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Xi 205, 4. September 1930. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn. Buchhand«!. o) in der Einschränkung der Zulassung von Ärzten zur Kassenpraxis derart, daß in den Fällen, in denen bei einer Kasse die Zahl der Ärzte — auf je 1090 Versicherte ein Arzt — die festgesetzte Bersicherungszifser überschreitet, das Oberversicherungsamt anordnen kann, daß andere Arzte bei der Kasse nicht mehr zugelassen werden und Kassenstellen, die frei werden, nicht mehr oder nur unter besonderen Voraussetzungen besetzt werden dürfen. 10. Schließlich ist noch die Neuregelung der Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Beitragsfestsetzung zu erwähnen. Während bisher ein übereinstimmender Beschluß von Arbeitgebern und Versicherten im Ausschuß erst erforderlich war, wenn die Bei träge über 7!4A des Grundlohnes erhöht werden sollten, ist diese Grenze aus 6A herabgesetzt worden. II. Arbeitslosenversicherung. 1. Der Begriff der geringfügigen Beschäftigung ist neu ge faßt worden. Eine geringfügige Beschäftigung liegt vor a) wenn die Beschäftigung üblicherweise nicht mehr als 30 Arbeitsstunden wöchentlich beträgt oder l>) wenn für die Beschäftigung kein höheres wöchentliches Arbeitsentgelt als 45.— RM. vereinbart oder orts üblich ist. 2. Arbeitslose, die das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, haben Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung nur, wenn ihnen kein familicnrechtlicher Unterhaltsanspruch zusteht. 3. Die regelmäßige Sperrfrist (bei Lösung des Arbeitsver hältnisses ohne wichtigen Grund) ist von 4 auf 6 Wochen erhöht worden. 4. Die Hauptunterstützung für die Angehörigen der fünf obersten Lohnklassen wird um je eine Klasse, in den Lohnklassen X und XI um je zwei Klassen gesenkt, wenn die Anwartschafts zeit während der letzten 18 Monate unter 52 Wochen liegt. 5. Ferner wird der Bezug von Krisenunterstützung aus die versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung angerechnet, so- daß die Höchstdauer der versichcrungsmäßigen Arbeitslosenunter stützung sich um die Zahl der Tage mindert, für die ein Arbeits loser vorher Krisenunterstützung bezogen hat. 6. Für den Fall, daß beide Ehegatten Hauptunterstützungs empfänger der Lohnklassen VII bis XI sind, so mindert sich oie eine Unterstützung um die Hälfte. Dies gilt jedoch nur dann, wenn auch nur e i n Familienzuschlag für eine der beiden Unter stützungen gewährt wird. 7. Die Wartezeit von 14 Tagen, die bisher nur für Arbeits lose, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und keine zu schlagsberechtigten Angehörigen hatten, aber in häusliche Ge meinschaft eines anderen ausgenommen waren, vorgeschrieben war, ist jetzt von allen Arbeitslosen, die keine zipchlagsberech- tigten Angehörigen haben, zu erfüllen. 8. Der Beitrag ist vom 1. August 1930 ab von 314 aus 4P-?S des Arbeitsverdien st es erhöht worden. Diejenigen Angestellten, die mehr als 300 RM. monatlich verdienen, die also nicht mehr krankenversicherungs pflichtig, aber bis zu einem Jahresgehalt von 8400 RM. arbeits losenversicherungspflichtig sind, haben monatlich einen Beitrag von 13.50 RM. zu leisten. Von dem Arbeitslosenversicherungs beitrag tragen Arbeitgeber und Arbeitnehmer — wie bisher — je die Hälfte. Die Vorschriften der Artikel 3, 4 sowie der 150 Abs. 3 und 163 Abs. 2 enthalten Maßnahmen für die zukünftige Ge staltung der Finanzpolitik in der Reichsanstalt. Die grund legende Bestimmung hierfür ist der Artikel 4, der weder in der Regierungsvorlage noch in den Beschlüssen des Sozialen Aus schusses des Reichstages enthalten war, sondern erst in den nach träglich erfolgten Kabinettsverhandlungen Eingang in die Not verordnung gefunden hat. Hierdurch ist auch für das Haushalt jahr 1930 die Zuschuß- und Darlehnspflicht des Reiches gegen über der Reichsanstalt limitiert. (Vom I. April 1930 muß ge mäß Z 163 Abs. 2 der Höchstbetrag der Darlehn im Gegensatz 8S6 zur jetzigen Rechtslage regelmäßig der Höhe nach festgesetzt wer den, sodaß von diesem Zeitpunkte ab die bisherige unbe grenzte Darlehnspflicht des Reiches gegenüber der Rcichs- anstalt aufhört.) Wenn sich im weiteren Verlaufe des Haus haltjahres 1930 herausstellt, daß die erhöhten Beiträge und die im diesjährigen Haushalt vorgesehenen Zuschüsse und Darlehn des Reiches zur Deckung des Bedarfes der Reichsanstalt nicht ausreichen, so hat nach Artikel 4 der Notverordnung das Reich nur die Hälfte des Mehrbedarfes im Wege des Zuschusses zu gewähren. Die damit verbleibende restliche Hälfte des Mehr bedarfes ist nach Artikel 4 durch weitere Erhöhung der Beiträge oder durch Abstufung der Beiträge oder durch Verbindung beider Maßnahmen zu decken. Bei der gegenwärtigen Finanzlage der Rcichsanstalt und der in Aussicht stehenden weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Erwerbslosenziffer kann man schon jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß die ge schilderten Voraussetzungen des Artikels 4 des Gesetzes noch im Laufe des Haushaltjahres 1930 eintreten werden. Eine end gültige Sanierung der Reichsanstalt ist daher durch diese Ver ordnung nicht erreicht, sodaß eine erneute Debatte über die Ge staltung von Ausgaben und Einnahmen der Reichsanstalt auch für den Vorstand der Anstalt in absehbarer Zeit bevorsteht. Mit diesen Änderungen im Bereiche der Sozialversicherung erschöpfen sich die sozialpolitischen Maßnahmen, die durch die Notverordnung festgelegt worden sind. Es sind nunmehr die auf wirtschaftspolitischem Gebiete getroffenen Maß nahmen zu behandeln. O. I. Osthilse. Diese Frage ist in der Öffentlichkeit viel behandelt worden und hat, nachdem sich zunächst bei der Organisation gewisse personelle Schwierigkeiten ergeben hatten, ihre endgültige Rege lung gefunden. Die Osthilfe setzt sich im wesentlichen zusammen aus einer Kredithilfe und einem bereits in Kraft gesetzten und bis 31. Dezember 1930 laufenden Vollstreckungs- schutz. II. Verhütung unwirtschaftlicher Preisbindungen. Sehr einschneidende wirtschaftspolitische Befugnisse enthält die Verordnung bezüglich der Verhütung unwirtschaftlicher Preisbindungen. Diese Vorschriften sollen als Handhabe zur Verhütung unwirtschaftlicher Kartellpreise, namentlich auch hin sichtlich der Markenartikel, dienen. Allerdings scheint das Reichswirtschaftsministerium im Bewußtsein seiner großen Ver antwortung sehr vorsichtig Vorgehen zu wollen, denn es hat zunächst den Reichswirtschastsrat als Gutachterstelle in Anspruch genommen. Der Reichswirtschastsrat hat sich bisher diplomatisch geäußert, und es hat den Anschein, als ob die Kartellpreise mehr durch die bloße Existenz dieser Bestimmungen und die dadurch für jedes Kartell gegebene Gefahr des Zerfalls gelockert werden würden als durch unmittelbaren Zwang von staatlicher Seite. Möglicherweise werden dabei auch die Ergebnisse der Erhebungen des sogenannten Enquete-Ausschusses Berücksichtigung finden. Jedenfalls kann vor übereilten Maßnahmen auf diesem Gebiete nur dringend gewarnt werden. Vielmehr muß eine sorgfältige Prüfung von Fall zu Fall stattfinden, inwieweit wirklich un wirtschaftliche Preisbindungen vorliegen. Denn nichts wäre ge fährlicher, als das Kind mit dem Bade auszuschütten und durch generelle Maßnahmen Preisbindungen jeglicher Art aufzuheben, was lediglich dazu führen würde, daß eine Blütezeit des un lauteren Wettbewerbs anbräche. Gerade das feine Instrument der Preisbildung verträgt am allerwenigsten den staatlichen Zwangseingriff, und es dürften nur verhältnismäßig wenig Ge biete sein, wo durch straffe Kartellbildung eine ungerechtfertigte Hochhaltung der Preise erzielt worden ist. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß die Notverordnung sogar eine Bestimmung enthält, wonach unwirtschaftliche Preisbin dungen mit Hilfe der nationalen Zollgesetzgebung bekämpft wer den können.