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1472 VSrpnNE I. d. Düchn. vuchhand-l. Nichtamtlicher Teil. ^ 28, 3 Februar 1912. interne Frage, denn cs decken sich mit den Forderungen und Wünschen der sächsischen Lehrerschaft, aus deren unablässiges Bemühen die Regierung schließlich an eine Neuregelung des Volksschulwesens gehen mußte, auch in der Hauptsache diejenigen der deutschen Lehrerschaft. Es interessieren uns hier besonders drei Punkte des Entwurfs: 1. die Einsührung der Bürgerkunde; 2. die Einführung der Fortbildungsschule für Mädchen; 3. die angestrebten Reformen des Religionsunterrichts. Die Schüler in planmäßiger Weise über Wesen, Zweck und Ordnung des Staates und der Gemeinde zu unterrichten, ist eine dringende Notwendigkeit. Nicht nur die niederen, sondern auch die höheren Schulen haben in dieser Beziehung bisher vollständig versagt. Die von Rekruten aus die Frage; Wer war Bismarck? oder Wer erklärt den Krieg? gegebenen Antworten gehören fast ausnahmslos in die humoristische Ecke der Presse und beweisen oft die krasseste Unwissenheit der sonst intelligentesten Leute. Es sind schon recht gute Lernmittel, also Bücher, zur -Bürgerkunde« erschienen und neuerdings auch ein Wandtafel werk von Lehmann und Zinke als Lehrmittel, das diesem neuen Unterrichtsfachc dienen soll. Das erste Bild stellt eine Schwurgerichtssitzung dar, das zweite wird eine Reichstags- sttzung bringen, beide in Farben ausgeführt und unter Bei gabe erläuternder Texte. Die früher herausgekommenen Karten der Deutschen Reichs- und preußischen und sächsischen Staatsoerfassung von Saupe, wie auch dessen soeben er schienene Karte der Reichsoerstcherungsordnung sind ebenfalls Anschauungsmittel, die dem Schüler das Staatsganze in seinen einzelnen Teilen bis zum einzelnen Volksgenossen herab klar machen und ein größeres Verständnis für die Ein richtungen und Aufgaben des Staates vermitteln wollen. Nimmt man dazu eine geschickte Auswahl der Lehrmittel für den Unterricht in der neueren Geschichte, so darf gesagt werden, daß die »Bürgerkunde« den Lehrmittelhandel nicht unvorbereitet findet. Die Einführung des Fortbildungsschulzwanges auch für Mädchen, den wir in Baden, Württemberg und in einzelnen Städten Bayerns schon haben, ist eine bedeutsame Neuerung. Während die Fortbildungsschule für Knaben bisher die Auf gabe hatte, die Schüler in denjenigen Kenntnissen und Fertigkeiten zu festigen, die für das bürgerliche Leben vor zugsweise von Nutzen sind, sind ihr im »Entwürfe«, durch aus im Einklänge mit der an vielen und namentlich größeren Orten schon vollzogenen Weiterentwicklung, neue und selbst- ständige Aufgaben zugewiesen, die das Interesse des gereif- teren Schülers fesseln und in unmittelbarem Zusammenhänge mit seiner neben dem Fortbildungsunterrichte hergehenden praktischen Betätigung stehen. Berufskunde und Bürgerkunde sind für die Knaben, Hauswirtschaslskunde für die Mädchen in den Vordergrund gestellt. Außerdem ist für beide Ge schlechter Weiterbildung in der deutschen Sprache und im Rechnen, sowie für die Mädchen besondere Unterweisung auf den Gebieten angeordnet, deren Kenntnis für die Hausfrau und Mutter, wie für die Haustochter und in gewissem Grade auch für die selbständig Erwerb Suchenden von besonderem Werte ist. Endlich sind für beide Geschlechter, soweit von der Schulgemeinde die Einrichtungen getroffen werden können, Leibesübungen und Jugendspiele vorgeschrieben, über diese unentbehrlichen Unterrichtsgegenstände hinaus läßt der Entwurf die Einsührung einer Anzahl wichtiger Fächer, je nach Wahl der Gemeinde, wahlfrei oder verbind lich, zu und berücksichtigt die verschiedenen Bedürfnisse einzelner Orte und Berufszweige sowie örtlicher Sonder entwicklung. An Lehrmitteln kommen für die Fortbildungsschulen im allgemeinen alle Lehrmittel in Frage, die die Volksschule besitzt, im speziellen bei den Knaben die fachlichen Lehr mittel, die wir unter dem Kollektivtitel »Technologische Lehr mittel« in den Katalogen finden. Die Schüler find in Fach oder Berufsklassen untergebracht. Es müßten also z. B. in einer Fachklasse für Textilarbeiter unbedingt Sammlungen vorhanden sein, die in übersichtlicher Weise an großen Proben von Rohprodukten, Halb- und Ganzsabrikaten die Herstellung und Gewinnung des Flachses, der Baumwolle, der Wolle u. a. m. zeigen, ergänzt vielleicht durch das Modell oder das Bild eines Webstuhles oder einer Flachsbreche. An technologischen Sammlungen besitzen wir eine stattliche Anzahl — es ist des Guten bald zu viel —, und ebenso sind Tasel- werke gut vertreten. Das gleiche gilt von Modellen. Leider sind diese aber für den Händler wenig dankbare Objekte, da sie meistens im Selbstverläge der Fachlehrer erschienen sind, die gewöhnlich alles selbst verdienen wollen und die wenig oder keinen Rabatt geben. Es gibt aber auch Berufsverleger solcher Modelle, die nur mit 1V—15"/o liefern. Wen es angeht, bessere sich! Die Mädchenfortbildungsschule soll, wie oben gesagt, die Schülerinnen auf ihren zukünftigen Beruf als Hausfrau und Mutter oorbereiten, in höherem Maße also, als wie es bisher in den Volksschulen mit den in den oberen Klassen der Mädchenschule angegliederten Koch- und Haushaltungskursen möglich war. Das scheint uns auch in sozialer Beziehung eine recht lobenswerte und dank bare Aufgabe zu sein, die wir zu unserem Teile mit guten, schon vorhandenen Lehrmitteln unterstützen können. Es kommen in erster Linie in Frage die Lehrmittel für die weiblichen Handarbeiten, unter Ausschluß der für den Elementarunterricht gebrauchten Utensilien, wie z. B. Strick-, Näh- und Stopfrahmen. Dagegen ist die Schaffung und Einsührung neuer Apparate, Materialien, Tafeln und Uten silien wünschenswert, die als Lchrbehelfe für Kunststicken, Knüpfarbeiten, Kinder- und Damenschneidern, schmückendes Zeichnen und Malen dienen können. Das Schwergewicht wird natürlich auf den Haushaltungsunterricht zu legen sein, spez. aus das Kochen und die Chemie der Küche, eingedenk des guten alten Spruches; Der Weg zum Herzen führt durch den Magen. Sammlungen, die die wichtigsten Nahrungs und Genußmittel anschaulich analysieren, ferner solche von land- und hauswtctschastlichen Produkten, graphische Dar stellungen der Nährwerte und tier- und pflanzenkundliche Tafeln der Schlachttiere und der Küchenpflanzen müssen un bedingt vorhanden sein. Sie können es auch, denn es steht heute schon eine große Auswahl zur Verfügung. — Die Reform des religiösen Unterrichts ist nicht nur eine Hauptfrage der pädagogischen Meihode, sondern eine solche der Gegenwart überhaupt. Wer in den letzten Jahren die Kämpfe auf diesem Gebiete aufmerksam verfolgt hat, wird sich des Eindruckes nicht erwehren können, daß auf beiden Seilen Fehler gemacht worden sind und daß eine Einigung auf der mittleren Linie wünschenswert wäre. Wenn die radikalen Bremer Lehrer das Verlangen stellten, den Religionsunterricht ganz aus der Schule zu entfernen, so haben sie. damit entschieden das Kind mit dem Bade aus geschüttet, und sie hätten besser getan, sich, wie viele andere auch, auf den Boden der bekannten »Znuckauer Thesen» des Sächsischen Lehrervereins zu stellen. Man hat diesen »Thesen» seitens der Gegner, hauptsächlich seitens der orthodoxen Geistlichkeit, den Vorwurf gemacht, daß sie zu verschwommen seien. »Denn was heißt es«, so sagte man, »die Gesinnung Jesu im Kinde lebendig machen« oder »wie definiert man Moralunterrichll, den man an Stelle des Religionsunterrichtes setzen will!« Man kann nicht sagen, daß in den darauf in Wort und Schrift folgenden Polemiken die Lehrerschaft ungünstig abgeschnitten habe, und