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Redaktionell:! Teil. X- 82, 20. März 1919. Umsätze erzielte. Außerdem wurde dort noch der gangbare Ver lag ausgeltefert: Kühn, Ernährung des Rindviehs; Graesse, Ouille üb 1'iuWteur; Judeich, Leisering und Hartmann und andere Artikel. Ich hatte im Ladenverkehr mitzuhelfen, dem Werner und sein erster Gehilfe Schellenberg Vorständen, die Buchhändler- konten zu führen und den Verlag zu expedieren. Der Laden- Verkehr war sehr interessant, da hervorragende Männer im Ge- schüft verkehrten, z. B. Hofrat vr. Petzholdt, der Dante-Forscher und Bibliothekar des Königs Johann. Er kam manchmal schon früh um 8 Uhr, und wenn er nicht alle anwesend fand, sagte er das Herrn Werner; kamen wir mit der Ansichtssendung eines Buches einen Tag zu spät, so schickte er es mit dem Bemerken: »Haben wir längst« zurück. Dann verkehrten noch im Geschäft Th. Graesse, Direktor des Grünen Gewölbes, Herm. Hettner, der geistreiche Literaturhistoriker, damals Direktor des Kupferstich- Kabinetts, Hultsch, Gustav Kühne, Adolf Stern, Fleckeisen, Wolf Graf Baudissin, der Molisre-Übersetzer, später Hofrat vr. Albert von Zahn, ein vornehmer, eleganter und sehr liebenswürdiger Mann, der mich, als er 1872 in London war, besuchte. König Johann, die Technische Hochschule, die Akademie in Tharandt, die chemischen Fabriken in Aussig waren gute, angenehme Kun den und der Betrieb des Geschäfts leicht und nicht so mühsam wie heute. Auch viele Leipziger Buchhändler kamen oft zu Besuch ins Geschäft, so Salomon Hirzel, Rudolf Blockhaus mit Frau, Heim. Haessel u. a., auf die ich wie zu höheren Wesen aufblickte. Am 1. Juni 1870 übernahm Robert von Zahn das Sortimentsgeschäft, das er heute noch führt und zu erhöhter Blüte brachte. Er ist noch so rüstig, daß er, wie er mir, als er mich im vorigen Jahr besuchte, erzählte, im Alter von 76 Jahren die Metz-Arbeiten allein bewältigte. Von meinem Gehalt, das später 30 Taler monatlich betrug, machte ich noch Ersparnisse, so billig war damals das Leben. Dabei besuchte ich jeden Sonn tag das Hoftheater und ergötzte mich an den von hervorragenden Schauspielern und Sängern gebotenen glänzenden Aufführungen. Heute noch erinnere ich mich mit Vergnügen der Vorstellungen des Zyklus der Shakespeareschen Königsdramen mit Deitmer, Jaffe, Bayer Bürck, der Wagnerschen Opern u. a. Ich ging stets Stehparterre für 10 Neugroschen, beneidete aber nicht die Herr- schäften im ersten Rang. Auch die schöne Umgebung Dresdens durchstreifte ich fleißig, und der 1-Mhrige Aufenthalt daselbst war mir in geschäftlicher und privater Beziehung lehrreich und angenehm, zumal da Herr von Zahn stets überaus freundlich zu mir war. Zum Abschied erhielt ich von ihm, wie auch von seinem Vorgänger Werner ein wertvolles Andenken. Werners erster Gehilfe, Schellenberg, sein späterer Sozius und Nachfolger im Verlagsgeschäft, ging einige Monate, nach dem Z. das Sortiment übernommen, zu David Nutt nach Lon don; wir blieben in brieflichem Verkehr, und er verschaffte mir daselbst eine Gehilfenstelle, die ich am 1. Oktober 1871 antrat. Eine neue, ungeahnte Welt tat sich mir hier auf; das groß zügige Geschäft mit den gewaltigen Umsätzen imponierte mir, ebenso wie sein Geschäftsführer Meno Haas mit seinen Kennt nissen auf allen Gebieten der Wissenschaft, besonders der theo logischen und philologischen Literatur, des Antiquariats und der vollständigen Beherrschung so vieler Sprachen in Wort und Schrift. Er kannte die Werke aller Kirchenväter und war einmal sehr erstaunt, als er sah, daß ein Gehilfe von Cornelius a Lapide nichts wußte. Das große Lager der Teubnerschen Klas siker hatte der Obermarkthelfer unter sich, der — wie auch die englischen Provinzbuchhändlcr — immer Trübners Edition statt Teubner sagte. Ich hatte ein Zimmer im ersten Stock (Nr. 7) unter mir, enthaltend einen Teil des Lagers französischer Lite ratur; ferner hatte ich die Expedition an die englischen Buch händler, die ihren Bedarf an deutscher und französischer Lite ratur von Nutt bezogen, zu besorgen und später die Bestellungen nach Deutschland, Frankreich und Italien auszuschreiben. Zu tuu hatte ich — wie auch die anderen Gehilfen — reichlich; Geschäftszeit von 9—7 mit einer Stunde Mittagspause. Haas selbst war ein ungewöhnlich schneller und fleißiger Arbeiter, der die Augen überall hatte; wenn er um 9 Uhr ins Geschäft kam, hatte er die große Post, die täglich einging, schon durch- 171 gesehen, sodatz er sie schnell verteilen konnte. Von meinen Vorgängern hatten er und seine Frau meinen Landsmann Eugen Franck, den vor einigen Jahren verstorbenen Inhaber der Schletterschen Buchhandlung, in bestem Andenken und be- zeichneten ihn als eine Zierde jedes Geschäfts. Auch der ver storbene vr. Max Niemeyer, Halle, gehörte zu meinen Vorgän gern. Besonders befreundet war er mit Schellenberg auch lange Jahre nach dessen Abgang. Von den Gehilfen, die mit mir bei Nutt waren, sind ge schäftlich in Deutschland heute noch tätig W. H. Kühl in Berlin und Ludwig Eh in Hannover, im Ruhestand Schellenberg in Dresden und Furchheim in Wien, der frühere Inhaber der Hoeplischen Buchhandlung in Neapel. Furchheim war ein sehr sprachgewandter Mann, der auch das Slang und das Pariser Argot beherrschte und manchmal italienische Volkslieder und Gassenhauer zum besten gab. Den deutschen Sortimentsbuchhändler beurteilte er nicht sehr hoch. Zu mir sagte er einmal spöttisch: »In einigen Jahren werden Sie ein Sortiment in Deutschland haben und man wird ein Inserat von Ihnen lesen: »Für meine Buchhandlung, ver bunden mit Journal-Leih-Jnstitut und Leihbibliothek, suche ich einen 3. Gehilfen!« Unter den Korrespondenzen, die ich zu führen hatte, war auch die mit Abbö Migne in Paris, dessen Palrologie wir viel verkauften; er war fein eigener Verleger und gewährte — wenn ich mich recht erinnere — nur 10"/» Ra batt. Als er einmal nicht schnell genug Zahlung erhielt, mahnte er und schrieb: vttes moi ckoac es qus j ai L sspörer ou L eiainäi'k. Er erhielt die Antwort: Vous n'LVW risu L craiockrs. Um mit Barbsra und Le Monnier italienisch statt französisch korrespon dieren zu können, lernte ich Italienisch durch die Lektüre von Pellico, Prigioni und überraschte Haas'eines Tages mit dem Entwurf eines italienischen Briefes an eine dieser Firmen, den er mir — einige Fehler verbessert — zur Reinschrift zurückgab. Von hervorragenden Männern, die bei Nutt verkehrten und mit denen auch ich verhandelte, erwähne ich H. K. Lewes, den be kannten Goethe-Biographen, der deutsch wie ein geborener Deut scher sprach. Auch einiger alten 48er — Tausenau, Lippner — erinnere ich mich. Mit letzterem, der mit Haas befreundet war, kamen wir in dessen Familie oft zusammen. Denn jeden Sonn tag war bei Haas offenes Haus, und wir genossen wohl ziemlich jeden Sonntag seine und seiner liebenswürdigen Angehörigen Gastfreundschaft. Manchmal machte er auch Spaziergänge mit uns und zeigte uns manches Sehenswerte, was uns sonst wohl verborgen geblieben wäre. Auch zu einem Ball nahm er mich einmal mit, wo ich bei der Damenwahl sitzen blieb. Bei der anhaltend strammen geschäftlichen Tätigkeit un!t dem Umstand, daß Sonntags alle Sehenswürdigkeiten in Eng land geschlossen sind, konnte ich davon nicht viel kennen lernen und benutzte dazu «inen Teil meiner lcktägigen Ferien, aber einen richtigen Genuß der Museen, Galerien und Sammlungen hatte ich doch erst, als ich als gereifter Mann 1908 hinüberfuhr, um die Stätten meiner Jugend wieder zu besichtigen. 270 Strang war verschwunden, die Straße daselbst verbreitert und manche Veränderung eingetreten — leider auch in den Gesinnungen der Engländer gegen unS: Während man vor 45 Jahren von Deutschfeindlichkeit nichts merken konnte, erkannte ich sie best meiner letzten Anwesenheit in England aus manchen Gesprächen und sonstigen Anzeichen, und als ich von einer Themsefahrt von Maidenhead nach Henley nach London zurückkehrte, hatte ich irn Eisenbahncoupö einen heftigen Zusammenstoß mit einem Eng länder, der nur durch die Vermittelung unserer Frauen gütlich beigelegt wurde. Haas war auch bemüht, daß wir deutschen Gehilfen die eigenartigen englischen Geschäftsverhältnisse kennen lernten. So- schickte er uns abwechselnd als Vertreter der Firma David Nutt zu den Sales der großen englischen Verleger. Diese boten ihre Verlagswerke an einem Tage des Jahres zu günstigeren Be dingungen an und luden die Buchhändler in ein Lokal, wo jedes Werk ausgerufen und die Bestellungen darauf entgegengcnommen wurden. Eingeleitet wurde diese geschäftliche Verhandlung durch ein feines Mittagessen mit vielen Gängen und Weinen, dem das