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Deutsche Zeitungen hinter Stacheldraht Aber Kriegsgefangencnlagerzeitungen des Weltkrieges Unsagbares Leid hatte der Kriegsgefangene zu erdulden, der jahrelang warten, hoffen, dulden und immer wieder in zermürben der seelischer Einsamkeit auf den Tag der Befreiung harren mußte. So manches Herz zerbrach am Heimweh und an den Gedanken über das Schicksal der Seinen; nicht zu reden von den unsagbar körper lichen Leiden, die ihm oft durch gewissenlose Bewachungsmannschaften und sadistische Lagerkommandanten zugefügt wurden. Dwingers, Kil- lingers, von Schmidts Bücher schreien uns Anklagen gegen diese Lagerinfernos laut und grell in die Ohren. Da tauchten plötzlich überall in den Lagern Köpfe aus, die in den einförmigen Tageslauf Abwechslung und Zerstreuung zu bringen suchten. Je nach der Zusammensetzung der Lagermannschaft wurde Unterricht im Französischen, Englischen, Russischen, Physik, Volks wirtschaft, Stenographie und was sonst noch an geistigen Gaben kostenlos abgegeben werden konnte, gelehrt. Es wurde gebastelt, ge hobelt, gefeilt, gemalt, gesungen, gedichtet, Theater gespielt, Sport getrieben! So mancher, der jetzt Schach oder Skat spielen kann, hat es erst im Lager gelernt. So mancher, der zu Hause nie etwas anderes als eine Zeitung gelesen hatte, kam durch die Lagerbüchereien überhaupt erst zum Lesen und zum guten Buch. Besonders geistig geweckte Köpfe, vielfach auch Männer vom Fach, schufen die L a g e r z e i t u n g, die Feldpresse hinter Stachel draht. So erfand man eine Medizin gegen den »Cafard«, die Stachel drahtkrankheit. Die Lagerzeitung wurde auch ein Bindeglied, das mit den Angehörigen der Heimat verband, denen man die amtlich genehmigten Lagerzeitungen senden durste. So erfuhren auch die zu Hause vom Leben und der Sehnsucht der Kriegsgefangenen. Aus den Lagern der fremdländischen Kriegsgefangenen in Deutschland sind viele gut redigierte Blätter bekannt, die mit Ge nehmigung des Kriegsministeriums erschienen. Hier soll von den Zeitungen gesprochen werden, die unsere deutschen Kameraden fern der Heimat aus dem Nichts zauberten. Neben den behördlich gestat teten blühte manches Veilchen im Verborgenen. Sich nicht fassen lassen, war auch eins dieser Taschenspielerkunststücke. Die ersten uns bekannten Lagerzeitungen wurden in aller Heim lichkeit durch Schrift, Schreibmaschine oder Hektographie hergestellt. Der Ostseeflieger von Killinger erzählt in seinem Buch aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft, der er glücklich entsloh, folgendes: »Mit vieler Mühe und Sorgfalt legten mir eine peinlich genaue Karte des östlichen Kriegsschauplatzes an, vom Rigaischen Meerbusen bis nach Rumänien hinein. Abends kamen wir dann zusammen, um nach den neuesten Nachrichten die Lage zu peilen. Bald hatte sich in meinem Zimmer eine regelrechte Redaktion gebildet. Mir fiel die Aufgabe zu, die Posten zu bestechen, daß sie uns immer die neuesten Zeitungen besorgten. Mittels Leim und Gelatine hatten wir auf einem Kuchenblech eine Hektographiermasse hergestellt und gaben uns täglich eine Gefangenenzeitung heraus. Für zwei Kopeken wurde sie verkauft. Der Betrag diente wieder zur Beschaffung neuer Zeitungen.« — Das war im sibirischen Gefangenenlager Nishne Minsk. Eine ziemlich ansehnliche Auflage erreichte die »to tds eensor mibmitleck«, also amtlich zugelassene Lagerzeitung von »Stob s« in Schottland. Die Auflage betrug 1916 rund 4000 Stück. Im Anfang bestand nur e i n gemeinsames Lager von Militärpersonen und Zivil internierten. Später, etwa im September 1916, wurde es getrennt. Im Militärlager waren die Überlebenden unserer Kreuzergcschwader, die den heldenmütigen Kampf unter Graf Spee bei den Falklands inseln geführt hatten, ferner deutsche in Frankreich und Afrika ge fangene Truppen, dann Torpedoboots- und U-Bootsleute unter gebracht worden. Die Zivillager waren mit Deutschen und Öster reichern, die man von den Kauffahrteischiffen geholt hatte, und in Großbritannien ansässigen Ausländsdeutschen belegt worden. Gegründet wurde die »S t o b s i a d e« im Zivillager. Nach der Trennung beider Lager erschien die lgufeude Nr. 15 wieder neu als Nr. 1, und zwar am 15. Oktober 1916. Nun erhielten die lese- hungrigen Deutschen aller drei Wochen ihr Blatt, das allerdings nur vierseitig, aber mit sehr kleinen Buchstaben gedruckt wurde. Geldlich wurde es sehr stark unterstützt von einem vr. Marke! in London und N. W. Clark von der »Gesellschaft der Freunde«. Der Hauptschriftleiter ab 1. Oktober 1916 war Kurt Stenger. Die Mit teilungen des »Dramatischen Vereins«, der für die kulturellen Be strebungen zuständig war, beweisen, daß sogar ganz große Kunst ge boten wurde. Wagner, Schumann, Löwe beherrschten neben leichter Kost das Konzertprogramm. Von den Theateraufführungen sind zu nennen: »Im weißen Nößl«, »Miß Hobs« (Jerome) und die köstliche »Lokalbahn« von Thoma. Unter dem Titel »tzuousqu« landein?« (Wie lange noch?) schrie ben, zeichneten und druckten die Journalisten des Lagers der 40 000 deutschen und österreichischen Zivilgefangenen von Knockaloe auf der Jsle of Man ihre Zeitung. Das Hilfskomitee für Zivilgefangene in Zürich vertrieb sie sogar Weihnachten 1916 zu ihren Gunsten. Als das Blatt einging, fand es einen Nachfolger im »Lager-Echo«. Auf der Insel Ceylon (Indien) in Diyatalava erschien eine Zeitung in Schreibmaschinenschrift. Hcimatbriefe, die abgedruckt wur den, trugen zur inneren Festigung der gequälten Seelen bei. — Auf Sumatra, nicht in Gefangenschaft, aber doch abgesperrt von der Heimat, wirkte der Dichter Max Dauthendey in Schrift und Wort trostspendend für die dortigen Deutschen. Er selbst starb dort heim wehkrank im Krieg. In Frankreich erschien innerhalb der Stacheldrahtzäune auf der Jle-Longue die »Insel-Woche« auf einer im Lager selbst gebauten Druckerpresse. In dem Offizierslager »Belle-Ile« (Frankreich) erschien vom August 1915 ab eine auf hektographischem Wege, später im Steindruck hcrgestellte Zeitschrift mit dem Titel »Die Zeitung von B e l l e - I l e«. Mit der Auflösung des Lagers im Februar 1916 ging sie wieder ein. Anfang 1916 gab es sogar noch eine zweite Lagerzeitung »Aus ernsten Tagen«, deren Schriftleiter ein Stabsveterinär war. Drei Nummern erschie nen im ganzen. Das Kriegsgefangenenlager Dorchester in Südengland stellte durch seine »Schwarzkünstler« die zwanglos erscheinenden »Deut schen Blätter« her. Eine tiefe Tragik überschattet das noch 1919 erscheinende Blatt »Der v e r g e s s e n e M i ch e l«, das die deutschen kriegsgefangenen Soldaten, die nach dem Waffenstillstand noch Frontanfräumungs- arbeiten leisten mußten, in Tagnon bei Nethel auf hektographi schem Wege herausbrachten. Diese Zeitung war mit ihrem ankläge- rischen Titel ein bissiger Vorwurf für die deutsche November- regieruug. Als Kuriosum und Unikum ist eine »gesprochene« Lagerzeitung anzusehen. Es ist der »Generalanzeiger des Lagers T a l m o n 1«. Die Lagerbühne ließ sie wöchentlich von ihren Dar stellern aufführen! Den Dolmetschern unverständliche Sprachscherze waren Mittel zu herzerfrischender Kritik und Satire. Von deutschen Lagerzeitungen in Rußland, die mir leider nicht zu Gesicht kamen, ist die Zeitschrift »I. T. M.«, das einen recht kräf tigen Götz von Bcrlichingenschen Ausdruck bezeichnen soll, bekannt. Sie erschien im Lager Nikolsk bei Wladiwostok. In Krasno jarsk erschien der »Invalid e«. Ein Blatt, das in künstlerischer Hinsicht wohl alle Lagerzeit schriften Ubertrifft, dürfte die Lagerzeitung von Bandon in Japan sein. Dank der Unterstützung der japanischen Militärbehörden und des Wohlwollens des auf hoher Warte stehenden japanischen Kunst gewerbes konnte hier eine Zeitschrift geschaffen werden, die in ihrer Art als einzigartig schön zu bezeichnen ist. — Dieses Lager hatte auch eine eigene Postanstalt (Lagerpost) mit eigenen künstlerischen Briefmarken. Eine Anzahl charitativer Vereinigungen in der Heimat sorgte mit einigen Blättern, wie der »Heimatgruß der Dort munder K r i e g s g e f a n g e n e n h i l f e« für geistige Bindung mit der Heimat. Unvergessen soll sein, was die Schweiz für die krank und siech aus Frankreich ausgetauschten deutschen Verwundeten tat. Diese Jntcrniertenlager hatten eine von der »Deutschen Kriegsgefangencn- fürsorge« in Bern herausgegebcne umfangreiche »Deutsche I n t e r n i e r t e n z e i t u n g«. Ferner ist das Blatt »Der Sonn tagsbote« zu erwähnen, der von der schweizerischen Hilfsstelle »?ro Oaptivis« alle vierzehn Tage an deutsche Kriegsgefangene in allen Ländern versandt wurde. Auch in Dänemark und Norwegen waren eine große Anzahl deutscher Kriegsgefangener aus russischen Lagern interniert worden. Seit 1917 erschien für diese erholungsbedürftigen Krieger ein vom »Delegierten des Noten Kreuzes« in Kopenhagen wöchentlich heraus gegebenes Blatt »Der L a g e r b o t e«. So manches Blatt aus jener Geschichte gewordenen Zeit wirb nun nach zwanzig Jahren verschwunden sein. Aber auch so manches durch alle Fährnisse hiuübergerettete zerknitterte Blättchen wird in dieser oder jener Truhe zwischen andern Andenken schlummern, hier und da hervorgeholt und liebevoll betrachtet, unvergessen, welch großen seelischen Trost es im unverschuldeten Elend geleistet hat. Walter Probst Nr. 188 Donnerstag, den 11. August 1938 627