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15692 V«rs-»blatt >. d. Dtschn. »uchh»>,d-l. Nichtamtlicher Teil. 285, 7. Dezember 1912. Wünschen wir, daß wenigstens für eine Reihe von Iah-! ren im Leipziger buchhändlerischen Transportgewerbe wie der Ruhe geschaffen worden ist. Das buchhändlerische Trans- porlgewerbe bedarf ebenso wie die Post und die Eisenbahn der Ruhe und Sicherheit für ihre Einrichtungen, und deshalb muß der Leipziger Buchhandel von seinen Angestellten min destens verlangen, daß wenn sie sich koalieren, dies in einer Form geschieht, welche die Sicherheit der Einhaltung von Verträgen für beide Teile gewährleistet. Solange das nicht der Fall ist, wird er, ohne einer zeitgemäßen Weiterent wicklung der Gehälter und Löhne sich zu verschließen, doch darauf bestehen müssen, mit allen Mitteln Ruhe und Sicher heit in seinen Betrieben zu erhalten. Das war der eigentliche Zweck der Bewegung, die in Leipzig eingesetzt hat, und die Billigdenkendcn in unserem Berufe werden deshalb darin einig sein: Es mußte sein! Musik und Musikalienhandel. VII. sVI siche Nr. 257.) Das BerlinerKonzertlebe» entartet in erschrecken der Weise, man kann bei Betrachtung desselben als Charakte ristikum eigentlich nur das Wort »Zersplitterung« gebrauchen. In dem lesenswerten und hübsch ausgestatteten »Almanach der musikalischen Welt 1912/13«, herausgegeben von vr. Leo pold Schmidt, findet sich zum Schluß eine nach Tagen ge ordnete Zusammenstellung der Berliner Konzerte dieses Win ters, an jedem Tage durchschnittlich 5—6, meist mehr Konzerte, in Summa die erstaunliche Zahl von über 1000 ernsten Kon zertunternehmungen in der Zeit von Ende September bis Mitte April! Selbst der musikalische Magen einer Millionen stadt kann diese übermäßige Kost nicht verdauen, und so kommt es, daß neun Zehntel aller dieser Unternehmungen dom musikalischen Publikum überhaupt nicht mehr beachtet wer den, ja daß selbst aus die in Massen verteilten Freikarten keine Zuhörer in die Konzertsäle zu bringen sind. Die in den Sonntagsnummern der großen Berliner Tageszeitungen über drei, vier, fünf ganze Seiten sich erstreckenden Konzertanzei gen geben ein verwirrendes Bild, kein Mensch kann sich darin zurechtfinden. Die Unstetigkeit und die Unruhe des Musik lebens werden in diesem Winter noch gesteigert durch die lärmende, teilweise fast amerikanische Reklame einer neuen Konzertdirektion, die, wie man zu sagen Pflegt, »aufs Ganze geht« und alles an sich reißen möchte. Ihr verdanken wir auch die famosen Weingartner-Konzerte in Fürsten walde, »56 Bahnkilometer von Berlin«, die für die sensa tionslüsternen und neugierigen Berliner zuerst ein »Ereignis großen Stils« waren. Es läßt sich nicht leugnen, daß Wein gartner trotz dem mäßig guten Orchester und trotz dem fürch terlichen Raume, einem rohen Tanz- und Biersaale, künst lerisch Großes geleistet hat. Aber doch ist in ernsthaften musi kalischen Kreisen Berlins das Bedauern allseitig, daß ein Künstler wie Weingartner sich zu dieser Sensation hergegeben hat. Aus glaubwürdigen Berichten läßt sich feststellen, daß nach dem ersten »Rummel« der Besuch der späteren Konzerte stark nachläßt. Dazu mag auch beigetragen haben die schwache und taktlose Broschüre Weingartners in seiner eige nen unerquicklichen Angelegenheit, betreffend den Streit mit der Berliner Generalintendantur. Gegenüber jener Masse un- besuchter Konzerte gibt es nur wenige Ausnahmen, wo die An« ziehungskrast auf das Publikum ungeschwächt bleibt, ja sich immer mehr steigert: die Königlichen Orchesterkonzerte unter Richard Strauß, die Philharmonischen unter Nikisch, die Kon zerte einer Destinn, eines d'Albert, einer Carreäo, eines Wüll- ner und weniger auserlesener Berliner Lieblinge, die Chor konzerte der Singakademie und des Ochsschen Chors. : Den Berliner Operettentheatern hat die neue Sai son noch keine sicheren Zugstücke gebracht. Man zehrt von altem Ruhm, das Neue versagt. Ein Ereignis, auf das man lange gespannt war, ist die Eröffnung des großen Charlotten burger Deutschen Opernhauses gewesen. Das ungeheure Haus, von dessen äußerlich wundervollem Bau man erhofft hatte, daß er auch in seinem Innern künstlerisch schön und vollkommen sein würde, erweist sich nun leider als mißglückt, es ist eine nüchterne, sarb- und freudlose, jeg lichen Schmuck und jede Behaglichkeit entbehrende Halle mit ungenügender Akustik. Die künstlerischen Leistungen der neuen Bühne entsprechen dem, was man von einem tüchtigen Provinztheater verlangen kann. Das Orchester ist gut und verspricht am meisten. Bis jetzt wurden »Fidelio«, »Barbier« und »Zar und Zimmermann« gegeben. Die geschickte Ge schäftsführung hat erreicht, daß eine große Abonnentenzahl zunächst das Theater einigermaßen füllt. Die »Komische Oper« (Gregor) steckte sich seinerzeit das Ziel, in moderner, hochkünstlerischer, eigenartigster Weise ganz neue oder un bekanntere ältere Opern prächtig herauszubringen: sie hat leider nicht durchhalten können. Die Charlottenburger Oper beschreitet nun einen anderen, fast entgegengesetzten Weg und beginnt mit mittelguten, althergebrachten und nichts weniger als originellen Aufführungen. Hoffen wir, daß auch in künstlerischer Beziehung ihre Leistungen sich steigern: die Zeit mutz lehren, ob ein Opernunternehmen sich auf diese Weise in der Großstadt halten kann und ob es insbesondere übers Jahr die künstlerische Berechtigung sich erarbeitet haben wird, die dann Allgemeingut werdenden Opern Richard Wagners in würdiger Weise dem breiten Publikum darzubieten. In den Salonkapellen herrschen nach wie vor das amerikanische Intermezzo und Iwo step-artige kleine Tanz nummern vor. Man kann ihrer Hunderte hören, sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Daneben läßt sich erfreulicher Weise beobachten, daß alte Lieblinge wiederkehren, die herr lichen Tänze eines Lanner und eines Johann Strauß, insbesondere die verschollenen Walzer aus der Jugendzeit des Walzerkönigs, z. B. die wundervollen Nachtfalter-Walzer, die Schallwellen, die Juristenballtänze, die Wahlstimmen. Die Musiker beginnen wieder, ein feineres Gefühl für solche echte Musik zu gewinnen, und sie lernen, diese Perlen in schwung voller und wienerischer Art vorzutragen. Was soll ich den Lesern über die »Ariadne« von Richard Strauß erzählen? Ich habe nirgends einen wahrhaft enthusiastischen, begeisterten Bericht in der Tages- Presse oder in Musikzeitungen gelesen, ich habe aber auch nirgends eine völlig vernichtende, ganz ablehnende Kritik dieser Oper zu Gesicht bekommen, — und das ist das Bezeich nende! Ein Werk, das weder in den höchsten Himmel er hoben, noch zu Tode verdammt wird, hat noch nie ein langes Leben gehabt. Nachdem auch die Dresdner Aufführung hinter uns liegt, braucht man sich, glaube ich, nicht zu scheuen, ruhig auszusprechen, daß es leider nichts ist mit diesem neuesten Werke von Strauß. Einen Beweis dafür geben unsere Musik sortimenter: der Verleger Fürstner mag Wohl schon hübsche Partien der Klavierauszüge und der Einzelausgaben abge setzt haben, — bei den Sortimentern aber ist's still und, wie ich durch Umfragen ermitteln konnte, nur recht mäßige Nachfrage. Ein schlechtes Zeichen! Wie man hört, soll Strauß eine gänzliche Umarbeitung der Ariadne Vorhaben. Die Sortimenter mögen also bei Lagerbestellungen vorsichtig sein! Der Tod hat uns zwei bedeutende Musiker entrissen: Edgar Tinel, den großen ernsten belgischen Meister, den Verfasser des herrlichen Oratoriums »Franziskus«, das ohne Frage ein unsterbliches Werk genannt werden kann, und den heiteren Josef Wientawsky, einen einst beliebten