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3894 Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel- Nichtamtlicher Teil. 71, 26. März 1912 be orgl haben (6 ^O). Unbedingt zu Goethes Charakterbild gehören dann noch die Briefe der Mutter, der Frau Rat, und der Briefwechsel mit einem Kinde von Bettina von Arnim (den man freilich als romanhaftes Gespinst aus echten Ein drücken und erfabelten Ereignissen betrachten muß). — über Schiller unterrichten Berger (Beck), Kllhnemann (Beck) und Wychgram (Belhagen L Klastng) bestens. Kühnemann em pfehle ich aber nur den Fortgeschritteneren. Die Literaturgeschichte des IS. Jahrhunderts ist bei Biese klar und übersichtlich erzählt. Wer etwa mehr wissen will, mag sich den dicken Band von Richard M. Meyer (Bondi, Berlin) beschaffen oder das Werk von Adolf Bartels (Avenarius, Leipzig). Objektive Darstellung und objektives Urteil darf er freilich weder bei Meyer, noch bei Bartels suchen, dazu ist Meyer allzu sehr feingeistiger Raisonneur und Bartels allzu sehr in Raffeinstinkten befangener Teutone. Meyer wird allen Erscheinungen, die sich mit dem Verstand einfangen lassen, den Jungdeutschen, Heine, Hebbel, Stefan George und dessem Kreise prächtig gerecht, versagt aber z. B. unbedingt bei Liliencron. Bartels hingegen steht alles durch die Brille seiner Raffenzugehörigkeit. Ihm ist die Literatur frage eine Judensrage geworden. — Von literaturgeschicht lichen Monographien, die Männer des 19. Jahrhunderts behandeln, sind Brahms Kleist, Kuhs Hebbel und Baechtolds Keller für den jungen Buchhändler un bedingt lesenswert. Sie vermitteln die Kenntnis wich tiger Persönlichkeiten und sind in ihrer Art starke, wert volle Bücher. Bei weitem wichtiger sind aber Hebbels Tage bücher, an denen mit Fug niemand oorübergehen sollte, der irgendwie für die deutsche Literatur interessiert ist. Sie geben ein treffliches Bild von Hebbels Lebensschicksalen, von den Zuständen ihrer Zeit, und darüber hinaus klarste Ein sicht in die Dunkelkammer dichterischen Schaffens. Wichtige Briefsammlungen sind der Briefwechsel Storms mit Gottfried Keller, C. F. Meyers mit Louise von Francois und die Dehmelsche Auswahl der Briefe LiliencronS. Die schöne Literatur unserer Tage, die dem Gehilfen als Gegenstand zärtlicher Fürsorge am Herzen liegen soll, nimmt beängstigende Dimensionen an. Darin nicht Bescheid zu wissen, durfte bislang niemand zur Schande angerechnet werden. Um so erfreulicher ist es, daß wir jetzt in Soergels tüchtigem Buch einen Ariadnefaden haben, der uns mit leid licher Sicherheit aus dem Labyrinth heraussührt. Ob Soergels Wertung schließlich die der Geschichte sein wird — wer wird das im Streit der Meinungen entscheiden wollen? Wer wird behaupten können, daß Spitteler vielleicht allzu hoch einge schätzt sei und Georg Hermann nicht minder? In der Lite ratur unserer Tage ist alles im Fluß. Es ist hoch anzuer kennen, daß Soergel Richtlinien angibt und Höhepunkte be zeichnet. Für den jungen Buchhändler wird sein Buch von großem Nutzen sein. Es steht in jedem Fall als wissen schaftliche Leistung hoch über dem veralteten Hanstein, von dem übrigens Bilder und Zitate mehr als einmal über nommen sind. Damit bin ich für heute am Ende. Wenn dieser Aussatz Anklang findet, will ich noch einen zweiten folgen lassen, der von außerdeutscher Literaturgeschichte reden soll und dann auch ferner liegende geistige Provinzen, Kunstgeschichte und Kulturgeschichte flüchtig streifen wird. Hoffentlich manchem jungen Buchhändler zum Nutzen! München, März 1912. Aus dem englischen Buchhandel. ii. Wir haben die Zentenarfeier der bekanntesten englischen Romanschriftsteller, Thackeray und Dickens, hinter uns, ohne daß eine merkliche Steigerung des Absatzes ihrer Werke zu verspüren wäre. Einzelne Verleger, die hauptsächlich ihren Verlag durch Zeitungsannoncen und gegen Abschlagszahlungen vertreiben, haben ohne Zweifel ein größeres Geschäft gemacht, während der Sortimenter sich mit dem spärlichen Gelegen, heitsverkauf von billigen Einzelbänden der Werke dieser Autoren begnügen mußte. Die jetzige unruhige Weltlage ist dem Buchhandel nicht gerade günstig. Überall Störungen des Verkehrs! Der große Streik der Kohlenbergwerker in Großbritannien dauert nun schon über zwei Wochen! Die Verkehrseinrichtungen, wie Eisenbahnen, Tramways usw., fangen an ihre Züge einzuschränken. Die Lebensmittel steigen allmählich im Preise, und eine Menge Angestellter ist entlassen worden. Dazu kam der unerwartete Wutaus bruch der Frauenrechtlerinnen, der in einem großen Ein werfen von Schaufenstern seinen Höhepunkt erreichte! Ver schiedene Ladeninhaber haben den Vorständen der Frauenklubs ihre Sympathie mit ihren Bestrebungen, den Frauen das Stimmrecht zu gewähren, zu erkennen gegeben, ja ein Waren haus hat sogar eine große Flagge mit der Inschrift »Votss kor IVomon« gehißt. Andere haben ähnliche Plakate in ihren Schaufenstern angebracht. Die Vereinsblätter der Frauen rechtlerinnen veröffentlichen die Namen der Ladeninhaber, die gewillt sind, siir das Stimmrecht der Frauen einzutreten. Natürlich hat alles das die schon ohnehin bestehende Notlage des englischen Buchhandels nicht verbessert. Es zeigt sich immer wieder, daß das Buch für die Mehrheit der Menschen Luxusartikel ist und daß bei schlechten Zeiten es der Artikel ist, der am leichtesten entbehrt werden kann. Die allmählich eingetrctene Verbilligung der Buchpreise scheint wenig dazu beizutragen, die unteren Massen zum Bücher kausen heranzuziehen. Ausnahmen bilden einzelne billige Sammlungen, wie die der bekannten Firma Dent, die von ihrer »Lvsr^mav's I-ibrar^» s 1/— per Band unglaubliche Quantitäten — man spricht von 10 000 000 und 11000 000 Bänden — verkauft haben soll. Ein Viertel davon soll nach den Vereinigten Staaten ausgesührt worden sein, wo die Bände von einzelnen Schulen als Textbücher benutzt werden. Der billige Preis des Bandes wird dadurch gerechtfertigt, daß die Sammlung aus Neudrucken besteht und keine Honorare zu zahlen sind. Anders verhält es sich mit den billigen Ausgaben der noch lebenden Romanschriftsteller. Beinahe jeder Verleger bringt eine Serie zeitgenössischer Ro mane im Preise von 1/— oder gar K Pence aus den Markt. Diese billigen Drucke haben den Absatz der 6/—-Roman bände fast ganz unterbunden, da das Publikum unge heuer geduldig ist und auf eine billige Ausgabe des ge wünschten Romans recht lange warten kann. Die Folge ist, daß der kleine Buchhändler sich scheut, die 6/—-Bände auf Lager zu nehmen, und sich auf den Ankauf einiger weniger Exemplare beschränkt. Die großen Leihbiblotheken, die Hauptabsatzquelle der englischen Verleger für Belletristik, sind ebensalls beim Einkäufen ängstlich ge worden, da die Gepflogenheit der Verleger, eine billige Aus gabe L 1/— kurze Zeit nach dem Erscheinen der 6/—-Aus gabe auf den Markt zu bringen, den Absatz der Dubletten an das Publikum verhindert. Auch der Export nach den Kolonien kommt für die Leihbibliotheks - Dübelten oder neuen 8/—-Bände kaum noch in Frage. Die englischen Verleger veranstalten sogenannte »Colonial-Editions<, nach Art der Tauchnitz-Bände, die ein Viertel der englischen Original- Ausgabe kosten und in England nicht verkauft werden dürfen. — Dieser ungesunde Zustand zwingt den Verleger zum Ramsch. Eine ganze Anzahl »Rsmainäsr- Loolcsellsrs«, den deutschen Groß-Antiquaren vergleich bar, find entstanden, die die en bloe erworbenen Bestände der Verleger an die Loolr-Vspartmonts der großen »vraxors« oder Warenhäuser verschleudern. Der arme Buchhändler