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Redaktioneller Teil. /U 44, 23. Februar 1916. dllrfnisse nicht nur zu entdecken und zu befriedigen, sondern auch neue zu wecken, unterscheidet den Büchcrhändler von dem Buchhändler . . < Hier findet Herr Professor Bartels, wenn auch nur in groben Um rissen, wie das bei einer Anregung laum anders möglich ist, bereits eine Gliederung nach bestimmten Gesichtspunkten, nämlich nach dem In halt, der nach unscrm Dafürhalten deswegen in den Vordergrund ge stellt werden muß, weil der künstlerische Wert der Bücher ja au sich Voraussetzung zur Aufnahme in die Liste ist und die künstlerische Form — Roman, Erzählung, Novelle - meist aus dem Titel ersehen werden kann. Auch das; es wünschenswert wäre, wenn der Buchhändler seine Arbeit in den Dienst völkischer Interessen stellen und sich der Pflege des heimischen Schrifttums besonders annchipen würde, ist von uns wieder holt betont worden, zuletzt noch in Nr. 26. Nur möchten wir nicht so ausschließlich der .Heimat-Literatur das Wort reden, das; nun etwa die mit mehr oder minder Recht in engeren Kreisen gefeierten Lokal- größen, die allenfalls in einer schwäbischen, pfälzischen, bayerischen oder hessischen Literaturgeschichte ihre Berechtigung haben, zu National-Göt- tern erhoben werden und darüber bedeutendere, sagen wir einmal, nicht erdgebundcne Geister zu kurz kommen. Denn die Zugehörigkeit eines Dichters zu einer völkischen Gemeinschaft bestimmt doch immer nur einen Teil, wenn auch einen sehr wichtigen seines künstlerischen Schaffens. Daneben aber wirken noch andere Einflüsse, wie sie in der Individuali tät des Dichters, seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Ständen oder Be rufen liegen, ebenso auf ihn ivie der Zeitgeist oder die religiöse und soziale Umwelt, so das; unter Umständen die Frage, ob er dem Adel, dem Bauerntum, dem Handwerkerstände oder einem gelehrten Berufe entstammt, wichtiger sein kann, als zu wissen, daß er in Berlin, Heidelberg, Köln oder Gumbinnen geboren ist. Zudem haben viele Schriftsteller, durch besondere Verhältnisse gezwungen, die heimatliche Scholle mit einem neuen Wirkungskreis vertauschen müssen oder sich freiwillig ein wahlverwandtes Land für ihre Dichtung nnd Kunst ge sucht, wenn sie nicht überhaupt zu Stoffen gegriffen haben, die weit mehr Berührungspunkte mit ihrer künstlerischen Veranlagung als mit ihrer äußeren Umgebung anfweisen. So interessant nun gleichwohl eine Literaturgeschichte »ach völki schen oder geographischen Gesichtspunkten ist, so müßte doch auch sie ein Ganzes ergeben. Denn von welchem Standpunkt ans der Lite rarhistoriker auch an seine Arbeit herantritt, die innere Geschlossen heit wird man nicht missen wollen, da die Knust des Lite raturhistorikers nun einmal die Kunst der Disposition ist, die Fähigkeit, geistige Strömungen zu erfasse», innere Zu sammenhänge anfznwcise» nnd das in den Vordergrund zu stellen, was an dem Schassen des Dichters charakteristisch ist. Ist eine gute Disposition vorhanden, so ist die Hülste der Arbeit bereits getan, wobei es, wie gesagt, zunächst gleichgültig ist, von welchen Gesichts punkten aus der Verfasser an seine Arbeit herantritt, ob er die Person des Dichters, seine Zeit oder die geistigen Strömungen in den Vorder grund stellt, ob er nach »literarischen Schulen« ordnet oder sein Werk ans der Zugehörigkeit der Dichter zu völkischen, ständischen, religiösen oder beruflichen Gemeinschaften aufbant. Das Heftchen jedoch, das den Gegenstand dieser Auseinander setzung bildet, entbehrt dieser Einheitlichkeit, und zwar sowohl in seinem ersten Teile, als auch in der Zusammenstellung der Romanlisten. Wir verstehen daher auch vollkommen, daß Prof. Bartels Bedenken trügt, sich zu diesen Listen zu bekenne», obwohl aus dem Stile hervorgeht, daß die kurzen Anmerkungen zu den in den Verzeichnissen genannten Büchern entweder ganz oder doch zum größten Teile ans seiner Feder stammen. Aus diesem Grunde ist cs auch nicht zutreffend, wenn Herr Professor Bartels behauptet, daß über Frenssen nnd Molos Schiller- Roman nur die vou ihm angeführten Sätze in Betracht kommen. Jeder Leser wird sie vielmehr durch die in den Listen enthaltenen Bemerkungen ergänzen, sodas; zu Frensseu noch das auf Seite 66 Gesagte nnd über Molos Schiller-Roman auch die Stelle auf Seite 66 tritt. Außerdem ist auch noch eine indirekte Kritik über Frenssen bei Erwähnung der Schriften von Nikolaus Fries vorhanden, die nicht gerade von einer objektiven Behandlung zeugt. (»Als Schleswig- Holsteiner war er gewissermaßen Frenssens Vorgänger — es ist kein Vergnügen, die beiden zu vergleichen.«) Solche polemische Bemer kungen — denn was sind sie denn anders? — wird der Leser nur dann verstehen können, wenn er ausreichend über Bartels' Stellung zu Frenssen unterrichtet ist. Darauf bezieht sich auch unsere Bemerkung, daß ein Führer »voraussetznngslos« über ein bestimmtes Gebiet orien tieren müsse, voraussetznngslos nämlich in dem Sinne, daß dem Leser, für den die Schrift bestimmt ist, die Kenntnis der Vorgeschichte solcher Auseinandersetzungen nicht zugemutet werden dürfte. Was Herr Pro fessor Bartels von der Wahrung des »buchhändlerischen Standpunktes« spricht, ist uns nicht recht verständlich. Erstreben diese Listen eine allgemeine Bedeutung, so kann von einer Wahrung des »buchhändle rischen Standpunktes« keine Rede sein, denn wir wüßten nicht, wel- 202 chcs Interesse die Firma K. F. Koehler an dein Vertrieb bestimmter Werke hätte, nnd wenn es bestände, wie sich dieses Interesse mit der Aufgabe des Barsortimcnts, sowie dem Titel und dem Zwecke dieses Buches vereinigen ließe. Wir haben vielmehr den Eindruck, als hätte der Verlag gerade Herrn Prof. Bartels deswegen um seine Mitwirkung gebeten, um diese Zusammenstellung vor dem Vorwurf der Beeinflussung durch Mode und Scnsationssucht sicherzustellen. Wenn sich schon, wie es scheint, Antor nnd Verlag nicht recht verstanden haben und einigen konnten, ist cS da ein Wunder, wenn Verfasser und Kritiker auseinandergcheu? Wie wenig Einleitung und Listen, Professor Bar tels und K. F. Koehler zusammenstimmen, zeigt sich auch darin, daß in der ersteren Werke empfehlend hervorgehoben werden — es seien hier nur Victor Blüthgeu, »Aus gärender Zeit«, Walter Siegfried, »Tino Mvralt« und Hermine Villinger erwähnt —, auf die in den Listen nicht die geringste Rücksicht genommen worden ist, während umgekehrt dort wieder Bücher stehen, von denen die Einleitung nichts wissen will. Wenn wir auf Bierbaums »Stilpe« und Hartlebens »Geschichte von dem abgerissenen Knopfe« hingewiesen haben, so geschah das nicht etwa, um Stimmung für diese beiden Werke zu machen, sondern lediglich deshalb, weil doch neben dem Land auch die Großstadt ein Recht ans Berücksichtigung in der Literatur hat. Nennt doch Prof. Bartels sogar Rudolf Lindau, Max Dauthendey n. a., obwohl weder der Inhalt ihrer Noniane, noch ihre künstlerische Wesenheit als deutsch im völkischen Sinne bezeichnet werden kann. Richard Voß und Julius Wolfs, von denen Professor Bartels nichts wissen will, sind Beispiele dafür, das; ein Dichter das Land seiner Seele — der eine in Italien, der andere in einer längst verklungenen Zeit - suchen und finden kann, ohne daß man deswegen als Deutscher seine Werke geringer einzu- schätzcn brauchte. Was übrigens Julius Wolfs anbetrifft, so wird mau über seine »Überwindung« anders urteilen, wenn die Literatur geschichte mehr den Wirkungen nachgeheu würde, die ein Dichter tatsächlich auf seine Zeit ausgeübt hat, also mehr Kultur- als Kunstgeschichte sein würde. Was Herr Professor Bartels über den Unterschied von Geschichts- und Zeitroman sagt, kann man gelten lassen, wenn man den Ge schichts-Roman im engeren Sinne ausfaßt, nicht aber, wenn man darunter auch zugleich die Darstellung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der verschiedenen Stände, des materiellen und geistigen Bodens versteht, aus dem eine Zeit erwachsen ist. Viel schlimmer ist aber, das; die meisten aufgcführten Werke weder als ältere noch als neuere Zeitromane angesprochen werden können Es sind vielmehr Romane, die ihre Aufgabe in einer ganz anderen Richtung als in der Darstellung der Zeit suchen, und Herrn Professor Bartels sind ja bei einzelnen Werken selbst Bedenken gekommen, ob sie hier auch an ihrem Platze stehen. So fragt er bei Otto Ludwig: »Zwischen Himmel und Erde«: »Ja, hat denn dieser Roman der Thü ringer Kleinstadt überhaupt eine Zeit?« Dieselbe Frage wird mau auch bei deu Raabcschen Werke« stellen können, die gleichfalls unter »Ältere Zeitromane« Aufnahme gefunden haben, denn es dürfte wohl schwerlich ein zeitloseres Buch geben, als beispielsweise Raabes »Schüdderump«. Wie wir schon oben ausgcfnhrt haben, können diese Listen nach ver schiedenen Gesichtspunkten ausgestellt werden. Am zweckmäßigsten ist wohl immer eine solche Einteilung, die das in den Vordergrund stellt, was als besonders charakteristisch für das Werk angesehen wer den kann. Mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse, denen das Büchelchen dienen soll, würden wir eine Einteilung für zweckmäßig halten, die den Schwerpunkt ans deu Stoff legt, den das Buch behan delt. Daraus würde sich von selbst ergeben, daß einer Anordnung, die etwa Künstler-Romane, Theater- und Musiker-Romane, Kolonial- Romane, Reise-Romane und Seegeschichten, Sport-Romane und Iagd- geschichten, Militär-Romane, Geschichtliche Romane usw. zusammen stellt nnd auch den besonderen Wünschen des Publikums nach bestimm ten Gattungen: heiteren und humorvollen Romanen usw. Rechnung trägt, der Vorzug vor einer Gruppierung zu geben wäre, die, wie dies von Professor Bartels geschieht, »Unterhaltungs-Romane«, »Ausgespro chen moderne Romane« und »Sammlungen von Meistcrnovellen« auf- führt und damit den Käufer abermals vor die Schwierigkeiten einer Wahl auf doch recht umfangreichen Gebieten stellt. Aber es gibt noch mehr Unstimmigkeiten. Die Firma K. F. Koehler hat sich die Aufgabe gestellt, die besten deutschen Romane in diesem Buche zu vereinigen. Es war daher nur natürlich, daß auch Herr Professor Bartels im Anschluß hieran seine »geschichtliche« Ein leitung auf deutsche Noniane beschränkt hat. Aber es wäre wün schenswert gewesen, sie nicht unter die Frage zu stellen: »Welche Ro mane muß man als Deutscher lesen?«, da mau als Deutscher an so be deutungsvollen Schöpfungen, wie sie in einzelnen Romanen des Aus landes vorliegcn, nicht vorübergehen kann. Denn wenn auch, ivie schon