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X- 168, 21. Juli 1921. Redaktioneller Teil. VSrlinblaU I. d. Dllchn. Buchhand-l. scheiden sind. Allüberall findet gehässige Kritik einen begeisterten Leserkreis, ein objektives Abwägen des Für und Wider aber im allgemeinen taube Ohren. Welche Erfahrungen der Buchhandel nach dieser Richtung hin gemacht hat, illustriert folgender Einzelfall, den wir unserem Leserkreise Mitteilen müssen, nicht um die Tagespresse noch mehr gegen den Buchhandel aufzubringen, sondern um die Geschäfts stelle des Börsenvereins gegen den begreiflichen Vorwurf zu schützen, daß sie der Tagespresse gegenüber einem süßen Nichts tun huldige: Im Berliner Tageblatt hat der bekannte National« ökonom Lujo Brentano mehrfach, am deutlichsten in der Sonntagsnummer 133 vom 20. März 21 unter der alarmierenden Überschrift »Die geistige Isolierung Deutschlands -, sodann später in der Nr. 230 vom 19. Mai die Verkaussordnung für Ausland- licferungen lebhaft bekämpft und dem Börsenverein mit dürren Worten den Vorwurf gemacht, daß er das Interesse der Allge meinheit kartellierten Sonderinteressen opfere und, dem Sinne nach, eine verdammenswerte Prositwirtschast treibe. Die Ge schäftsstelle des Börfenvereins bemühte sich daraufhin beim Ber liner Tageblatt, die Ausnahme einer Entgegnung zu erwirken, mündlich und schriftlich wurde dargelegt, daß die Aufnahme einer solchen nicht verweigert werden könne, daß man, dem Grundsätze audiatur st altera pars folgend, die Gegenseite zu Worte kommen lassen müsse, zumal es sich um die Abwehr schwerer, gegen einen ganzen Berufsstand und seine Spitzenvertretung gerichteter Be schuldigungen handle. Die mündlich und schriftlich durch den Berliner Syndikus wiederholte Bitte blieb längere Zeit unbeant wortet. Schließlich, nach wiederholter Mahnung, traf folgendes Schreiben ein: »In der Anlage gestatten wir uns, Ihnen den uns freund- lichst übersandten Artikel anbei wieder zu überreichen, da Pro fessor Brentano uns einen zusammenfasscnden Aufsatz zur Ver fügung gestellt hat, der die von Ihnen und anderen Herren aus dem Buchhandel vorgebrachten Einwände berücksichtigt. - Man durste gespannt sein, wie man auf die Entschuldigungs gründe des Angeklagten eingehen würde, nachdem man ihn damit beruhigt hatte, daß der Herr Staatsanwalt, sc. Lujo Brentano, selbst alle Einwendungen berücksichtigen werde. Offenbar hatte sich aber das Berliner Tageblatt nicht einmal die Mühe gegeben, den Artikel, den Brentano berücksichtigen sollte, ihm selbst zu gängig zu machen. Als nämlich einige Wochen darauf, am 5. Juli, unter der Überschrift »Valutaordnung des Börsenvereins. Ihre Verteidiger« der angekündigte Artikel erschien, stellte sich heraus, daß Brentano fast mit keiner Silbe auf diese Gegenargumente ein gegangen war. Es bleibt also nur die Deutung übrig; entweder Brentano hat die Ausführungen des Börsenvereins kurzerhand totgeschwiegen, oder er hat sie überhaupt nicht zu sehen bekommen. Man darf das letztere annehmen. Der Aussatz Brentanos, durch den derjenige des Börsenvereins gegenstandslos werden sollte, be schäftigt sich zunächst mit 3 Einwendungen. Die eine lautete, daß der deutsche Geschäftsreisende keine Auslandreisen mehr machen könnte, wenn die besonderen Valuta-Mehrerlöse ihm nicht die wirtschaftlichen Mittel dazu liefern würden, die zweite, daß der Valutaaufschlag der Entblößung des Jnlandmarktes von wert vollem Forschungsmaterial Vorbeuge, und die dritte, daß die Ausländer die alten Auflagen andernfalls aufgekauft hätten und das Inland die Mehrbeträge für die Neuauflagen aufzubringen haben würde. Bei der Replik, die Brentano hiergegen vorbringt, bedient er sich des Mittels, den Gegner möglichst lächerlich zu machen. Kein Antiquar wird nämlich der törichten Meinung sein, Eckermanns Gespräche würden in Buenos Aires nicht aus Grund der Weisheit Goethes, sondern auf Grund der Tätigkeit des Geschäftsreisenden verkauft, obwohl nun auch einmal die Weisheit Goethes, in den Wirtschaftsprozetz eingefügt, wirt schaftlichen Gesetzen unterworfen ist und daher vielfach in der Tat die Weisheit des Autors nicht allein ausreicht, vielmehr die Pro pagandatätigkeit des Kaufmanns hinzukommen muß, um einein Werk im anderen Erdteil Verbreitung zu sichern. Nur einen einzigen lvciteren Gesichtspunkt, den auch die Ausführungen der Geschäftsstelle des Börfenvereins behandeln, erwähnt Brentano noch, nämlich die Darstellung, daß es der Mehrerlös dem Ver leger ermögliche, dem deutschen Käufer die deutschen Bücher billi ger zu liefern. Dieses Argument tut Brentano mit der Bemer kung ab: »Bisher hat der deutsche Käufer nichts davon merken können«. Wenn Brentano meint, daß die Bücher durch die Valuta aufschläge nicht wesentlich billiger geworden seien, als sie vorher waren, so hat er allerdings recht, es ist ihm aber sicherlich nicht unbekannt, daß die Preissteigerung der Bücher im Vergleich zu anderen Waren verhältnismäßig noch gering geblieben ist, und es kann ihm rechnerisch nachgewiesen werden, daß sie vor allem bei einzelnen wissenschaftlichen Werken ungleich höher sein würde, wenn nicht die Valuta-Mehrerlöse in der Hand des Ver legers zur Senkung der Jnlandpreise Verwendung finden wür den. Es ist also sehr bequem — aber mehr demagogisch geschickt, als wissenschaftlich tief —, solche schwerwiegende Gegenargu mente einfach mit der Bemerkung beiseite zu schieben, daß man ihnen nicht glaube, oder daß man sie noch nicht »bemerkt habe«. Zum Schluß wird dann wieder ein Hieb gegen die Son derinteressen ausgeteilt, deren Vertreter doch in allen Ländern dieselben sind — man braucht keinen Brentano zu bemühen, um solche Weisheiten lundzutun —, cs werden wieder einmal Buch händler als Kronzeugen aufgerusen, die teilweise nur darüber ungehalten sind, daß ihnen die Auslandausschläge die auf Kosten des Inlands getriebene Schleuderkonkurrenz verbieten oder er schweren, und alles, was in dieser Hinsicht aus den eigenen Reihen des Buchhandels Herrn Brentano mitgeteilt ist, wird als lauteres Gold betrachtet. Alles von der anderen Seite Stammende ist aber, seiner Ansicht nach, nur von häßlichen selbstischen Motiven geleitet. Gründliche Spezialsachkenntnis zeichnet diesen Aussatz des hervorragenden Nationalökonomen jedenfalls nicht aus. So entschlüpft ihm im Zorn gegen den Börsenverein die Bemerkung, daß ein Leipziger Antiquariat den enormen Gewinn, den es beim Verkauf einer Bibliothek nach Belgrad gemacht habe, lediglich dein Valutazuschlag verdanke, ja er wiederholt diese Behauptung um sie noch wirkungsvoller zu gestalten: »ohne ihn hätte es nicht soviel Verlangen können«. —villleüs est sallram non soi'lbsrs. - Die Verkaufsordnung für Auslandlieferungen betrachtet Belgrad als Inland und sieht Aufschläge für diese valutaschwachen Länder n i ch t vor. Dieser Fall ist gerade ein Beweis, daß sich der Buch handel auch ohne jede Mußvorschrift von selbst dagegen wehrt, wertvolle Ware zu Schleuderpreisen ins Ausland wandern zu las sen, und daß nicht die Verkaussordnung für Auslandlieferungen daran schuld ist, wenn ein hoher Gewinn in die Taschen des Anii- quariatsbuchhandels fließt und zum Verkauf ins Ausland anreizl. Gewiß ist der Anreiz des Buchhandels, ins Ausland zu ver kaufen, groß, wenn er einen höheren Erlös erzielt. Aber ist der Anreiz des Ausländers, Deutschland auszukausen, nicht um so größer, je billiger ihm die Ware zur Verfügung steht, und läßt sich verbieten, daß ein Kaufmann seine Ware lieber an den jenigen absetzt, der einen höheren Preis zu geben vermag? Das Ausland selbst ist es, welches vielfach, indem es sich bereit erklärt, höhere Preise zu zahlen, solche Aufschläge nahelegt. Wenn wir zum Schluß den Artikel hier abdrucken, dem das Berliner Tage blatt die Aufnahme verweigert hat, so geschieht es nicht, weil wir hiermit unseren Mitgliedern etwas Neues zu sagen haben, son dern damit sie ersehen: Das Berliner Tageblatt hätte den Artikel des Börsenvereins aufnehmen können und müssen, da er rein sachlich gehalten ist und auch für das bücherkausende Publikum des Auslandes von Interesse gewesen wäre. Die Ablehnung mit der Begründung, daß Brentano seinerseits die Einwendungen berücksichtige, ist nicht nur von vornherein seltsam, sondern sie geht auch fehl, denn Brentano ist auf die wesentlichsten Punkte nicht oder nur ganz unzureichend eingegangen. Was aber soll die Geschäftsstelle des Börfenvereins einer solchen Haltung der Tagespresse gegenüber tun, um die berechtig ten Interessen des Buchhandels in der Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen und um zu verhüten, daß schließlich durch einseitige und tendenziöse Stellungnahme der Presse auch unser Richter stand, trotz all seiner Objektivität und ihm selbst unbewußt, von vornherein zu nngnnsten des Buchhandels beeinflußt wird? 1071