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15734 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 289, 18. Dezember 1S11 im allgemeinen viel zu gerechtdenkt, um derartigeAnforderungen zu stellen, wohl aber unter den Gebildeten weit verbreitet ist, der Buchhandel selbst nicht ganz schuldlos ist. Denn wie die fast täg lich bei uns eingehenden Bitischreiben. in denen um unentgelt liche Lieferung von Büchern ersucht wird, beweisen, muß der Bücherbettel immer noch ein einträgliches Geschäft sein. Hunderttausende von Marl werden sür großartige Bibliotheks bauten mit Leichtigkeit ausgebracht, aber für die Bücher, denen sie zur Aufnahme dienen sollen, hat man meist kein Geld übrig, und der Verlagsbuchhandel scheint nur allzulcicht geneigt zu sein, derartigen Ansuchen Folge zu geben, ohne zu bedenken, daß er dadurch nicht nur den Wert seiner Ver lagswerke selbst herabsetzt, sondern auch die Legende, daß Bücher -nichts kosten., weiter verbreiten hilft. Der Buchhändler muß — das ist nun einmal sein Los — die Schönheit seines Berufes bezahlen, und mit Recht wird man von ihm verlangen, daß er sich seiner Berantwortung gegenüber dem Publikum bewußt ist und in allen den Fällen, wo ihm ein Mitbestimmungs recht eingeräumt wird, einem guten Buche den Vor zug vor einem schlechten geben wird. Was man aber nicht von ihm verlangen darf, ist die Außerachtlassung jener Rücksichten, die ein Mensch sich selbst und seiner Familie schuldig ist. Denn ohne alte Geschichten aufrühren zu wollen, wird wohl die Bemerkung gestattet sein, daß es ein Unter schied ist, ob jemand mit eigenem oder mit fremdem Gelde wirtschaftet, für sich selbst einzuftehen hat oder hinter einem Vereine Schutz und Deckung findet. Trotz alledem wird man dem echten und rechten Sortimenter zugestehen müssen, daß er mit Freuden jede Gelegenheit ergreift, sich sür ein gutes Buch cinzusetzen und dem Schund entgegsnzuarbciten. Und wenn jetzt allerorten im Sortiment die Klage über zu geringen Rabatt laut wird, so entspringt sie gerade dem Wunsche, nicht aus Not zu dem meist hochrabattierlen Schund greifen zu müssen, sondern sich dem guten, aber leider ost gering rabattierten Buche zuwenden zu können. Denn was den anderen im besten Falle nebenamtlicher Zeitvertreib ist — einzutreten für das Gute und Schöne in der Literatur —. bedeutet für ihn Inhalt und Zweck seines Lebens. Wie jeder andere Beruf ist auch der des Buchhändlers an wirtschaftliche Voraussetzungen gebunden, die er selbst schaffen muß. mag auch das. was er sür die Allgemeinheit tut, noch so hoch anzuschlagen sein. Hier aber zeigt sich eine merkwürdige Erscheinung unserer Zeit. Sobald ein Verein oder eine Gesellschaft mit dem Ansprüche auftritt, dem Volke gute, billige Lektüre zu vermitteln, öffnen sich diesem Programme nicht nur alle Herzen, sondern auch alle Börsen, und wenn gar die Geistlichkeit oder ein hoher Adel, berauscht von dem tönenden Wortschwall Volks- beglückender Phrasen, ihre Namen unter die zündenden Aufrufe setzen, so fragt kein Mensch nach den wirklichen Ab sichten ihrer Urheber, nicht darnach, ob weltfremde Ideologen, gerissene Geschäftsleute aber, wie es meist der Fall ist, Leute beiderlei Schlags ihre Hände dabei im Spiel haben. Nur der Buchhändler ist dabei ausgeschlossen, da von ihm ja von vornherein seststeht, daß er verdienen will. Und wenn das auch sonst nicht als eine Schande gilt, so wird cs doch dem Buchhändler als solche angerechnet, weil er von vornherein als »anrüchig», als »profilwütig« gilt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß zahlreiche Verleger Opfer über Opfer gebracht haben, um das. was sie für gut und richtig erkannten, durchzusetzen und Hunderte von Sorti mentern zugrunde gegangen find, weil ihnen die Schön heit ihres Berufs mehr galt als ihre wirtschaftlichen Inter essen. Wenn sie sich in unserer Zeit zu einem »gemein nützigen« Verein mit hochtrabendem Programm zusammen geschlossen hätten, so würden sie die Früchte ihrer Arbeit mühelos geerntet, und statt im Dunkel zu verschwinden, ein Leben in Glanz und Herrlichkeit geführt haben. Ehe die Volksbildungsvereine mit ihren von Gott und aller Welt subventionierten Bibliotheken zur Stelle waren, hat der deutsche Verlagsbuchhandel aus eigner Kraft Unter nehmen ins Leben gerusen — cs sei hier nur an die Sammlungen von Reclam, Meyer und Hendel erinnert — die hinsichtlich ihres Inhalts und Preises auch heute noch den Kampf mit allen auf die Verbreitung von Volksbildung ge richteten Vereinsbibliotheken aufnehmen können. Wenn sie und ihre Nachfolger buchhändlerischer Provenienz jetzt von den Volksbildungsvereinen beiseite geschoben oder als nicht vorhanden betrachtet werden, so erwächst dem Sortiment um so mehr die Pflicht, sür sie einzutreten und sich nicht von den Phrasen moderner Volksbeglücksr umnebeln zu lasten. Denn nichts ist berechtigter, als daß sich der Buchhandel in erster Linie für die Unternehmen verwendet, die aus seinem Kreise hervorgegangen sind, den Bedürfnissen seiner Kunden entsprechen und auch in ihrer Geschäftsführung auf ihn und seine Verhältnisse Rücksicht nehmen. Daß es an dem letzteren Punkt, mangels Kenntnis der Organisation und der Einrichtungen des Buchhandels, bet den Vereinsbuchhandlungen meist fehlt, weil man sich souverain über alles Gewordene und Bestehende hinwegsetzt, sei nur nebenbei erwähnt. Noch ein anderes Moment verdient kurz Erwähnung. Mit dem Begriff gut ist heute unzertrennlich der Begriff billig verbunden. Gute Bücher sind in der Regel solche, sür die kein Honorar bezahlt zu werden braucht, billige diejenigen, deren Preis 10, 20 oder 30 H nicht überschreitet. Man ist also auf die guten, älteren (honorarsreien) Schrift steller oder auf die Mildtätigkeit moderner Autoren von Klang und Namen angewiesen, die »um des guten Zweckes willen» die oder jene literarische Kleinigkeit honorarfrei oder gegen geringe Vergütung beisteuern, in der Erwartung, da durch ihren Namen in »Volkskreisen» populär zu machen und sich bei späterer Gelegenheit für den momentanen Ge winnausfall an den Honoraren des regulären Buchoerlags schadlos halten zu können. Auch hier wird nicht eist näher untersucht, von wem das Unternehmen ausgeht: sobald es sich um einen Verein, um »unsere» Sache handelt, für die »jeder eintreten muß, der noch ein Herz fürs Volk hat-, schweigt jede Kritik, da sich keiner nachsagen lassen will, dieses goldene Herz nicht zu besitzen. Von alledem weiß das »Volk» nichts, und viele, für die diese Unter nehmen berechnet sind, würden sich schämen, dis von ihnen nicht erbetenen Opfer anzunehmen und Arbeiter — wozu ja auch die Schriftsteller und Buchhändler rechnen — ihres Lohnes zu berauben, wenn sie Uber das materielle Zustandekommen dieser Büchereien und die in ihrem Namen geschriebenenBettelbriefs unterrichtet wären. Denn es ist gar nicht zutreffend, daß diese billigen Kollektionen vom -Volke- gekauft werden, wennmandarunterdieunterenKlassen, jene, die das Geld weit eher zum Brote als zu Büchern nötig haben, versteht. Das »gute, billige Buch» im Sinne der Voltsbildungsvereine, d. h. das Buch in der Preislage von 10, 20 und 30 H, ist heute derart in Mode gekommen, daß man selbst in Kreisen gehobener Lebensstellung kein Verständnis mehr dafür zu besitzen scheint, daß auch ein Buch für 4 oder 5 ^ billig und gut sein kann. Die Hebung der Volksbildung, wie sie einzelne dieser Vereine verstehen, ist gewiß ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit, aber doch nur ein Teil, und erst dann in großem Maßstabe durchführbar, wenn das Publikum durch seine Stellungnahme zum Buche die Voraussetzungen dazu schafft. Der Hinweis, daß die Maste der billigen Verkäufe es bringen müsse, kann nicht als zutreffend angesehen werden, solange der Pfennignutzen dem Sortimenter nicht einmal die bescheidenste Existenz gewährleistet.