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Die Sorge um dasselbe hatte sic doch sicherlich am schwersten vor ihrem Hinschcidcn bedrückt. Ob sie auch mich sah und wußte, dass ich ihr immer zugetan geblieben in unverändert treuer Liebe? Unten erscholl die Glocke. Sidonie stürzte zur Tür der sich feste Tritte näherten, und kam sofort wieder zurück, ein bildhübsches Mädchen auf dem Arme. Hinter ihr, halb verdeckt durch sie, schritt eine hohe Männcrgcstalt. „Der Ueberbringer des Kindes," dachte ich und beachtete den Fremden nicht weiter, sondern wandte meine ganze Auf merksamkeit dem Kinde zu, das Sidonie mit Küsten bedeckte und unter Lachen und Weinen an sich drückte. „Sein Ebenbild, ganz sein Ebenbild, nicht war?" flüsterte sie mir zu und hielt es mir entgegen. Ich hatte keine Antwort auf diese Frage — sie vergaß, daß ich Velden nicht gekannt hatte — die Züge waren mir fremd, aber diese dunklen Augen mit den eigen sinnenden Blick, die kannte ich. „Ella, meine Ella," rief ich, überwältigt von der Er innerung an die Zeit, in der diese Augen die einzigen gewesen, die mich freundlich angclacht und streckte die Arme nach dem Kinde aus. Und zutraulich blickte mich die Kleine an, legte die Acrmchcn um meinen Hals und machte sich? auf meinem Schoße bequem. Ich vergaß ganz, wo ich mich befand, ich war wieder jung, ich befand mich wieder im Hause meines Oheims und die Kleine, die ich da auf meinem Schoße hielt, war mein mir anvcrtranter Zögling. Da beugte sich jemand über mich und eine tiefe, wohl bekannte Stimme fragte: „Und für mich haben Sie kein Wort, keinen Blick der Begrüßung, Fräulein Agnes?" Sidonie nahm mir rasch das Kind ab und wich zur Seite, mit einem schelmischen Lächeln auf mich niedersehend. Ich starrte sprachlos in des Sprechenden Antlitz. Richard — er war cs wirklich? Acffte mich kein Traum? Mir schwindelte — ich schloß die Augen und als ich sie wieder öffnete, war meine Nichte mit der kleinen Ella verschwunden und Richard sab neben mir, mich unverwandt mit seinen treuen Augen betrachtend und streichelte sttnmm meine Hand. Das war unser erstes Wiedersehen, seit dem Tage, da wir im Garten meines Onkels in der Hoffnung auf eine baldige Vereinigung so frohen Abschied genommen. Als ich mich von der ersten Erschütterung erholt hatte, lenkte ich das Gespräch auf unseren kleinen neuen Hausge nossen, um vorerst eine Erwähnung der Vergangenheit zu vermeide». „Meine Nichte mißt die Hauptschuld an dem Bankerott Veldens besten Schwiegermutter zu," bemerkte ich unter anderem. „Einen Teil der Schuld trägt sie auch, gewiß, aber die Hauptschuld — das dürfte doch übertrieben sein. Fräulein Sidonie verleitet da eben ihr Herz zu einer Ungerechtigkeit. Frau Wendling war von früher her gewohnt, große An sprüche an das Leben zu stellen, nun, die junge Frau Velden cigenilich auch. Aber ohne Veldens wahnsinnige Spekulationen Ellä war zu schwach, ihn umzusteuern! Sie soll übrigens wenig gute Stunden in ihrer Ehe verlebt haben. Die Mutter konnte sich mit dem Schwiegersohn nicht vertragen, die alte Frau ^Velden, die stets vermittelt, starb, und dann kam es oft zu Szenen — doch ich denke, man hat in der Schilderung derselben sehr übertrieben," fügte er rasch hinzu, als er meine schmerzliche Bewegung gewahrte. Ich schüttelte den Kopf. Ich kannte meine Tante. „Frau Wendling ist noch immer die alte. Sie hat noch nichts von ihrer Herrschsucht eingcbüßt," erzählte Richard weiter. „Sic können sich nicht vorstellcn, welch harten Strauß es Fräulein Sidonie und mich gekostet, Ella zu erhalten. Erst als ich ihr schonungslos ins Gewissen sprach und sie an das Unrecht erinnerte, das sic einst — an Ihnen begangen, willigte sie ein, uns das Kind abzutreten. Anerkennen muß ich, daß mir Frau Klara wacker half sie zu überreden. Diese war offenbar froh, den unnützen Brotefser los zu werden." „Hier wird es Ella gut haben," sagte ich leise, „Sidonie ist ein Engel an Güte und Selbstlosigkeit." „Leicht erklärlich, wenn sie neben Ihnen lebt," lachte Horner. „Spotten Sie nicht, Richard, ich spreche ernst. Wo finden Sie gleich wieder einen Menschen, der imstande ist, so edel mütig an dem zu handeln, der ihn beleidigt und zertreten?" „Nun, wären Sie es nicht imstande?" „Ich fürchte nein! Mir ist das nicht widerfahren, was Sidonie erduldet hat und es ist leicht, nicht ganz schlecht zu sein, wen» man mit so viel Liebe und Güte umgeben wird, wie ich. Ich bin so reich neben ihr, so unendlich reich." „Er beugte sich tief zu mir nieder, sobaß sein Atem mein Gesicht streifte. „Du — reich? O du armes, gutes, ge nügsames Kind!" Da ergriff ich die Hände des geliebten Mannes und preßte im überquellende» Gefühl meine Lippen darauf. „Ich habe ja dich, dich," flüsterte ich, „was will ich noch mehr?" Er verbarg sein Gesicht in meinem Haar. „Auf wie lange noch?" murmelte er, und da — da wußte ich, was mir bevorstanb. Schon der Mittagszua des nächsten Tages sollte mir meinen Freund wieder entführen. Ich befand mich mit Ihm im Salon, um Abschied zu nehmen. Wir waren allein. „Sing mir noch ein Lied zum Abschied, mein Liebling," bat er, „so lange habe ich deinen Gesang entbehren müssen und ich möchte ihn wenigstens noch einmal hören, bevor wir scheiden —" Ich verstand wohl, daß er den Nachsatz, „vielleicht auf immer scheiden," unterdrückte. „Was für ein Lied soll es sein?" fragte ich zaghaft. „Stell auf den Tisch den Strauß mit duftenden Reseden — ja, willst du das?" Ich erschrak bis ins innerste Herz. Würde meine Stimme fest genug sein, diesem Verlangen zu willfahren? Jedenfalls mußte ich es versuchen . . . Zitternd setzte ich mich an das Klavier und präludierte. „Stell auf den Tisch den Strauß von duftenden Reseden Die letzten roten Astern hol herbei. Und laß unS wieder von der Liebe reden. Wie einst im Mai." Wetter kam ich nicht, ich ließ den Kopf auf die Arme sinken, den ganzen Körper von krampfhaftem, tränenloscn Aufschluchzen geschüttelt. Ich weinte selten, oft schon hatte ich Sidonie beneidet, der so schnell die erlösenden Tränen kamen. Und auch diesmal fand das wilde Weh, das mein Herz zerfleischte, keinen Ausweg in Tränen. Mit sanfter Gewalt hob Richard meinen Kopf in die Höhe. „O wir zwei," flüsterte er, „wir armen Zwei! Daß wir die Buße tragen wüsten für fremde Schuld! Warum nur, warum?" „Gott wird es wissen," preßte ich mühsam heraus. Eine Weile hielt er meinen Kopf zwischen seinen Händen und sah mir tief in die Augen, dann küßte er meine Lippen, flüsterte ein leises „Lebewohl!" und ging. Ich lauschte auf seine sich entfernenden Schritte. Wie seltsam müde und schwankend sie waren! Da, war es nicht, als taumelte er? Ich hielt den Atem an — ein dumpfer Fall, ein gellender Aufschrei Sidoniens und bewußtlos sank ich in meinen Sessel zurück . . . Einmal noch durste ich ihn sehen, von den blaffen fried lichen Zügen Abschied nehmen und die kalte Hand küssen — dann legten sie ihn in den Sarg und trugen ihn fort, Wie weh mir das tat, daß ich ihn nicht zur letzten Ruhe stätte begleiten konnte! Niemals wieder hat es mich so ge schmerzt, daß mir der freie Gebrauch meiner Glieder entzogen war, als damals. LäM qMtd"mich >'ver LörMrf, daßstch nnch dcm Herz- leidenden gegenüber nicht genug beherrscht hatte. Ich hätte ihm alle Aufregung ersparen sollen, vielleicht wäre dann die Katastrophe noch hinauszuschieben gewesen. Oder wäre der Herzschlag auch ohne die vorhergegangene Szene eingctrcten? Einen schwachen Trost gewahrte cs mir, daß sein Grab in meiner Nähe war, und ich es bisweilen besuchen und mit Blumen schmücken konnte. Heute noch prangt dasselbe im Sommer stets im reichsten Schmucke; Sidonie und unsere Kleine helfen mir dabei. Ebenso habe ich von jenem Tage an nie mehr eine andere Farbe getragen als schwarz. Da und dort lugt ja aus der Mosaikdecke ein schwarzes Fleckchen heraus. Sidonie teilte treulich meinen Schmerz, und die kleine Ella gewährte mir Beschäftigung, die mich über mich selbst hinaushob. Manches Stückchen Stoff In meiner geliebten Mosaikdecke rührt von ihren Kleidchen her. Da ist ihr weißes Kleid, das sie anläßlich ihrer ersten heiligen Kommunion getragen; in diesem dunkelroten Sammtkleidchen gratulierte sie mir zum ersten Male zum Namenstag — und blieb glücklich in der Mitte des Glückwunsches stecken. Dieses graue Kleidchen war ihr Schulkleid — ich hatte es mir nicht nehmen lasten, ihren Unterricht ganz allein zu llbernehnen und es gewährte mir einen hohen Genuß, die reichen Anlagen des Kindes auszubilden. So gelangte ich allmählich dazu, meinen Verlust zu überwinden. Ich weiß, mein teuerer Freund, der du jetzt vom Himmel auf mich herabsiehst, du wirst mir darüber nicht zürnen. Du warst kein kleinlicher Charakter und hättest eS nie gebilligt, in egoistischer Hingabe an ein Leid die Te- samtinteressen zu vernachlätsigen. Verwunden und verschmerzt habe ich auch, was ich dereinst als größtes Unglück meines Lebens betrachtete, daß ich dir nicht angehören dürfte. Ich sehe nun ein, daß es Gott auch damit nur aut mit uns gemeint hat. Wer weiß, viel leicht hätte das Glück das bessere Selbst in mir ertötet und ich wäre deiner unwürdig und dein Unglück geworden. Dann wäre mir das, was ich als höchste Seligkeit erstrebt, zum zeitlichen und ewigen Verderben geworden. Und dann, als du mir so jäh entrissen wurdest — gewiß, der Schlag war schwer und schmerzte tief. Aber die Liebe zu dir beherrschte wohl mein Sein zu ausschließlich und der Herr wollte mich mehr an sich ziehen, mich lehren, daß seine Liebe hoch über alle irdische erhaben sei. Mit deinem Tode verlor das Irdische seinen Wert für mich und das Himmlische gewann ihn dafür. Heute gedenke ich deiner ohne leidenschaftlichen Schmerz als eines lieben Freundes, in stiller Trauer zwar, aber ich hoffe ja zuver sichtlich auf ein Wiedersehen! — Leise Tritte näherten sich meinem Zimmer, die Tür wird aufgcristen und ein vierzehnjähriges, dunkellockiges Mädchen stürmt herein und schlingt die Arme lebhaft um meinen Hals. „Tante Agnes, endlich ist das entsetzliche Gewitter vor über. Nun komm nur gleich mit hinaus in den Garten, ich schiebe deinen Rollstuhl. Sollst einmal sehen, wie doppelt schön jetzt alles draußen ist. Wie die Regentropfen auf den Blättern glitzern und die Blumen duften so süß! Aber Angst habe ich ausgeftanden, huh! Ich schmiegte mich fest an Mama, die selbst zitterte. Es war aber auch keine Kleinigkeit, nicht wahr, Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag! Aber wie stehst du mich denn an? Weißt wohl gar nichts von dem Gewitter, hast es am Ende gar verschlafen, du — du Schlafmütze von einem Tantchen! neckte sie, während meine Blicke verständnislos durch das Fenster wandern. Wirklich, die dunklen Wolken sind verschwunden, die Sonne scheint in verdoppelter Pracht und die Vögel zwitschern. Und nun fliegt mein Blick zu ocr Mosaikdecke hinüber — nein, nicht verschlafen, aber verträumt habe ich das Ge witter. Doch nun seid begraben ihr alten Erinnerungen, die Gegenwart fordert ihr Recht. Und ich erwidere den Gruß der hohen Franengestalt, die eben im Rahmen der Portiere erscheint — ja, ich komme schon, meine Lieben, ich folge euch hinaus! End-. Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Reichenbrand vom 6. bis 12. Marz 1909. Geburten: Dem Maurer Robert Walther Reichel 1 Mädchen. Aufgebote: Der Mechaniker Mar Albert Schcllenberg mit Frieda Elsa verw. Aurich geb. Graichen," beide wohnhaft in Reichenbrand. Sterbefalle: Dem Handarbeiter Willy Förster 1 Tochter, 9 Tage alt. Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Siegmar vom 5. bis 11. Marz 1909. Geburten: Dem Maler Oskar Hermann Winkler, und dem Kern- macker Paul Albin Gräfner je 1 Mädchen. Eheschließungen- -Der Würker. Wa^Wüli-Sch«NLLu»Lr.2üL^1ara. Landgraf, beide wohnhaft in Siegmar. Sterbefalle: Dem Maler Oskar Hermann Winkler 1 Tochter, 1 Tag alt. Nachrichten des König!. Standesamtes zn Neustadt vom 6. bis 12. Marz 1909. Geburten: Dem Schlosser Gustav August Schmettow 1 Sohn. Aufgebote: Der Privatmann Eduard Robert Winter mit Amalie Bertha gcsch. Krämer geb. Jordan, beide wohnhaft in Neustadt. Eheschließungen: Der Eisenformer Eugen Enzmann, wohnhaft in Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Rabeusteiu vom 6. bls 12. März 1909. Geburten: Dein Fabrikarbeiter Emil Bruno Straßner 1 Tochter; dem Eisendreher Ernst Otto Schulze 1 Sohn; dem Eisengießer Alfred Emil Prüfer 1 Sohn ; dem Handschuhstricker Willy Otto Eichner 1 Sohn. Eheaufgebote: Der Dachdecker Karl Oswald Haase und die Wirt- schafterin Aloista Schöberl, beide in Ravenstein; der Bezirksschul lehrer Richard Emil Mehlhorn in Ehemnitz und Adele Marie Schönherr in Rabenstein. Kirchliche Nachrichten. Parochie Relchenbraiid. Am Sonntag Oculi, den 14. März, vorm. 9 Uhr Prcdigtgottesdienst. Parochie Rabenstei». Am Sonntag Oculi, den 14. März 1909, vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst. (Herr Pastor Bähr aus Altendorf) Mittwoch, den 17. März abends 8 Uhr Abendunter- haltung für Jungfrauen im Pfarrhause. Für die vielen Beweise herzlicher Teilnahme beim Dahinscheiden unseres lieben Sohnes Paul Sachse sagen wir allen Verwandten. Nachbarn und Bekannten unseren herzlichsten Dank. ^ ^ ^ Otto und Reichenbrand, im März 1909. und 6 Stück Zickel preiswert zu ver- Laufen. 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