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Börsenblatt s. ü. Dtschn. BurhyanoU. Redaktioneller Teil. ^ 206, 5. September 1914. Ländern über die Ziele der deutschen Politik, über den tatsächlichen Verlauf der Kriegsbegebenheiten und über die innere Lage Deutsch lands in umfassendster Weise aufgeklärt wird. Nur so kann ver hindert werden, daß die öffentliche Meinung in jenen Ländern noch länger irregeleitet wird und in entscheidenden Augenblicken sich gegen uns kehrt. Am wirksamsten geschieht solche Aufklärung in der Weise, daß: 1. Bekannte und Freunde in den bisher noch neutralen Staaten durch Briefe, Postkarten und Zeitungsausschnitte über den Staub der Dinge fortdauernd unterrichtet und veranlaßt werden, für eine wahrheitsgetreue Berichterstattung der Zeitungen an ihrem Wohnort tätig zu sein; 2. durch regelmäßige Sendung von deutschen Zeitungen an wis senschaftliche und wirtschaftliche Zentralstellen, soivie an vertrauens würdige Privatleute im neutralen Auslande. Eine Zentrale für die planmäßige Zeitungsversendung hat der »Deutsche Werkbund« in Berlin IV., Schöneberger Ufer 38a, ge schaffen, der dazu aufforöert, ihm geeignete Auslanösadressen ein zusenden. In Gießen sind Mitglieder der Universität und der Handels kammer zusammengctrcteu, um alle für jene wichtige Aufklärungs arbeit in Betracht kommenden Kräfte zu sammeln und zur Geltung zu bringen. Als Beweis für die Notwendigkeit und Dringlichkeit solcher Aufklärungsarbeit diene folgender, uns von einem Freiburger Kollegen mitgeteilter Einzelfall. Die betr. Briefstelle lautet: Auf den Gedanken, wie wir auch mithelfen können, das Aus land für uns nmzustimmcu, brachte mich der Brief eines lieben Kollegen aus Italien. Er bittet dringend um die Wahrheit über die Lage in Deutschland! Da ihm sein Gehalt um 50°/, herabgesetzt wurde, meint er: »Hierzulande schützen uns die Gesetze leider sehr wenig, und der latente Deutschenhaß droht mir so gar noch Schlimmeres zu bereiten, als am Hungertuche zu nagen!« Schickcn wir Buchhändler also Drucksachen hinaus! Auch an anderen Stellen regt es sich. Der Präsident des Deut schen Handelstages, vr. Kämpf, hat folgenden Aufruf erlassen, dem die Dringlichkeit der Sache anzumerken ist. Es schadet nicht, wenn die Arbeit von mehreren Seiten getan wird, kann doch dem Aus lande nicht oft genug die Wahrheit vorgehalten werden. Von unseren Feinden wird das Ausland durch wahrheits- widrtge Berichte über die Kriegsereignisse und die Zustände im Deutschen Reiche derart irrcgeführt, daß daraus eine große Gefahr für uns erwächst und es dringend erforderlich ist, in jeder nur mög lichen Weise entgegenzuwirken. Hierbei können die deutschen Kauf leute, die mit dem Ausland in Verbindung stehen, eine wertvolle Hilfe leisten, indem sie ihren Briefen in das Ausland wahrheits getreue Berichte beifügen. Wir sind bereit, — vielleicht zweimal wöchentlich —, solche Berichte zur Verfügung zu stellen, die in deutscher, französischer, englischer, italienischer, portugiesischer und spanischer Sprache abgefaßt und auf ganz dünnes Papier gedruckt werden sollen, so daß ihre Beifügung keine oder unerhebliche Mehr kosten an Porto verursachen würde. Wir bitten unsere Mitglieder, mit größter Beschleunigung festzustellen, wer unter den Kaufleuten ihres Bezirks bereit ist, sich an dieser guten und wichtigen Sache zu beteiligen, und wieviel Exemplare der Berichte in jeder der auf- gefnhrtcn 6 Sprachen verlangt werden. Eine Mitteilung hierüber erbitten wir umgehend, und zwar von den entfernteren Mitgliedern telegraphisch. Wir würden alsdann die verlangten Exemplare re gelmäßig an unsere Mitglieder schicken mit der Bitte um unverzüg liche Weitergabe an die Kauflente. Von ganz besonderer Bedeutung ist zurzeit eine Aufklärung Italiens, worauf ein von einem Mit- gliede uns zugegangencs Telegramm in dringlicher Weise aufmerk sam macht. Wir schließen uns der Auffassung dieses Mitgliedes an und bitten, sofort und ohne die Einrichtung des geplanten Nachrichten dienstes abzuwarten, die mit Italien arbeitenden Kaufleute zu ver anlassen, ihre italienischen Geschäftsfreunde über die glänzenden Er folge des deutschen Heeres aufzuklären. Die Leipziger Neuesten Nachrichten haben eine Zusammenstellung der wichtigsten Aktenstücke über die Vorgeschichte ^ des Krieges sowie der in Frage kommenden Berichte der Wolfs- ^ scheu Telegraphenbörse über den Verlauf des Feldzuges usw. ' herausgegeben, die zum Preise von 1 abgegeben wird. Diese ' dankenswerte Zusammenstellung wird von Zeit zu Zeit vervoll ständigt. Brauchbarer würde eine solche Ausgabe des gesamten authentischen Materials sein, wenn neben den deutschen Text ein französischer gestellt werden könnte, um den ausländischen Zei- . tungSredaktionen, z. B. den italienischen, die Kenntnisnahme und z Benutzung zu erleichtern. 1354 i Vielleicht enrpfiehlt es sich, den Mitteilungen in das neutrale - Ausland Abdrucke von Meinungsäußerungen deizufügen, die von ° gegnerischer Seite gegen den Krieg erfolgten. Hier zwei Bei- > spiele: Ein in Frankfurt lebender Engländer, Arthur Cliffe, ^ hat an den Werkbund folgendes Schreiben gerichtet: Auf Ihren Aufruf werde» Sic kaum eine Antwort von cng- ^ licher Seite erwarte», »»d doch fühle ich mich aus folgende» Grün- , den bewogen, Ihnen meine Dienste zur Verfügung zu stellen. Wäh- , rend eines mehr als zwanzigjährigen Aufenthaltes in Deutschland i habe ich soviel deutsche Ethik und soviel von dem, was man Geflihls- politik nennen dürfte, in mir ausgenommen, daß ich die kalte, eigen nützige, berechnende Politik Englands nicht mehr mit meinem inneren Wesen in Einklang bringen kann. Es ist nicht lange her, daß Lord Haldane behauptete und seine Meinung wohl auch be gründete, daß ein Krieg zwischen England und Deutschland nicht nur eine Torheit, sondern auch ein Verbrechen gegen die Kultur sein würde — und was sehen wir heute? — Lord Haldane bleibt Mit glied eines Ministeriums, das aus wohlerwogener Jnteressenpolitik und ohne Herausforderung sich an einem solchen Weltkrieg beteiligt. Wäre Lord Haldane aus dem Ministerium ausgeschieden, so hätte man sagen können, es gäbe in England noch einen so ehrlichen Poli tiker, wie den greisen Gelehrten Viscount Morley und den wackeren Ackerbanmiuister Burns, welche beide nichts mit diesem furchtbaren Krieg zu tun haben wollten. Hat sich nicht England in der letzten Zeit die stolze Nolle angcmaßt, der Erhalter des Friedens in Europa zu sein? Hat England je eine bessere Gelegenheit gehabt, sich als eine Kulturmacht ersten Ranges zu zeigen? — Es hat aber leider die Gelegenheit versäumt. Auch die große Mehrheit des eng lischen Volkes — davon bin ich überzeugt — hegte vor wenigen Wochen nicht den geringsten Haß gegen die Dentschcu und wollte auch keinen Krieg gegen Deutschland. Ebenso sicher aber weiß ich, daß eine starke, sehr einflußreiche Minderheit vorhanden war, die sehr- eifrig für den Krieg eintrat; — sie hat nun den Sieg davongetragen. Jetzt aber unterstützt das Volk blindlings eine Regierung, die es erst vor wenigen Wochen wegen innerer Angelegenheiten so arg be drängte, nur weil es neuerdings als Grundsatz in England gilt, daß in auswärtigen Angelegenheiten die englische Regierung keinen Feh ler und kein Unrecht begehen kann und sie deshalb die Unterstützung eines jeden Engländers erhalten muh. Dieser Meinung kann ich nicht mehr beipflichten, und ich fühle mich jetzt in meiner innersten Seele getrieben, gegen die jetzige Politik der englischen Negierung heftig zu protestiere». Ich habe mich deshalb fest entschlossen, mit jedem mir zur Verfügung stehenden Mittel für die Aufklärung des Auslandes über die wahre Sachlage in Deutschland einzutreten, und ich würde es als eine hohe Ehre betrachten, wenn der Wcrkbund meine bescheidenen Dienste auf irgendeine Weise in Anspruch nehmen würde. — Es steht Ihnen frei, jeden beliebigen Gebrauch von diesem Briefe zu machen. Die »Neue Freie Presse« in Wien veröffentlichte eine von 21 in Wien lebenden Engländern Unterzeichnete Zuschrift, in der sie den österreichischen Behörden für ihre zuvorkommende Haltung danken und ihr lebhaftes Bedauern darüber ausdrllcken, daß ihr Mutterland sich in den Krieg eingemischt habe. Ihre Synchathien seien auf der Sette Österreichs, und um ihnen Ausdruck zu ver leihen, haben sie eine Sammlung eingeleitet, deren Ergebnis von 700 Kronen dem österreichischen Roten Kreuz übermittelt wor den ist. Ebenso könnte man Zeitungsnotizen wie die folgende bei fügen, die nicht minder zum Nachdenken anregt: Die niederländischen Zeitungen beschlossen in ihrer Mehrheit, nachdem die Berichte der eigenen Korrespondenten in Belgien die absolute Glaubwürdigkeit der amtlichen deutschen Kriegsberichte dar- gctan haben, die Einstellung des Abdrucks der Reuter- und HavaS- Melbnngen über den Krieg. Die Telegramme der beiden Bureaus sind in den Ausgaben sämtlicher Amsterdamer Blätter vom 27. August verschwunden. Die nunmehr beschlossene Zulassung ausländischer Kriegs berichterstatter der neutralen Staaten wird hoffentlich auch dazu beitragen, Wandel zu schaffen. (Schluß folgt.) Zwei Städtebilder aus dem deutschen Westen. (Vgl. zuletzt Nr. 204.) Zu Straßburg auf der Schanz. Am 2. Mobilmachnngstag wurden in Straßburg alle Karten, Stadt pläne, Führer und Reiseführer von Baedeker, Meyer, Richter u. a. beschlagnahmt. Briefe und Postkarten hatten bis tl> Tage Verspätung, und die Banken waren 3—4 Tage geschlossen. Beträge wurden nuir