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Redaktioneller Teil. zu tun mit Rätseln, wunderbaren Chiffren und Theorien, die Bacon, Lord Rutland oder gar den geheimnisvollen Unbe kannten, mutmaßlich einen Namensvetter des Schauspielers Wm. Shakespeare, als den Verfasser der unsterblichen Werke hinstellen. Es fußt nur auf bekannten Tatsachen und der alt- ehrwürdigen Tradition, Hier mag auch der vor kurzem erfolgte Tod von Sir E, Durning-Lawrence, dessen originelles Pamphlet in dem letzten Artikel besprochen wurde, erwähnt werden. Er be saß eine wertvolle Bibliothek seltener Shakespeareana, darunter ein vorzüglich erhaltenes Exemplar des zweiten Folios und war ein überzeugter Anhänger der Bacon-Theorie, für deren Pro paganda er keine Kosten scheute. Seine Ansichten und Schriften wurden jedoch zu seinem großen Schmerze in Fachkreisen nicht ernst genommen. Es ist eine eigentümliche Tatsache, daß politische Beziehun gen auf die literarischen Neigungen der englischen Nation einen schwerwiegenden Einfluß ausüben. Momentan stehen wir hier unter dem Zeichen der Latente Oorclialo, und die französische und russische Literatur werden mit Begeisterung gelesen und disku tiert, Englische Übersetzungen aus der russischen älteren und neueren Literatur, z, B, von Dostojewski, Gogol, Puschkin, Turgen jew, Gorki, Andrejew, erscheinen in neuen und guten Ausgaben, Die bekannte Firma Thomas Nelson L Sons veröffent licht »Tbk Russian kovlsiv«, die vierteljährlich von Mw 8elrvo1 ok Kassian Ltucliss in tbs Linvorsitz- ok Liverpool herausgegeben Wird. Wie ich höre, soll eine ähnliche Zeitschrift in Verbindung mit der Berliner Universität in absehbarer Zeit erscheinen. Ge wiß ist, daß alles Russische in London momentan Trumpf ist; rus- fische Schauspieler, Tänzer und Musiker sind sehr willkommene Gäste, während sich London mit Paris und Wien in die Begeiste rung für russische Malerei, besonders den in glühenden Farben schwelgenden Batst, teilt. Wie immer sind wir hier auf der Suche nach neuen Sensa tionen in Literatur und Kunst, Diesmal ist es die neue Ma lerei der indischen Schule, die die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Eine kleine, aber sorgfältig ausgewählte Sammlung der Gemälde der neuen Kalkuttaer Schule wurde in der indischen Abteilung des Victoria and Albert-Museums in Kensington aus gestellt, Diese neue Richtung indischer Malerei vereinigt euro päische und orientalische Technik, basiert aber ihre Darstellung und Schilderung aus indische Traditionen und Ideale, Sehr gepriesen werden die Gemälde des Abanindro Nach Tagore, eines Bruders des Nobelpreisträgers Tagore, dessen poetische Ergüsse in alle Sprachen der zivilisierten Welt übersetzt worden sind. Von anderen ausstellenden Künstlern find Nanda, Lal Bose und der verstorbene Suredra Rach Ganguly zu erwähnen, — Von Amerika kommt die Nachricht, daß 13 neue Vierzeiler des Omar Khsyhäm von Professor Abraham Uohannan aufgefunden wurden. Diese Vierzeiler waren dem berühmten Übersetzer des kübaiM Edward Fitzgerald nicht bekannt und wurden von dem persischen Archäologen »Hagob Kevorkian« in New Uork von einem verarmten persischen Adeligen mit einem illuminierten Manuskript erworben, das aus dem Jahre 1340 v. Ehr, stammen und die ältesten Gedichte Omar KHLHyäms enthalten soll. Hier mit wäre die Annahme, daß Fitzgerald selber der Autor des küdaixat ist, und das Märchen, daß der abgesetzte Schah die Existenz Omars bestritten habe, widerlegt. Im Anschluß hieran erwähnen wir das von außerordent lichem Fleiß und großer Gelehrsamkeit zeugende Buch A, H, Fox Strangeways: »Lire Nusio ok Üinäustan« (Olarsnckon kross; 21/— net), das gerade in dem Augenblick erscheint, wo die Kultur des alten Zauberlandes die Wißbegierde der Eroberer zu weite ren Nachforschungen reizt, Mr. Strangeway stellt in seinem bahnbrechenden Werke die indische und die europäische Auffassung des musikalischen Empfindens gegenüber und sucht dem Leser die Verschiedenheit der Art der Europäer und Orientalen klar zu machen. Außer LalohS Werk über die chinesische Musik, das jedoch nicht an das Werk Strangeways heranreicht, dürfte es wohl kaum ein Werk in einer europäischen Sprache geben, das dis asiatische Musik in so eingehender Weise behandelt. Eine gute deutsche Übersetzung wäre dem Buche zu wünschen. Seit einiger Zeit habe ich versucht, in den billigen Sammlungen, die jetzt auf dem englischen Büchermarkt er scheinen, Übersetzungen aus der alten und neueren deutschen Belletristik zu finden, aber ohne Erfolg, Lobn's Librarz- ist die einzige Bücherei, die gute englische Übersetzungen einiger deut schen Klassiker zu einem populären Preise bietet. In Donks Lveiznnan's Librarz- sind einige wenige klassische Aus gaben, aber keine Romane und Erzählungen aus denletzten 30 Jahren erschienen. Auch unter den 6ä-OIas- sios, die von der schon oben erwähnten Firma Nelson herausge geben werden, findet sich kein deutscher Name, Wohl aber fran zösische und russische zur Genüge, Unter den zuletzt erschienenen Bändchen, die vortrefflich ausgewählt sind, heben wir Dickens, »Dombsx anck 8on«, Thackeray, »Vanit^ Lair«, Seeleh, »Leos Homo«, Balzac, »LnAonio Kranckot«, Tolstoj, »Anna Karmina« hervor. Man sollte doch annehmen, daß auch einiges aus der deutschen Literatur des Übersetzens wert fei und die breitere Masse des britischen Volkes interessieren könnte. Gar manche gute deutsche Romane der letzten 30 Jahre sind für das übersetzen frei und würden sicherlich auch von dem englischen Publikum gewürdigt werden. Das Übersetzen selber sollte doch keine Schwierigkeiten bieten. An den Universitäten scheint noch einiges Interesse für die deutsche Geistesarbeit und Literatur zu existieren. Als Beleg hierfür zitieren wir das soeben von der OambrickZe kross verlegte Werk von G, Waterhouse: »Mw Lite- rarz- Rolations ok Luglanck anci Oni'innnv« (7/6 net), dessen Ver fasser sich die Aufgabe gestellt hat, die literarischen Beziehungen Deutschlands und Englands zu schildern, und zwar vom 16, bis zum 18. Jahrhundert, wo sie allmählich einschlisfen, um im 19. Jahrhundert mit erneuter Kraft aufzuleben. Im 20, Jahr hundert tritt eine allmähliche Erkaltung derselben ein, da sich französische und russische Einflüsse mehr und mehr in England geltend machen, so daß Übersetzungen aus dem Deutschen nur noch in den seltensten Fällen von englischen Verlegern auf den Markt gebracht werden, während man umgekehrt in Deutschland alle besseren Erzeugnisse der englischen Belletristik dem Leserpubli kum in guten Übersetzungen zugänglich macht. Eine neue Sensation bildet der von der Firma Grant Richards verlegte Roman aus der Feder eines Anstreichermeisters »Ido kaZAscl Mousorsck klnlantbropists« <6/—), der in lebenswahren Farben das Leben und die Anschauungen der niedern Klassen Londons mit stark sozialistischem Einschlag schildert. Der Ver fasser, Robert Tressal, starb an der Schwindsucht und hinterlietz seiner Tochter das Manuskript, sicherlich ohne sich träumen zu lassen, daß das Werk seiner Mußestunden, wenn auch nur für kurze Zeit, das am meisten gelesene Buch Londons werden würde. Die FirmaEverett LCo, verspricht, dieser Tage den autobiogra phischen Roman einer Dame, die viele unverdiente Schicksale ge habt hat, zu veröffentlichen. Der Chef einer bekannten amerika nischen großen Verlagsgescllschast kam eigens nach London, um sich das alleinige Verlagsrecht für die Vereinigten Staaten zu sichern, und soll L 800 für das Manuskript geboten haben. Die anonyme Autorin hat aber, wie verlautet, diese Summe nicht angenommen, sondern sich eine Abgabe für jedes verkaufte Exem plar ausbedungen. Der Titel des schon viel besprochenen Wer kes ist Äotlwr's Lxilö«, Zum Schluß haben wir den Tod von S, R, Crockett, Wohl einem der bestbezahlten und meistgelesenen Romanschrift steller Schottlands, zu berichten, Mr, Crockett starb ganz plötz lich in Avignon am 21, April, Sein neuestes Werk »8ilvsr 8anck« wird jetzt nach seinem Hinfcheiden von der Firma Hodder L Stoughton veröffentlicht, Crockett gehörte mit Barry und Pan Maclaren zu der vielverspotteten, aber trotzdem beliebten Lail- zwrci 8vllooi ok Liotion, Er veröffentlichte im ganzen 53 Werke, meist Romane aus den schottischen Flachlanden, von denen »Mw 8tiolrit Uinistsr«, »Mw Lilao 8un könnet«, und vor allem »Mo Knickers« und »Mio Aon ok tbo LlossbnZ« am bekanntesten geworden sind. Obwohl kein großer Stilist wie R, L, Stevenson, besaß Crockett doch eine große Schilderungsgabe, die seine Leser zu fesseln wußte. Er war, wie sein deutscher Kollege Frenssen früher Pastor und gab wie dieser seinen Beruf auf, um für seine literarische Tätigkeit mehr Zeit zu gewinnen. Alle seine 941