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260, 7. November 1808. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dlschn. Buchhandel. 12647 Dafür angeführte Gründe. 1. Die Aufhebung der gesetzlichen Ablieferung von Pflichtexemplaren in Sachsen ist unheilvoll gewesen. Infolge davon sind die Bibliotheken, wie der Bericht der Kommission feststellt, nicht mehr imstande gewesen, »alle jene kleinen Schriften zu beschaffen, die vielfach im Selbstverlag, oft aber gar nicht im Buchhandel erscheinen, und die meist achtlos wieder verschwinden, wahrend sie doch frühe An regungen zu wichtigen Erfindungen, erste Gedanken von be deutungsvollen Entwickelungen bieten können, — nicht alle jene F ugblätter, die für die richtige Beurteilung politisch bewegter Zeit unentbehrlich sind, — nicht alle jene unscheinbaren Zeitungsnotizen, die für die Lokalgeschichte eines Landes von unschätzbarem Werte finde. Jetzt nun handelt es sich darum, die vorhandenen Lücken der Geschichtschreibung auszusüll n und das gesamte geistige Schaffen zu sammeln. Nur die gesetzliche Hinterlegungspflicht ermöglicht es, diese -kleine Literatur» sich zu verschaffen zu dem Zweck, die geistigen Schätze eines Landes zu bewahren und die Entwicklung 8er Nation und des sächsischen Volkes kennen zu lernen. 2. Die auf ihre eigenen Mittel angewiesenen Biblio theken sind nicht imstande, dieses Ziel zu erreichen. Die in Dresden, die bis 1870 mit Berlin und München auf gleicher Höhe stand, steht jetzt an fünfter Stelle; viele verlangte Bücher fehlen ihr. Die Mittel ihres Budgets sind viel z» gering, und übrigens läßt sich das Übel auch durch Geld nicht heilen. 3. Der gesetzliche Hinterlegungszwang besteht in allen deutschen Staaten von einiger Bedeutung und ist außerhalb Deutschlands sehr verbreitet. 4. Die Verleger selbst haben auf ihren internationalen Kongressen hParis, Mailand) die Einrichtung der gesetzlichen Hinterlegung von Pflichtexemplaren als Notwendigkeit anerkannt. 5. Diese Verpflichtung bildet eine Entschädigung für die Benutzung der Bibliotheken und eine Art Vergütung für den Schutz des Urheberrechts; sie gleicht den Gebühren, die sür ein Patent erhoben weiden, der Hinterlegung von Zeichnungen und gewerblichen Mustern. 6. Die Hinterlegungspflicht ist eine unbedeutende Last, für den Verleger kaum fühlbar, weil es sich im Grunde nur um die geringe Ausgabe für das Papier der Exemplare handelt. Dagegen angeführte Gründe. l. Die Gescqichte der Pflichtexemplar-Lieferung zeigt, daß ihre Abschaffung eine logische Maßregel war; in Sachsen war die Hinterlegung zuerst vollkommen freiwillig und vom Jahre IKgl ab sogar ganz beseitigt; sie wurde dann 1816 wieder eingesüh t, um dem Zensor, dem ein Kontrollexemplar eingeliesert werden mußte, die Überwachung möglich zu machen. Diesen gibt es insolge Gesetzes vom 24. März 1870 nur noch für die politischen Zeitungen. Aber da, wo die Entwicklung sich auf dem Wege der Freiheit bewegt, hat man eine Gesetzgebung beseitigt, die sich auf alte Privilegien und aus die Zensur stützte. Diese liberale Politik war zumal für Leipzig besonders vorteilhaft; ihr verdankt diese Stadt zum großen Teil die Verlegung der Biicher- messe von Frankfurt nach Leipzig. Tatsächlich wurde jener Licferungszwang — im Jahre 1685 verlangte der Kaiser durch die Bücherkommission, der der Bischof von Mainz präsidierte, bis zu 7 Exemplare — von den Be- Gegengründe und statistische Nachweise, wie sie insbesondere die Handelskammer zu Leipzig in ihrem Gutachten <Börsenblatt Nr. S44 vom lg. Oktober d. I.) gegeben hat, ergänzt werden muh. (Red. d. Börsenblatts.) trosfenen als eine zu schwere Last empfunden, von der das kurfürstliche Sachsen sie nach Wunsch befreite. Aber der Pflichtexemplarzwang stellt sich nicht nur als eine unkluge Gesetzcsbestimmung dar, sie ist auch ungerecht, was der Berichterstatter im Jahre 1870, Geheime Hosrat Albrecht, sehr treffend mit folgenden Worten zum Aus druck gebracht hat: »Die Unterzeichnete Deputation ist der Ansicht, daß die annchmen und ans diesem Gesichtspunkte einigermaßen erklären, so erscheint sie doch seht als eine Abgabe, die jedes Nechts- grundes entbehrt, und diesem Mangel gegenüber kann der dadurch erzielte Gewinn sür die Bibliothekssonds nicht in Be tracht kommen.» Und der berühmte Rcchtslehrer von Liszt beurteilte den Lieferungszwang sogar als »eine irrationelle und der Staatsgewalt unwürdige Einrichtung», 2. Der Pflichtexemplarzivang wird fast immer von den Bibliothekaren begehrt, die danach streben, ihre Sammlungen mit wenig Kosten zu vervollständigen, oder von einer ge wissen Klaffe Gelehrter, die alle Veröffentlichungen Uber einen Gegenstand zu ihrer Verfügung zu haben wünschen. Möge der Staat ihnen die gewollten Hülfsquellen schassen; aber man schütze nicht Gründe der literarischen Ordnung vor, um staatliche Bedürftigkeit zu bemänteln. Ist übrigens der Pflicht exemplarzwang das richtige Mittel, um in Besitz der »kleinen Literatur« zu kommen, die sich dem Buchhandel entzieht? Dieser veröffentlicht Kataloge und bibliographische Verzeich nisse von allem, was er heransbringt; seine Verzeichnisse sind wahre Muster ihrer Art. Es ist also möglich, alle so verzcichneten Veröffentlichungen zu erwerben, man braucht zu diesem Zweck nur das Budget einer Bibliothek zu ver mehren, um sie zu kaufen. Aber man dars nicht mit Strafen Vorgehen gegen den Handel, der unschuldig ist an der Tat sache, daß er diejenigen Autoren nicht zu erreichen weiß, die ihre eigenen Verleger sind. Wie kann man diese zwingen, aus ihrer Zurückhaltung herauszutreten, wie kann man wissen, was sie veröffentlichen, und welche Strafe kann man ihnen auferlegen für Unterlassung der Pflichtexemplar lieferung? Und wenn Strafbestimmungen zu diesem Zweck vorgesehen sind — dem großen Publikum gegenüber wird das Gesetz nicht ausgeführl werden können oder doch nur unter großem Widerstand. 3. Das Reichsgesetz über die Presse von 1874 hat die Lösung der Frage den einzelnen deutschen Bundesstaaten überlassen. !9 von 28 Staaten, die das Reich bilden, haben den Pflichtexemplarzwang abgeschafft. In den andern Staaten kämpft man seit lange, um gleichfalls die Aufhebung zu erreichen, so insbesondere in Preußen und in Württem berg (vgl. »Droit ä'rlutsur» 1897 S. 118; 1901 S. 47; 1903 S. 34). Der deutsche Buchhandel ist einmütig darin, diese Reform zu rühmen, und mit berechtigtem Stolz blickt er auf Sachsen, das diese schon vor 40 Jahren zu verwirk lichen gewußt hat. 4. Der internationale Verlcgerkongrcß hat sich keineswegs berufen gefühlt, über die Frage sich auszusprechen, ob der Pflichtexemplarzwang zur Bereicherung der Bibliotheken aus- rechterhalten werden soll, und da, wo diese Frage berührt wurde, wie 1899 in London durch Herrn Marston, wurde diese Bestimmung einer Hinterlegung energisch bekämpft. Der Kongreß hat sich vornehmlich mit jenem andern Charakter des Hinterlcgungszwangs befaßt, der einen Zusammenhang mit Erlangung des Urheberrechts aufstellt, und er hat stets gegen die Vermischung dieser beiden Gebiete gestimmt; die Unterlassung der Hinterlegung sollte nicht den «Verlust des literarischen Eigentums entschließen. Dann — I64S'