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Die Bersasslmgsseier im Reichstag. Ansprache -es Abg. v. Kar-orsf un- -es Reichskanzlers in Anwesenheit -es Reichspräsidenten. Die Hinrichtung Saccos und Danzeilis verschoben. - Die Pariser Presse über -en Entschlich zur Herabsetzung der Rheinland-Truppen. Die ossizielle Feier -er Behörden. Berlin, 11. August. Von warmem Soinmerwetter bc» ünstigt, hat die Verfassungofeier im Reichstag einen glänzen, en und eindrucksvollen Verlauf genommen. Bor der großen Freitreppe nach der Siegessäule zu waren zwei hohe Flaggen, maste ausgestellt morden, von denen die schwarz.rot. goldene Fahne -er Republik und die Handelsflagge des Reichs 1s chwarz. weiß-rot mit der schwarz-rot-goldenen Äöschj wehten. Der große Sitzungssaal des Reichstages war in ähnlicher Weise wie bet früheren Anlässen festlich mit Tannltngrün und mit den Wappen der Länder ge schmückt. An dem Platze des Präsidenten war der Reichs- adltr angebracht und der Borspruch der Weimarer Ver fassung: „DaS deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit, in Gerechtig keit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen, und den gesellschaftlichen Fort schritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben." Der Tisch des Präsidenten und der Schriftführer war mit einer großen Reichsflagge bedeckt. Auch die Rednertribüne und die Regterungsestrade waren in den Farben der Republik ge- schmückt. Um 11,25 Uhr fuhr der Herr Reichspräsident von seinem Palais in der Wilhelmstraße zum Rcichstagögebändc. In dem ersten Kraftwagen nahm mit dem Herrn Reichs präsidenten nur der Reichskanzler Dr. Marx Platz,- im zweiten Auto folgten die Staatssekretäre Dr. Meißner »nd Dr. P ii n d e r sowie Major v. Hindcnbnrg. Am Portal IV des NeichstagSgebäudeö erwarteten Ncichsminister v. Keubell, der Chef der Heeresleitung General Heye, der preußische Ministerpräsident Dr. Brau n und Reichstags- Präsident Löbe den Herrn Reichspräsidenten, der sich nach kurzer Begrüßung mit den Herren v. Kendell, Heye und Lobe in die Diplomalenlvge des großen Sitzungssaales be gab, in der außerdem noch Staatssekretär Dr. Meißner und Major v. Hindcnbnrg Platz genommen hatten. Der Reichskanzler, der Reichspräsident, der preußische Ministerpräsident und StaatSsokretür Dr. Pündcr nahmen aus der RegierungSestradc Platz In dem Augenblick, in dem der Herr Reichspräsident von der großen Versammlung durch Erheben von den Sitzen ehrerbietig begrüßt mit den ihn be- gleitenden Herren in der Loge Platz, nahm, begann die Feier mit dem Vortrag von Gvetheö „Talismanen" iGottes iß der Orient usw.i, vorgctragen von dem Sprechchor an der Universität Berlin und an der deutschen Hochschule für Leibesübungen (Sportforums unter Leitung von Dr. Wilhelm Lenhausen und unter Mitwirkung von Frl. Annemarie Loose und Herrn Walter Franck. Entstehung, Wesen und Bedeutung der ReichS- »erfassung würdigte als Hauptredner Abgeordneler v. Äardvrff: Herr Reichspräsident, meine Damen und meine Herren! Wir haben uns heute hier zusammengesunden, um die Ber- jassungsseier zu begehen. An diesem Tage soll der Partei- streit ruhen und an ihm wollen wir uns aus das besinnen, was uns alle eint. Wir feiern diesen Tag, weil an ihm u»S wieder sester RechtSboden unter den Füßen wurde. Mit diesem Tage hatte das Chaos sein Ende erreicht. VaS das bedeutete, werden wir nur begreifen, wenn wir die Blicke zurücklenken nach dem November des Jahres 1818. Was erlebten wir da? In wenigen Tagen ward das stolze Reich, da« vier Jahre hindurch einer Welt von Feinden getrotzt hatte, «in Haufen von Trümmern. Wir standen plötzlich a m Rande des Bolschewismus. Tie Arbeiterräte und die Sol datenräte beherrschten das Feld. Da haben uns zwei Männer rnit ruhiger und sester Hand vor dem Untergang bewahrt: Hindenburg »nd Ebert. Htndenburg führte unter übermenschlichen Schwierig keiten die Armee geordnet in die Heimat zurück, eine Leistung, die vielleicht ihresgleichen in der Weltgeschichte sucht. Ebert schrieb die Wahlen zur Nationalversammlung aus. Diese von Friedrich Ebert ctnberuscne Nationalversammlung gab uns die Weimarer Verfassung, in einem Augenblick, als wir innenpolitisch bedroht waren durch Bolschewismus und Kom munismus und außenpolitisch bedroht durch den kommenden Frtedensvertrag. In dieser Zeit beispielloser Bedrängnis schuf sich das deutsche Volk diese Weimarer Verfassung. Sie tvar ein Bekenntnis zur Einheit des Reiches, zum arohdeutschen Gedanken, zur freiheitlichen und friedlichen Entwicklung Deutschlands auf demokratischer Grundlage. Die Weimarer Verfassung hat uns den Volksstaat gegeben, sie ruft jeden deutschen Mann und jede deutsche Frau zur Mit arbeit am Staate auf. Niemand hat heute das Recht, nur an sich zu denken. Mehr als je gilt heute, daß jeder so handeln sollte, al» ob von ihm allein das Schicksal seines Vaterlandes abtinge. DaS ist die historische Bedeutung der Weimarer Ver fassung und des heutigen TageS. Das müssen auch diejenigen anerkennen, die aus innerster politischer Ueberzeugnng gegen diese Verfassung gestimmt haben. Zwei Fragen sind es. die die Weimarer Verfassung geregelt hat und die bi» zu diesem Tage im Mittelpunkt de» innerpolitischen Streite» stehen: Dt« Fr««« der «t««t»s»r« ««d di« Flaggensra««. Daß in einem Lande mit stolzer monarchistischer Vergangen, eit viele sich nicht leichten Herzens zur deutschen Republik ekcnncn könne», liegt klar am Tage. Aber darüber kann kein Zweifel sein, daß ein aus den Umsturz der republikanischen Staatssorm gerichteter Kamps innenpolitisch den Bürgerkrieg und außenpolitisch ein Zurückgeworsenwerden aus die Tage von Versailles bedeuten würde. Bet der Gesamteinstellung der Welt uns gegenüber muß jeder sich sagen, daß wir nur durch die deutsche Republik Deutschland zur Freiheit und zum Frie den führen können. Und wir alle müssen bekennen, daß die Liebe zum Baterlaude. zum Staat, zur Heimat »ns höher stehen muß als die jeweilige Staatssorm. Wenn ich somit fordere, daß die heute geltenden Neichs- farbcn geachtet werden, so fordere ich zugleich das gleiche Maß von Achtung auch für Schwarz-Weiß-Rot. Sehwarz-Weiß-Rot mit der Gösch ist die gesetzlich festgesetzte Handelsflagge, unter der die deutschen Schiffe die Meere durchqueren. Schwarz°-Wciß-Rot ist das Sinnbild der deutschen Vergangenheit. AIS daß Reich geeint, wählte eS diese Farben. Wenn während des Krieges stolze Siegesnachrichten nach der Heimat drangen, da flaggten wir Schwarz-Wettz-Rot. Unter dieser Flagge hat die deutsche Ware auf deutschen Schiffen sich den Weltmarkt er obert. Diese Flagge war geliebt von der Heimat und geachtet von der ganze» Welt. Wir werden ein einheitliches Volk nur werden, wenn wir nnS gegenseitig achten, begreifen und ver. stehen lernen. Mit der Liebe zu dem Deutschland von heute müsse« wir die Achtung sür das Deutschland der Vergangen, heit verbinden. Ich würde eS für ein schweres Verhängnis halten, wenn wir je die Verbindung mit der Vergangenheit ablehnen wollten. Unsere Geschichte ist reich an Tragik und in ihr liegen die Höhen und Tiefen dicht nebeneinander. Und cs ist auch ein gut Stück Tragik deutscher Geschichte, daß, als der EinhcitStraum im Jahre 1871 erfüllt war, sich in den kommenden Jahren zwei dunkle Schatten ans das politische Leben dieses Volkes legten, nämlich der Kampf gegen die plötzlich er- stärkende A r b e i t e rbe w c g u n g und der Kulturka m p f. Die bürgerliche Gesellschaft hat die neue Arbeiterbewegung nicht verstanden, man glaubte sie mit dem Sozialistengesetz be kämpfen zu müssen. Die Nachwirkungen spüren wir noch heute. In keinem Laude der Welt steht sich Kapital «nd Arbeit so feindlich gegenüber als bei uns in Deutschland. Aber wir brauchen heute mehr als jemals zuvor den Staat als die Idee der sittlichen Gemeinschaft der Nationen. Dafür brauchen wir ein Ethos, das in die Tiefe der geistigen und sittlichen Kräfte unseres Volkes htnabreicht, und dieses neue EthoS kann nur auf die letzte Synthese von Nationalstaat «nd sozialer Gerechtigkeit aufgobaut werden. Nur wenn es uns gelingt, die breiten Avbeitermassen als tragenden Pfeiler in den heutigen Staat eiuzubauen, sie mit Freude am Staat und mit Verantwort- keitsgesühl gegenüber dem Staate zu erfüllen, nur dann wer den wir besseren Zetten entgegengehen. Es liegt nicht so, daß die eine Schicht auf Kosten der anderen gerettet werden kan». Wir werden gemeinsam gerettet werden oder wir werden ge meinsam «ntergehen. Und bann -er Kulturkampf. Auch seine Aus- Wirkungen spüren wir noch heute. Uns ist, wie es ein moderner Historiker gesagt hat, das furchtbare Erbe des reformatorischen und des nachreformatorischen Zeitalters, der konfessio nelle Zwiespalt in die Wiege gelegt. Wir müssen be- strebt sein, diesen Gegensatz in gegenseitiger Toleranz aus- zuglcichen und zu überwinden. Wir müssen es halten mit jenen Worten eines friedliebenden katholischen Kirchen- sürsten, der einmal gesagt hat: Es soll ein großer Kampf sein zwischen den beiden großen Konfessionen und dieser Kamps soll darin bestehen, daß die eine Konfession die andere in der wahren Betätigung christlicher Nächstenliebe zu übertresfen sucht. Sind die erwähnten Gegensätze ein Hindernis für die positive Arbeit zum Wiederaufbau unseres Vaterlandes, so kommt ein weiteres Erschwernis hinzu: wir sind kein Einheitsstaat. Wohl hat die Weimarer Verfassung uns auf dem Wege zum Einheitsstaat ein großes Stück nach vorwärts gebracht, aber vieles bleibt zu tun übrig. Wir werden auf diesem Wege unter Schonung des historisch Gewordenen und organisch Ge- machscnen weiter fortschretten müssen. DaS Verfafsnngslebcn eines Volkes duldet keinen Stillstand. Auch hier ist Stillstand Rückschritt. Unter Festhaltung ihrer Grundlagen wird man die reformierende Hand dann an sie legen müssen, wenn ihre Bestimmungen mit den staatlichen und wirtschaftlichen Inter essen des deutschen Volkes nicht mehr in Einklang stehen. Nicht diejenigen sind di« wahren «nd wirklichen Hüter der Berfaffun«, die sich «rnudsLtzlich «egen jede Aendernng sträuben, sondern sehr vielmehr diejenigen sind di« wahren BerfaffnngSfreunde, die a«S den Srsahrungen lernen, die man mit dieser »der jener verfaffunaSvorschrtst gemacht hat, «nd die gewillt sind, wo eS nut tut, die bessernd« Hand anznlcgcn. Und wenn wir auf eine Stärkung der RetchSgcwalt gegenüber den Ländern Wert legen, so glaube ich, daß wir gut daran tun werben, im Reiche di« Stell»«« de» Reichs präsidenten ,« hebe« «nd ,« stärke». Der Rektor der Berliner Universität, Heinrich Tripel, hat in seiner Rektoratsabschied». rede gesagt: Heute haben die Parteien die Macht im Staate: er hat hinzugesügt: daS ist ein Widerspruch zwischen Recht und Wirklichkeit. Dem trete ich bei. Parteien sind menschliche Gebilde, behaftet mit Schwäche». Sic müssen nach den Wählern sehe», denn wenn sie keine Wähler haben, hören sie aus. zu existieren. Ich habe das Gefühl, das Volk will nicht von anonymer Fraktionsmchrheit regiert werde«, eS will nichts wissen von einer Souveränität der Fraktion, die man neuerdings versucht hat, zu proklamieren. Es will von Männern regiert werden, die den Mut der Verantwortung trage» gegenüber den Parteien und den Wählern, die sie ge wählt haben. Hochverehrte Anwesende! Deutschland mit seine» offenen Grenzen ist das Herz von Europa. Die Staaten Europas sind heute auseinander angewiesen und hängen in ihrem Wirtschaft, lichen Gedeihen voneinander ab. Dieses Europa wird nur dann gesunden, wenn in seiner Mitte ein gesundes Herz schlägt. Darum fordern wir von der Welt im eigenen Interesse und im Interesse von Europa unser Recht aus Freiheit. Wir wollen den Frieden mit allen Mächten, wir sind Immer ein sriedlibcndes Volk gewesen, wir wollen den Frieden schon darum, weil wir wehrlos und entwassnct sind. Wir haben unseren Friedenswillen bewiesen dadurch, daß wir in den Völkerbund eingetreten sind, daß wir den Frtedensvertrag nochmals anerkannt habe», und wenn wir dann berücksichtigen, daß wir entwaffnet sind, daß unsere Entwaffnung anerkannt ist, und unsere Neparationslasten im DawcS-Plan geregelt sind, weit über die Grenzen der deutschen Lcistungssähigkeit hinaus, dann haben wir ein Recht, bitterste Beschwerde vor der Welt darüber zu führen, daß noch heute fremde Be- satzungstruppcn in der 2. und 8. Zone stehen. Man hat seit dem Frieden von Versailles Schmach über Schmach über uns gehäuft, zahlreiche Ver sprechungen sind uns gegeben worden, zahlreiche Versprechun gen sind nicht gehalten morden. Aber wenn wir mit tieser Bitternis an die Schmach denken, die man uns angetan hat, dann lassen Sie mich folgendes in voller Offenheit sagen: Rach meinem Dafürhalten ist vor der Welt «ud der Geschichte die Schmach derer, die einem cntwassncteu Volke fortgesetzt und dauernd diese Schmach antu«, größer als unsere Schmach, die wir über «ns ergehen lasten müssen, weil wir wehrlos und entwassnct sind. Frankreich fordert Sicherheiten. Ich glaube, wenn irgendein Land der Welt das Recht hat, Sicherheiten zu for dern, dann ist es das entwaffnet«: Deutschland mit seinen offenen Grenzen, umgeben von einer feindlichen Welt, die in Waffen starrt. Wenn ich mir vergegenwärtige, mit welcher Emsigkeit und welchem Fleiße von einzelnen französischen Staatsmännern immer und immer wieder die Leidenschaften gegen Deutschland ausgepeitscht werden, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß aus diesen Reden und aus dieser Politik nichts anderes spricht als die Stimme des schlechten Gcwistens. Unwahre Behauptungen werden dadurch nicht wahr, baß man sie immer und immer wiederholt. Und diese Behauptungen, die fortgesetzt und dauernd dem französischen Volke über deut sche Greneltatcn erzählt werden, gehören ruhig alle zu den jenigen Dingen, von denen der Deutsche zu sagen pflegt, daß sie kurze Beine haben. Die deutsche Außenpolitik ist ihre» Leidensweg gegangen und wird und sic muß ihn wcttergchcn, weil kein anderer Weg uns die Aussicht auf die Freiheit des Rheins gibt. Man hat gesagt: durch Opfer zur Freiheit! — Die Opfer haben wir erbracht, die Freiheit ist «ns zum großen Teil versagt geblieben. Wohl ist manches erreicht worden, aber das große Ziel, die Befreiung des Rheins, es ist nicht erreicht. Leidenschaftlich ist dieses außenpolitisch umkämpst gewesen. — Mit Neid und mit Bewunderung sieht die Welt, wie trotz allein, was man uns angetan hat. Deutschland aus dem Wege der Gesundung weiter fortgeschritten ist, und letzten Endes doch wieder ein Faktor der Weltpolitik geworden ist. die Schwungkraft des beutschcn Geistes ist ungebrochen. Deutscher Erfindungsgeist, deutsches Organisationstalent, deutschcr Fleiß und deutsche Tüchtigkeit werden uns den Weg zur Freiheit bahne». In tiefer Dankbarkeit denken wir am Tage dcrVerfassungsfeier heute an die Bevölkerung des besetzten Gebiets und der Saar. Und dann denken wir heute in tiefer Wehmnt der deutschen Minderheiten. Und dann zuletzt lassen Sie uns unserer Toteu gedenken. Lassen Sie uns derer gedenken, die in dem letzten großen Weltkriege ihr Leben haben lasten »rüsten für Volk und Vater- land. In diesen Gräbern, deren Steine, — verteilt über die ganze Erde —, für immer ewige Zeichen deutschen Heldentums und deutscher Vaterlandsliebe sein werden, in diesen Gräbern da liegen die Männer aller Parteien, vergessen wir das -och nicht, seien wir ihrer würdig. — Die Verfassung hat uns zur freiesten Demokratie der Welt gemacht. Aber Freiheit ist nur ein Segen, wenn ihr als ernstestes Gegengewicht das Pslichtbewußtsetn gegen über Volk und Staat gcgenübersteht. Auf dem Boden dieser Verfassung muß sich das deutsche Volk einigen. Politischer Kampf muß sein, ohne Kampf kein Leben und kein Fortschritt. In diesem politischen Kampf muß bte Liebe Baterl««b nufer Leitstern sein, tn diesen Kämpfen dürfen fvtr nicht ver-