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14S1S «Srs-->bl-tt s. d. D»chi>-«>uhh»»d-t Nichtamtlicher Teil. »01. 29. Dezember 1908. Wiener Brief. XVIII. (Vgl. Nr. 14, IIS, 204 d. «I.> Kaiser-Jubiläum. — Jndianerbücher. — Briefpost verkehr. — Aus dem Burgtheater. Die festlichen Tage des Regierungs-Jubiläums sind vorüber; rauschende, lärmende Veranstaltungen hat der ruhe bedürftige Monarch sich verbeten, indem er gleichzeitig Akte der Wohltätigkeit »für das Kind« anregte. Es sind denn auch allerorten in Österreich große, namhafte Beträge der Jugendfürsorge, dem Kinderschutz, den Kinderspitälern gewidmet worden, doch konnte am Vorabend des 2. Dezember auch eine glanzvolle Illumination der Gebäude und Straßen Wiens für die dynastische Gesinnung der hauptstädtischen Bevölkerung Zeugnis abiegen. Auch der Buchhandel hat zum Jubiläum seine — verkäuflichen — Gaben gebracht. Populäre Lieferungswerke wurden durch eine effektvolle Einbanddecke zu Prachtwerken gestempelt, und für die Schul jugend war durch Herausgabe sehr billiger Broschüren gesorgt. Höhere Anforderungen befriedigt ein warm ge schriebenes Büchlein von Hanny Brentano, das Verlach und Wiedling in gewohnter Weise sympathisch äusgestattet haben; derselbe Verlag gab noch auf Veranlassung des Gemeinde- rales ein Album für die Jugend »Wien seit 60 Jahren» heraus, das durch kurzen Text und eine Fülle von Ab- hildungen seinem Zwecke, die Entwicklung der Vaterstadt unter der Regierung des Kaisers zu zeigen, entspricht. Viel Be achtung fand die von der Österreichischen Illustrierten Zeitung herausgegebene Kaiserfestnummer, an deren Herstellung seit Monaten gearbeitet wurde; sie präsentiert sich als ein stattliches Heft von 147 Seiten nebst umfangreichem Jnseraten- anhang. Auf dem Umschlag ist ein wohlgetroffenes Porträt des Kaisers in Farben angebracht, und eine große Anzahl Essays, sowie aphoristische Beiträge aus der Feder von Fach leuten und Schriftstellern stellen den Kaiser in den Mittel punkt der geschichtlichen Ereignisse und der kulturellen Ent wicklung der Monarchie. Der Clou des Heftes sind zwei Photokompositionen; die eine stellt in 144 Porträt? die öster reichische Publizistik dar und würde einen noch weit besseren Eindruck machen, wenn einige Porträts minder stark an Wachsfiguren erinnern und die mittleren Figuren nicht so ausdringliche Posen bieten würden. Die zweite Photo komposition betitelt sich »Der Kaiser hält Cercle- und stellt 393 Notabilitäten des Reiches vor — Kirche, Wissenschaft, Literatur, Kunst, Industrie sind hier in bunter Reihe ver treten. Es folgen dann einige Tableaus von Korporationen, und wir bemerken mit Vergnügen unter den Präsidenten der Handels- und Gewerbekammern die Buchhändler Anton Rivnai aus Prag und I. Paternolli aus Görz, unter den Gremial- und Genossenschaftsvorstehern den allseits beliebten Vorsteher der Wiener Korporation Franz Denticke. Die hohe Politik kümmert sich nicht um die Vorbereitungen eines Zeitschristenverlegers, und so kam es, daß die Festnummer die Porträts mehrerer schwarzbefrackten Herren als Minister brachte, die am 2. Dezember bereits demissioniert hatten. So behaglich sitzen sie da im Bilde in ihren schönen Arbeits räumen, von denen sie sich trennen mußten, — Scheiden tut weh. — Minder umfangreich als dieses Heft, doch sehr geschmackvoll ist die Festnummer der Leipziger Jllustrirten Zeitung ausgefallen, in der namentlich die Bilder aus dem Leben des Kaisers, sowie die Reproduktionen von Gemälden aus dem Künstlerhause, der Sezession und dem Hagenbunde die Aufmerksamkeit fesseln. Zu der oft besprochenen Frage der »Schundliteratur» liegen neuerliche Beiträge vor. Eine Notiz wandert jetzt durch die Wiener Tagesblätter: (Verderbliche Wirkung der Lektüre von Indianers rzählungen.) Aus Berlin wird telegraphiert: Heute hat die Polizei in Rixdorf eine Diebesbande, die aus siebenundzwanzig Knaben im Alter von 12 und 14 Jahren bestand, in zwei Höhlen verhaftet. Dieser Verein, der sich Jndianerverein »Schleichender Fuchs, nannte, hatte sich, angeregt durch übermäßige Lektüre vonJndianer- geschichten, zu dem Zwecke gebildet, die Weihnachtszeit zu Diebstählen auszunützen. Die Knaben entwendeten alles, was ihnen unter die Hände kam, Lebensmittel, Näschereien rc., und verzehrten die Eßwaren gemeinsam im »Wigwam- Bei der größten Gegnerschaft gegen die Jndianerbücher kann man doch die Vermutung aussprechen, daß, medizinisch gedacht, der Bazillus auf einen besonders günstigen, durch andere Umstände vorbereiteten und daher empfänglichen Boden gefallen sein muß, um so krasse Resultate hervorzu bringen. Die meisten Beschwerden kommen aus Berlin und Hamburg; so wird neuestens ein Aufruf der Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens in Hamburg verbreitet, der die Eltern in dringendster Weise hittet, die Kinder vor der Lektüre der »Geschichten« von Nick Carter und Buffalo Bill zu bewahren. Die Schule könne ohne eifrige Mitwirkung der Eltern in dem Kampfe gegen die Jndianerbüchel nichts ausrichten. Der schädliche Einfluß auf die geistigen Kräfte des Kindes, insbesondere auf die Phantasie wird mit der größten Schärfe geschildert. Der Aufruf geht übrigens auf die wirtschaftliche Bedeutung der Sache ein, behauptet, daß die Herstellungskosten eines Heftes für den Verleger 2—3 Pfennig betrügen und daß ein Berliner Verleger jährlich 2>/, Millionen Mark an diesem Schund verdiene. Hierzu bemerkt die Wiener Tageszeitung, die den Aufruf abdruckt: »Österreichische Verleger natürlich ebenso». Da aber meines Wissens der österreichische Kolportageoerlag derzeit überhaupt keinen namhaften Umfang hat und die Jndianerbüchel wohl ausschließlich importiert werden, so ist die auf die öster reichischen Verleger zielende Bemerkung eine faustdicke, fal- stasfische Übertreibung. — In der täglichen Rundschau be schämtst sich Adolf Petrenz mit derselben Frage und fordert direkt gesetzliches Vorgehen, eine Lex Nick Carter, indem er die Behauptung ausstellt, daß diese Erzeugnisse blutrünstiger Sensationslust und eines schauderhaften Verbrecherkultus ge fährlicher sind als die schlimmsten Bücher eigentlich porno graphischer Art, weil diese nie in so ungeheurem öffentlichen Aufgebot auftreten können. — »Jugend- und Schund literatur-, ein Artikel der Berliner Volkszeitung, spricht sich mit derselben Entschiedenheit für die Unterdrückung dieser »niedrigen Machwerke» aus und gibt eine Reihe statistischer Daten, für die mir natürlich jede Kontrolle fehlt. Er beziffert die Auflage der von einem be stimmten Verlage herausgegebenen Sammlung pro Band aus 300 000. Da es nun 15 verschiedene Arten der Hefte gebe, so betrage die Auflage für die Woche 4 500 000 ä 20 H, somit r/z Million Mark, jährlich 28 Millionen Mark. Diese Ziffern klingen etwas phantastisch, selbst wenn man bedenkt, daß von Buffalo Bill 185 Bände, Nick Carter 138 Bände, Berühmte Indianerhäuptlinge 132 Bände, Sherlock Holmes 33 Bände, Ethel King 53 Bände, Rat Pinkerton 75 Bände erschienen find. In einer Fortbildungsschule besaß ein Schüler, wie eine Lehrerzeitung berichtet — 1500 ver schiedene Bände Detektiv-, Indianer- und Räubergeschichten. Es scheint somit, daß die minderwertige Literatur für den Buchhändler recht ergiebig sein kann, und dieser Umstand