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Sonnabend. 10. Iull 1926 — «Dresdner Aachrjchlen" — 7kr. 319 Seile 8 Der Slernenhimmel in -er Kuppel. Bon Kurd Kitz Hauer, wissenschaftlicher Leiter des städtischen Planetariums. Immer wieder hat man eS versucht, den gestirnten Himmel «achzuahmen, von Hipparch, den man oft und mit Recht den Vater der modernen Astronomie nennt, btS auf unsere Zeit. Die Darstellungsweise war freilich recht verschieden, selbst wenn wir uns nur auf diejenige beschränken, die dem Augenschein entspricht. Am einfachsten mar cs wohl, eine Äugeloberfläche mit den Sterncnbildcrn zu schmücken. Der berUHmte Atlas Farnese, der die Sterncnbilder nach den Angaben des Hipparch trägt, ist ein Beispiel dafür. Natürlich kann man in solchem Falle di« Kugel nur von außen betrachten. Ein wichtiger Fort schritt, dessen Gedanke nur scheinbar nahe liegt, war der, eine Hohlkugel von solchem Durchmesser zu nehmen, daß ein oder mehrere Menschen darin Platz habe», und dann diese Kugel von innen mit Fixsternen auszu- statten. Am einfachste» geschieht das, indem man die Kugel in der An ordnung der Sternen- bildcr durchsticht, so daß das einsallende Tages licht die Sterne erzeugt. Herzog Friedrich von Holstein - Gottorp ließ einen solchen Globus bauen, und säst gleich zeitig entstand in Thü ringen unter Herzog Wilhelm IV. ebenfalls ein großer Himmels- globus, der auf dem damaligen neuerrichte ten Schloß zu Jena Platz fand. Beide Globen ge statteten mehreren Personen gleichzeitig den Anblick des Himmels. In neuerer Zeit wurde nach dem gleichen Grund satz eine noch viel gewaltigere Himmelskugel geschaffen, und zwar in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Wyld in London, Alle diese bisher erwähnten Himmelsgloben hatten den einen Nachteil, daß sie nur die Fixsterne, und von diesen auch nur die hellsten, Wiedergaben, die Planeten jedoch überhaupt nicht. Gerade die Wandelsterne aber geben dem HtunnelS- anblick ein besonderes Gepräge. Anderseits gab es seit langem kleine Planetarien, bei Keue« wieder der Fixstcriihimmcl fehlte. <Ne bestanden, je nach dem System, ans der Erde, bzw. der Sonne in der Mitte und den darum kreisenden Planeten. Unsere Schulsammlungen besitzen auch heute noch solche Modelle. Die Zusammenfassung beider Einrichtungen, -eS künstlichen Sternenhimmels und des Planctenmoöells, war das große Problem, das man bisher nicht hatte lösen können. AlS nun für das Deutsche Museum in München ein Neubau geplant wurde, hatte sein Erbauer Oskar von Miller, angesichts der allerorten stiefmütterlich behandelten Himmelskunde den vor» trefflichen Gedanken, seinem Museum eine Einrichtung an- zugliedcrn, die es gestatten sollte, eine größere Anzahl von Besuchern gleichzeitig mit den Himmelserscheinungen vertraut zu machen. Weil auch hier an eine Zusammenfassung von Fix. sternhimmcl und Planetensystem gedacht war, übertrug man die Durchkvnstruktivn dem bekannten Zeißwerk in Jena. Es erwies sich indes bald, daß man auf dem herkömmlichen Wege nicht weitcrkam. Lange vor dem Kriege war das Projekt be gonnen, aber erst nach Kriegsende, als man die Arbeite» daran wieder aufnahm, gelang cs Dr.-Jng. Walther Bauersfeld die Lösung nach einer ganz neuen Idee zu finden. Alle Schwer fälligkeiten der bisher vorgesehenen Konstruktion — große, bewegliche Himmelskuppel und 8 bis 10 Zentimeter lange Gestänge zur Führung der Planeten — fielen durch den neuen Gedanken der Erzeugung von Fixsternhimmel und Planeten mit Hilfe von Lichtbildapparaten fort. Es war nicht gerade leicht, die neue Idee in die Tat mn- znsctzen, »nd manchmal schien es, als wären die Hindernisse unüberwindlich. Immer wieder aber gelang es Dr. Bauers- sclds tatkräftigem Eingreifen, einen Ausweg zu finden. Nach fünf Jahren mar das Werk vollendet und konnte im August 1!ttl der Ocffcntlichkclt -um elften Male gezeigt werden. Allein in jenem Monat habe ich es persönlich etwa sechzigmal vorgefiihrt und mit Freuden wahrgenommcn, daß keiner von den rund löOOO Besuchern sich dem überwältigen Eindruck dieses ivahrhaft natürlichen Himmels zu entziehen vermochte, jeder quittierte beim Aufleuchten des künstlichen Himmels mit einem impulsiven „Ah!" der Ucberraschung. Es ist also selbst beim Stadtbewohner, der doch wahrlich wenig genug vom Sternhimmel zu sehen bekommt, das Empfinden für den ästhetischen Reiz einer klaren Sternennacht nicht geschwunden. Wird das Planetarium dieser Aufgabe gewachsen sein? Nach den Erfahrungen, die ich seit jenen Auausttagen des Jahres 1V24 in ständiger Beschäftigung mit diesem Wunder werk sammeln konnte, darf ich die Frage getrost bejahen. Wir haben es hier ja nicht mit einem gewöhnlichen Lehrmittel zu tun, sondern wir erleben das All! Da gibt es keine mathe matischen Formeln und gelehrte Fachausdrücke, die den Laien so stark abzustoßen Pflegen, sondern aus die anschaulichste und sinnfälligste Weise werden ihm die kleinen und großen Gesetz mäßigkeiten im Himmclsbäu offenbar. Der Neubau des Dresdner Planetariums in der Stübel-Allee wird beherrscht von der großen kupfer- bedeckten Kuppel, die in ihrem Innern eine stoffbedcckte Halb kugel von 2k> Meter Durchmesser birgt: die Projektionswand für den Sternenhimmel. Inmitten des Kuppelraumes aber erhebt sich ein seltsamer Aufbau. An einem hohen eisernen Gestell schwingt, wie unser Bild zeigt, eine mehr als drei Meter messende Niesenhanlel. Sie besteht aus nichts anderem als etwa hundert Lichtbildapparaten, die sämtliche Gestirne einschließlich der Planeten an der Kuppelwand abbilde». Zunächst rührt sich nichts: starr und unbeweglich ragt die geheimnisvolle Apparatur empor. Wohltuend gedämpftes Licht herrscht im Raume und verstärkt den Eindruck seltsamer Spannung, die uns ergreift. Einige Lichtbilder erläutern uns das Grundsätzliche an der Apparatur, um uns ihre Wirkungs weise näherzubringen. Einem aufmerksamen Beobachter wird cs nicht entgehen, daß währenddessen die Raumbeleuchtung matter und matter wird und schließlich ganz erlischt. Auch dies bedeutet nichts anderes, als eine möglichst genaue Nachahmung des natürlichen Vorganges. Denn allabendlich, wenn die Sonne scheidet, setzt die Dämmerung ein, um uns sanft und in unseren Breiten kaum merklich vom Tageslicht zur dunkeln Nacht hinüberzugeleiten. Eine Stunde fast währt die Däm merung. Soviel Zeit steht uns in der Kuppel freilich nicht zur Verfügung. Fünfzehn Minuten müssen genügen. Dann erscheint die Sonne, um nach dem Wunsch des Vortragenden ihre Bahn an dem künstlichen Himmelszelt zu wandeln und bald ihren Sommer-, bald ihren Winterbogen zu beschreiben. Bei diesen Sonnen-Auf- und -Untergängen erleben wir noch eine besondere, nur wenige Sekunden anhaltende Däm- meruugserscheinung, die der künstlichen Tagesdauer von vier Minuten angepaßt ist. Einprägsamer als im erhellten Raum dringen die Worte des Vortragenden auf uns ein, wir sind gefesselt und werden kaum gewahr, baß schon ein Vtertelstündchen vergangen ist, seit wir bas erste Lichtbild sahen. Unsere Augen sind jetzt empfindlich geworden, genau wie zu Beginn der Nacht in der Natur; wir sehen noch einmal die Sonne am westlichen Horizont versinken . da flammt zum ersten Male der künstliche Sternhimmel über uns auf! — Nach den ersten Augenblicken der Ucberraschung suchen ivir diese ungeahnte Himmelspracht zu erfasse» und zu durch dringen. Der Vortrag kommt uns zu Hilfe. Ein leuchtender Pfeil huscht zum Großen Bären, zeigt uns den Weg zum Polarstern und weist uns die anderen Stcrngruppen. die seit Jahrtausenden die gleichen Namen führen. Hätten wir draußen in der Natur klaren Himmel und schwände plötzlich die Kuppel über uns, mir erschauten das gleiche Bild. Hier wie dort geht der Blick ins Unendliche zu den unnahbaren Sternen. Die Planeten, der Mond, die noch erscheinen, ver stärken den Eindruck der Natürlichkeit und lassen uns ver gessen, daß wir uns in einem festgefügten Kuppelraum be finden. Der Himmel der Heimat, der sich über uns wölbt, soll uns vertraut werden: wir durchbrechen die Illusion und lasse» in leuchtenden Lettern die Namen der Sternbilder erscheinen. Und immerfort kreist der Stcrnendom und führt »ns alle vier Minuten einen neuen Tag herauf. Die Fix sterne verblassen freilich an diesen künstlichen Tagen nicht völlig, um den meisten eine Ueberraschung zu zeigen, daß auch in der Natur bei hellstem Sonnenschein die Sterne am Himmel stehen. Und doch ist es so, und ein gutes Fernrohr läßt uns auch in der Mittagsstunde Fixsterne erkennen. Hier sehen wir also im Modell die Sonne unter den Sternen ein- hcrwandeln und ihren Standpunkt von Tag zu Tag ostwärts verschieben. So dringen wir ins Innere der Natur! Vielleicht mag der eine oder der andere den Kopf schütteln über die Fülle der neuen Gesichte, die ihm da ausgehen. Aber die Erfahrung hat gelehrt, daß der Erkenntnisdrang stark genug ist, um einen mehrmaligen Besuch der gleichen Vorführung zu fordern. Er wird den gleiche» Stoff, jedoch von einem anderen Vortragenden, hören, und die erst so fremdartigen Anschauungen werden ihm in ihrer neuen Aus prägung vertrauter werden. Denn aus einem Lehrbuch allein lernt man nie bis auf den Grund. Wenn nun bald, noch in diesem Monat, das Planetarium seine Pforten öffnet, daun werden auch die Dresdner spüren, wie sehr dieser Sternenhimmel in der Kuppel geeignet ist, von den rauhen Gedanken des Alltags abziizichcn und hinauf- zuweisen in jene größere Welt, deren auch wir ein Teil sind! DreAreisträgerinnen des Schönheitswettbewerbes „Guck". Sitzend: 2. Pr et«: Nrl. H^einicke (link») 1. Preis: Nran Weltbrrcht (lMitte) 2. Preis: Iran Sandersoa (rechts) Stehend: 4. Preis: Frl. -Koban (links) 6. Preis: Irl. Osraeleff (lDkitte) 2. Preis: Irl. Pvffelt (rechts) Ärrfnahme von H). 2^. «Walther» Dreoden-R. 27. f Der „Nadiostudent". Mehr als 30 Colleges und Uni versitäten der Vereinigten Staaten sind jetzt mit Sende stationen versehen, außer denjenigen, die allgemeine Stationen benntzen. A» der Universität Ncuyork wird seit vier Jahren aus diese Weise gearbeitet, und das „Lustkollcg" ist ein in tegrierender Bestandteil des Hochschulbetriebcs geworden. «Aehnlich verhält es sich an der zweiten großen Universität Neuyorls, der Columbia-Universität. Die durch Radio ver mittelten Kollegien beider Hochschulen habe» mehrere tausend Hörer, die bis zum Mississippi wvhiicn. Man beschäftigt sich jetzt mit der Frage, wie der Radivstndent Zeugnisse und Uni- versitätsgradc erlange» könne. Uebrigens werden auch an der Pariser Sorbonne Vorlesungen auf die gleiche Weise gehalten. f* Ein neues Bali-Buch. Der bekannte deutsche Arzt Dr. Gregor Krause, der auf Bali tätig ist und als der beste Kenner dieser paradiesischen Insel gilt, hat das Bali-Buch, das Volk, Land, Tänze und Feste anf Bali schildert, neu hcransgegebcn. f Die neuen Fresken im Mainzer Dom. Kürzlich war be richtet worden, daß sich im Mainzer Dom durch die Restaurie- rungsarbciien, die im wcsenttichen beendet sind, unvermeidliche Zerstörungen an dem Veitsche» Fresken ergeben haben. Man beabsichtigt, neue Freske» erstehen z» lassen. Hierzu äußert sich die Kunstzeitschrift „Der Cicerone" wie folgt: Hoffentlich vollziehen sich hier keine Neberraschungen. Es handelt sich um eine Angelegenheit von künstlerischer Bedeutung, »nd es ist z» wünschen, daß die Vergebung des Auftrags nur an einen Künstler von Rang gelangt und die Ocfsentlichkcit davon er fährt. 1 Faksimiledruck eines Gauguinschcn Manuskripts. Die Marecs-Gesellschaft in Berlin bereitet eine bedeutsame Ver öffentlichung vor. Es handelt sich um den Faksimiledruck des be rühmten Originalmanuskiptes zu „Noa Noa", das Paul Gauguin in Tahiti schrieb »nd mit seinen schönsten farbigen Zeichnungen schmückte. ES ist das entscheidende Werk des Künstlers und eines der bedeutendsten Werke der modernen Kunst Europas. Erinnerungen eines russischen Theaterleiters. Soeben ist in russischer und englischer Sprache das seit langem erwartete Buch des weltberühmten Leiters des Moskauer Künstlertheatcrs, Stanislawski, erschienen. Das Buch umfaßt 2tz Jahre russischer Theatergeschichte und enthält überaus fesselnde Einzelheitc» über die Entwicklung des neuen russischen Theaterstils, der seinerzeit den Auftakt zur Bildung einer ganz Europa befruchtenden Thcaterknltur gab. Stanis lawski selbst kannte in seinem Leben kein Ausruhen auf Lor beeren. Seine Tätigkeit war unermüdliches Arbeiten und Fortbilden. Wie er selbst sagt, war er Zeuge einer ungeheuren Entwicklung aller Lebensverhältnisse. „Von einer Kerze bis zum elektrischen Scheinwerfer, von der Troika zum Luftschiff, vom Segelboot zum Unterseeboot, vom Feuersteingewehr zur Dicken Berta und von der Leibeigenschaft zum Bolschewismus." Sein Leben war im Gegensatz zu dem anderer großer Künstler von Kindheit an sorgenfrei und sogar glücklich zu nennen. Als Sohn eines reichen Kaufmanns kannte er in der Kindheit keine Not und konnte im Gegenteil das Leben mit vollen Zügen genießen. Im reichen Elternhause verkehrten die ersten literarische» und künstlerischen Kräfte des damaligen Ruß land. So lernte Stanislawski die Größen der Literatur und Bühne im vertranten Kreise persönlich kennen. Als junger Mann war er schon Direktor der russischen Musikgesellschasl und stand so im Mittelpunkt des künstlerischen Lebens. Eines Tages spielte er bei einer Dilettantcnvorstellung die Nolle eines Lebemannes in einem französischen Vaudeville von recht zweifelhaftem literarischen Wert. Als er auf der Bühne stand, gewahrte er plötzlich seinen Vater im Publikum. Stanislawski wurde eS schwarz vor den Angen, und er hatte kaum den Mut, die Nolle bis zu Ende zu spielen. Er schämte sich vor seinem Vater, dessen ausgezeichneten literarischen Geschmack er kannte. Der Vater sagte ihm auch seine Meinung, die die Schaffung des weltberühmten Moskauer Künstlcrihcatcrs zur Folge hatte. „Wenn du schon selbst spielen willst, so schasse dir einen an ständigen Kreis und einen guten Spiclplan. Spiel' nur nicht jeden Schund und noch dazu mit Gott weiß wem!" Der Ein druck dieser Mahnung war so stark, daß Stanislawski sofort den Moskauer Verein für Kunst und Literatur gründete, der sich später zum Moskauer Künstlcrtheater entwickelte. Unter den viele» Aufzeichnungen Stanislawskis über seine Rollen und die Inszenierungen, die er geleitet hat, ist das Kapitel über die Erstausführung vvn Ibsens „Volksfeind" be sonders fesselnd. „In diesem Stück", sagt Stanislawski, „hat mich am meiste» die Wahrheitsliebe des Doktor Stockmann an- gezogcn. Es war mir leicht, durch rosige Brillen dcS Ver trauens auf die Menschen zu sehen, ihnen zu glauben und sic aufrichtig zu lieben. In der Minute, wo Stockmann die Wahr heit erfährt, fürchtete ich Mich vor mir selbst. Ich war mit der Rolle so vollständig verwachsen, daß ich von Akt zu Akt empfand, wie Stockmann immer einsamer »nd einsamer wird, so daß mir zuletzt seine Schlußworte: „Der stärkste Mensch in dieser Welt ist der, der allein bleibt", wie von selbst von den Lippe» gingen. Von der Intuition kam ich rein instinktiv zu der äußere» Erscheinung Stockmanns, »wie sic durch seinen Charakter bedingt ist. Die Seele und der Körper StockinannS und Stanislawskis waren jetzt organisch eins geworden. Ich brauchte nur an die Sorgen Doktor Stockmanns zu denken, um mich plötzlich kurzsichtig zu fühlen. Mein Gang wurde schnellet, mein Körper beugte sich von selbst, der zweite und dritte Finger Meiner Hand spreizten sich beim Sprechen, wie »in meine Gefühle, meine Worte und meine Gedanken in das Innerste des Mannes hiiieinzusteckcn. Alle diese Kleinigkeiten kamen instinktiv und unbewußt zum Vorschein. Ich empfand die höchste Freude dcS Künstlers, anf der Bühne fremde Worte und fremde Handlnngcii als meine eigenen anszusprechcn und ansznführcii. Die Erstaufführung des „Volksfeind" in Petersburg fiel mit einem Nevolutivnstag zusammen. Am Tage der Premiere hatten die Studenten eine politische Demonstration vor der Kasan-Kathedrale veranstaltet. Sie wurden von der Polizei mit Klinten davongcjagt, wobei viele schwere Verletzungen er litten. Die Spannung im Theater war anf dem Höhepunkt. Im Znschancrraum sah man die Elite des intellektuellen Pu blikums — Akademiker, Künstler, Maler und Schriftsteller. AnS dem „Volksfeind" wurde ein revolutionäres Stück, ob wohl Doktor Stockmann die Masse verachtet und nur die In dividualität verherrlicht. Stockmann protestiert aber, spricht mittig die Wahrheit aus, und das genügte damals, um aus dein Stück ein revolutionäres Schauspiel zu machen und Stockmann als politischen Helden erscheinen zu lassen. Jedes Wort, das irgcndwie als Protest gedeutet werden konnte, wurde stürmisch beklatscht. Ich erwartete, daß der Vertreter der Zensur, der sich im Theater befand, die Vorstellung abbrechen würde. Bei de» Worten Stockmanns: „Man muß niemals einen neuen Anzug anzichcn, wenn man zum Kampf für die Freiheit und Wahrheit geht", erhob sich im Parkett »nd auf den Rängen ein iliigchciircr Beifallssturm. Das Publikum sprang van seinen Plätzen, stürmte an die Rampe und streckte die Hände nach mir ans. In seiner künstlerischen Laufbahn hat Stanislawski alle mögliche» Richtungen des Theaters erprobt und durchgeftthrt. Er fing mit dem historischen Realismus a». ging dann über die Phantastik zum Symbolismus und zum Impressionismus über, fand in Stücken wie dem „Volksfeind" Anklang an die sozialpolitischen Stimmungen: mit einem Wort, es gab wohc keine Richtung im bnntbcwcgten Theaterlebcn, der dieser geniale Bühnenleiter fremd geblieben wäre. Sogar auf dem Gebiete der Parodie hat sich Stanislawski betätigt. Aus den vom Moskauer Kttnstlertheatcr für seine Mitglieder während des Karnevals veranstalteten „Kohlabeiidcn" ist das später be rühmt gewordene Küiistlerkabarett „Die Fledermaus" ent standen. Bei diesen Abc»den wurde» von einer aiiSgclasscneii Künstlcrschar die unmöglichste» Scherze getrieben, wozu ein Orchester mit Donner, Schlachtenlärm und allen möglichen Ge räuscheffekten sogar den modernen Jazz vorausahnte.