich zu machen und den Anschein zu erwecken, als sei die politische Atmosphäre über »nd über mit Zündstoff geladen nnd mühte jeden Augenblick zur Explosion kommen. Den An laß zu diesem neuesten Krtsenrummel hat die Gesetzcsvor- lage über die Getreideumlage gegeben, die am Freitag in zweiter Lesung mit unmittelbar anschließender dritter be raten werden soll. Der „Vorwärts" hat sich in große Pose geworfen und erklärt, daß die Sozialdemokratie im Falle der Ablehnung der Getreideumlage aus dem Kabinett aus- scheiden und in eine „entschiedene Opposition" übergehen würde, da sie eine exorbitante Erhöhung des Brotpreises nicht anf sich nehmen könne. Auch verzeichnet das Blatt ein Gerücht, wonach der Reichskanzler in der Besprechung mit den Parteiführern mit dem Rücktritt der Regierung und Neuwahlen gedroht habe. So etwas zieht schon längst nicht mehr. Dazu kennt man die Weise und den Text zu genau. Die Wirthschen starken Worte stehen nicht mehr hoch im Kurse, aber ebensowenig darf auch auf bas Brimborium seiner sozialdemokratischen Leibgarde besonderes Gewicht ge legt werden, wenn diese Mannen sich recken und die Fäuste ballen, daß der Bizeps schwillt wie bei Athleten, als wenn sie wer weiß was für eine Kraftleistung produzieren wollten. Die Sozialdemokratie verfolgt mit ihrer jetzigen Schreckschußpolitik einen doppelten taktischen Zweck, der so durchsichtig ist, daß man nicht erst eine Brille aufznsetzen braucht, um dahinter zu kommen: sie will einmal die Mitglieder der demokratischen und der Zcntrumspartei, die in der Frage der Getreidenmlage aus Rücksicht auf ihre ländliche Wählerschaft die Gefolgschaft verweigern, bet der Stange zu halten suchen, und außer dem die Gelegenheit benutzen, um sich nach Möglichkeit von den Folgen ihrer bisherigen ErfüllnngS- und Steuerpolitik zu entlasten, deren mit jedem Tage klarer sich heraus stellende Wirkung auf die Wählerschaft ihr den Angstschweiß aus den Poren zu treiben beginnt. Aus einer Wendung, die dem „Vorwärts" bet der Erörterung der Krise entschlüpft ist, läßt sich deutlich erkennen, worauf der-ganze Kulisseir- zauber hinaus will. „EL zeigt sich," schreibt das Zentral organ der mehrheitssozianstischen Partei, „daß man bei den Rechtsparteien die Situation zu begreifen beginnt. Ihre Demagogie hat sich bisher von der Unzufriedenheit des städtischen Mittelstandes über die hohen Lebensmtttelpreise genährt. Wie, wenn die blinden Nachläufer mit einem Male erkennen würden, wer der Schelm hinter dem Busche ist, der den LebenSmittelwucher schützt nnd fördert?" DaS ist eine klassische Leistung der sozialdemokratischen Ber- drehungskunst. Also wenn die Rechtsparteien sich pflicht- mäßig in Wahrung -er Volksintercffen gegen den Lebens mittelwucher wenden, so ist das „Demagogie". Wenn aber die Sozialdemokratie aus taktischen Gründen die Gctreide- umlage ansbeutet, um gegen die Rechtsparteien zu Hetzen und das Odium -er Teuerung infolge der Erfüllungspolitik, mit Sem diese Partei voll belastet ist, nach rechts hin abzuwälzen — ja, Bauer, dann ist das ganz was anderes! Die sozial demokratische Presse stellt eS so dar, als wenn die bürger lichen Parteien, die Gegner der Getreideumlage sind, dir Interessen der notleidenden Berbraucherschaft mit Füßen träten nnd der Landwirtschaft anf Kosten der Verbraucher ein Geschenk, eine „Liebesgabe" machen wollten. Nichts kann falscher sein, als das. Auch die grundsätzlichen Gegner der Getreidenmlage stehen durchaus auf dem Standpunkt — etrvaS anderes ist nach ihrer ganzen volksfreundlichen Tendenz überhaupt nicht denkbar —, -atz die minder, bemittelten Schichten gegen eine übermäßige Verteuerung des Brotes geschützt werden müssen, und sie sind zn dem Zwecke bereit, an einer Lösung der Frage in dem Sinne mitzmvirken, datz die Kreise, die pekuniär dazu befähigt sind, eine höhere Last zugunsten der weniger tragfähigen Verbraucher auf sich nehmen, um diesen eine entsprechende Verminderung des BrotpreiseS zugute kommen zu lasten. Sie wolle» daher dem Reichskanzler die gesetzliche Ermäch tigung gewähren, den Kreis der zum Empfange von Marken brot Berechtigten nach seinem Ermessen jeweils einzu- schränken. In Oesterreich besteht eine ähnliche Einrichtung schon seit längerer Zeit, und eS entspricht auch durchaus der ausgleichenden sozialen Gerechtigkeit, daß Leute, „die es können", nicht mit einer Wohltat bedacht werden, auf die nur die „Enterbten", die unter der Geldentwertung scharf un- unmittelbar Leidenden, einen moralischen Anspruch geltend machen können. Voraussetzung der richtigen Wirk samkeit einer derartigen Maßregel ist allerdings, datz die hohen Einkommen, die von -er Vergünstigung des Marken- brotpreiseS ausgenommen werden sollen, auch wirklich so hoch angesetzt werden, daß sie unter voller Berücksichtigung der Geldentwertung noch als besonders tragfähig angesehen werden können. Zieht man die Grenzen zu niedrig, so jchaftt man lediglich nur neue Ursache zur Verbitterung bei