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.1L 99, 1. Mai 1909. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtsch». Buchhandel 5263 Nichtamtlicher Teil. Dichter- und Schriftsteller-Anekdoten. Herr T. Kellen, den Lesern des Börsenblatts als feinsinniger Schriftsteller längst bekannt, hat soeben einen Band: »Dichter- und Schriftsteller-Anekdoten«, Charakterzüge aus der Literaturgeschichte, gesammelt lind herausgegeben von T. Kellen. (Bd. 8 der Anekdoten-Bibliothek). 269 S. Stuttgart, Robert Lutz. br. 2.50, geb. 3.50).*) Diese Sammlung zeugt ebensosehr von der ungemein großen Belesenheit wie von dem guten Geschmack ihres Herausgebers und wird Verfassern und Verlegern, sowie allen Bücherfreunden ein paar recht vergnügte Stunden verschaffen und nebenbei auch manchen nützlichen Merks liefern. Eine Samm lung von Anekdoten und Maximen ist nach Goethe für den Welt mann der größte Schatz, wenn er die ersteren an schicklichen Orten ins Gespräch einzustreuen, der letzteren im treffenden Falle sich zu erinnern weiß (Goethe, Uber Kunst und Altertum). Als Einleitung zu seiner Sammlung gibt Kellen eine kurze interessante Darlegung des Begriffs und der Geschichte der Anek dote und teilt dann 200 Anekdoten von deutschen, französischen, englischen, nordischen, südländischen und orientalischen Schrift stellern mit, denen die betreffenden Literaturnachweise folgen. Naturgemäß spielen dabei auch Verleger und Buchhändler ihre Rolle; offenbar dürfte es nicht schwer fallen, einen stattlichen Band Buchhändler-Anekdoten zusammenzubringen, bei dem auch die Liebhaber von »starkem Toback« auf ihre Rechnung kommen würden. Hoffentlich veranlassen die folgenden Ausschnitte aus der Kellenschen Anekdotensammlung recht viele Leser dieses Blattes, zu dem Bande selbst zu greifen und an der Quelle zu genießen. Wie G oethe selbst gern Anekdoten erzählte, so hat er auch wie viele andere große Geister zu zahlreichen Anekdoten Veranlassung gegeben. In eigentümlicher Weise hat Goethe dem Verleger Friedrich Vieweg in Berlin »Hermann und Dorothea« angeboten. Am 16.Januar 1797 schrieb Goethe: »Ich bin geneigt, Herrn Vieweg in Berlin ein episches Gedicht »Hermann und Dorothea«, das unge fähr zweitausend Hexameter stark sein wird, zum Verlag zu über lassen und zwar dergestalt, daß solches den Inhalt seines Almanachs auf 1798 ausmache, und daß ich nach Verlauf von zwei Jahren ebenfalls dasselbe in meinen Schriften wieder aufführen könne. Was das Honorar betrifft, so stelle ich Herrn Oberkonsistorialrat Böttiger ein versiegeltes Billet zu, worin meine Forderung ent halten ist, und erwarte, was Herr Vieweg mir für meine Arbeit anbieten zu können glaubt. Ist sein Anerbieten geringer als meine Forderung, so nehme ich meinen versiegelten Zettel un- eröffnet zurück, und die Negotiation zerschlägt sich; ist es höher, so verlange ich nicht mehr, als in dem alsdann von Herrn Ober konsistorialrat zu eröffnenden Zettel verzeichnet ist«. Der versiegelte Zettel lautete: »Für das epische Gedicht .Hermann und Dorothea' verlange ich eintausend Taler in Gold«. Vieweg bewilligte das Honorar. Als Sch openhauer1813 seiner Mutter, der fruchtbaren Schrift stellerin Johanna Schopenhauer, ein Exemplar seiner Dissertation: überreichte, soll Johanna Schopenhauer scherzend zu ihrem Sohne gesagt haben: »Die vierfache Wurzel — das ist wohl etwas für Apotheker?« Verletzt antwortete Arthur Schopenhauer, man werde ein Exemplar in einer Rumpelkammer stecken werde. Seinem Spott folgte die schlagfertige Antwort der Mutter: »Bon den deinigen wird die ganze Auflage noch zu haben sein.« lange Zeit hindurch gern gelesen, während die Werke Arthur Schopenhauers lange unbeachtet blieben, worüber sich der Philosoph wiederholt entrüstet ausgesprochen hat. Damals hieß es noch nicht: das ist der Verfasser der »Welt als Wille und Vorstellung« (1819), sondern: das ist der Sohn der berühmten *) Wie uns der Herr Verleger mitteilt, liefert er Angehörigen des Buchhandels für ihre Privatbibliothek das Buch in einem Exemplar mit 50A Rabatt. Red. Johanna Schopenhauer. Seit Jahrzehnten sind deren Werke völlig vergessen, während die Schriften ihres Sohnes den ihnen ge bührenden Platz in der philosophischen Literatur nunmehr behaupten werden. Damit hat aber Johanna Schopenhauer recht gehabt, daß das Publikum von der ersten Auflage von ihres Sohnes »Vierfacher Wurzel« und »Welt als Wille und Vorstellung« nicht viel wissen wollte. Beide Werke wurden zum größten Teil ma kuliert. »Ich bedaure Ihnen nicht verhehlen zu können, daß ich mich bewogen gefunden habe, die Vorräte des Buchs (Welt als Wille, 1. Aufl.), um wenigstens einigen Nutzen daraus zu ziehen, großenteils zu Makulatur zu machen und nur noch eine kleine Anzahl zurückzubehalten«, schrieb Brockhaus 1835 an Schopenhauer. Mme. de Stael hatte sich bekanntlich die heftige Feindschaft Napoleons zugezogen, der ihr Werk »cke IHIema^ne« konfiszieren ließ. Als Mme. de Stael erfuhr, daß man die Bogen dieses Werkes eingestampft und Pappschachteln daraus gemacht hätte, versetzte sie: »Dann sollte man mir wenigstens die Pappschachteln schicken, damit ich meine Hauben hineinlegen könnte«. Auf eigentümliche Weise kam die Verbindung zwischen Hein rich Heine (1797—1866) und dem Verleger Campe (1792—1867) in Hamburg zustande. Heine war Campe von Ansehen nicht be kannt. Heine suchte einmal Campes Geschäft auf, um sich nach neuen Büchern umzusehen. Campe empfahl ihm nichts ahnend Heines eigene Gedichte. Als Heine ziemlich wegwerfend von diesen sprach, verteidigte Campe diese neuartigen Poesien sehr lebhaft und äußerte, daß er gar nicht abgeneigt wäre, derartiges selbst zu verlegen. Heine nahm ihn beim Wort und bot ihm. andern Tages das fertige Manuskript eines neuen Werkes an Campe erwarb sofort das Verlagsrecht für fünfzig Louisdor. Dieses Werk war der erste Band der »Reisebilder«. Heine legte großes Gewicht auf Druck und Ausstattung seiner Werke und kam deswegen beim zweiten Bande der »Reisebilder« mit Campe in Streit, der damit endete, daß besseres Papier genommen wurde, Heine sich dagegen einen Honorarabzug gefallen ließ, gleichzeitig aber auch einen Vorschuß auf sein nächstes Werk erhielt. Heine war übrigens überzeugt, daß seine Schriften die Verluste decken mußten, die Campe durch den Verlag wenig gangbarer Schriften anderer Verfasser erlitten hatte. Dadurch entstand manche Meinungsverschiedenheit zwischen Dichter und Verleger- »Der Börne kostet Ihnen zuviel«, sagte Heine eines Tages zu Campe, »und er will immer noch nicht ziehen«. — »Aber er wird ziehen, wenn Sie lange vergessen sind«, erwiderte Campe. — »Nur schade, daß so lange darauf gewartet werden muß«, bemerkte hierauf Heine. — »Übermut tut (nicht gut«, gab Campe zurück- »Sie halten sich jetzt für den Abgott des Publikums und sprechen: Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Aber Sie stehen in einem Tempel der Literatur, dessen Priester ich bin. Ich nehme die Opfergaben in Empfang, deren Höhe am sichersten beweist, zu welchem Kurse das Volk seine Götter taxiert, lind ich sage Ihnen: das Volk verehrt neben dem Heine noch andere denen die klingenden Opfergaben Heuer noch immer viel reichlicher fließen, als dem Opferstock, den ich für Heine auf gestellt habe.« Durch solche Scherze wußte Campe oft die größten Differenzen auszugleichen, und gewöhnlich endete ein solcher Streit M. G. Saphir (1795—1868) hatte eine fast unleserliche Hand- schrift. Er selbst äußerte sich einmal darüber in einem Briefe an eine Dame, den er in seiner Zeitschrift »Der Humorist« abdruckte, wie folgt: »Wenn Sie meine Schrift nicht lesen können sollten, so gedulden Sie sich, bis ich selbst komme; ich bringe Ihnen zu diesem Behufe meinen Setzer aus der Leopold Grundschen Buchdruckerei mit, den einzigen Menschen auf Erden, der meine Schrift lesen kann. Ich vertraue Ihnen in folgendem ein Staatsgeheimnis an: Ich und mein Setzer, wir werden, als seit vielen Jahren wundersam zusammengewachsen, in die Industrie-Ausstellung ge schickt als ein Wunderfabrikat! Ich kann ohne ihn nicht leben, denn niemand sonst kann meine Schrift lesen; aber auch er kann ohne mich nicht leben, denn der gute Mann kann gar keine andere ordentliche Schrift mehr lesen oder setzen! Wir müssen mitein ander sterben, und auf unserem Grabstein wird zu lesen sein: 684*