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Börsenblatt für drn «rttlög« für das Börsenblatt sind an dir Deutschen Buchhandel und die mit ihm verwandten Geschäftszweige. Ligkothum de» »Srseudereiui der Deutsche» »uchhiudler. 224. '«« Leipzig, Mittwoch den 25. September. Nichtamtlicher Theil. 1872. Ein Beitrag zur Geschichte der alten Musikdruckc. EL gibt wohl kein Fach im Autiquarhandel, welches seit etwa dreißig Jahren sich eines so enormen Umschwunges zu er freuen bat, als die alten Musikdrucke. *) Nicht nur daß in früherer Zeit die Werke selbst scheinbar gar nicht vorhanden waren, sondern auch der Preis dafür, wen» sich hier und da ein Werk zeigte, war geradezu lächerlich. Die seltensten Druckwerke, die jetzt mit hohen Preisen bezahlt werden, erhielt man damals für wenige Groschen, und der Antiquar war froh, daß er die Maculatur los war, den Käufer für einen Sonderling oder Potsdamer haltend. Kiese- wetter, Fötis und besonders Dehn, durch seine im Aufträge des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen unternommenen Reisen und Visitationen nach alten Musikwerken, brachte nicht nur dieselben aus Staub und Moder, der Vergessenheit und dem sicheren Verderben entreißend, wieder ans Tageslicht, sondern machte die Besitzer derselben auf den geistigen und besonders pecuniären Werth derselben aufmerksam. Dehn war zwar nicht der Mann, der große Summen bot. So wollte er die kostbare Musikbibliothek in Brieg (Schlesien) für 40 Thaler haben. Der Brieger Magistrat bat sich einige Bedenkzeit aus und kam auf den gcscheiden Einfall, die Bedingung zu stellen, daß Sc. Maj. der König die Bibliothek für 40Thaler haben soll, wenn er den Bricgern ein neues Pfarrhaus baue. Wenn diese Bedingung nach 1850 an König Friedrich Wilhelm IV. gestellt worden wäre, so hätten die Brieger ein neues Pfarrhaus und die Berliner die Brieger Musikbibliothek, so aber wehte damals der Wind noch nicht aus der Ecke und Brieg behielt seine Bibliothek und sein altes Pfarrhaus. Elftere erfreut sich dort zwar des besten Wohlergehens, aber auch gänzlicher Ver gessenheit, da sie Niemand benützt. Dehn war hinter alten Musik werken her, wie der Teufel nach einer Seele. Sein Gehalt war klein, zu Handel» und herunterzudrücken verstand er prächtig, und was die Berliner Musikbibliothek besitzt, ist durch seine Hand ge gangen; manche Seltenheit wanderte auch nach Rußland und Eng land, die noch besser zahlten. Daß in Brandenburg an der Havel kein Blatt alte Musik zu finden war, wollte ihm nie recht in den Sinn, und die alle Katharinenkirche hat er mehr wie einmal durch sucht. Dehn hatte Recht, doch sollte nicht ihm vergönnt sei», den seltenen Fund zu machen, sondern unserem wcrthen Kenner und Förderer altclassischer Gesangsmusik, Hrn. G. W. Teschner aus Berlin. Die Auffindung dieser Bibliothek ist zu merkwürdig, als daß sie nicht verdiente erzählt zu werden. Teschner ist eines schönen Sonntags während der Kirche bei Täglichsbcck, dem Organisten, aus dem Orgelchore der Katharinenkirche zu Brandenburg. Kirchen- Alte handschriftliche Musikwerke werden noch schlecht bezahlt, da uns da Kenntnis brr Aulographie von den alten Meistern noch zu sehr fehlt. Neununddreißtgster Jahrgang. lust wirkt aus einen Büchersammlcr schon anregend, und so bemerkt Teschner, währenddem er seinem Freunde Täglichsbcck zuhört und auf dem Orgclchore auf und ab spaziert, eine hohe Thür an der Wand, die zwar ein Fenster sehr gut bedecke» kann, aber auch eben sogut einen i» der Wand vorhandenen Bücherschrank. Die letztere Vermuthung khcikl er dem orgelspiclendcn Tägiichsbeck mit, der ihm aber den Trost gibt, daß nur ein Fenster dahinter stecken kann. Da die Thür auch ein Schlüsselloch ausweist, so läßt sich Teschner nicht abhaltcn, Täglichbeck'L Kirchen-Schlüsselbund nach dem dahinein passenden Schlüssel zu untersuchen, und richtig, der Schlüssel ist vorhanden, er paßt vortrefflich, doch der Rost hal so fleißig gearbei tet, daß weder Schloß noch Thür zu bewegen sind. Hier kann nur ein Schlosser Helsen, und da der heilige Sounlag nicht durch Thiiren- erbrcchcn gestört werden darf, so muß sich Teschner schon bis Mou- lag gedulden, stets von Täglichsbcck begütigt, daß »nr ein Fenster dahinter sich befinden kann. Montag früh bei Zeilen finden sich Schlosser und die Herren auf dem Orgelchorc ein, und der Schlosser versucht seine Künste; doch alles vergeblich, die Thür will sich nicht öffnen. Es bleibt nur »och die Anwendung der Brechstange übrig. Mit dröhnendem Krach springt die Thür endlich auf und dicke Staubwolken qualmen hervor, so daß alles wie in undurchdring lichen Nebel gehüllt ist. Daß hinter der Thür kein Fenster lag, belehrte schon der erste Blick, denn tiefe Nacht lag hinter ihr, und als der Stand sich langsam senkte, Irak eine wohlgeordnete und mit Lurus-Einbänden versehene Musikbibliothek mit Drucken ans dem 16. und 17. Jahrhundert in Stimmbüchern hervor. Niemand war glücklicher als Tägiichsbeck, den» ihn traf als Lehrer am dortigen Gymnasium das Loos, für das nächste Ostcrprogramm einen Aus satz zu liefern und hier wurde ihm das herrlichste Thema zur Be arbeitung gebolen. (Der Katalog nebst Vorrede befindet sich in dem Programm des Gymnasiums zu Brandenburg 1857, doch ohne obige Mittheilung der Auffindung der Bibliothek.) Auch Otto Kadc zu Schwerin, früher in Dresden, hat sich durch Auffindung und Rettung zweier werlhvollcr Musiksammlun- gen große Verdienste erworben. Die eine fand er in dem Gymna sium zu Grimma (dort lagen die Werke so übereinander gehäuft, wie man etwa Sand abladct) und die andere in der Stadtkirchc zu Pirna. Beide Sammlungen ha! er geordnet und die Kataloge der selbe» sin Serapeum von 1855 und 1857 veröffentlicht. Soviel haben wir nun durch die Bestrebungen einzelner Männer erreicht, daß nicht nur in Leipzig, Manchen, Dresden, Wie» und Berlin bedeutende öffentliche Musikbibliotheken errichtet worden sind und in besonderen Abtheilunge» von einem Custos verwaltet werden, sondern auch in kleineren Städten sind die Werke wenigstens vor dem Untergänge gesichert, wenn auch dort noch manches ge schehen könnte, was den Gebrauch der Werke erleichterte. (Siche 477