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nung zu Ende. — Was hat cs genützt, das, ich jeden Morgen, bevor ich ans Werk ging, de» Himmel »m seinen Segen anslchtc? Garnichts hat es mir geholfen. — Diese drei nnbcdcntcndcn Dorsche sind alles, was ich fing. Der Herrgott hat mich vergessen. Ich weiß nicht, was ich tun soll." „Aber Jens," sprach der alte Olufsen darauf mit strafenden! Blick, „was sind das für Worte! Schäme Dich, so zn murren. Wie darfst D» sagen, der Herr gott hat Dich vergessen. Er vergibt niemand, aber Du hast vergesse», ihn, recht z» tränen, darin» fehlt sein Segen Deiner Arbeit. Laß mich nicht iistcrs solche Reden hören." Jens tat die drei Fische in einen Korb und sagte, fast als hätte er des Vaters ermahnende Worte nicht gehört: „Will zu Onkel Steffen gehen, der hat Mit leid mit uns hiingrigc» Menschen, der wird mir die Dorsche anständiger bezahlen als die geizigen Bauern im Dorfe und der alte Henrik." Hansine begleitete ihren Verlobten ein Stückchen. Sie fühlte inniges Mitleid mit ihm, kein Wort des Vorwurfs kan, heute über ihre Lippe». Nur Tröstendes, Ermntigendes sagte sic. Aber Jens war so verzagt, daß des guten Mädchens liebevolle Worte ebensowenig Eindruck ans ihn machten, wie des Vaters strenge. — An das Dorf schloß sich ein kleiner Wald an oder besser ein Gestrüpp, denn es waren meist niedrige, unregelmäßig gcwachsencEichbä»me,Christdoriisträ»chcr, Zwergtanncn und verkümmerte Kiefern, die man dort sah. I» diesem Gestrüpp stand ein kleines, blan- gctünchtcs Hans. Vor demselben befand sich eine Hundehütte, ans der bei Jens Olnsscns Nahe» eine gewaltige dänische Dogge erst zähnefletschend und knurrend, dann aber vertraulich mit dem Schwanz: wedelnd, in großen Sätzen dem Ankömmling cntgcgcn- sprang. Daran, daß die graubraunen Nouleaux vor den kleinen Fenster» nicht hcrabgelasscn waren, sah der Fischer, daß Onkel Steffen, der hier wohnte, zu Hause war. Glücklicherweise war der alte „Einsiedler" durch dasHundcgcbell bereits anfJens anfmerksani geworden. Dieser brauchte deswegen nicht erst, wie gewöhnlich, eine lange Zeit mit dem Messingklöpfel an die fest- verschlossene Tür zn klopfen. Als er das Hans er reicht hatte, war die Tür schon geöffnet und der jetzt achtzigjährige Greis, de» die letzte» zehn Jahre übrigens wenig verändert hatten, trat ihm lächelnd entgegen. Za lächeln konnte der damals, als wir ihn kenne» lernten, so ticstraurige „Einsiedler" jetzt wieder. Die Zeit hatte seinen Schmerz gelindert und die Wunde geheilt. Der jetzt zehnjährige mnntere Nis hatte ihn das Lachen gelehrt. Dieser lebensfrohe, leider ei» wenig verzogene Bursche folgte dem Großvater und rief i» seiner vorlauten Weise: „Willkommen Jens Olufsen, machst ja ein recht saueres Gesicht, als ob D» Essig getrunken hättest." Jens beachtete den Jungen nicht weiter, sondern sprach nach kurzem Gruße zn Steffen: „Ich habe wieder einen schlechten Fang gemacht, darum komme ich z» Dir. Du pflegst ja nicht lange zu handeln, sondern zn geben, was recht und billig ist. Würde Dich mit meinen Fischen ganz gewiß nicht heute schon belästigen, wenn mich nicht bittere Not dazu zwänge." Onkel Steffen sah de» jungen Fischer teilnehmend an und sagte: „Verstehe, verstehe, was D» meinest, mein Junge. Nun komm aber zunächst mit herein. Sollst Deine Dorsche gut bezahlt kriegen." Es war eine geräumige, aber sehr dürftig möblierte Stube, in welche die Männer cintratcn. Man merkte ans den ersten Blick an all den seltsamen Bildern und eingcrahinten Schriftstücken, — Briefe des ver unglückten Sohnes — daß man sich im Hanse eines Sonderlings befand. Ein solcher war Steffen, trotzdem der Schmerz über den Tod des Sohnes und dessen Gattin überwunden war, geblieben. Das wußte Jens genau genug, dann» wunderlc er sich nicht über all das hier im Hanse, das Unbekannten höchst seltsam geschienen hätte. Ihm schien cs schon ganz selbst verständlich, daß der Alte seine zahllosen Kronen in jener eisernen Kiste aufbcwahrtc, die er da eben unter dem Bette mit vieler Mühe hervorzog. Keines Fremden Auge hatte dieselbe je gesehen. Olnsscns waren die einzigen, in deren Gegenwart sie geöffnet wurde. Sie war etwa zwei Fuß lang und eine» hoch, war mit großen Nägel beschlagen und wurde durch kurzen Druck ans einen dieser Nägel geöffnet. Jens hatte das schon als Knabe mit Verwunderung gesehen, er hatte es auch scherzweise selber versucht, sic zu er schließen. Wohl geordnet lagen in der eisernen Kiste in dafür bestimmten Abteilungen Scheine, Gold-, Silber- »nd Knpfcrgcld. Jetzt entnahm der Alte denselben einen Füiifkronciischcin und sagte zn Jens: „Nimm, das ist für die Fische." Der junge Fischer sah ihn verwundert nnd fragend an. „Ich kann Dir nicht hcrausgebe», besitze nicht mehr als 20 Oer," sagte er. „Schon gut, mein Junge," erwiderte schmnnzclnd Onkel Steffen, „nimm den Schein, brauchst mir nichts herauszugcbc»." Da erhob sich Jens, über und über errötend, vom Stuhle nnd sagte, den Alte» vorwurfs voll anschauend, mit erregter Stimme: „Was, Du meinst ich sei gekommen, um zu betteln? Da hast Du Dich gewaltig in mir getäuscht, eine Krone kosten die drei Dorsche, das möchte ich habe» und keine» Schilling mehr. Soweit ist es noch nicht mit »ns gekommen, daß wir betteln müssen." Der Alte machte ei» etwas verlegenes Gesicht, legte den Schein zu den übrigen und reichte dem auf gebrachten Fischer die verlangte Krone. „Es war nicht bös gemeint," sprach er dabei, „wollte Dich nicht damit beleidigen." Jens war noch verstimmter als zuvor, steckte das Geld »»mutig in die Tasche und bot Onkel Steffen die Hand zum Abschied. „Glaube cs gerne," sprach er, „daß Du mich nicht kränken wolltest, ich danke Dir für den guten Wille». Aber nun muß Ich gehen." Als Jens in trübe Gedanken versunken, eben gesenkten Hauptes das Gehölz durchwanderte, eilten drei Flscherknechte ans ihn zu, deren Gebühren er es schon von Ferne ainnerkte, daß sie ihm etwas Wichtiges zn berichten hatte». Etwas Erfreuliches mußte es sei», denn sie hatte» gar vergnügte Gcsichtcr und winkten ihm zu. Neugierig verdoppelte er seine Schritte und rief de» Leuten zu: „Was gibt es denn? Was ist passiert?" „Große Freude!" antwortete der eine, der ihn vor den andere» erreichte und ihm glückwünschcnd die Hand entgcgcnstrcckte. „Du kriegst das reichste Mädchen von Ovcrby zur Fra». Ove Outzen hat eine Erbschaft von fünfzig- tanscnd Kronen gemacht. Sei» Bruder in Amerika ist gestorben. Soeben war der Postbote da und brachte einen Brief aus Ncw-Uork." Jens' wcttergcbränntcs, eben noch so finsteres Antlitz erhellte sich, er blieb stehen, öffnete weit die Auge» nnd rief jubelnd aus: „Wenn das wahr ist, so vergebe mir Gott meine Verzagtheit und Klein gläubigkeit. Fünfzigtanscnd Kronen! Nein, nein, Ihr wollt mich zum besten habe», das ist gar nicht möglich." Ohne nn» weiter auf die drei Kollegen zu höre» und zu sehen, stürmte er im schnellen Laufe »ach Hanse, um sich Gewißheit zu verschaffen. Da kam Hansine mit hochgerötcten Wangen und Tränen i» den Augen ihm entgegen: „Es ist wahr, sieh hier die Urkunde. Morgen trifft das Geld ein. Alle Not hat ein Ende, wir sind reiche Leute. O Jens, wie ist der liebe Gott doch gnädig!" Das sagte sie mit zitternder Stimme. Jens riß die Urkunde an sich »nd stierte sic an, als wäre er von Sinne». „Fünfzigtansend," ja, das stand da, das war ganz deutlich zu lesen. Sämtliche Fischer und wohl ei» Dutzend Leute aus dem Dorfe hatten sich vor Ove Outzeus Haus versammelt. Allgemeiner Jubel herrschte, jeder gönnte dem braven, armen Fischersmann von Herzen sein Glück, jeder wollte ihm seine Freude aussprcchcn und ihm gratuliere». „Ich kann es nicht fassen, ich glaube cs nicht eher, als bis ich das Geld vor mir auf dem Tische liege» sehe," sagte Outzen, der inmitten der Lcutc erhobenen Hauptes wie ei» Fürst stand, wicdcr iind wieder. Aber seinen leuchtenden Augen sah man cs an, daß er nicht an der Tatsache zweifelte, daß er mit einem Schlage ein reicher Mann geworden sei. Von Herzen froh über das Glück des treuen Nach barn waren natürlich auch der alte Olufsen »nd Frau Christine, nicht nur wegen der schönen Aussichten, die damit für ihre» Sohn und sie selber sich eröffnet hatten, sondern auch, weil sic niemand mehr als Outzen das viele Geld gönnten. Heute war Jens wieder, wie er als Knabe gewesen, übermütig, glücklich, voll von den kühnsten Plänen »nd Hoffnungen. In rosigem Lichte strahlte ihm die Welt, vergessen war alles, das sein Herz noch wenige Stunden zuvor so bekümmert hatte. Wenn die geliebte Hansine auch nur zehntausend Kronen als Mitgift bekam, so konnte er die ganze Fischerei an den Nagel hängen, konnte in die Stadt ziehen und dort ei» großes Fischexportgeschäft, wie es Jens Truelsen getan, einrichten und in wenigen Jahren hunderttausend Kronen verdient haben. Das waren herrliche Aussichten! O, wie kann das liebe Geld doch die Mcnschen- hcrzen fröhlich machen! Doch — wird des jungen Fischers Freude un getrübt bleibe»? III. Ove Outzen hatte die Fischerei ausgegeben und war Landwirt geworden. Den zwar kleinen aber recht einträglichen Hof Nybo, dessen üppige Marsch- Wiesen an die fruchtbaren Felder des großen Hofes Solgaard grenzten, hatte er gekauft. Da führte er nun als wohlhabender Bauersmann ein Herrenleben, wie er es sich nicht besser wünschen konnte. Zwei Knechte, einige Arbeiter und zwei Mägde mußten ihm gehorchen, er brauchte selber, wenn cs ihm einmal »ichl paßte, nicht aus der Stube zu gehe», konnte mit guter Zuversicht in die Zukunft schaue» und durfte mit allen begüterten Leuten in Overby wie mit auw» Genossen Verkehren. Daß dem sonst in jeder Weise »och ebenso rechtlich und bieder gesinnten Manne bei diesem nach seiner Meinung gar vornehme» Verkehr mehr und mehr die Lust verging, mit de» alten Freunden vom Strand, den früheren Kollegen, häufigeren Um gang zu pflegen, fand man im Dorfe ganz natürlich. Doch der demütigen Hansine gefiel das ganz und gar nicht. Sie war trotz der vornehme» Kleidung, gegen die sic schweren Herzens ihre liebe Fischermädchen- tracht vertauschen mußte, in allen Stücken dieselbe geblieben. Sie saß viel lieber drunten am Strande in de» engen, dnmpscn Stuben der Fischer, als hier in den geräumigen, vielfach geradezu prunkvollen der rcichcn Marschbancrn. Das war die erste Sorge, die ihr der Reichtum gebracht, daß sie bornchm werden sollte. Aber cs war nicht die einzige Sorge. Eine getäuschte Hoffnung bereitete ihr noch weit größeren Knnnner. Mit aller Bestimmtheit hatte sic nämlich darauf ercchnet, daß der Vater, nachdem er Besitzer von thbo geworden, sagte würde: „So, meine Tochter, „nn steht Deiner Verbindung mit Jens Olnssen nichts mehr im Wege. D» kannst sein Weib werden, ich gebe Dir eine schöne Mitgift nnd ihr werdet glücklich sein." Aber das hatte der Vater nicht getan, er hatte vielmehr gesagt: „Dn bist mir jetzt weit unentbehr licher als früher, darum denke nur vorläufig noch nicht an's Heiraten, bist ja mit deinen achtzehn Jahren auch noch viel zn jung dazu." Das sah das gute Mädchen auch wohl ei» und cs fügte sich, wie immer, ganz dem Wille» des Vaters. Doch, daß der Vater in letzter Zeit jedesmal, wenn der geliebte Jens zum Besuch kam, ein ver drießliches Gesicht machte nnd den braven jungen Mann durchaus nicht liebenswürdig behandelte, das tat Hansine in der Seele weh, sie vergoß deswegen in der Stille manche bittere Träne und vergrübelte manche schlaflose Nacht. „Das Geld, das Geld," sagte sie dann wohl z» sich selber, „es haftet ihm ein Fluch an. Wären wir doch arme Fischcrsleutc geblieben! Was nützen mir die schönen Kleider, was habe ich davon, daß mich die eitlen Bancrnbnrschcn mit verlangenden Blicke» angaffcn, weil ich eine reiche Partie bin! Jens besaß, trotzdem er ein derber Fischer war, ein äußerst zartes und leicht verletzbares Gemüt. Ihm bereitete es auch keine» geringen Kummer, daß Ove Outzen, mit dem er doch von seiner frühesten Kindheit an wie mit dem nächsten Verwandten verkehrt hatte, ihn so kühl behandelte, ihm so häufig vorhielt, daß er kein geschickter Fischer sei nnd cs überhaupt durch- blickcn ließ, daß er ihm als Schwiegersohn nicht mehr so recht willkommen sei. Nun wußte Hansine, die es längst verstand, die geheimsten Kümmernisse in der Seele des Geliebten ans seinem Gesichte zu lese», ihn freilich so gut zu trösten und ihn so fest davon zu überzeugen, daß sie nur ihn bis an ihr Lebensende lieben könnte, daß seine Sorgen immer wieder schnell entschwanden. Stets wußte sic einen eiiilcnchtcndc» Grund für des Vaters Verdrießlichkeit »nd stets machte sie gut, was derselbe dem Gaste gegenüber versäumte. Jens war während der letzte» Wochen seltener nach Npbo gekommen. Hansine hatte dafür Olusscns tagtäglich, freilich häufig ohne Wissen des Vaters, besucht und eine glückliche Stunde in ihrem Hüttlein verbracht. Ove Outzen wähnte seine Tochter, wenn dieselbe bei dem Geliebte» und dessen Elter» weilte, im Dorfe beim Kaufmann oder Bäcker, oder Schlächcr, darum fragte er nicht weiter, wenn sie nachher ver gnügt heimkehrtc. Auch heute vermutete er nicht, als Hansine etwas spät zurückkehrte, daß dieselbe am Strande gewesen. Er hatte gerade allerlei Pläne entworfen nnd sein Geld im Geiste m» das doppelte vermehrt gesehen, gutgelaunt sprach er daher zu seiner Tochter, die ihm mit ihrer glockenhellen Stimme eine» guten Abend wünschte: „Ei, da bist Du ja, Kindchen. Nun, das ist schön. Wir haben de» Jens eigentlich lange nicht hier gehabt. Er scheint sich zurnckziehen zu wollen, und Du scheinst mir gar nicht sehr traurig darüber zu sein, denn Dn machst ja allezeit ei» kreuzfideles Gesicht." Hansine schaute den Vater höchst verwundert au, doch ehe sie eine Erwiderung geben konnte, fuhr der selbe lachend fort: „Brauchst nicht z» erröte» darum, mein Kind. Versprechungen, die inan sich gegenseitig macht, wenn man noch die Kinderschuhe a»hat, sind nicht für's ganze Leben bindend. Ihr gelobtet euch, Mann und Weib zu werden, als ihr noch gar nicht wußtet, was Liebe ist. Glaube nun, daß der ehrliche Jens, der jenes Gelöbnis für richtiger hält als es ist, gar nicht so sehr traurig sein würde, wenn es auf einmal hieße: Die reiche Hansine Outzen hat sich mit einem reichen Bauernsohn verlobt." Hanstne war ganz bleich geworden bei diesen Worten ihres Vaters. War das Scherz oder sollte es wirklich Ernst sein? „Ich verstehe Dich nicht, Vater," rief sie mit Eifer aus. „Glaubst Du wirklich, Jens »nd ich könnten von einander lassen, unsere Liebe wäre im Erlöschen? Es kann doch unmöglich Deine Meinung sein, daß man ei» heiliges Versprechen nicht zu halten braucht. Hast Du mich doch von