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303, 31. Dezember IS12. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. b. Ltschn. vllchhanbel. 16425 Maximilian Schmidt. Handelt es sich nun um einen gebil deten Leser, der noch etwas gewinnen will bei seiner Unter haltung, so ist der stets philosophierende Rosegger der beste Freund; für den Jäger, der Ganghofer seiner prächtigen Na- tuc« und Jagdschilderungen wegen schätzt, empfiehlt sich dann Zeitler, Perfall, Schubart oder, jetzt müssen wir von Nord deutschland leihen, Skowronnek oder Löns. Kurz, ich möchte ganz anders fragen: Was kann der Kritiker wissen und raten, da er den Menschen nicht kennt, den er beraten möchte, den nicht, der beschenkt werden soll? Denn so umfassend, daß sic die tausendfach verschiedenen Lebensverhälinisse berühren könnte, kann keine Kritik sein. An wen soll sich denn aber das bücherkaufende Publikum wenden? Fragt man einen Bekannten, so hört man immer nur das Urteil eines Einzelnen; der Sortimenter hingegen sum miert immer sein eigenes Urteil mit dem Geschmack seiner Kunden, und hat dann ein Recht, zu einer allgemeinen Empfehlung. Jedenfalls weiß er mehr als der Kritiker, der stets nur der Masse, niemals dem Individuum gegenttbersteht, der zudem gar manchmal nicht weiß, daß er mit einem ge wissen Kontakt zu seinen eigenen Werken kritisiert. Um diese Darlegung bringen zu können, mußte ich meinen Brief trotz der einleitenden Erwägung bringen. Denn, es geht doch nicht an, daß wir uns in unserm eigenen Garten das eine Mal von den Lehrern, das andere Mal von den Kri tikern, Unkraut einsetzen lassen. Wenn wir es nicht beizeiten ausjäten, wird die Ernte immer schlechter. Da nun das Buch leider als Luxusartikel eingeschätzt wird, haben wir sowieso genug unter den Zeitläuften zu leiden. Die Bal kanwirren und durch sie der drohende europäische Krieg haben uns an und für sich das ganze Weihnachtsgeschäft verdorben. Hierzu kam allerdings in Bayern auch noch die neue Steuer gesetzgebung, die recht unklugerweise die Zahlungstermine ge rade auf November und Dezember fallen ließ. Da sah so gar mancher zu seinem Entsetzen, daß er ärger bluten mußte, als er stch's ausgemalt hatte. Seine Ersparnisse für Weih nachtsgeschenke mußten deswegen mitherhalten, wodurch das Weihnachtsgeschäft natürlich empfindlich getroffen wurde. Wir müssen, um solche Scharten auszuwetzen, immer dar auf bedacht sein, jede Absatzmöglichkeit zu erspähen. Des wegen hat auch der Tod unseres geliebten Regenten die ganze Literatur wieder lebendig gemacht. Während der Buch händler jedoch mit dem hier notwendigen Taktgefühl seine > Anzeigen und Ausstellungen machte, hat die Postkartenindu- > strie einen beschämenden, pietätlosen Hausierhandel entwickelt, l In ganzen Reihen boten die Straßenhändler in oft recht > schmutzigen Kästen ihre Andenken, Siegelmarken und Post- > karten mit dem Bildnis des Verblichenen und dem Post- > stempel <12. 12. 12) aus. Das war ein häßlicher Zug in der ? allgemeinen Trauer um unfern greisen Regenten. Ich habe ! es sonst immer für eine Phrase empfunden, wenn bei dem > Dahinscheiden von Potentaten von einer allgemeinen, auf > inniger Anteilnahme beruhenden Trauer berichtet wurde. Ich > gestehe aber gerne, daß ich eines Bessern belehrt worden bin. > In München wenigstens konnte man beobachten, daß ein ge- > wisser Druck das ganze Leben beherrschte. In den ersten zwei i Tagen hat sich hier das Leben mit einem gewissen Zart- l gefühl abgespielt. Der gemütstieseMünchener, bei dem eigentlich i das Extreme Gevatter stand, hat wirklich gezeigt, daß er noch i wahre Pietät besitzt. Ich glaube aber immer, daß sie nicht c nur dem geliebten Herrscher, daß sie zu einem guten Teil dem i herzensguten Menschen, dem natürlich fühlenden, allen i menschlichen Schwächen gerecht werdenden, Willensstärken k Geist gegolten hat. Was gilt Wohl mehr? s G. Recknagel. ^ Die Lteblingsdichter der deutschen Komponisten. Statistische Skizze e von Ernst Challier sen., Gießen. ! II. i Die freundliche Aufnahme, die mein Artikel »Die Lieb lingsdichter der deutschen Komponisten« in ^ Nr. 174 auch außerhalb des Buch- und Musikalienhandels ge funden hat, wie mir zahlreiche Zuschriften aus musikalischen ^ und literarischen Kreisen beweisen, veranlaßt mich, eine Lücke, die ich ganz bewußt gelassen, durch den heutigen Artikel zu ^ füllen. Diese Lücke mutzte ich lassen, wollte ich nicht ganz aus den mir selbst gesteckten Grenzen heraustreten. Die Dich ter, deren ich heute gedenke» will, haben so eigentlich mit der Literatur herzlich wenig zu tun, sie sind noch kaum zu den Dichtem zu zählen, da sie diese Tätigkeit durchaus im Neben amt betrieben und klingende Reime vollständig ver mieden. Das elftere wäre nun durchaus kein Grund, sie auszuschließen. W. v. Goethe war Staatsminister, Ludwig Uhland Advokat, Theodor Storni Geistlicher, I. Kerner Schrei ner, dann Mediziner, Theodor Körner Bergakademiker und Jurist, I. von Eichendorsf Rat im Kultusministerium zu Berlin usw. Das Zweite würde noch weniger zum Ausschluß berechtigen; ohne klingende Reime zu dichten, ist ja hochmodern, aber dieser Vorwurf oder diese Belobigung berührt die von mir Herangezogenen in keiner Weise. Fast 2000 Jahre sind es her, daß diese Dichter, die so eigentlich keine Dichter waren, gelebt, die weder geahnt noch beabsichtigt haben, daß, so weit unsere Kenntnis reicht, die Aussprüche ihres beredten Mun des und Herzens in Töne umgesetzt werden sollten und auch die Komponisten von heute noch diese mit besonderer Vorliebe verwenden. Der erste ist David, der 993 vor Christi Geburt als zweiter König von Israel starb. Aber er gehörte diesem Stande nicht zunftgemätz an, seine Wiege hatte nicht an einem Thron gestanden. Er wurde als Sohn Jsais, eines angesehenen Mannes in Bethlehem, geboren, widmete sich dem Kriegerstande, wurde Oberster der Leibwache König Sauls und später dessen Schwiegersohn. Man könnte ihn vielleicht als Prinz-Gemahl bezeichnen, aber das war er denn doch nicht, da er erst 1025 vor Christo, nach dem Tode des recht mäßigen Thronerben, vom israelitischen Volke zum König ausgerufen wurde. David war aber nicht nur Dichter seiner Psalmen, die er zu Ehren Jehovas schuf, sondern auch gleichzeitig ihr Komponist, der die Weisen erdachte, sang und sich selbst mit einem harfenähnlichen Instrument begleitete. Im 144. Psalm Vers 9 singt David: »Gott, ich will dir ein neues Lied singen, ich will dir spielen auf dem Psalter von 10 Seiten.« — Die 150 Psalmen sind, wie wohl ziemlich allgemein bekannt, in Prosa gedichtet, sie Weichen in ihrem Inhalt wie in ihrem Umfange wesentlich vonein ander ab. Die Gesamtzahl aller Verse ist 3238, der 117. Psalm enthält nur 2 Verse, der 131. und 134. je 3, während der 89. 53 Verse, der 78. 72 und der 119. sogar 176 Verse aufweist. Ebenso ungleich haben sich die Komponisten die ihnen genehmen Psalmen zur Vertonung erwählt. Ganz übergangen haben sie 21 <14"/»). Die Gesamtzahl der Kom positionen der vertonten 139 Psalmen beträgt 1480. Diese fetzt sich zusammen: Einstimmig m. Pfte. 137, Duette m. Pfte. 35, Terzette 18, Gem. Chor m. u. ohne Begleitung 977, Männerchörc mit und ohne Begleitung 223, Frauenchöre 90. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7g. Jahrgang. 2136