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Dresdner Nachrichten : 07.09.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189909076
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990907
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990907
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-09
- Tag 1899-09-07
-
Monat
1899-09
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 07.09.1899
- Autor
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MA ^ ^ I 7. '^? ^ ^ ^ Q ^ L! ^ -2. r-^^ Z^V^oHHE^^ZAO - ZZZs-Z ^-d'-o ^ sr^Z 8 ZL S^-LGs-K Z <8 L.SAS 2^-i LZ SiL s"«L »«< d- ^ S LI r -;L » »-^ « Z «'U^zZl , «7 L s? o.s 8^-2^» Ki->ZL-iL> LL ^'Z^I -HM L>^^ WÄUMMZG KtsIUZLAs'SlM Z ^ S^ÄL§D 3l Seite 422. Belletristische Beilage zu der» »Dresdner Nachrichten-. Belletristijche Beilage zu den »Dresdner Nachrichten". Seite 423. Anderes als irgend eine Erscheinung mehr neben den übrigen, die bisher seinen Weg gekreuzt und seinen Blick wir Lust und Wolken an, Himmel wieder ent schwunden waren. Er that. als ob er von ihren lebhaften Gefühlen für ihn nichts merke, er sprach gütig mit ihr, aber über Gleichgiltiges. und als sie dos Haus erreicht hatten, bot er den Beiden Gute Nacht wie immer, nicht wärmer und nicht zurückhaltender, wie ein ruhig empfindender Freund, der von Freunden sich verabschiedet. Und auch vor dem Schlafengehen richteten sich seine Ge danken nicht aus sie. sondern aus den Erfolg, auf den Beifall der Menge. Ihn dmchdrana ein unendliches Jrohgeiühl, etwas zu sein, zu werden, eine an Sicherheit streifende Hoffnung, die Welt einst mit Großem zu überraschen. Als Paul Halbe am nächsten Morgen mit Eva und dem alten Listorff auf der Probe zusammentras, fand er in den Augen des Alten zwar den gewohnten warmherzigen Ausdruck, das junge Mädchen aber besaß in^ihrem Wesen etwas sehr Gezwungenes- Auch sagte sie beim Probiren der Scenen den Tezt ausdruckslos her und wich einer Umarmung, die zwischen ihr und Halbe im dritten Akt vorgeschrieben war. aus. Nicht minder überraschte ihn das Benehmen des Direktors Rickardi. Es kam kein Wort wegen der rückständigen Gage über seine Lippen. Er that, als ob Halbe gar nicht da sei, und als die Probe beendigt war. schickt? er sich an, ohne Halbe einen Gruß zu gönnen, die Bühne zu verlassen. Dadurch auf's Aeußerste gereizt, eilte Halbe seinem Ches nach, ries ihn, Während er über den Hos des Restaurantgebäudcs schritt, an und zwang ihn zum Stehenbleiden. .Nun, wie ist's, mein Herr?" stieß er. den Direktortitel sortlassend, heraus. »Sie hatten mir bereits gestern Abend mein Geld zugesagt. Es ist aber nichts erfolgt. Auch heute thun Sie. als ob ich Lust und als ob nichts zu erledigen sei. Ich habe aber nicht ferner die Neigung, mich so behandeln zu lasten. Meine Geduld ist am Ende. Nein, nein, lassen Sie mich erst einmal voll ausredcn. Dann können Sie sprechen! Ich habe einen Vertrag mit Ihnen geichlossen und aus diesem sind mir Rechte an Sie entstanden. Ich stehe Ihnen aber nicht nur als Mitglied Ihrer Truppe gegenüber, sondern als gebildeter Mann. Mein Name ist Paul Halbe; ich bin Doktor der Philo sophie und Leutnant der Reserve. Als solcher bin ich nicht gewohnt, daß man mich wie einen Dienstboten behandelt, wie es Ihnen beliebt, sondern mit artiger Rücksicht. Ich habe überdies den Beweis geliefert, daß ich kein Bühnenstammler bin, sondern ein ernsthafter Künstler. So, das habe ich Ihnen zu sagen und ein für alle Mal eriuchen wollen, sich des Ferneren einer Völlig anderen Halttmg gegen mich zu befleißigen!" .Jawohl, jawohl I Die soll Ihnen werden, mein Herr. Aber wesentlich anders, als Sie mir vorzuschreiben belieben!" sprühte der gereizte Mann. »Also, Ihr Geld können Sie erhalten. Sie können es gleich m meiner Wohnung in Empfang nehmen. Aber ans Ihr sogenanntes Künstlerthum können Sie anderswo pochen. Mit Ihrem Engagement bei mir ist's vorbei. Wenn morgen Abend die Vorstellung beendet ist, sind wir geschiedene Leute! Ich kann in meiner Gesellschaft nur Personen gebrauchen, welche die Fähig keit besitzen, sich als Glieder des Ganzen cinzujügen und ihrem Ehef die Ehr erbietung zu zollen, die ein solches Verhältnis von selbst mit sich führt. Sie nehmen einen Ton an, als ob Sie ein erster Stern, als ob Sie ein Devrient, ein Schröder, ein Davison seien. Ich aber kann Ihnen sagen, daß Sie vor läufig nichts sind! Ihre Leistungen sind mittelmäßig, und die Clnaue. die Sie gestern Herbeigerusen haben, war ungehörig. Es stören solche zudringliche Applaus« die Vorstellung. Ich kündige Ihnen wegen Aufsässigkeit und werde Ihnen die Gage für diesen Monat erst zahlen, wenn Sie sich feierlich vor dem Personal bei mir entschuldigt haben. So. nun leben Sie wohl!" Damit drehte er Halbe den Rücken und eilte durch den bedeckten Gang auf die Straße. Aber Halbe ließ sich durchaus nicht so abseitigen. Daß der wortbrüchige Mann ihn nun abermals um Höhlung der rückständigen Gage bringen wollte, eben sie zugesagt und nun wieder nur Worte gemacht hatte, erbitterte ihn bis zur Empörung. Im Nu war er hinter ihm her und sprach mit fester Stimme: „Wollen Sie die Restgoge bezahlen oder nicht? Sagen Sie nein, so mögen Sie wissen, daß Sie beute Abend eine öffentliche Auf forderung in der Zeitung finden werden. Ich begebe mich direkt auf die Redaktion I" „Nein, nein, nein! Nun gerade nicht I" ries Rickardi und ballte die Wüste. „Und das ist gesetzwidrige Nöthigung. Tie gehört vor den Staats- onwal'.. Sie sollen mich noch kennen lernen. Ich werde abwarten, ob Sie die eben ausgesprochene Drohung ableugnen werden? Ich werde Ihnen den Eid zuschieben!" I „Sie sind ein gemeiner Lump und wortbrüchiger Schuft, Herr Direktor Rickardi!" stieß Paul, sich und den Mann in eine stille Nebengasse ziehend, heraus. „Dieses Wort können Sie dem Staatsanwalt auch noch melden. Und wenn meine Fäuste nicht zu vornehm wären, sich mit Ihrem elenden Schädel zu beflecken, so würde ich Ihnen das ganze miserable Machwerk der Natur einschlagen! Und bei meiner Erklärung bleibt's! Ich fordere Sie heute in der Zeitung mit meinem Namen auf. Ihren Verpflichtungen nach- zukommen. wenn Sie mir nicht innerhalb zehn Minuten das Geld — Alles bis auf den heutigen Tag — hier drüben in die Konditorei schicken! Ihre Kündigung nehme ich im Nebligen an und werde morgen zum letzten Mal Mitwirken! Das ist mein letztes Wort!" Nach dieser Erklärung begab sich Halbe in die von ihm bezeichnete Räum lichkeit, ließ sich ein Glas Wein reichen und wartete, die Tagesblätter durch blätternd. den weiteren Verlaus der Dinge ab. Aber es geschah nichts, wohl aber betrat zufällig Doktor Engel, der Recensent, die Raume, erkannte Paul, bat, sich zu ihm setzen zu dürfen, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nachdem er von Halbe erfahren hatte, daß sie eigentlich Kollegen seien, gab er sich doppelt warm und zuvorkommend und lud auch Paul, bevor sie sich wieder zu trenne» anschickten, zu einem Zusammensein am Abend ein. Während sie nach Verlassen der Konditorei über die Straße schritten, entwarf rhm Halbe auch noch eine Schilderung des soeben stattgesundenen Vorganges. Er erklärte, daß er im Begriff sei, sich zur Redaktion zu begeben, um sich so sein Recht zu suchen. Einen Augenblick sann Engel nach. Dann sagte er: „Thun Sie's einst weilen nicht Ich bitte! Ich will die Angelegenheit heute Nachmittag nach Schluß der Schule für Sie in Güte zu vermitteln suchen!" Halbe nickte erfreut. Es entsprach durchaus seinem Naturell, allen öffent lichen Lärm nach Möglichkeit zu vermeiden. Er dankte Engel mit warm empfundenen Worten, und nach einer Feststellung der Stunde ihrer Wicder- begegnung trennten sie sich. Als Halbe nach Hause gekommen war, setzte er sich sogleich nieder und schrieb an eine Theater-Agentur in Berlin und ersuchte sie, sich für ihn wegen einer anderen Stellung umzusehen. Er berichtete, daß Uneinigkeiten den Kontrakt gelöst hätten und erklärte sich zur Zahlung derselben Vermittelungs gebühren bereit, zu denen er sich der Agentur gegenüber für dies Engagement hatte verpflichten müssen. Freilich fiel's ihm jetzt auch plötzlich schwer auf die Seele, daß eine neue Stellung vorläufig nur eme bloße Hoffnung war. daß er morgen nun wieder ebenso weit sein werde wie vor Monatsfristen. Ein Laut starker Bedrückung entwand sich seiner Brust, und auch etwas von Nnmutb gegen sich selbst wollte sich einstellen, daß er den Nacken wieder zu steif gehalten, noch nicht gelernt, besser zu schweigen, nicht die Weltklugheit über den augenblicklichen Impuls seines Inneren gestellt hatte. Im Zorn, sagte er sich, nicht nur zu bemerken, daß die Leidenschaft sich zum Herrn zu machen anschicke, sondern zu verstehen, sie wiederum zum Diener herabzudrücken, sei eine der größten Künste, aber auch das erste Erforderniß eines reifen und besonnenen Menschen. Linen so eitlen und moralisch niedrig stehenden Mann wie Rickardi, mußte man entweder meiden oder ihn klug zu nehmen wissen. Nur dann war mit ihm zu paktiren. Halbe s üble Stimmung wurde noch mehr verschärft, da ihm Listorff bei einer Begegnung am Nachmittag, kurz bevor er sich zu Doktor Engel begeben wollte, die Mittheilung machte, dag Eva heftig erkrankt sei. Sie liege im Fieber, Nage über furchtbares Kops weh und weine fortwährend. Und Paul wußte, was Schmerz der Enttäuschung, aber eben doch nur Mitleid, er abgeschworen. Nimmermehr! Auch für sie gab's ein Heilmittel, das er selbst erprobt hatte — den Willen und die Zeit. Er sprach deshalb auch Listorff nur einige warm empfundene Worte des Bedauerns aus und eilte dann rasch in Engel s Wohnung. Paul tras den Doktor in seinen in einem Vorgarten belesenen Parterre- räumen mit dem Korrigiren von Schülerheften beschäftigt. Gerade legte er das letzte sott. Bei Halbe's Eintreten sprang er, Pauls Entschuldigung wegen der Stör ung in gütigster Weise begegnend, sogleich empor, nöthigte ihn auf's Zuvor- kommcnste, sich niederzusetzen und erklärte, den blonden Vollbart streichend und sein freundliches Auge auf ihn richtend, daß er allerdings nicht vollauf das erreicht hätte, was er gefordert habe. Ter Direktor wolle erst bezahlen, wenn Halbe am folgenden Tage sich seiner Rolle entledigt hätte. Verhalte er sich bis dahin ohne Streit und spiele er seine Partie nach Erforderniß, so werde er ihm den gesummten Rückstand anshändigcn. Er weigere sich aber, ihn ferner zu beschäftigen. Den Vertrag erkläre er wiederholt als gelöst. „Und welche Garantie gab er, daß er mir wirklich zahlen wird ? Er hat schon so oft sein Wort gebrochen, daß mir jeder Glaube au seine Zuverlässig keit fehlt." Doktor Engel zuckte die Achseln. „Allerdings! Len Fall habe ich nicht in Betracht gezogen," stieß er heraus. „Ich werde mich aber gleich wieder zu ihm begeben und ihn zur Aushändigung des Bettages an eine dritte zuverlässige Perlon zu veranlassen wissen. Sind Sie dann einverstanden?" „O gewiß, gewiß! Ich bedauere nur, daß ich Ihrer Güte noch größere Lasten aufbürde, hochverehrter Herr Doktor! Ich danke Ihnen von Herzen. Mit Ihrer Genehmigung werde ich Ihre Rückkunft hier abwarten!" ihr wirklich fehlte. Sie litt sicher unter dem Und Mitleid darüber erfüllte auch seine Brust, Sich abermals an ein Weib zu hängen, hatte Es war am Abend des folgenden Tages, als Paul Halbe über den das Vordergebäude mit den Theaterräumen verbindenden, naßkalten, mit Gerümpel angefüllten Hos schritt, um sich in die Garderobe zu begeben. In einer Stunde sollte die Vorstellung des Schauspiels von Richard Voß: „Schuldig" stattfinden, in dem Paul den Sohn des des Mordes angeklagten Gefangenen zu spielen hatte. Halb war er mit seinen Gedanken bei der Rolle, in die er sich noch mehr hineinzuleben versuchte, halb bei den Geschehnissen des gestrigen Tages. Direktor Rickardi hatte die Forderung des Doktor Engel, die Gage für Paul bei einer dritten Person zu oeponiren, schroff abgelchnt. Es liege, hatte er brüsk erklärt, in dieser Zumuthung ein Mißtrauen, das er als eine berech tigte Vorsicht anerkenne, falls er dem Ansuchen nachgebe. Infolgedessen war der Vermittler unverrichteter Sache wieder zurückgckehrt und Paul Halbe befand sich abermals auf dem alten Punkt. Aber noch etwas Anderes beunruhigte ihn, und das noch weit stärker. Eva Magnus' Befinden hatte sich außerordentlich verschlechtert; sie hatte eine sehr schlimme Nacht verlebt. Ihr Zustand war nach des Arztes Aussage bedenklich. Aber damit nicht genug! Die Sorge und Angst um die Kranke hatte aus Listorff dennaßcn eingewirkt, daß auch er das Bett hüten mußte, und nur sein Pflichtgefühl trieb ihn, trotz seines leidenden Zustandes, am Abend aufzustehen und sich in's Theater zu begeben. Als Halbe ihn wiederholt gebeten hatte, davon abzustehen, jedenfalls nicht ohne des Arztes Zustimmung irgend etwas zu unternehmen, war er tauben Ohren begegnet. Er könne doch die Mitglieder nicht im Stich lassen! Wer denn sousfliren solle? Auch könne er seine Stellung auf's Spiel setzen. Schon einmal während dieser Saison habe ihm Rickardi erklärt, daß er ihn nur aus Rück sicht behalte, daß er zum Sousfliren eigentlich zu alt geworden sei. Während Paul die defekte Treppe zum Hühiienraum einporslieg. Lber- fie. ihn unter der Einwirkung all'seiner Sorgen plötzlich ein nicht so bannendes Sehnsuchtsgefühl, nach Bründe zurückzukehrcn, sich in die dortige sanfte Stille des Hauws und an die Brust seiner Mutter zu flüchten. Hatte er auch seinen Vater für immer verloren — sie, seine Mutter war, er wußte es — dieselbe geblieben. Bei ihr fand er das, wonach ihn in dieser Stunde tiefer Einkehr ungestüm verlangte. Wie war die Welt so kalt. Wie selbstsüchtig waren die Menschen! Wie viel Elend und Noth gab's und wie unzulänglich waren die Mittel, zu helfen, einzngreifen! Wie viel hatte ein Jeder mit sich zu thun > Und eben bei diesen Vorstellungen gelangte Halbe wieder zu sich selbst, überlegte, was nun werden, wie er ohne icglichen Mittel überhaupt die Stadt verlassen sollte. Zugleich bettat er die Garderobe. Aber heute war überhaupt ein Tag voll Widerwärtigkeiten. Der Friseur hatte, wie sich kurz vor Beginn der Vorstellung herausstellte, die Perrücke, über die Halbe schon Tags vorher mit ihm eine Abrede getroffen, nicht nur nicht milgebracht, sondern überhaupt für eine Licbhabcrvorstellung verliehen. Was sonst, vorhanden war. paßte nicht. Auch gelangte Paul mit dem stets zu Händel aufgelegten Regisseur in einen Wortwechsel. Puls erging sich vor Beginn des zweiten, in der Kellerrestauration der Familie des Gefangenen spielenden Aktes in brutale Scheltworte gegen den Theatenneisler, weil der für diesen Zweck herznslellende Hintere Aufbau nach seiner Meinung nicht rasch genug von Statten ging. Als Paul, empört über dieses rohe und ungerechte Verfahren gegen einen Pflichttreuen Arbeiter, für selbigen das Wort ergriff, nahm Puls die Gelegen heit wahr, seinem ganzen, gegen Paul Halbe ängesainmelten Ingrimm Aus druck zu verleiben. Er habe sich nicht in Tinge zu mischen, die ihn nichts angingen. Er möge sich um seine eigenen Angelegenheiten bekümmern, überhaupt endlich einmal lernen, daß an dieser Bühne nicht der Ort sei. fortwährend seine Per sönlichkeit auszuspielen und deswegen Acrgerniß zu erregen. Alle Mitglieder würde glücklich sein, wenn er, wie man höre, heute zum letzten Male anftrcte. Das möge er sich hinter die Ohren schreiben. Irgendetwas auf die unverschämten Reden zu entgegnen, blieb für Halbe keine Zeit und Gelegenheit, da gerade eben die Musik abjetztc und die Vor stellung wieder ihren Fortgang nahm. Infolgedessen trat Halbe, ohne der Erregung in seinem Inneren Lust gemacht zu haben, aus die Bühne, vermochte trotz eifrigen Bemühens die Herrschaft nicht über sich selbst zurückzugcwinnen, und verlor das Gedächtniß für seine Rolle. Er mußte sich ganz auf Listorff verlassen, und Listoifs sprach wegen seiner starken Unpäßlichkeit mit io heiserer, schwacher und undeutlicher Stimme, daß Paul stecken blieb und sicherlich die ganze Scene und wohl gar den ganzen Akt zu Fall gebracht haben würde, wenn nicht auch den übrigen Schauspielern plötzlich die Worte versagt wären. Hülfe suchend, starrten sie auf den Souffleurkasten, aus dem zuletzt über haupt kein Laut mehr hervordrang. Der Vorhang mußte mitten im Spiele fallen, und als der erregte Direktor Rickardi an den Souffleurkasten stürzte, sich nicdcrbeugte und den, wie er hämisch verkündete, sicher betrunkenen alten Schuft ansprach und heftig rüttelte, erfolgte auch jetzt kein Laut, erfolgte deshalb nichts, weil Listorff, wie der später herbeigerusene Theatcrarzt erklärte — todt, weil ec einem Schlagansall erlegen war. Dieser Vorfall wirkte so erschütternd aus die anwesenden Mitglieder, daß sie Alle, auch Halbe nicht ausgenommen, erklärten, heute nicht ferner agiren zu können. Dem Publikum wurde eröffnet, was geschehen war, und es wurde gleich zeitig hinzugefügt, daß der für den Sitzplatz bezahlte Betrag allen Denen, die es verlangen würden, zurückvcrgütet werde. Im Falle der Verzichtleijtnng solle der Eingang für die Bestattungskosten des Todlcn und für Pslegekosten seiner schwer darnieder liegenden Enkelin Fräulein Eva Magnus verwendet werden. Wirklich erfolgte auch nach dieser Ansprache die Rückvergütnng an der Kasse zunächst an die Logen- und Galerieplatzbesitzer, und nach "Aufhebung der von dem Direktor für die Pargnet- und Parterrcbcsucher vorläufig an- geordnete Sperre, später auch die Auszahlung der gezahlten Rcträge an diese. Und wie ein Tollwüthiger rannte Rickardi dann ans der Bühne umher. Verwünschte die Lebenden und den Todten und überschüttete Halbe, als dieser sich von ihm verabschiedete und nach der Abrede den Rückstand der Gage erbitten wollte, mit einer Fluth von beleidigenden Reden. Er möge sich sammt seinen vcrmeindlichen Ansprüchen zum Teufel schccren. Er habe Alles verwirkt, da er seine Rolle nicht gelernt hätte. Jeder der An wesenden werde bezeugen, daß er sich lediglich auf den Souffleur verlassen habe. Nur unter der Bedingung tadelloser Absolvirung der ihm übertragenen Aufgaben habe er Doktor Engel die Erledigung der Geldangelegenheit denn zu- aesagt. Und endlich nnd zuletzt: Er. Halbe, sei, er wiederhole früher Gesagtes, entlassen und möge sich aus der Bühne nicht ferner aus dem Engagement mehr sehen lassen. Als Paul, obschon bebend wenigstens um den Rückstand erklärte, daß er mit Begleichung auch mit der Aufhebung der bisher! rief ihn Rickardi höhnend zu: „Seil Er biß die Zähne zusammen, begab sich in den Kellerroum, woselbst man den Verstorbenen eben auf eine Bahre gelegt batte, um ihn in die Tobten- kammcr des städtischen Krankenhauses zu überführen, gab. Thränen im Auge, zunächst dem alten Bühnenstteiler das Geleit und trat erst dann, gegen neue Gemüthserregungen sich wappnend, den Weg nach Haine an. Aber an diesem Tage sollte Paul Halbe Schicksalswandlungen und Lebensdrangsale von Grund auf kennen lernen. Während er. nach Hause zurückgekehrt, noch mit der Frau des Tapezirers über das Geschehniß im Theater, aber auch über die nunmehr in wilden Krämpfen daliegende, auf Anlaß des Arztes von einer Schwester bediente Kranke, über Eva sprach, wurde noch spät an der Hausglocke gezogen und von dem vor ihren Augen erscheinenden Telegraphenboten eine an Paul gerichtete Depesche übergeben. Abermals Schlimmes ahnend, öffnete Paul das Schriftstück hastig und las Und nachdem er gelesen, griff er unwillkürlich nach der Lehne des Stuh.es. „Komme sofort. Dein Vater hoffnungslos krank I" stand geschrieben. „Geht noch an diesem Abend ein Zug nach dem Norden?" flogen die Worte über des geprüften Mannes Lippen. Die Wirthin nickte. ..Ja. ich weiß es. Meine Nichte reiste vor wenigen Tagen mit dem Ein-Uhr-Nachtschnellzug nach Hamburg!" „Dann will ich sogleich packen und damit auch reisen." Aber schon während Halbe noch redete, fiel ihm ein, daß er kein Geld besaß. Er hatte weder solches, um seine Miethe zu bezahlen, noch irgend welches, um die Reisekosten aufzubringen. Seine edelmüthige Zuvorkommen heit gegen Rickardi im vorigen Monat hatte ihn um Alles gebracht. Sie verhinderte ihn jetzt, an das Sterbebett seines Vaters zu eilen. Unwillkürlich ballten sich des Mannes Hände. Ein rasender Ingrimm gegen den gewissenlosen Schurken ergriff ihn. eine solche Auflehnung, daß er mos stumm das Haupt gegen die Wirthin neigte und sich dann sogleich wieder auf die Straße begab. Wahrscheinlich würde sich Rickardi im Theater-Restaurant befinden. Tahin wollte er sich begeben und ihn. die Depesche in der Hand, zur Zahlung der rückständigen Gage nochmals auffordern. Eine leiie Hoffnung erfüllte ihn zudem, daß er vielleicht dort noch Tvktor Engel würde treffen können, daß dieser ihm schlimmsten Falls den Betrag, dessen er benöthigt war. vorschießen würde. Was regte sich nicht Alles in dem Manne, während er dahinstürmte. Sein Vater todlkrank, hoffnungslos! Vielleicht schon dem Sterben geweiht, bevor sie sich versöhnt hatten! Nur das nicht! Und andere Ge danken kamen ihm. Hatte nicht sein Vater N^cht behalten? Mußte er nicht zugcbcn, daß alte Erfahrung und Weisheit über der Jugend Besserwissen stand ? Was hatte er nicht Alles während dieser Jahre erlebt! Ein Ringen, ein Kampf ums Dasein war's gewesen, und nirgend streckten die Nattern Neid und Mißgunst ihre Zungen so gierig aus wie in der Welt der Coulissen und Schminke. Stach kaum zehn Minuten erreichte Paul das Ziel seiner stürmenden Eile, betrat das Restaurant, umfaßte mit einem kurzen, raschen Blick, was sich dem Auge bot. und hielt, da er Den fand, welchen er suchte, auch nicht einen Augenblick mit der Ausführung seiner Absicht zurück. „Ich bitte, Sic aus kurze Zeit sprechen zu dürfen, Herr Direktor Rickardi!" Hub er, sich an den im Kretze mehrerer Hühnenmitatteder sitzenden Direktor wendend, in dringender, aber höflicher Weise an. „Es liegt auch in Ihrem Interesse! Es ist soeben etwas geschehen, was eine sofortige Unterredung erheischt —" „Ich habe niit Ihnen nichts, gar nichts mehr zu reden nnd zu verhandeln," gab Rickardi zurück und drehte Paul den Rücken. „Ich denke, ich habe es Ihnen nunmehr deutlich genug gesagt, und ich möchte endlich ein Ende haben !" „Und ich erkläre Ihnen, daß ein Unglück geschieht, wenn Sie nicht sogleich mit niir in s Nebenzimmer gehen und mich anhören!" zitterten die Worte aus Halbe's Mund. Und als sich Rickardi dennoch nicht rührte. Halbe vielmehr mit derselben rücksichtslosen Impertinenz begegnete, mit derselben, mit welcher der Durch schnitt der Menschheit etwa einem zudringlichen Bettler begegnet, riß dem Erregten jählings der letzte Geduldsfaden. Ohne ei» begleitendes Wort zu sprechen, streckte er seine Rechte aus, packte Rickardi an die Brust, riß ihn mit einem Ricscnruck arls dcm Kreis der Zecher heraus, schüttelte ihn wie einen Sack, schob ihn gegen die Wand und hauchte, de» Bezwungenen mit eisenfefter Hand haltend: .Hier vor dem gesammten Publikum will ich es verkünden und alle Anwescudc» zu Zeugen und Richtern aufrufen: Die elende Kreatur, die ich hier halte, die ich in meiner grimmigen Empörung mit einem einzigen Schlage in's Jenseits befördern könnte, flehte mich rm vorigen Monat an. mit der Hälfte der ästige zu warten. Ich that's! Ich that's deshalb, weil ich dem Grundsatz huldige, daß wir Menschen uns brüderlich helfen und stützen sollen Ich that's. objchon ich mich selbst in schwerste Verlegenheit brachte. Und wie loluite diele Aus geburt von Niederträchtigkeit nur diese Zuvorkommenheit? Er leugnete nicht vor Empörung, dennoch in ruhiger Weise aus dem vorigen Monat ersuchte, Rickardi dieser Summe sich begnügen wolle, endlich engen Beziehungen völlig einverstanden sei. . . , . . ... eien Sie froh, daß ich Sie nicht wegen des heutigen Ausfalles auf Schadenersatz verklage!" und verließ, bevor Halbe überhaupt wieder zu Worte gelangen konnte, mit dem noch anwesenden Puls den Bühncnraum. Für Augenblicke überlegte der In solcher Weise behandelte Mann, ob er dem schurkischen Menschen Nacheilen und ihn zu Boden schlagen solle! Seine Sinne waren in einem tobenden Aufruhr; nur Durst nach Vergeltung be herrschte ihn. Aber dann siegten doch Vernunft und Selbstzucht. nur die Thatsache mit frecher Stirn ab nnd verweigerte somit die Zahlung, sondern er erfand — mir zugleich kündigend — die gemeinsten Vorwände, um mich nm das Honorar für den lausenden Monat zu bringen. Aus Herrn Doktor Engel's energische Vorstellung bcgucmte er sich endlich zu dcm Zu- ' gcständniß meiner Rechte, versprach heute nachträglich seinen Verpflichtungen - nachzukommcn, drehte mir aber aus der Bühne den Rücken, als ich «hn i erinnerte und rief mir zu. er bezahle nichts, ich möge froh sein, daß er mich ' nicht noch aus Schadenersatz verklage. Auch wiederhole er. daß ich entlasten fei. Und immer und nochmals blieb ich ruhig und begab mich heute Abend nach Hause, und nun waren Sie Alle Zeugen, daß ich ihn höflich um eine Unterredung bat. Ich mußte cs, weil ich iveben die Nachricht erhielt, daß mein Baker im Sterben liegt. Mctne Mutter rust mich noch in dieser Nacht in die Heimath zurück. ctzortlctzung LonnIoz.Z
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