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2748 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil ^ 59, 12 März 1907. Nichtamtlicher Teil Österreichische Kunstwerke und das deutsche Kunstschutzgesetz. Durch das Inkrafttreten des deutschen Kunstschutzgesetzes wird die Frage, die auf dem Gebiet des literarischen Urheber rechts von Bedeutung ist und beispielsweise auch bei der »Carmenfrage« mitspielt, aktuell, welchen Schutzanspruch die Werke österreichischer Urheber in Deutschland nach dem 1. Juli 1907 genießen. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist erheblich, für das Anwendungsgebiet des Kunstschutzgesetzes vielleicht noch erheblicher als für das des literarischen Urheberrechtsgesetzes, was mit der hervorragenden Tätigkeit der österreichischen Kunst und des österreichischen Kunst gewerbes zusammenhängt. Das Kunstschutzgesetz bestimmt in Z 51, daß diejenigen, die nicht Reichsangehörige sind, den Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes für jedes Werk genießen, das im Inland erscheint, sofern nicht das Werk an einem früheren Tage im Ausland erschienen ist. Das gleichzeitige Erscheinen im In land und im Ausland beeinträchtigt sonach die Unterstellung unter den Schutz des inländischen Rechts nicht, wohl aber steht der Anwendung dieses der Umstand im Wege, wenn das »Erscheinen« innerhalb des Reichsgebiets dem Erscheinen außerhalb desselben nachfolgt. Wenn die verschiedenen Gesetzgebungen mit dem Begriff »Erscheinen« dieselbe Bedeutung und dieselbe Tragweite verbinden würden, so wäre die Lösung der Kollisionsfrage im Verhältnis einfach und unschwierig. Nun ist diese Voraus setzung aber nicht gegeben; vielmehr ist die Auffassung, die die verschiedenen Gesetzgebungen in bezug auf den Inhalt des soeben genannten Begriffs haben, eine verschiedene. In Deutschland wird unter dem Erscheinen die Herausgabe eines Werks im Verlags- und im Kunsthandel verstanden, bei kunstgewerblichen Erzeugnissen, die bekanntlich fortan unter den Kunstschutz fallen, bedeutet der Eintritt in den Verkehr das »Erscheinen«. Die deutsche Rechtsübung hält daran fest, daß weder das Ausstellen noch das Auf führen an sich das »Erscheinen- bedeutet, und dieser Standpunkt ist auch in dem Kunstschutzgesetz nicht geändert worden. Es mag hierbei bemerkt werden, daß selbstverständlich bei architektonischen Werken von einem Er scheinen überhaupt nicht die Rede sein kann. Anders ist die Auffassung, die die österreichische Gesetzgebung in bezug auf das »Erscheinen« vertritt, die insoweit von der Gesetzgebung der ungarischen Reichshälfte wesentlich abweicht. Das öster reichische Recht betrachtet ein Werk nicht nur dann als erschienen, wenn es im Verlags- oder Kunsthandel verbreitet wird, sondern es assimiliert diesem Fall des Erscheinens im engern und eigentlichen Sinn die öffentliche Aufführung bei Bühnen- und Tonwerken, sowie das öffentliche Ausstellen bei Werken der Kunst und der Photographie. Ein in der Wiener Kunstausstellung ausgestelltes Gemälde gilt also nach österreichischem Recht zweifellos als erschienen, ebenso zweifellos nach deutschem Recht nicht als erschienen. Um die Mißstände, die aus dieser Verschiedenheit der bei den Gesetzgebungen hervorgeheu und an sich hervorgehen müssen, wenigstens einigermaßen zu beseitigen, hat das Schlußprotokoll des deutsch-österreichischen Vertrags vom 30. Dezember 1899, dessen fortdauernde Geltung nicht bezweifelt werden kann, eine Bestimmung ausgenommen, die schon seither sich nicht voll und ganz bewährt hat und die sich fortan noch in geringerm Maße bewähren dürfte. Nach Artikel l des Vertrags wird grundsätzlich anerkannt, daß jedes Werk der Literatur, Kunst und der Photographie, das in den Staatsgebieten des einen der vertragschließenden Teile ! einheimisch ist, in den Staatsgebieten des andern Teils den Hierselbst für Werke gleicher Art durch die inländische Gesetz gebung jeweils gewährten Schutz genießen soll, sofern es nicht auch dort als einheimisch gilt. Hier wird also mit dem Begriff des »einheimisch« operiert. Nach Artikel II gilt als einheimisch ein Werk dann, wenn auf dieses ver möge seines Erscheinungsorts oder vermöge der Staats angehörigkeit oder des Wohnsitzes seines Urhebers die be treffende inländische Gesetzgebung Anwendung findet. Hiernach gilt ein Kunstwerk, das in dem Gebiet der in dem Reichsrat vertretenen Länder öffentlich ausgestellt ist, als einheimisch in Österreich. Das Schlußprotokoll setzt nun unter I fest, daß Ein verständnis darüber bestanden habe, daß die in dem einen Gebiet erschienenen Werke inländischer Urheber in dem andern Gebiet nicht als einheimisch gelten und deshalb nur deu vertragsgemäßen Schutz genießen. Hiernach steht fest, daß ein Kunstwerk, das in Wien zuerst ausgestellt worden ist, in Deutschland aber zuerst im Kunfthandel erschien, nicht in Deutschland, sondern in Österreich einheimisch ist, also nicht den Schutz des Kunstschutzgesetzes, sondern den vertrags mäßigen Schutz genießt, und zwar nur diesen vertrags mäßigen Schutz genießt, trotz der Bestimmung in Z 51 Absatz 2 des Kunstschutzgesetzes. Man könnte nun vielleicht annehmen, daß durch das Kunstschutzgesetz die Bestimmung des deutsch-österreichischen Abkommens von 1899 überholt worden sei und deshalb die österreichischen Staatsangehörigen, die der Vorschrift in ß 51 Absatz 2 nachleben, sich bedingungslos auf das neue Gesetz berufen könnten. Indessen kann diese Ansicht nicht als zu treffend erachtet werden; sie würde geradezu unmittelbar mit den Motiven und Intentionen in Widerspruch stehen, die zu der Aufnahme der erwähnten Bestimmung in das Schluß protokoll von 1899 geführt haben. Die Verschiedenheit zwischen der cisleithanischen Gesetzgebung und der deutschen in Ansehung der Auffassung des Begriffs »Erscheinen«, die bereits beim Abschluß des Abkommens von 1899 bestanden hat, besteht heute noch, sie besteht heute noch in demselben Maße wie damals. Mit dem bekannten Satze, daß durch ein späteres Gesetz das früher erlassene aufgehoben wird, kann die Auffassung, die auf die Schutzverhältnisse der österreichischen Künstler lediglich die Vorschriften des Reichsgesetzes von 1907 angewendet wissen will, nicht verfochten werden, da zwischen dem Verhältnis des älteren Gesetzes zum jüngeren Gesetz und dem des jüngeren Gesetzes zu einem älteren internationalen Vertrag ein wesent licher Unterschied ist. Hierbei kommt auch der Charakter des deutsch-österreichischen Vertrags von 1899 in Betracht. Dieser ist kein Literarvertrag, wie der Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich oder zwischen Deutschland und Italien, sondern er ist ein Reziprozitätsvertrag, dessen Wirkungen nicht weiter gehen, als sich eben aus dem Prinzip der Reziprozität ergibt. Auch bei der Anwendung des Urheberrechtsgesetzes von 1901 auf die Schutzansprüche der Angehörigen der österreichisch-ungarischen Monarchie ist man im allgemeinen zu dem Ergebnis gekommen, daß der Inhalt des Abkommens für die Frage maßgeblich sei, und der Inhalt des Kunstschutzgesetzes von 1907 bietet keinen genügenden Anlaß, einer andern Rechtsauffassung das Wort zu reden. Daß das Ergebnis nicht recht befriedigt, insbesondere nicht im Hinblick auf die Tatsache, daß der weitgehende Schutz des Gesetzes von 1907 ohne weiteres den Angehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika zusteht, obwohl doch die Urheberrechte der Reichsangehörigen in Österreich-Ungarn