Volltext Seite (XML)
««rlrnblatt f. d. Dlschn. Buchhandel Redaktioneller Teil. 58, 13. März.1914. maß der Arbeitszeit der Gehilfe den nötigen Ansporn in sich fühlt, jene oben als möglich genannten Verbesserungen seiner Ar beitsweise zur Beschleunigung und zur Hebung der Intensität sei ner Leistung zu benutzen, mit anderen Worten, ob seine aus der Ta- gesarbcitsdaucr entspringende psychische Verfassung ihn das auch wollen und durchführen läßt, was er bei gutem Willen kann, und ob andrerseits bei denen, deren Arbeitsaufgaben eine Beschleunigung kaum zulassen, nicht mit der Länge der Zeit eine lähmende Behinderung des üblichen Tempos eintritt, das sich auf den ganzen Tag verteilt. Das hängt wiederum mit den psycho-physischcn Ermüdungserscheinungen zusammen, über die im folgenden zu sprechen sein wird. IV. Es handelt sich also bei alledem um Fragen der psycho-physi- schen Ermüdung. Prof. Abbe faßte die Ergebnisse seiner Unter suchungen nach dieser Richtung in den Satz zusammen: »Für jede bestimmte Person und jede bestimmte Art der Arbeit wird bas tägliche Arbeitsprodukt bei einer bestimmten Dauer der täg lichen Arbeitszeit ein Maximum, und die Verkürzung der Ar beitszeit muß so lange noch Erhöhung der Tagesleistung zur Folge haben, als der Gewinn für den täglichen Kräfteersay aus der verlängerten Ruhezeit und die Ersparnis an Kraftverbrauch für ,Leergang' zusammen noch größer sind als der Kraftver brauch für Beschleunigung des Arbeitstempos.» Dieses »phy siologische Geichgewicht« hängt natürlich ganz wesent lich davon ab, ob immer dieselben Muskeln und Nerven, dieselben Organe tätig sind, oder ob Abwechslung geboten ist. Die Stoff wechselschlacken werden bei gleichförmiger Betätigung rascher und in größerem Maße eintretcn als bei abwechslungsreicher, dauernd interessanter Tätigkeit, werden auch bei dem einen Menschen sich stärker zeigen als bei dem andern. Bei Muskelarbeit hat man Ermüdungsphänomene schon wiederholt exakt gemessen, bei Ner- venanstrcngung sind derartige exakte Messungen weit schwieriger. Einen guten überblick über die hier in Betracht kommenden Fra gen gibt Prof. Herkner im Artikel »Arbeitszeit« im Handwörter buch der Staatswissenschaftcn, Bd. I, S. 1214 ff. Rach einer Reihe von Erhebungen scheint am intensivsten vormittags nach der Kaffeepause und nachmittags zwischen 3 und 6 Uhr gearbeitet zu werden; aber zugleich erhöhen sich die Unfallziffern bei der Fabrikarbeit (nach der deutschen Unfallstatistik von 1887 und 1897): sie betragen von 8 bis 9 Uhr morgens l,1v, von 9 bis 12 Uhr 2,36, von 12 bis 3 Uhr l,02, von 3 bis 6 Uhr 2,l l. Das deutet doch auf ein recht rasches Anwachsen der Ermüdung während der Arbeit, das nur durch das gleichzeitig zu konstatierende Sich-ein- arbeitcn, das »Jm-Gangc-sein« teilweise paralysiert wird. Bei einigermaßen höheren geistigen Ansprüchen muß die Erscheinung an Größe zuuehmcn, soweit nicht ein besonderes Interesse die Kraft längere Zeit anfacht und wach erhält. Daß wir die Ermüdung nicht immer an der Qualität der Arbeit merken, dafür ergibt sich eine Erklärung aus der inter essanten Beobachtung des Wiener Hygienikers Professor Graßber- gcr, der in einem Vortrag (erschienen bei F. Deuticke, Wien, 1912) darauf aufmerksam macht, daß gerade im Zustand der Ermüdung oft ganz besondere Leistungen hervorgcbracht werden. Er exem plifiziert dabei auf Kunst und Wissenschaft, und namentlich auf die Mystiker, die eine solche Benutzung der Ermüdungserscheinun gen mit vollendeter Raffinerie ausgebildet haben. Denn »der unvermittelte Ausfall der Hemmungen wirkt wie eine Erleuchtung«. Man braucht aber gar nicht ein mal nur an qualitative Hochleistungen zu denken. Wer von uns hätte nicht schon an sich selbst erlebt, daß er eine Arbeit, die er am Morgen bei dem vielseitigen Interesse und der dadurch er zeugten Unruhe nicht zu bewältigen vermochte, in der abgeklär ten, Wünsche beschwichtigenden Ermüdung des Abends rasch und glänzend zu Ende führen konnte! Aus der Ermüdung gegen über äußeren und inneren Reizen erwuchs da die Konzentra tionsfähigkeit, die Ruhe, die zu der Erledigung dieser geistigen Arbeit erforderlich war. Dies erklärt also, warum wir die Er müdung nicht immer ganz klar an ihren Früchten erkennen. Aber da erhebt sich doch die sehr schwerwiegende und in unscrm Zusammenhang geradezu ausschlaggebende Frage, ob solches nicht auf die Tauer Raubbau an der Arbeits- 392 kraft ist. Bei einer Arbeit, die uns interessiert, die uns nahe angcht, scheinen sich dagegen Hilfsmittel unserer Seele zu bilden (man kennt das psycho-phyfiologisch Wohl »och nicht näher), aber je weniger interessant, je geisttötender eine Arbeit ist, um so mehr versagen jene Reagentien. Danach kommen wir also zu dem Ergebnis, daß gerade die eintönigen Arbeiten, die sich nicht mehr gut beschleunigen lassen, aus den Gründen der Ermüdung nicht vorteilhaft sehr lange ausgedehnt werden können, während die interessanten, bei denen man nicht so leicht ermüdet, andrerseits ein intensiveres Arbeiten, eine größere Beschleunigung und da mit eine Arbeitszeitabkürzung gestatten. Tie beiden im Verlags- buchhandel zusammengefügten Arbeitsarten kommen also auf diesem Wege doch für ihre Beurteilung näher aneinander, als dies anfangs schien. V. Welche Entschließung der Prinzipal, auf dessen Entscheidung es in Arbeitszeitsragen ja ankommt, aus solchen Ergebnissen der Untersuchung ziehen will, ist — mangels ganz exakter Nachweise — natürlich im großen Maße noch Sache des Temperaments, der Anschauung, des sozialen Empfindens. Zugleich aber auch, was nicht vergessen werden darf, eine diplomatische Frage der Arbeits organisation und der Erhaltung des Bcamtenpersonals. Die Er wägungen, die hierbei eine Rolle spielen, seien nun zum Schluß noch kurz überblickt. Arbeitgeber, die die Arbeitskraft ihres Kontorpersonals so lange wie möglich frisch zu erhalten bestrebt sind, haben schon jetzt durch Abschaffung der Sonnlagsarbeit, Gewährung von Sommer urlaub und dergleichen die erhöhten Anforderungen an die Spannkraft der Gehilfen auszuglcichen gesucht. Daß in dieser Hinsicht, namentlich in größeren Geschäften, den »Pionieren der soziale» Reformen«, schon sehr vieles durch freie Entschließung der Prinzipale oder durch Vereinbarung mit den Angestellten geschehen ist, ergibt sich aus dem vorliegenden Material. Und die Tendenz geht ohne Zweifel dahin, auf dem Wege freier Ent schließung übclstände, wo solche früher noch vorhanden waren, zu beseitigen. Es sind hier besondere sozial-ethische Verhältnisse zu beacki tcn, die für alle Kontorangestellten in Betracht kommen und sie von den Handarbeitern und z. T. auch von den Ladengehilfen unter scheiden. Es kommt da in Betracht einmal das hier so dringend erforderliche Geschäftsinteresse. Die geistige Arbeit in den Kon toren, die mit dem Gebaren des Geschäfts in viel engerem und besonders schwerer wäg- und zählbarem Zusammenhang steht, als es etwa bei der Erledigung der Maschinen- oder Handarbeit im Fabrikationsprozeß der Fall ist, ist der Tätigkeit des Chefs näher verwandt und enger verbündet. Zudem kommen hier An forderungen besonderer Arbeitshochflut iu Betracht, die zuzeiten die Einsetzung der ganzen Kraft und übernormale Arbeits zeit erheischen und mit Überstundenbezahlung gar nicht abwäg bar sind. Endlich aber wird von dem größten Teil der Gehilfenschaft eine solche Überstundenbezahlung als durchaus ungebräuchlich, ja unerwünscht angesehen, weil jene Leistung als selbstverständlich gilt und der Buchhandlungsgehilfe auf seine sozial gehobene Stellung mit Recht stolz ist. Das soll auch so bleiben, selbst wenn eine geringere Arbeitszeit erstrebt wird, und von dem Buchhandlungsgehilfcn darf man Wohl erhoffen, daß sein Bestreben eben auch nur aus die Erreichung jenes Optimums an Arbeitszeit hingcht, das den Interessen des Betriebs, also denen des Arbeitgebers wie des Arbeitnehmers entspricht. Denn das ist ja, wie wir sahen, der Sinn dieses Begriffs eines Arbeitszeit-Optimums. Von der Art der Organisation des einzelnen Betriebs hängt da natürlich, wie wir auch schon betonten, viel ab. Aber es fragt sich da weiter, ob nicht Änderungen in der Organisation enipfch- lcnswert sind, ob die Vereinigung der beiderseitigen Wünsche nicht die Abstellung von Organisationsfehlcrn zur Folge haben muß. Es hängt das freilich nicht allein von dem Maß der zu bewältigenden Arbeit, sondern ebenso von den öffentlichen Ein richtungen, Poststundcn, Eisenbahnzllgen, dann von der Branche und von den Gewohnheiten der betreffende» Stadt ab. Weiter hängt es davon ab, ob die Eigenart der Arbeit mebr das Geivicht auf Qualität als auf Quantität legt und dergl. mehr.