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wunderbar klare» Waldsee eine uralte, moosbewachsene Steinbrink, hinter dieser erhob sich ein merkwürdiger zackiger Fels in Form einer Kanzel. Schlingpflanzen kletterten daran empor, sie wnchertcn hier sehr üppig, weil sie anS dem kräftigen, senchlc» Waldbodcn reichliche Nahrung sogen, und hüllten das graue Gestein in einen grünen Schleier. Eva atmete mit Behagen den unvergleichlich frischen, würzigen Dust ein, den man gewöhnlich an heissen Sommcrtagcn in, Nadclwalde wahrnimmt, und blickte träumerisch hinab auf das klare Wasser des Sees, ans dem einige funkelnde Sonnenstrahlen wie blitzende Lichter tanzten. Man konnte bis auf de» Grund schauen und Eva meinte, ans der schimmcrdcn Tiefe blondhaarige Nixen aussteigen zu sehen, die ihr winkten und sic lockten, mit ihnen hinabznsteigc» in die grün liche Flut. — Nichts regte sich an dem reizenden, stillen Ort, denn die Soinmcrgäsle, die das liebliche Plätzchen zu weilen aufsnchtcn, waren sämtlich im Konzert, das eine Ausländische Mnsiliapclle im Kurhausc veran staltete. Eva merkte kaum, das! cs zwischen den hohen Bäumen bereits zu dunkeln begann. Ei» leiser Wind flüsterte im Schilf an. Sec, der jetzt fast finster dalag, denn die Strahle» der Sonne erreichten ihn nicht mehr. Plötzlich schrack Eva zusammen, denn ein leises Geräusch von nähcrkoinmcnde» Schritten drang an ihr Ohr, und sic machte sich Borwürfc, so lange geblieben zn sein. Sic erhob sich, griff nach dem Sonnenschirm ans der Bank, drückte den Hut ans die Flechten und wollte sich entfernen, als aus dem Hasclgestränch, das den Weg halb verdeckte, ei» Mann ans sic zntrat, bei dessen Anblick die junge Dame wie kraftlos ans die Bank zurücksank. Einen leisen Schrei ansstosicnd, verharrte das Mädchen unbeweglich, die Hand ans das in rasendem Tempo pochende Herz gepresst. Mit e-nem nicht mehr zn unterdrückenden Jnbcl- rnf eilte der Ankömmling ans Eva zn, die wortlos, doch mit glücklichen Ausdruck in den schöne», strahlende» Augen auf den jungen Mann starrte, und cs auch völlig willenlos geschehen liest, dast er die zarten Finger an seine Lippen drückte. „Eva, — meine Eva!" sagte er nur, und dann sab er neben ihr aus der moosbewachsenen Bank und hielt ihre Hände in den seine», während die Sonne tiefer und tiefer sank. Die Blätter zitterten leise im Abendwind, sonst tiefes Schweigen ringsumher. „Endlich, — endlich darf ich an ein Glück glaube», das Du mir so lange vorcnthalten hast, böses Mädchen," sagte Sigmund Linde in tiefer, innerer Bewegung. „Eva, hättest Du doch gleich Äertraucn zu mir gehabt, hättest Du mir doch gesagt, was Dich zu dem grausame», nncrbittlichcn „Nein" bewog, mit welchem Du mir auf meine innige Werbung antwortetest! Wie viele trübe Stunden hättest Du uns Beiden erspart! Arme Eva, was musst Du gelitten haben!" Das Mädchen nickte. „Erinnerst Du Dich noch jenes Morgens, als Du an unserem Fenster standest, und mir sagtest, dast ein ehrlicher Name Dir über alles ginge?" fragte Eva nach einer Weile. „Ja, sehr gut." „Nun sichst Du, das gab damals den Ansschlag. Am Abend vorher hatte mir die Mutter die Geschichte unseres Unglücks, unserer Schande erzählt. Die ganze Nacht dachte ich darüber nach. Wie konnte ich, da Du Deine Ansichten so offen und klar aussprachst, Deine Werbung noch annehmen? Sollte ich Dir die Sache Mitteilen, oder sollte ich darüber schweigen? In jedem Falle fürchtete ich, Deine Liebe zu verlieren! Was ich dabei litt, davon kann ich nicht sprechen, es lvar säst zn viel! Ich wies Deine» Antrag ab, weil ich glaubte, nicht anders handeln zu dürfen, weil ich Dich vor späterer Reue bewahren wollte." „Und bedachtest dabei nur eines nicht: dast die Liebe stärker ist, als alles andere, daß sie im stände ist, jGeld und Gut, Namen und Ehre zu opfern? O Eva, — Kind, — wie konntest Du nur so klein von mir denken!" „Und Du willst mich, — willst mich wirklich trotz alledem? Weißt Du den» die ganze volle Wahrheit, weißt Du, daß mein Batcr ein Ehrloser, daß er im Gefängnis starb?" „Still, — Eva?" unterbrach Sigmund die Rede des erregten Mädchens, „last die Schatten der Ver gangenheit nicht wieder lebendig werden! Wir haben beide genug darunter gelitten! Sie sollen begraben sein!" „Und wenn wieder einer auftaucht, und den Leuten erzählt, daß ." „Quäle Dich doch nicht so entsetzlich, Kind, die Sache ist lange vergessen," fiel der Doktor wieder ein. „Wer wird Dich für die Tat Deines Vaters verantwortlich machen wollen? Du trägst in Zukunft meine» Namen, und fortan soll Dich nichts an die Vergangenheit erinnern!" „Wirst Du es auch nicht bereuen, — Sigmund?" Es geschah znm ersten Mal seit den Kindcrjahrcn wieder, dast Eva ihn beim Vornamen nannte. Sie tat es auch jetzt noch halb stockend und errötend, aber sie sühltc, es machte ihm Freude. Es klang auch so süß, dast er das leise erschauernde Mädchen stürmisch in seine Anne zog und auf de» roten Mund küßte. „Laß die Zweifel jetzt, Geliebte," bat er dann ernst, ihr tief in die Augen schauenh. „Mag Dein Vater gefehlt haben, wir wollen nicht richten, sondern zu vergesse» suchen, was längst begraben ist." „Weiß Deine Mutter?" — fragte Eva, noch immer beklommen und ängstlich. Sigmund nickte und ei» Lächeln glitt über sei» männlich schönes Gesicht. „Sie ist mit mir gekommen, auch das Kind haben wir mitgchracht, denn wir gedenken, einige Woche» hier z» verleben. Sic sitzt bei Deiner Mutter und beide Frauen habe» sich so viel zu erzählen, daß ich mir recht überflüssig vorkam. Ich ließ mir den Weg hierher genau beschreiben und fand mühelos Dein Licblingsplätzchen. Die Sehnsucht »ach Dir, die ich ans Rücksicht für die tote Mutter meines Kindes so lange bezwingen mußte, packte mich plötzlich mit Gewalt und trieb mich vorwärts. Auch war mir daran gelegen, Dich allein spreche» zn können und freue mich dieser unvergleichlich schönen Stunde. Aber nun komm, meine Eva, daß ich meinem kleinen Junge» die zu künftige Mutter vorstcllc. Er ist ein herziges, kluges Kerlchen, Eva, — wirst Du ihn lieben können?" lieber das Gesicht des jungen Mädchens liefen Helle Träne». „Ich werde mich bemühen, sein kleines Herz zu gewinnen, er soll eine treue und sorgsame Mutter m mir finden," gelobte Eva feierlich. „Ich danke Dir, mein Lieb," sagte Sigmund warm und drückte ihre Hand. Dann wanderten sic Arm in Arm heimwärts durch de» schweigenden Wald, wo nur noch hie und da eine leise zwitschernde Vogclstimmc ertönte. Jubelnd flog Eva etwa eine halbe Stunde später in die ausgclncitctcn Arme ihrer lieben, mütterlichen Freundin, deren gutes, rundliches Gesicht vom Wieder schein der Freude förmlich strahlte. Dann nahm die glückliche, junge Braut das Mud ans den Arm und drückte ihr tränenübcrströmtes Gesicht in das lockige, seidenweiche Blondhaar des Kleinen. Lächelnd sah Sigmund diesem Beginne» zu. Zwei Monate später zog mit Eva das wahre Glück im Hause Sigmund Lindes ein. Auch die beiden Mütter waren nicht mir Zeuge» desselben, sondern nahmen von ganzem Herzen daran teil. Die Huhne des Fischers. Original-Erzäistmig von Ludwig Blümckt. I. An der Westseite Nordjütlands lag das Kirch- dörflein Overby. Etwas abseits von diesem, hart an der große», von Strandhafer bewachsenen Düne, standen zwei kleine, mit Stroh gedeckte Fischerhütten. Das eine dieser beiden ärmlichen Häuschen gehörte dem biederen Ove Outzen und das andere besaß seit mehr als dreißig Jahren der weit und breit bekannte und durch seine Kühnheit berühmte Las Olnsse». Dieser, ein großer, stämmiger, etwa scchzigjähriger Mann mit wettergcbräuntem, strengem, von einem gewaltigen grauen Barte umrahmtem Gesicht und tiefblauen, treuen Auge», stand in seiner Teerjacke und den langen Wasserstiefeln vor der Tür und wischte mit der schwieligen Hand de» Schweiß von der Stirn. Es war eben ein heißer Augusttag und der fleißige Mann war vom frühen Morgen bis zu dieser späten Nachniittagsstundc ans der klare» stillen Flut seinem beschwerliche» Berufe nachgcgangen. Neben ihm stand ein großer Korb, der etwa bis zur Hälfte mit Fischen gefüllt war. Auf diesen weisend sprach Olussen z» der Greisin mit dem schneeweißen Kopftuche und dem sauberen, selbst gewebten und genähten Kleide, die eben aus der Tür trat und ihm lächelnd zunickte: „Es war ein gesegneter Tag, liebe Tine, sieh nur, der Korb ist halbvoll." „Aber wie Du heiß geworden bist, lieber Mann, komm nur schnell herein und stärke Dich," sagte die brave Frau, während ihr mildes, faltenreiches Gesicht einen ernsten Ausdruck annahm. Olussen mußte sich tief bücken/ um durch die niedrige Tür eintreten zu könne». Bücke» mußte er sich auch fast, um in der sauberen kleinen Stube mit den rosaroten Wänden »nd den vielen grellfarbigen Bildern aufrecht stehen zu können. Die Bilder, die znmeist biblische Ereignisse und Szenen aus dem Sce- niaiinslebcn darstellte», waren außer dem zierlichen Schiffchen, das an der Decke hing, der einzige Schmuck der Stube. Aber kotz aller Schmucklosigkeit und Einfachheit machte der kleine Raum doch einen ungemein freundlichen Eindruck; so etwas Anheimelndes, Gemüt liches besaß er, daß man sich bald an seine Dürftigkeit gewöhnt hatte und sich Wähler unter den biederen, treuherzigen Fischersleuten fühlte als in manchem Salon. Mit welcher Liebe hingen doch die beiden Alte» aneinander! Wer es mit angesehen hätte, wie Mutter Tine ihrem Gatten den Schweiß von der Stirn wischte, wie sic ihn, behilflich war, die schweren Stiefel von den Füßen zu ziehen und wie sie ihn liebevoll zum Esse» nötigte, wie er ihr dafür dankbar mit seiner rauhen Hand über die welken Wangen strich, der hätte sicher geglaubt, Las n»d Tine lebten noch in de» Flitterwochen. Ach, und doch war cs lange her, seit die Beiden drüben im Kirchlein ihren Bund fürs Lebe» schlossen. Dreißig schwere, schwere Jahre waren seitdem dahingerauscht. Aber die Liebe, erprobt und gefestigt durch des Lebens Stürme, hatte nicht auf gehört. Jedes von beiden wußte, was cs am andern besaß, »nd eins wnßle, daß es ohne das andere kein Ganzes war. Als die Sturmflut vor Jahren die kleinen Ländereien, die neben dem Häuslein lagen, verschüttet hatte, als Las verzweifelt die Hände über dem Grabe seines geraubten Besitzes rang, da war es seine Gattin, die ihn zu trösten verstand. Als man der Mutter ihre drei erwachsenen Söhne vor fünf Jahren als Leichen ins Hans brachte — das Schiff war gesunken und sic hatte» i» den Wogen ihren Tod gefunden —, da war es der Gatte, der die Verzagte auszurichtcn und zum Quell allen Trostes z» sichren wußte. So hatte eins am andern Halt gefunden in der Trübsal. Alles Leid und alle Freude hatten die Gatten geteilt. Zwist und Hader über nichtige Dinge, die sonst so oft den Hansfricden zn stören pflegen, gab cs hier im Fischcrhüttlcin niemals, denn der Erlist des Lebens hatte die Eheleute gelehrt, sich über Klein liches hinwcgznsctzc» und jede noch so geringe Gabe des Schicksals mit Dank und Freude ansziinchmcn. DaS Liebste ans Erden war Las und Tine ihr zwölfjähriger, einziger Sohn Jens. Den zn einem wackeren Manne zn erziehen, war ihr höchstes Streben und ihre Lust, lind ihre Mühe war nicht umsonst gewesen, denn der Jens war wirklich der gesittetste, ehrlichste und bescheidenste Bursche im ganzen Dorfe, das hatte der Lehrer erst neulich den Eltern zu ihrer großen Freude gesagt. Zwar wollte es mit dem Lernen nicht so recht gehen, aber was brauchte er später als Fischer denn auch große Kenntnisse zu besitzen? Mitschüler nannten den Fischcrjungcn oft unter sich, öffentlich dursten sic es nicht, denn Jens ließ bei aller Gutmütigkeit seiner Ehre nichts zn nahe kommen, einen Dummkopf, da er mit seinen zwölf Jahren kaum seinen Namen richtig schreiben konnte. Darnach z» urteilen mußte er wirklich recht einfältig sei». lind doch sah er, wenn man ihn sich mit seinem frischen Gesicht, den träumerischen, braunen Augen, die bisweilen gar listig auslcnchtctcn, gar nicht dumm aus. Im Gegenteil, man mußte in ihm irgend etwas Besonderes, etwa ein verborgenes Talent, vermuten. Während die Eltern jetzt in der Stube saßen und den Verkauf der Fische besprachen, lag Jens in seinem blauen, von der Mutter gefertigten Anzüge mit den Händen unter dem Kopfe an der sandigen Düne „nd schaute gedankenvoll in die blaue Ferne, in der eben die Segel eines Schiffes verschwanden. „O dürfte ich doch mitsahrcn in die schöne, weile Well!" dachte er dabei. „Dürfte ich doch das Hänscrinecr sehen, von dem ich soviel gehört habe, und die Schlösser mit den hohen Türmen, die Berge aus Stein mit grünen Neben." „Jens, Jens," rief da, ihn jäh uns seinen Träumen weckend, eine Helle Kindcrslimmc. Jens richtete sich ans »nd sah Hansine Outzen, des Nachbars achtjähriges Töchterchen, drunten am Wasser stehen. Außer dem weiße» Hcmdchen hatte das nied liche, blondlockige Kind nichts an, als einen kurze» rote» Nock. Lachend stand es da und klatschte i» die Hände, als der Knabe herantrat, der ihm, trotzdem er vier Jahre älter war, der liebste Spielgefährte war. „Sieh nur, sieh, guter Jens, was ich gebaut habe!" Da hatte das Mädchen mit geschickter Hand eine Menge Höhlen aus dem weichen Sccsand geformt, auf dieses Bauwerk war es stolz und erklärte es dem Freunde mit Wonne also: „Kannst Du nicht errate:,, was das vorstellen soll? Es ist ja das Dorf! Sieh, dies ist Euer Haus und dies ist unseres. Das große Gebäude mit der spitzen Muschel auf dem Dache soll die Kirche sein. Dies ist daS Pastorat und das ist Bäcker Nielsens Hans, das die Schule, das die Gast wirtschaft, hier wohnt Tischler Jürgenscn, hier Claus Nisse», hier Peter Lund und hier der reiche, böse Ommer. Stimmt es nicht alles ganz genau?" Jens lachte und sagte: „Du bist doch wirklich sehr geschickt, Sinchen, das hätte ich nicht fertig gebracht." Damit ging er wieder an seine» Platz, und das vergnügte Kind machte sich daran, den Bau noch zn vervoll ständige». Als es nu» so I» sein Spiel vertieft war, kani, im Wasser watend, ein Knabe ans de», Dorfe, der häufig Muscheln hier am Strande zu suchen pflegte, heran und schaute ihr mit spöttischem Lächeln zu. „Brauchst nicht so klug zu lächeln, Peter," sagte die kleine Baumcisterin etwas gekränkt, „was ich hier mache, versteht nicht jeder." Aber da lachte Peter Nielsen ganz laut, griff mit beiden Händen ins Wasser und schleuderte eine Welle in das Dörslcin, die ver schiedene Häuser ganz vernichtete. „Laß das Peter," flehte Hansine, den ungezogenen Jungen betrübt mit ihren unschuldigen Blanangen anschaucnd. Doch in seinen: Ucbermut ließ der Taugenichts »u» Welle auf Welle klatschend in das Dorf schlagen und ganze Häuserreihen fortspülen. Hansine weinte bitterlich