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2808 Mrl-nblaUd, Dtschn. Buchhand-I. Fertige Bücher. älk 104. 7. Mai 1915. Hermann Hesse in der AeuenZüricherZeitnng in einem Feuilleton überschrieben „Eine deutsche Zeitschrift" ^i^ach einer Unterbrechung von mehreren Monaten haben die „Weißen Blätter" trotz des Krieges » ihren zweiten Jahrgang begonnen, und das (Scho der blutigen Zeit klingt in diesen Blättern der jüngsten dichterischen Zugend Deutschlands so ernst und doch so mit Hoffnung und edlem Wollen zusammen, daß wir gut tun, auf diesen Ton zu achten. Mögen heute die Kanonen reden, morgen oder übermorgen wird der Geist der Völker wieder zartere und kompliziertere Sprachen sprechen müssen, und überall wird er sich den Boden der Zugend, des Vertrauens und der Hoff nung wählen, auch da, wo dieser Boden noch gärt und ungewisses Neuland ist. Die „Weißen Blätter", die Monatsschrift der deutschen dichterischen Zugend, eröffnen mitten im kriegführenden Deutschland ihren zweiten Zahrgang mit einer Erklärung an die Leser, welche folgende Worte enthält: „Die europäische Gemeinschaft scheint heute vollkommen zerstört — sollte es da nicht Pflicht aller sein, die keine Waffen tragen, mit Bewußtsein bereits heute so zu leben, wie es nach dem Krieg die Pflicht eines jeden Deutschen sein wird?" Und im Februarheft drucken die „Weißen Blätter" ohne Auslassungen jenen denkwürdigen Aussatz eines österreichischen Offiziers ab, jenen mutig schönen Aussatz, der in seiner Anonymität die Stimme einer ganzen Gruppe Gutgesinnter zu sein scheint und der so edel von dem absiicht, was in Deutschland, wie in allen kriegführenden Staaten, von der Presse und den Literaten jetzt gesündigt wird. Es heißt dort wörtlich: ,-Dieser andere, unblutige Krieg jes ist der der Feder und Tinte) wird von Leuten geführt, die Blut und Gut in sichere Hut zu bringen verstanden, den Kanonendonner nur aus den Neimen der dichtenden Patrioten kennen und deren Einsatz in diesem Kriege gleich Null ist." Und weiter: „Dieser Zeitungskrieg ist auch ohne jeden Wert. Wenn die Zeitungsschreiber etwa gar glauben, daß sie uns durch die Herabsetzung der Feinde Mut und Zuversicht einflößen, so möge ihnen gesagt werden, daß wir unsere Begeisterung aus anderen Quellen zu schöpfen geneigt sind. Wir verzichten auf solche Stimulantien um so freudiger, als diese Unterschätzung des Gegners bisher immer nur Schaden und niemals Nutzen angesiifiet hat." Das ist inmitten der Flut von Gehässigkeiten, die zwischen allen kriegführenden Völkern jetzt täglich aufgewälzt wird, eine reine, gute Stimme der Vernunft und des Anstandes, und es ist bedeutungsvoll, daß die jungen Dichter, die literarische Zukunst Deutschlands, solche Worte niedriger hängen und verbreiten wollen. Daß sie selber den Krieg ernstlich miterleben und nicht das blutende Leben in Literatur aufzulösen geneigt sind, liest man aus andern ihrer Kundgebungen, und deutlicher als aus ihnen liest man das aus den Namen derer, die diesem Kreis der Züngsten angehörten und nun schon im Kriege gefallen sind. Unter ihnen verdient von unserm Standpunkt aus besondere Beachtung der Elsässer Ernst Stadler, Verfasser des Gedichtbuches „Der Ausbruch". Stadler ist als deutscher Reserveoffizier gefallen,- er war aber Lektor an der freien Universität in Brüssel, war Freund und Übersetzer französischer Dichter, hatte enge Beziehungen zu England und wäre, kam der Krieg nicht dazwischen, als Professor der Germanistik nach Kanada gegangen. Cr war dreißig Zahre alt. Man sage nun nicht, das sei lediglich eine Äusnahmeexistenz, durch Geburt, Herkommen, durch spezielle Beziehungen, Gaben und Schicksale zu einer geistigen Znternationalität bestimmt. Er war auch nicht nationslos, sonst wäre er nicht deutscher Reserveoffizier gewesen und an der Front gefallen. Es wäre falsch, dies Europäertum eines Deutschen, dem in Frankreich etwa ein Geist wie Romain Rolland entspricht, als eine vereinzelte Zufälligkeit anzusehen. Es ist viel mehr- es ist eine frühe, noch vereinzelte Blüte eines europäischen Geistes, eines Freundschafis-