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Redaktioneller Teil. pik 255, 2. November 1815. so gut wie nichts erhalten! Ich kann mich erinnern, daß einmal im Mai kleine Bllcher ausgeteilt wurden, die waren aber in Gabelsberger-Stenographie gedruckt; ich war bei unserem Zuge der einzige, der sie lesen konnte. Ich habe mir die Mühe ge macht und ein Bändchen vorgelesen, aber es war Wohl kein Genuß für die Zuhörer, den» der Leser stockte oft, weil dieses oder jenes Wort schwer zu entziffern war. Im August bekamen wir einige alte Hefte der Woche und vom Daheim. Das ist bis jetzt allez gewesen. So ist es nicht nur bei unserer Batterie, sondern allenthalben gewesen. Ich befand mich einen Tag in der Ortskrankenstube einer In fanterie-Division, auch da waren außer alten Zeitschriften kaum ein Dutzend Bücher. Im Juni kam ich in ein sächsisches Feldlazarett, dort fand ich zwei Jahrgänge der Gartenlaube vom Jahre 1883 und 1884, einen Band »Sonntagszeitung für deutsche Frauen« 1913 und einige Bände der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens saus Jahrg. 1891). Auch hier sorgte ich für Bücher, d. h. einige meiner Freunde unterstützten mich mit Büchersendun gen. Jedes Buch hat dort.mindestens einige Hundert Leser gefunden, denn das Lazarett war für Leichtkranke. Nach kurzer Zeit sind die Bücher zerlesen, werden schließlich auch mit in die Stel lungen genommen, deshalb ist es gerade für Lazarette nötig, daß ihnen dauernd Lesestoff zugeführt wird. Mir ist es schleierhaft, wohin die vielen Bücher gekommen sind, die für die Feldsoldaten bestimmt waren. Entweder langen die gesammelten Bücher bei weitem nicht aus, oder sie bleiben irgendwo hängen. Es wird wohl das elftere der Fall sein! Auch von der Bllcherwoche haben wir wenig gemerkt. 3. Nur gute Bllcher haben Zweck. Schund kommt genug noch heraus. Von Kriegsliteratur will der Feldsoldat, der in vorderster Linie steht, meistens nichts wissen. Beliebt sind hu moristische Bücher. (Ich habe noch keinen Band von Wilhelm Busch gesehen, wie wäre der geeignet für unsere Soldaten!) Gute Romane sind nötig; für die ewigen Liebesromane haben unsere Feldgrauen nicht allzuviel Verständnis mehr. Warum kommen Wilhelm Raabe, Storm, Fontane, Scheffel, .Hauff u. a. nicht zu uns ins Feld? Ich habe meinen Kameraden die Renaissance, das Sieben gestirn, die asiatischen Novellen und die Reiscfrüchte von Gobi- neau zu lesen gegeben, und die Kanoniere, sonst nur Schlosser, Buchdrucker, Mechaniker, Schmiede usw., haben alle diese Bücher mit Eifer und Verständnis gelesen. Ich habe in Sommerabcnd- stunden Goethes Faust 1. Teil borgelesen, keiner kannte das Werk. In Lille sahen wir Minna von Barnhelm, die meisten hatten nur einmal in der Schule davon gehört oder im Lesebuch vom »treuen Diener Just« gelesen. — Unser Zug (13 Mann) hat sich einen Lesezirkel eingerichtet, da gtbt's folgende Zeitschriften: Vel- hagen L Klasings Monatshefte, Die Jugend, Das neue Univer sum, Licht und Schatten, Norddeutsche Monatshefte, Bühne und Welt, Die Tat, Hammer, Bodenreform. Seit wir viel zu lesen haben, hört das Kartenspielen auf, die Kantine wird nur noch von wenigen besucht. Guter Lese stoff könnte ein ausgezeichneter Volkserzieher sein. 4. Hier wären Aufforderungen in all den Zeitschriften und Blättern am Platze, die im Feld verteilt werden: Parole, Kame rad, Sachsen im Felde, Liller Kriegszeitung. Es kämen Wohl auch alle anderen Kriegszeitschriften in Frage, die regelmäßig erscheinen; ein Rundschreiben an die Buchhändler-Offiziere und -Mannschaften (bei den ersteren merkt man sehr oft den Buch händler nicht). Die Verleger müßten ihr Nötiges dazu beitragen! 5. Eine Feldbuchhandlung ist mir nicht bekannt, wohl aber verkaufte unser Marketender einmal 10-Pfennighefle, wenn ich nicht irre; Mignon-Bibliothek. In Lille wären aber gute Ge schäfte zu machen, wenn sich ein tüchtiger Buchhändler fände! Ein Zeitungsverkäufer hat fast immer ausverkauft. Der Ver- kchrsoffizier in der Kommandantur hat, glaube ich, eine Ver triebsstelle für deutsche Bücher, aber die ist etwas abgelegen. Die Feldbuchhandlung müßte in der rue nationale sein! Zum Schluß noch eine Anregung: Ich habe für unseren de tachierten Zug von einem Künstler einen kleinen Holzschnitt an fertigen lassen, der als Siegelmarke, Briefbogen und Postkarten signet Verwendung gefunden hat. Hier wäre ein Betätigungs- 1450 seid für unsere Künstler; jede Batterie, Kompagnie, Schwadron könnte sich ein solches Zeichen anfertigen lassen, die Unkosten kommen spielend heraus, denn der Bedarf an derartigen Druck« sachen ist ein sehr großer. Matthes, Verlagsbuchhändler, Feld-Art.-Regt. 77. II. 1. Es besteht ein sehr lebhaftes Bedürfnis nach Büchern, das sich vor allem in der starken Benutzung der mit unserem Sol- datenheim verbundenen Bücherei äußert. Auch die von der Post und dem Kino errichteten deutschen Kioske erfreuen sich lebhaften Zuspruches. Man findet dort nicht nur Zeitungen, die größten teils zum Einheitspreis von 5 H abgegeben werden, und Zeit schriften, wie Jugend, Lustige Blätter, Simplicissimus, Woche u. a., sondern auch Bllcher, z. B. Reclams Universal-Bibliothek, Engelhorn, Kürschner, Ullstein, Langen usw. Bevor ich auf Wache ziehe, was zweimal in der Woche der Fall ist, kaufe ich hier stets einen Posten Reclambände und stelle sie meinen braven mecklen burgischen Landsturmleuten zur Verfügung. Sie verschlingen alles, und nach einer Woche sind di« kleinen handlichen Bände, die jeder bequem in die Rocktasche stecken kann, nur noch Fetzen. Den »Landwehrmann Krille« z. B. habe ich schon dreimal ange schafft. Gute, humoristische Sachen liest der Mecklenburger am liebsten, aber wie wenige wirklich gute Humoristica gibt es! 2. Hier in K. ist kein Mangel an guter Lektüre, wir sind sehr reich beschenkt worden. Ich bezweifle jedoch, daß dies überall der Fall ist. 3. Mit Vorliebe werden Bücher der schönen Literatur ge lesen, aber auch Klassiker sind begehrt, besonders der Fauste Für die sogenannte Kriegsliteratur besteht fast kein Interesse; warum, werde ich vielleicht ausplaudern, wenn ich mich einmal bei Aecker« lein hinter eine Flasche Mosel geklemmt habe! Gern gelesen werden Dahn, Heyse, Fritz Reuter, Storm, Scott, Gerstäcker, Liliencron, Jensen, Spielhagen, Ganghofer, Bloem und — Wil helm Raabe. Wenn ich höre, daß ein Kamerad Raabe verlangt, lade ich ihn zu einem Schoppen Holstenbier ein, und nach kurzer Unterhaltung merke ich, daß wir harmonieren. Mit so manchem lehmbeschmterten, wüst aussehenden Schützengräbler habe ich stun denlang geplaudert und mich gefreut, daß sein Lebenselixier auch Raabe hieß. Begehrt sind ferner: Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Naumann, Demokratie und Kaisertum, Rohrbach, Chamberlain, Damaschke usw. Die durch den Krieg hervorgerufenen Wand lungen sind in erster Linie größerer Ernst, eine unbezwingbare Sehnsucht nach der Heimat, zu Frau und Kind und — ein starker demokratischer Zug! — Ich bin sicher, daß di« literarischen Be dürfnisse nach dem Kriege steigen werden. 4. Das ist eine sehr schwierig zu beantwortende Frage. Ich habe lange darüber nachgedacht und komme zu dem Schluß, daß nur gemeinsame Verleger-Inserate in den bedeutendsten Zei tungen zum Ziele führen können. Hier in Westflandern wird die Kölnische Volkszeitung am meisten gelesen, weil sie am schnellsten die Berichte aus dem Großen Hauptquartier bringt; in letzter Zeit wird auch der Belgische Kurier viel gekauft. Ferner kommen für hier in Betracht: Tägliche Rundschau, Berliner Tageblatt, Lokalanzeiger, Kölnische Zeitung und die Tante Votz. 5. Feldbuchhandlungen sind mir nicht bekannt. Zu jeder weiteren Auskunft bin ich stets gerne bereit. Aber Sie müssen den Verhältnissen Rechnung tragen. Mit 49 Jahren arbeitet es sich schlecht bei einem Talglicht und an einem Tisch, an dem drei Kameraden Skat spielen, während die übrigen ihr Souper einnehmen und drei besonders unmusikalische Landsknechte auf ihren Hörnern grauenhaft anzuhörende Töne von sich geben. Unteroffizier Max Ahlschier. UI. Thourout (Westflandern), 12. Ott. 1915. Ich befinde mich nun seit fast einem Jahre hier draußen im letzten Ort des Operationsgebiets, wo wir Bahnschutz ausüben und daher an der Strecke auf kleine Wachen verteilt liegen. Es ist mir daher nicht möglich, ein allgemeines Urteil abzu geben, ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen mit den mir