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Redaktioneller Teil. ^ 104, 7. Mai 1915. spricht. Nicht die Uniform des heimischen Soldaten oder die staatlichen Hoheitszeichen machen den nationalpsychologischen Wesenszug der Kriegshilssmarken aus, es ist vielmehr das Zusammenwirken von Schrift und Bild und der Effekt, den die gerade gewählte Zusammenstellung hervorbringt. Die kunstgerechte Drucktechnik, die häufig bei ähnlichen Erzeugnissen graphischer Kleinkunst an erster Stelle Beachtung erheischt, rückt hier, leicht begreiflich, mehr in den Hintergrund. Sieht man von der Flut jener Kriegs- und Erinnerungs marken ab, die letzten Endes doch Handelsartikel sind, so sind in Deutschland nur wenige erschienen. Und diese fallen durch schlichte Ausstattung auf. Schmucklos geben sich die Kreuz- Pfennig-Marken; sie sind schlechthin Zweckerzeugnisse, die nur schüchtern um ein Scherflein bitten. Mit ruhiger Würde und stolzem Ernst mahnen Marken mit dem Reichsadler und dem bayerischen Wappen das Publikum an die Pflicht, fünf Pfennig dem Roten Kreuz zu widmen. Voll tiefer Symbolik sind die »Deutsche Kriegsmarke« und die »Kriegsmarke«, diese wie ein Bekenntnis überlegener Kraft inmitten tückischer Feinde, jene wie ein Warnrus vor den vereinten Kräften der Verbündeten Zentralmächte. Die Emdenmarken, die schon einen lebhafteren Schwung verdient und vertragen hätten, bringen ein einfaches Bild des unsterblichen Kreuzers und laden zur eifrigen Volks- 10 Pf.-Spende ein. Diesen Marken und anderen später er schienenen, die mehr oder minder die Schwere der Zeit ab sichtlich zu betonen und den herberen Einschlag norddeutscher Art hervorzukehren scheinen, steht als freundliches Gegenstück die von der Sammelstelle fürs Rote Kreuz aus Bayerns Hauptstadt gegenüber. Dies Münchener Kärtchen ist durch Pracht der Farbe und Erlesenheit des Geschmacks ein kleines Kunstwerk, das zugleich zu entzücken und das Herz zu rühren weiß und Lebensfreude ausstrahlt. Einen ganz anderen Eindruck erzielen die in Österreich und Ungarn herausgekommenen Marken. Daß ihre Zahl größer ist, erklärt sich aus der Vielsprachigkeit der Donau monarchie. Ungarn betont durch den stets wiederkehlenden Aufdruck seines Wappens seine sorglich behütete Selb ständigkeit. Der Landesverein für das Rote Kreuz im Königreich Böhmen begnügt sich mit Bildniswerken und be kennt sich (unter den gegebenen Verhältnissen) zur Zwei sprachigkeit. Wer mit österreichischen Einrichtungen wenig vertraut ist, wäre leicht geneigt, von einer Zersplitterung der Kräfte zu sprechen, angesichts der Vielheit und Buntgestaltig- keit der dortigen Kriegshilssmarken. Eigne Marken hat sich beinahe jedes Büro und jeder Verein zur Fürsorge der Krieger oder deren Angehörigen zugelegt. Nicht genug damit, einzelne Ortsgruppen taten für ihren Stadtkreis dasselbe, so Zweig stellen des Roten Kreuzes in Troppau, Komotau, Turnau und Graz. Hier hat auch noch zum Besten der heimkehrenden Reservisten das Silberne Kreuz und der Verein Frauenhilfe besondere Marken. Die österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz brachte fünf Marken in Umlauf, die alle die viel gepriesene Wiener Anmut ausweisen. Von eignem Reiz sind die vom Kriegshilfsbüro ausgegebenen Marken zur Unter stützung der Familien der Einberufenen. Das Kriegssürforge- amt bot dem Publikum in der Ausführung bescheidenere, der Form nach abwechslungsreichere Marken an, deren Erlös den Hinterbliebenen der Gefallenen zuflteßen soll. Die gestanzten oder geprägten Marlen vom schwarz-gelben Kreuz — sie alle deuten die Verschiedenartigkett des Ursprungs und des Zwecks hinreichend an. Ganz anders tritt daneben die mit dem Aufdruck »6rooo rossa italiaua« versehene Marke Italiens auf, die, wie alle hier erwähnten, während des Kriegs erschienen ist. Sie hat, was man Schmiß nennt, und ist ihren Landsleuten schmackhaft gemacht durch die nötige Evviva-Dosis. Mit klug berechnen der Geschicklichkeit sind das Genfer Kreuz, das Wappen von Savoyen und die nationale Flagge zusammengestellt. Mel anspruchsloser sind die Marken der skandinavischen Staaten. Einige dänische ähneln den Briefmarken; ihr Spruchband trägt die Worte »Hjälp de syge«. Von dieser Ausgabe abgesehen, haben sie durchweg ansprechende Milttärbtlder, als wollten 714 sie besagen: auch wir haben Soldaten! Dabei sieht es so aus, als habe sich Schweden dem vertrackten Militarismus verschrieben. Die schmuck ausgeführte Marke, die einen Offizier vergangener Tage Hand in Hand mit einem der Jetztzeit zeigt, ziert der Spruch »Schwedens Kriegsmacht, Schwedens Stärke heute wie einst«. Aus der Sprache der Ankündigungen gewisser Varietö- größen mutz schon die Kennzeichnung für die im alten, ehr lichen England erschienenen Roiekreuz-Marken geholt werden: sie bilden eine Klasse für sich. Technisch machen sie sich nicht übel. Ihr geistiger Gehalt ist geeignet, die englische Gefühls und Gedankenwelt zu entschleiern. Da ist zunächst ein sechs teiliger Satz. Drei Marken führen die Aufschrift »Daily Mail- Fund«, die anderen drei »Evening News-Fund«. Die Farben- töne spielen von Khakigelb in Khakigrün und -braun und -schwarz hinein, grell belebt vom Rot der blutenden Wunden. Die dargestellten Szenen veranschaulichen Augen blicke verletzter Krieger, marktschreierisch wie die berüch tigten Werbeplakatc, bar jeglichen Hauchs von Versöhnung, Tröstung, Würde. Dieselben Vertreter der deutschsresserischen Harmsworthpresse — die englischen Behörden haben merk würdigerweise aus Marken als Kriegshilfe verzichtet! — steuerten noch einen zweiten Satz bei. Unverfälschte englische Zeichenkunst müht sich aus diesen Blättchen mit symbolischen Motiven im griechischen Stil ab. Hoffnung, Hilfe, Treue, Mut, Sieg und Bundesgenossenschaft bilden die Vorwürfe des Künstlers. Zur Kräftigung des Prinz von Wales-Fonds wurde eine Marke in Umlauf gesetzt, bei der weniger auffällt. daß der Friedensengel Barrisonlöckchen trägt und mit der Linken sät, als vielmehr die echtenglische Aufschrift »I-ot tkis be tbe last war!« Es stinkt, dieweil die britische Heuchelei betet! Oder spricht daraus die verkappte Hoffnung, daß die Vernichtung Deutschlands in diesem letzten Kriege Englands selbstverständlich sei und danach ewiger Friede blühen werde? Ein solches Wort konnte nur England als Markenspruch prägen. Man steht, daß die um kleine Geldopfer bittenden Marken blättchen einen Nationalcharakter haben und ihn offenbaren. Sie wissen, wo sie ihre Landsleute zu packen haben. Man wird aber auch zugeben, daß, von unserm Standpunkt aus betrachtet, die Marken mehr als spielerisches Sammelobjekt sind. Sie bleiben beredte Zeugen einer großen Zeit und ihrer verschiedenen Träger. Max Braunschweig. Verzeichnis des Buch-Verlages von C. F. W. Siegel's Musikalienhandlung (R Linncmann). 1915. Leipzig, Dörr ienstratze 13. 80 S. Kl. 8". Steif broschiert. Obgleich man wohl sagen kann, daß der Absatz aus dem Gebiete der Musikliteratur durch den Krieg erheblich beeinträchtigt wird, hat es sich der bekannte, angesehene Muslkalicnverlag von C. F. W. Siegel nicht nehmen lasse», während der Kriegswirren über die bisher in seinem Gesamt-Verlagskatalog und dessen Nachtrag verzeichncten Buch-Bcrlagsartikel und die inzwischen neu hinzugekonimenen Er scheinungen bis Ende lS14 ein besonderes, ausführliches und übersicht lich zusammengestelltes Verzeichnis herauszugeben. Aus dieser stillen Vorarbeit sür friedlichere und bessere Zeiten sprechen das unerschütter liche Vertrauen aus des Reiches Sicherheit und Stärke und die Hoff nung aus die nach Friedensschluss erwartete Wiederbelebung des Bücher marktes. Ein Blick auf den Inhalt des Katalogs läßt die Bedeutung der Firma auf ihrem Sondergebietc deutlich erkennen. In den sieben Abteilungen: Musikerbiographien. Schriften über Philosophie und Geschichte, Akustik und Ästhetik der Musik — Schriften von und über Wagner — über allgemeine Musiklehre — Harmonie- und Formen lehre — über Gesang — Klavierspiel und Klavierunterricht — Verschiedenes und Musikalische Zeitschriften kann man ersehen, baß es fast kein Gebiet der Musikwissenschaft gibt, das sich nicht der sorg fältigen Pflege des Verlages erfreut. Die Namen der besten Vertreter ihres Faches haben sich hier zusammengefunden, und man bekommt manchmal den Eindruck, daß den Verleger bei der Herausgabe weniger die Aussicht auf materiellen Gewinn, als das ideale Bestreben, der Sache und der Wissenschaft zu dienen, geleitet hat. Art der Einteilung, Form der Anzeigen und typographische Aus stattung sind zweckentsprechend sür das Verzeichnis, das ebensowohl der