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^ 14, 18. Januar 1908. Nichtamtlicher Teil. B«rs-Nil°n s. d. Dtichl,. Bucht,»ndel. 707 Nichtamtlicher Teil. Wiener Brief XV?) (Scheckverkehr — Buchhändler aus der Bühne — Erstausgaben — Weihnachtsmärchen.) Eine Anzahl Vorstandsmitglieder einer angesehenen Berliner sozialpolitischen Vereinigung — Hochschullehrer, Verwaltungsbeamte, Stadtverordnete — fand sich vor einigen Monaten in Wien ein, um die Organisation verschiedener Staatsanstalten und anderer Institute kennen zu lernen. Als die Herren sich nach mehrtägigem, gründlichem Studium verabschiedeten, bemerkten einige von ihnen: »Um zwei Ein richtungen, die wir in Berlin sehr entbehren, beneiden wir die Wiener: um das Postsparkassenamt und das Volks- Heim^ Mit ungefähr denselben Worten schlossen die Be richte über die Wiener Reise in den Berliner Blättern. Über das Volksheim habe ich an dieser Stelle bereits nach seiner Gründung berichtet und hoffe, »ach Erscheinen des neuen Jahresberichts interessante Ziffern über das Auf blühen dieser ersten Volkshochschule auf deutschem Boden Mitteilen zu können. — Die Frage des Scheckverkehrs steht seit Monaten im Deutschen Reiche, wo die Kapitalnot und der Mangel an Umlaufmitteln sich fühlbar macht, aus der öffentlichen Tagesordnung, und beinahe in allen Tages blättern und Zeitschriften, wo über die Einführung oder eigentlich Vermehrung des Scheckbetriebs debattiert wurde — so z. B., um nur einige zu nennen, in Über Land und Meer, der Woche, der Zukunft —, wurde das Scheckwesen der österreichischen Postsparkasse als mustergültig hingestellt. Banksekretär A. Lewy sagt wörtlich: »Ein vortreffliches Vorbild für die Organisation dieser Einrichtung können die glänzend bewährten Postsparkassen in Österreich-Ungarn liefern. Es ist ohne Zweifel, daß erst durch die Angliederung an die Post der Scheckverkehr diejenige allgemeine Bedeutung erhält, die erforderlich ist, damit er seine Aufgabe zu erfüllen vermag: zur Ver billigung des Geldes beizutragcn». Einige Äußerungen, die im Börsenblatt über den Scheckverkehr von mehreren Einsendern zu lesen waren, lassen mich vermuten, daß die Herren über das Wesen des Clearing-Verkehrs nicht genügend unterrichtet sind. Das Clearing-System der österreichischen Postsparkasse besteht darin, daß die Kontoinhaber dadurch Zahlung leisten, daß sie einen ordnungsgemäß ausgestellten Scheck an das Postsparkassen amt einsendcn, auf den sie die Worte setzen: Zur Gutschrift auf das Konto No. des N. N. in N. Beide Schcckbüchel- besitzcr werden vom Postsparkasscnamtc sofort von der voll zogenen buchmäßigen Durchführung mittelst Kontoauszug verständigt. Auf diese einfache, rasche und sichere Weise können die Scheckkontoinhaber ihre Schuldigkeiten und Forderungen untereinander ohne Barmittelbewcgnng aus- gleichen. Ich erwähne noch, daß für die Korrespondenz der Postsparkasse mit den Teilhabern des Clearingverkehrs Porto freiheit zugestanden wurde, und führe einige Ziffern an, die den Umfang des österreichischen Postsparkaffcnwcsens illu strieren. Am Schluffe des Jahres 1906 waren im Clearing verkehr 72 246 Teilhaber angeschlvssen; der Umsatz betrug im Jahre 1966 acht Milliarden Kronen. Die Postspar kasse wurde auch sehr lebhaft zur Erstattung von Steuern und Gebühren benutzt; im Jahre 1905 wurden auf diese Weise 705 070 Zahlungen im Betrag von mehr als 152 Mil lionen Kronen geleistet, d. h. im Wege des buchmäßigen Über trags, ohne daß ein Heller bar in Bewegung gesetzt wurde. Unter den Einsendern im Börsenblatt, die sich mit ") XIV stehe Börsenblatt Nr. 317 vom 17. September 1967. dieser Frage befaßten, fiel mir einer in der Nummer vom 2. Oktober v. I. durch bemerkenswerte Schärfe seines ab fälligen Urteils auf. »Wie« — ruft dieser Gegner des Scheckverkehrs aus — »sollen auch Beamte und Gehilfen ein Bankkonto haben?« Und in warnendem Tone fährt er fort: »Jedenfalls werden beim Umsichgreifen des Schcckwesens auch solche Leute zum Bankkonto gedrängt werden, für die es eigentlich gar keinen Zweck hat, z. B. kleine Kaufleute, Arzte, Privatlehrer und die leider allzuvielen, die gar nicht Betriebsmittel genug besitzen, um bei einer Bank ein Guthaben unterhalten z» können«. Hierzu kann ich dem Einsender nur auf England ver weisen, wo die meisten Zahlungen, auch jene an die Lieferanten von Lebensmitteln für den Haushalt, durch Schecks ge leistet werden. Und was z. B. Ärzte betrifft, so kann ich ihm aus der Praxis versichern, daß die Wiener Professoren, Arzte, Advokaten re. die Einrichtung des Scheckverkehrs bei der Postsparkasse mit Freude benutzen, denn es ist ihnen — so sagte mir ein berühmter Hochschul lehrer — dadurch möglich, die Rechnungen der Lieferanten ohne Zeitverlust, am Schreibtisch sitzend, durch Ausfüllung eines Schecks zu begleichen, der unfrankiert in den nächsten Postkasten geworfen wird. So wird durch eine moderne Einrichtung Zeit und Mühe erspart — und die Umlaufs mittel werden nicht überflUssigcrwcisc spazieren getragen, wie sich der deutsche Schatzkanzlcr ausdrückte. Die Buchhändler werden von den Bühnendichtern, so scheint cs, als dankbare Objekte für die Wirkung im Rampen licht angesehen; in der vergangenen Saison bekamen wir, wie ich in diesem Blatt berichtete, von Frank Wedekind in seinem Schauspiel »Hidallah« einen raffinierten und gewissen losen Verleger-Spekulanten und in Oskar Blumenthals Lust spiel »Im Glashaus- eine etwas harmlosere Spezies, den von der Eitelkeit der Dichterlinge und sonstigen Dilettanten lebenden Verleger, zu sehen; in diesem Jahre brachte die erste erfolgreiche Novität des Burgtheaters, das Lustspiel -Der Dummkopf- von Ludwig Fulda, einen Buchhandlungsgchilscn auf die Szene. Willibald Beck, dies ist sein Name, gehört einem unsauberen Trifolium an, das es sich in den Kopf gesetzt hat, durch plumpe und feine Mittel ihrem Vetter das ihm in den Schoß gefallene Erbteil von nahezu einer Million Mark ab- zuluchscn. Der Plan gelingt, da das Opfer ein weltfremder »Dummkops« ist, und Willibald Beck erbeutet ein Drittel! des großen Vermögens. Der Bnchhandlungsgchilfc ist als Hohlkops dargestellt, dem jedoch die Schlauheit nicht fehlt, er träumt davon, zu hohen Dingen berufen zu sein, und hält sich für einen Dichter von Gottes Gnaden, dem nur die materielle Unabhängigkeit und die freie Verfügung über seine Zeit fehlt, um sich Anerkennung und Dichterruhm zu verschaffen. Nachdem ihm der Beutezug gelungen ist, sehen wir seine fruchtlosen Bemühungen, das widerspenstige Pferd, den Pegasus, zu zwingen. In nervöser Unruhe beginnt er das schwie rige Fabulieren: »Am goldnen Hügel steht ein grüner Baum. Nein, das ist trivial. Am goldnen Hügel steht ein roter, ein gelber, ein blauer Baum — Raum — Traum — Wolken saum — oder, es steht ein blauer Vanin am goldnen Hügel — Flügel — Zügel — Bügel.« — Vergebens, die lang ersehnte Inspiration will sich nicht cinstcllcn. Zum Schluß ist er noch perfid genug, das ihm anvertraute Tagebuch des »Dummkopfs«, der in Wirklichkeit ein Poet ist, gegen die ausdrückliche Bitte des Eigentümers einer dritten Person in die Hand zu spielen. Im ganzen also ein recht unsympathischer Geselle. 93'