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5354 Nichtamtlicher Theil. ^l? 299, 29. December. Nichtamtlicher Theil. John Blackwood.*) John Blackwood, seit dreiunddreißig Jahren der Heraus geber der von seinem Vater gegründeten englischen Monatsschrift „ölackrvoock's LckinbnrKb UaAnrins", ist am 29. October d. I. aus seinem Landsitze „Strathtyrum" bei St. Andrews in Schott land, im Alter von Kl Jahren an einem langwierigen Herz leiden gestorben. Die Schriftstellcrwelt verliert in ihm einen einflußreichen, scharfsinnigen, vornrtheilsfreien Kritiker, der sich um die englische Literatur während der letzten Decennien in hervorragender Weise verdient gemacht hat; die Freunde des Verstorbenen beklagen den Verlust eines Mannes von seltener Herzensgüt« und von makelloser Reinheit des Charakters. Er besaß die guten Eigenschaften, welche seinen französischen Zeit genossen Frangois Buloz, den Gründer der „Revue äes äanx Nonckes" zu einer europäischen Berühmtheit gemacht haben, und er war frei von gewissen unlicbenswürdigen Eigenthümlichkeiten, die Hrn. Buloz kennzeichneten, und unter denen Alle — mit nur wenigen Ausnahmen — zu leiden hatten, die mit dem tyrannischen Herausgeber der großen französischen Revue in Ver bindung traten. John Blackwood war ein kleiner, unscheinbarer Mann mit schlichtem, schwarzem Haar, das die Zeit nur wenig gebleicht hatte, dunkeln, klugen, freundlichen Augen und einem so wohl wollenden Gesichtsausdruck, daß man darüber ganz übersah oder schnell vergaß, daß das glattrasirte Gesicht, mit der höckerigen, ausgearbeitetcn Stirn, der großen Nase, dem spitzen Kinn eigent lich ein häßliches war. — Unter fremden Leuten war Blackwood sehr still, so daß er zunächst den Eindruck eines verschlossenen, wenn nicht schüchternen Menschen machte; im Kreise von Be kannten und Freunden aber, namentlich in seinem gastfreien Hause „Strathtyrum", belebte er die Gesellschaft durch seinen guten und gutmüthigen Humor, seine ausgebreiteten Kenntnisse ans dem Gebiete der Literatur, und sein sicheres Urtheil über Personen und Sachen, besonders über lebende Autoren und Po litiker und über die literarischen Productionen der Neuzeit. Er besaß eine große Arbeitskraft und war unermüdlich thätig; aber nian bemerkte dies eigentlich nur an dem Quantum von Arbeit, das er im Laufe eines Monats erledigte; denn er schien selten Eile zu haben, und wenn er sich z. B., nachdem er seinen Gästen in „Strathtyrum" lange Zeit nach dem Essen noch Gesellschaft ge leistet hatte, in sein Arbeitszimmer zurückzog, so geschah dies gewöhnlich so zögernd und behaglich, daß man wohl geneigt war anzunehmen, er werde nun der Ruhe pflegen; — aber wer ihn wenige Minuten später sah, der fand ihn in die Arbeit vertieft. Er las sehr viel Manuscripte, da kein Artikel im „Uaga" — unter diesem Namen wird „Llavlrrvooä's LlaZarina" in Eng land von allen andern Magazinen ausgezeichnet, ähnlich, wie man in Frankreich die „Üovuo äos äonx Llonckos" immer nur „ln Rsvns" nennt — veröffentlicht wurde, den er nicht vorher aufmerksam geprüft hatte; und er trat an jede neue Arbeit mit charakteristischer Unbefangenheit heran. Ein berühmter Name imponirte ihm ebenso wenig, wie ihm ein unbekannter Mißtrauen einflößte. Er war sogar strenger sür bekannte Autoren, als für solche, die in der schriftstellerischen Carriöre debütirten. — Dem sollte immer so sein — aber wer mit Zeitschriften und Buch- ") Mit gefälliger Erlaubnis; des Herrn Verlegers ans Lindaus „Gegenwart" abgedruckt. Händlern zu thun gehabt hat, der weiß, daß das Gegentheil häufiger passirt. Blackwood's größte Freude war, einen „Neuen" zu ent decken. Für diesen war er freigebig mit Rath und mit Geld; und manche Arbeit, wenn dieselbe auch Schwächen enthielt, die Blackwood klar erkannte, ist von ihm gedruckt worden, weil er einen Anfänger, der künftighin einmal Gutes zu leisten versprach, nicht entmutbigen wollte. Eine „Entdeckung", der er sich in seiner anspruchslosen Weise gern rühmte, war die von George Eliot, die in „Illnoüvooä's Nagarins" mit ihren „Losnes ok dermal liko" zuerst vor das Publicum trat. Lange ehe der Ruf der jetzt berühmten Schriftstellerin sich über England verbreitete, zu Beginn ihrer Laufbahn bereits, schrieb Blackwood an Tha- ckeray, er lese ein Manuscript von einem Unbekannten, der ein gefährlicher Rival für die lebenden Romanschriftsteller zu werden verspreche. Unter Blackwood's Mitarbeitern, von denen viele seine Freunde waren, befinden sich die ersten Namen der englischen Literatur: Sir Edward Lytton Bulwer war seit 1842 bis zu seinem Tode ein ganz regelmäßiger Mitarbeiter am „llaza". Er veröffentlichte dort unter andern „lbbe Oaxtons", „Llz- Novel" und seinen letzten großen Roman „Mrs Rarisians". Professor Aytonn, der Historiker Alison, Mrs. Browning, vr. John Hill Bnrton, Lawrence Oliphant, Mrs. Oliphant, die beiden Brüder Generale Hameley, Charles Lever, Colonel Lockhart, Anthony Trollopc, Charles Reade, Samuel Warren, Colonel Chesney, Lord John Manners, Edwin Arnold, Wilson, G. H. Lewes, Principal Tulloch, Sir Archibald Alison — und viele Andere, deren Namen weit über England hinaus guten Klang haben, bildeten den glänzenden und zuverlässigen „Generalstab" des „Llaxarine". Blackwood verstand es, seine Mitarbeiter zu fesseln. Wer einmal mit ihm zu thun gehabt hatte, der blieb ihm getreu, denn er bot als Redacteur und Verleger alles, was ein Schrift steller vernünftigerweise erwarten durfte und wünschen konnte. — Er besaß eine äußerst tactvolle und angenehme Art, auf das, was ihm an einem eingesandten Manuscript fehlerhaft erschien, aufmerksam zu machen und Verbesserungen in dem von ihm ge wünschten Sinne herbeizuführen. Nie fiel es ihm ein, eigen mächtig zu streichen oder zu corrigiren. Eine Randbemerkung in seiner kleinen Handschrift, häufig in fragender Form, war gewöhnlich alles, was er sich gestattete. — „Sollte dies nicht etwas zu lang sein?" — „Ist dies nicht vielleicht etwas hart?" — „Glauben Sie?" — „Ich würde dies nicht mit so absoluter Bestimmtheit sagen." — Solche und ähnliche Bemerkungen, nicht selten nur ein Frage- oder Ansrnsungszeichen, fanden seine Mit arbeiter auf den Correcturbogen, und in den meisten Fällen thaten sie wohl, Blackwood's Kritik zu berücksichtigen, denn sein Geschmack war von selten irrender Sicherheit. — Wo ihm etwas besonders gefiel, da notirte er „Mock" an den Rand des Cor- recturbogens, und sehr häufig — wenn er mit jüngern Mit arbeitern zu thun hatte, säst immer — schrieb er dem Autor über die von ihm eingesandte Arbeit einen ausführlichen Brief. Befolgte man seine Rathschläge nicht, so insistirte er nicht wei ter und schien zu vergessen, daß er Aenderungen vorgeschlagen hatte; aus Discussionen ließ er sich jedoch nicht ein; dazu fehlte es ihm an Zeit: „Sie mögen Recht haben", hörte ich ihn einem Autor sagen, der bei einer von Blackwood gerügten Fassung be harren wollte; „aber ich fürchte, das Publicum wird mir Recht geben". Eine andere Eigenschaft Blackwood's, die von den Lesern