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etwas vorwurfsvoll: „Wo stecktet ihr den» solange, Milder? Es ist Bcltzcit." Dann nahm er sein Töchterchen bei der Hand und Jens lief leichtfüßig dem anderen Hause zu. Dort saßen seine Eltern nicht allein auf der Bank vor der Tür. „Onkel Steffen" war zum Besuch gekommen. „Onkel Steffen" war zwar nicht ein wirklicher Verwandter von Olufsens aber doch ein so lieber Bekannter, daß Jens ihn nie anders als Onkel nannte. Er war kein armer Mann, wie Olusscn und Outzcn, nein, er war reich. Drüben im Walde wohnte er abgeschlossen von aller Welt allein mit einer Haus hälterin und einem unmündigen Enkelkindchen. Wie Olussens ihr Sohn Jens das Liebste aus Erden war, so war der kleine, erst sechs Monate alte Nis Steffens größter Schatz. War dieses Kind ja doch das einzige lebende Wesen, das ihm das Schicksal gelassen hatte. Die Mutter des kleinen Nis war wenige Tage nach seiner Geburt gestorben und der Bater, der Kapitän auf einem dänischen Schiffe gewesen war, hatte ebenso wie Olussens Söhne, aus der See seinen Tod gefunden. Jetzt war cs fast ein Jahr her, als er Abschied von seinem geliebten Weibe und dem alten Vater nahm, um eine Reise nach Australien anzutreten. Im Kanal war sein Schiff mit Mann und Maus gesunken. Das war in kurzen Zügen die Leidensgeschichte des alten gramgebcugten Mannes, der dort aus der Bank mit den biederen Fischersleuten saß. Er war den Stürmen des Lebens nicht so gewachsen, wie Olusscn und sei» Weib. Sic hatten sich über ihr Leid mit Gottvcrtraucn und Energie hinwegzusctzcn vermocht, aber Steffen hatte die Trübsal fast seine» klaren Verstand geraubt. Er war, wie die Leute sagten, ein „absonderlicher Kauz" geworden. Seine» groben, schönen Hof hatte er, da er sich außer stände fühlte, denselben nach dem Unglück weiter zu bewirt schaften, verkauft, um fortan ganz für sich allein in der einsamen Waldwohnung zu leben. Die Leute wußten sich allerlei Wunderliches von ihm zu erzählen, wie das ja nur natürlich war. All das viele Geld, das er sur Haus und Hof bekommen hatte, sollte er, und das war ja wirklich wunderlich, nicht auf die Sparkasse gebracht, sondern in eigens dazu nach seine» Anweisungen hcrgestellten, schweren eisernen Kiste, die unter seinem Bette stand, verwahrt haben. So gab cs noch vieles andere mehr, über das inan den Kops schütteln konnte. Die einzigen Menschen, die nicht über Steffen den Kopf schüttelten, sondern inniges Mitleid mit ihm hatten, waren Olussens. Das wußte der Alte auch gut genug. Darum kam er bisweilen zu ihnen »ad hörte, was in der Welt passierte. Nachbar Outzcn sah vom Fenster aus soeben, daß der „Einsiedler", so nannte man Steffen, bei Olussens vor der Tür saß. Da konnte er, trotzdem er wußte, daß dem Alte» wenig an seiner Gesellschaft lag, nicht nmhin, auch hinüberznachcn. Der „Einsiedler" im ponierte ihm nämlich sehr wegen seines Reichtums. Frau Christine und Jens holten nun den Tisch aus der Stube vor die Tür, setzten dem Nachbarn einen Stuhl zurecht und waren froh über den zwiefachen Besuch. Bald standen eine Schüssel mit „roter Grütze" und drei Gläser nebst einer Flasche von der Hans- srau selbstgekcltertem „Solbccrwcin" ans dem Tische, und die Stimmung wurde eine recht gehobene. Wohl vermochte der alte Steffen nicht mit über Ovc Ontzcns Scherze z» lachen, denn das Lachen hatte er völlig verlernt, aber inan sah es ihm doch an, daß er sich sehr behaglich fühlte. Jens bat nm die Erlaubnis, auch Hansine holen zu dürfen, damit dieselbe sich ebenfalls an der herrlichen „roten Grütze" erfreuen könnte. Bald war das muntere Mädchen zur Stelle, und Jens Freude wurde doppelt groß, den» er hatte das Nachbarkind so lieb, als wäre es sein Schwcsterlein. Vom Dorfe her schritt ein einsamer Man» über die öde Heide. Das mußte der Briefträger sei», der wöchentlich zweimal von der nächsten Stadt nach Overbp zu komme» pflegte. Erwartungsvoll erhob sich die Gesellschaft und sah dem seltenen Gaste neugierig entgegen. Wer konnte denn etwas von der Post bekommen? Der Mann mit der großen Lcdertasche schritt anf Ove Ontzcns Hans zn. Jens und Hansine eilte» ihm entgegen und sagten ihm, daß Outzcn bei Olufsens sei. Er lenkte also seine Schritte auf das andere Häuslein. Mit wichtiger Miene entnahm er der großen Tasche einen Brief, der a» Outzen adressiert war und aus Amerika kam. Aufs höchste gespannt, bat der biedere Fischersmann: „Lest ihn uns vor, Herr Briefträger, uns fällt das Lesen zu schwer." Der Postbote nahm auf einem für ihn heraus geholten Stuhl Platz, setzte mit überlegenem Lächeln die Brille anf und las, so gut es in der Abend dämmerung ging, das Schriftstück vor. Es stammte von Ovc Ontzcns Bruder Christian, der vor zwanzig Jahre» als junger Deutscher nach Amerika ausgewandcrt war und seitdem kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Zur allgemeinen Ueberraschnng schrieb derselbe, daß er nach vielen Mißerfolgen jetzt endlich ein wohl habender Man» geworden sei. Er besäße in New- Aork eine Fabrik und stände in Ehre und Ansehen. Das war eine freudige, aufregende Kunde, die Stoff zu eifrigen Betrachtungen und Erwägungen gab. Der Postbote bekam auch sei» Glas Wein und sprach als gebildeter Mann über Handel und Wandel in Amerika, über das große Glück, daß man dort haben könnte und führte viele Beispiele dafür an. Nachdem das Thema endlich erschöpft war, sagte der Postbote: „Ihr seid nicht der einzige, Outzcn, der heute eind freudige Nachricht durch mich bekommen hat. Außer Eurem Brief hatte ich »och eine» für Frau Nielsen. Die bekam von einem Vetter aus Kopenhagen die Einladung, sofort mit ihrem Sohne, dem ungezogenen Peter, dorthin zu kommen, uni ihm die Wirtschaft zu führen. Er wolle den Jungen in sein Geschäft nehmen und zu einem tüchtigen Kauf mann machen. Scho» morgen wird Frau Nielsen reise». „Hurra," ries Hansine voller Jubel, „wie schön! Da kann der Peter mich nicht mehr ärgern und mir meine Häuser zerstören!" „Wie schön," fügte Jens leise, daß es die Eltern nicht hörten, hinzu, „daß ich ihm ein Andenken mit aus den Weg gegeben habe. Denke, daß er noch in Kopenhagen blaue Flecke haben wird." Der Postbote mußte aufbrcchen, da er »och vor Mitternacht in der Stadt sei» sollte. Outzen und Steffen gingen bald daraus, und Olufsens begaben sich, müde von des Tages Lasten, zur Rnhe. II. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Sie vermögen manches auf der Welt zu ändern, zum Guten sowohl wie zum Schlechten. Auch in Overby hatten die letzten Jahre vieles anderes gemacht. Das Dörflein hatte sich nicht un wesentlich gehoben. Das war daher gekommen, weil es Kurort geworden war. Nicht mir ein schönes, neues Kurhaus stand da, garnicht weit von den Fischerhütten, auch ein großes Hotel und viele andere mit Zicgel», Schiefer und Zink gedeckte Häuser schaute» verächtlich aus die armseligen Strohdächer ihrer Nach barn hernieder. Diese Veränderung war für viele, für die meisten Leute sogar ein großer Segen. Ein Nachteil war sie aber für Outzen und Olusscn. Denn während diese Beiden früher die einzigen Fischer waren, machten ihnen jetzt fünfzehn Kollegen gefährliche Konkurrenz. Eine ganze Flotte von Segelbooten sah man jeden Morgen vom Strande abfahrc», viel Zanken, Lärmen, Fluchen hörte man hier, wo früher nichts hörbar war, als das Rauschen der Wogen. Olusscn konnte nicht nichr mit hinausfahre», denn er war seit der Krankheit im letzten Winter ein hin fälliger Greis geworden, der wohl noch bisweilen Fische zum Dorf tragen und Netze flicken konnte, aber sonst unfähig zu jeglicher schwereren Arbeit war. Auch Mutter Christine konnte nicht mehr Ivic vor zcb,: Jahre» mit rührigem Fleiß im Hause schalten und walten. Sie mußte häufig tagelang das Bett hüiru und ihren Mann verrichte» laste», was ihr zustand. Aber trotz der Last »nd Gebrechen des Alters waren die guten Leute noch immer heitere» Sinnes und trugen, was ihnen das Schicksal auferlegtc mit Geduld und Gottergebenhcit. Was war aus Jens geworden! Da schritt er eben, das Netz auf der Schulter, dem Hüttlein zn. Gerade so wie er, in den langen Stiefeln, in der Teerjacke und mit dem Südwester anf dem Kopfe, mochte der Vater einmal ausgesehen haben. Dieselbe Hünengestalt, dasselbe treue, zwar nicht dunkle, sondern blaue Auge, dieselbe» kraftvollen und doch elastischen Bewegungen hatten de» alten Olusscn einstmals ge kennzeichnet. Das gebräunte, männliche Gesicht um rahmte ein kleiner hellblonder Vollbart, die rote» Lippen waren ein wenig verdrießlich und vorwurfsvoll aufgeworfen, und das blaue Auge schaute etwas schwer mütig in die Ferne. Jens befand sich offenbar nicht in heiterster Stimmung. Ihn quälten Sorgen. Auf seinen Schultern ruhte die schwere Last des Erwerbens, er mußte sich mit rastlosem Fleiße quälen, um den Lebensunterhalt für die guten Eltern und für sich selber zu verdienen. Wer will ihn da ver urteilen, wenn er heute nicht fröhlich war, wo er trotz aller Mühe einen bedeutend schlechteren Fang gemacht hatte, als alle andere» Fischer? Vom Fenster aus hatte Hansine Outzcn Jens kommen sehen. Sic setzte den breitkrempigen Strohhut auf und eilte ihm entgegen. Was hatten die zehn Jahre doch aus diesem Fischerkinde gemacht! War das wirklich die kleine Sine, die dort einst Häuser im Sande baute? Man innßtc fast daran zweifeln. Aus dem Kinde war eine Jungfrau von berückender Schönheit geworden. Hoch und schlank und biegsam wie eine Tanne war Han- flne gewachsen. Wie Lilie» und Rosenzart war das noch völlig kindliche Gesicht mit de» wunderbaren Blauaugcn, die so hoffnungsvoll, so zuversichtlich in die Welt schauten. In zwei üppigen dunkelblonden Zöpfen glitt das Lockcnhaar Uber den Nacken. Keine von all den Damen ans ganz Dänemark und Deutsch land, die in Overby weilten, konnte an Anmut und Schönheit der Fischerstochter i» ihrer schlichten, sauberen Tracht gleichkommen. Und das Schönste bei aller Schönheit war, daß Hansine nichts von derselben wußte. So bescheiden zog sie sich, sanft errötend, zurück, wenn bisweilen Badegäste stehen blieben »nd sie entzückt anschanten. Sticht im entferntesten ahnte sic, daß die feinen Herren und Damen in den teuren, eleganten Kleidern sic bewundern konnten. Und doch hieß sie unter diese» längst allgemein „das schöne Fischerkind." Sie hatte nie gewünscht, schön oder reich, oder klug, oder sonst etwas zu sein. War sie ja doch dem einen, dessen Urteil ihr mehr galt als jedes andere, ihrem Verlobten Jens Olufsen, schön, reich und klug genug. Jens liebte sie von ganzem Herzen,, schon als sie eben die Schwelle der Kindheit überschritten, hatte er es ihr gestanden, »nd sie liebte nur ihn allein von all de» Fischern, die ein Auge auf sic hatten und sie sehnlich begehrte». Das war ja so ganz natürlich, daß aus der kindlichen Zuneigung Liebe entsprießen mußte. Die Eltern wußten es und hatten nichts da gegen, denn cs schien auch ihnen selbstverständlich. Nun also ging die schöne Hansine ihrem Geliebte» entgegen, um sich zu erkundigen, was der Tag ihm gebracht hatte. Als er seine holde Braut erblickte, erhellten sich seine Züge ein wenig, doch mürrisch ant wortete er aus Sincheus Frage nach den Erfolgen der heutigen Arbeit: „Ach, lieber Schatz, ich habe kein Glück mehr, habe kaum das Abendbrot verdient, sieh, waS ich hier im Netz habe, ist alles." Hansine sah die wenigen Fische und schaute Jens mitleidig an mit ihren treuen Augen. „Aber morgen wirds besser werden," sagte sie dann tröstend, ihren weichen Arni um seinen Nacken legend. „Verzage mir nicht immer gleich, mein guter Jens, sei doch vergnügt!" „Du sprichst, wie Du cs verstehst, Kind," erwiderte er ironisch, „habe ja auch allen Grund, fröhlich zu sein, gewiß, bin ja ein reicher Mann, der für nichts zu sorgen hat, ha, ha, ha." „Aber, Jens, schäme Dich doch," sprach das Fischermädchc» verächtlich, „wegen so eines kleinen Mißerfolges darf ein Mann nicht verzage». Denke doch, wie Dein Vater stets zufrieden ivar, wenn er auch gar nichts gefangen hatte." Fortsetzung folgt. Nachrichten des K. Standesamtes zu Reichcnbrand vom 2. bis X. Juli 1S<»4. Geburten: Dem Stellmacher Ludwig Rudolf Wünsch in Rcichenbrand 1 Knabe; dem Fleischermeister Friedrich Hugo Diebe in Siegmar I Knabe; dem Bahnarbeiter Alfred Bruno Gräbner in Neichenbrand 1 Knabe; dem Kupferschmied Georg Friedrich Oskar Hüttner in Reichcnbrand l Knabe. Aufgebote: Der Drechsler Engen William Jrmschler mit Emilie Minna Gebhardt, beide in Reichenbrand. Eheschließungen: Vakat. Stcrbcfülle: Die ledige Strickerin Helene Auguste Gläser in Rcichenbrand, 2l Jahre alt; dem Ziegeleiarbeiter Karl Ott in Siegmar 1 Sohn, b Monate alt. Kipeditionszeil des Standesamtes. Wochentags: 8—12 Uhr vorm, und 2—0 Uhr nachm. Sonntags: '/»12—12 Uhr vorm, nur zur Entgegennahme von Totgeburtsanzeigen. Nachrichten des Kgl. Standesamtes Rabcnstcin vom 1. bis u. Juli lix»4. Geburten: 1 Sohn dem Streckenarbeiter Theodor Max Weib in Rabenstem; dem Schuhmacher Max Otto Wcndler in Rabenstem; dem Brauer Max Friedrich Gottlieb Kahmann in Rabenstem; dem Handarbeiter Emil Eduard Gundermann in Rabenstem; dem Eisenformer Bernhard Rudolf Kcmpe in Rottluff. Hierzu noch ein unehelich geborenes und ein un ehelich totgeborenev Mädchen in Rabenstem. Eheaufyebote: Der Handschuhstricker Richard Ernst Eiding in Gruna mit Frieda Linda Reichel in Nabenstein. Eheschließungen: Keine. Strrbefälle: Die HandarbeiterSehefrau Elara Sidonie Tippmann geb. Weise in Rabenstem, 50 Jahre alt; die PrivatmannSchefran Auguste Adolphinc Großer geb. Schilling in Rabenstein, Ob Jahre alt. 1 Sohn des EisendreherS Emil Carl Schneider in Rabcnstein, 8 Monate alt. Zusammen: 7 Geburten und zwar 5 männl. und 2 weibl. 1 Ebeansflebot. — Eheschließung. 3 Sterbefälle und zwar 2 männl. und 1 weibl. Geschäftszeit. Wochentags: 8—12 Uhr bann, und 2—K Uhr nachm. Sonntag«: ll—12 Uhr vorm, mir zur Entgegennahme von TotgeburtSanzetgrn. Kirchliche Nachrichten. Parochie Reichenbrand. Am 6. Sonntag p. Drin, den 10. Juli ». c. vorm. >/r9 Uhr Predigtgottesdicnst. Kollekte für de» Kirchen bau in Pobershau bei Maricnbcrg. Parochie Rabenstein. Am 6. Sonntag p. 1>i». den 10. Juni a. c. vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst. Kollekte für den Kirchen ban in Pobershau. — >/,2 Uhr KatechismuSunter- redung.