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.V 36, IS. Februar 1905. Nichtamtlicher Teil. 1493 Nichtamtlicher Teil Partieller Nachdruck und erlaubte teilweise Benutzung urheberrechtlich geschützter Werke. Von vr. Karl Scharfer. Alle Rechte v. Vers. Vorbehalten. Der Erste Staatsanwalt beim Landgericht I Berlin hat sich zu der in der literarischen und Verlagspraxis bei teilweiser Benutzung erschienener fremder Geisteswerke jetzt öfter auf tauchenden Frage: Wann partieller verbotener Nachdruck und wann erlaubte freie Benutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks vorliege, unterm 24. April 1904 in einer Strafsache wie folgt geäußert: »Gegen den Verleger bl. in Berlin wegen Nachdrucks werde ich nicht einschreiten. Das Referat in dessen Zeitschrift über den (unter Nach drucksverbot) erschienenen urheberrechtlich geschützten Aufsatz (Ausarbeitung im Sinne von §18, Absatz 2 des Urheber rechtsgesetzes) läßt eine selbständige geistige Tätigkeit des Verfassers insofern er kennen, als derselbe die wesentlichen Ergebnisse der fremden Ausarbeitung von den minder wichtigen er läuternden Zusätzen abgesondert hat, über dieselbe, zum Teil unter wörtlicher Anführung kleiner Stellen, berichtete und im Anschluß daran auch nicht unerhebliche eigne Ausführungen gemacht hat. »Hiernach ist davon auszugehen, daß der Beschuldigte durch freie Benutzung des fremden Werks eine eigen tümliche Schöpfung hervorgebracht hat, so daß er nach § 13 des Urheberrechtsgesetzes vom 19. Juni 1901 straffrei ist. Soweit der Beschuldigte aber einzelne kleinere Stellen des fremden Werks wörtlich ansührt, steht chm der Schutz von §19, Ziffer 1 gedachten Gesetzes zur Seite.- Diese staatsanwaltschaftliche Auslegung ist im großen und ganzen richtig und nicht ohne praktische Bedeutung. Sie veranlaßt uns, einmal etwas näher uns mit diesem Gegen stände zu befassen. Es ist nicht uninteressant, die Grenzen festzustellen, innerhalb welcher sich eine Benutzung fremder urheberrechtlich geschützter, ja bei Erscheinen sogar unter ausdrücklichem Benutzungsverbot (Nachdrucksverbot oder Rechtsvorbehalt) gestellter Werke ungestraft und ohne Ersatz verbindlichkeit gegenüber dem fremden Verlag und Verfasser in gesetzlich einwandfreier Weise, sogar unter dem Schutze des Urheberrechtsgesetzes selbst vollziehen kann. Treten solche Fälle — wir möchten sie »geistige Anlehen bei fremden Erzeugungs quellen nennen« — in die Erscheinung — sie sind heut zutage durchaus nicht selten —, so wird in der Regel auf Seite der am erschienenen fremden Verlagswerke Berechtigten geltend gemacht: es liegt partieller Nachdruck vor, denn du hast mein urheberrechtlich geschütztes Werk teilweise nachgedruckt, und §41 des geltenden Urheberrechtsgesetzes sagt ausdrücklich, daß »auch dann, wenn ein fremdes Werk nur zu einem Teile vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich mitgeteilt werde, eine verbotene Vervielfältigungshandlung vorliege, die ebenso wie die totale Vervielfältigung zu Schadensersatz verpflichte, und, wenn vorsätzlich be gangen, als teilweiser Nachdruck strafbar sei». Dem gegenüber berufen sich die Benutzer des geschützten Werks aber auf § 13, Absatz 1 des Urheberrechtsgesetzes und be haupten, teilweiser Nachdruck liege nicht vor, man habe das urheberrechtlich geschützte, eventuell sogar unter aus drückliches Benutzungsverbot (Nachdrucksverbot, Rechtsoor behalt) gestellte Werk in vollständig erlaubter Weise benutzt; diese Benutzung sei in ihrer Art eine vom Gesetz selbst frei- gegebene, daher unbeanstandbare, begründe somit keine Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 73. Jahrgang. Schadensersatzansprüche für die ausschließlich am Werke Berechtigten (fremder Urheber und Verlag). In solchen Fällen haben wir es mit einer Kollision zweier verschiedenen, im llrheberrechtsgesetz zur Anerkennung gelangten geschützten rechtlichen Interessen zu tun, die sich in haltlich widerstreiten. Sie sind einerseits das rechtliche Interesse des Urhebers und Verlages des fremden Werks auf ausschließ liche Verfügung über das Werk, ausschließliche Vervielfäl tigung und Zugänglichmachung durch Verbreitung, anderseits das rechtliche Interesse andrer Verlage und Geistesarbeiter auf Benutzung der erschienenen Literatur für ihre eignen lite rarischen und Verlagszwecke, die nicht selten in bezug aus die Werke, für die die Benutzung erfolgt, eine verlags geschäftlich konkurrierende ist, und hinter der sich oftmals eine nach moralischen und den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht gerade loyal und lauter zu nennende Handlung verbirgt. Trotz allem liegt die Sache in jenen Benutzungsfällen so, daß zugunsten der Benutzer der Strafe und Ersatzpflicht auf teilweise Benutzung fremder Verlags- und Geisteswerke aussprechende § 41 des Urheberrechtsgesetzes dem freie Be nutzung fremder Werke zulassenden § IS, Abs. 1 desselben Gesetzes in der praktischen Anwendung weichen muß und somit die an sich nicht vollkommen einwandfreie oder zu unlautern Zwecken vorgenommene Benutzung der fremden Arbeit, obwohl an Ausbeutung grenzend, ja solche tatsächlich darstellend, vor den Behörden als vollkommen -ladenrein- erklärt werden muß, wenn auch der fremde Verlag und seine Bearbeiter materiell geschädigt sind. Im Zweifel wird nämlich hier »pro reo«, d. h. für die aus §41 des Urheberrechtsgesetzes Beschuldigten entschieden, und man neigt auf Seite der Behörden eher zu § 13, Ab satz 1 des Urheberrechtsgesetzes und der milderen Anschauung hin, cs liege »freie Benutzung« vor, die Benutzer hätten eine »eigentümliche Schöpfung« mit Hilfe des fremden Werkes hervorgebracht, sie hätten der »Allgemeinheit- damit dienen, die »Wissenschaft- um eine neue Erscheinung be reichern wollen, nicht aber lediglich für ihre Zwecke schaffen, konkurrieren, sich kostenlos mit der fremden Arbeit auf diese Weise bereichern, nicht das Gesetz auf diese Weise umgehen und geschäftlichen Nutzen ziehen wollen. Die freie erlaubte Benutzung unterscheidet sich nun von der unfreien unerlaubten Benutzung (Nachdruck) dadurch, daß sie im Gesamtergebnis sich als eine »Bearbeitung- des gesetzlich geschützten fremden Werks darstellen muß, die, wie die Berliner Staatsanwaltschaft interpretiert, eine selbständige geistige Tätigkeit des Benutzers inso fern erkennen lassen muß, als sie wesentliche Arbeits ergebnisse des fremden Werks in der Absonderung von dem übrigen Stoff bringt, und, wenn auch kleine Stellen daraus wörtlich bringend, zugleich nicht unerhebliche eigne Aus führungen aufweist, die das in Frage stehende Werk (Auf satz, Buch, Broschüre) als eine durch die Eigentümlichkeit sich auszeichnende, auf diese Art und Weise (teilweise Benutzung fremden Stoffs) hervorgebrachte »Schöpfung eigner Art kennzeichnen, sei es inhaltlich, sei es in der Form (Zusammenstellung), sei es in beiden Richtungen zugleich. Ob dies bei einem durch freie Benutzung entstandenen Werke (Aufsatz, Buch, Broschüre) der Fall ist, und inwieweit dies als vorhanden zugegeben werden mag, das ist jeweils im einzelnen zu prüfen und Sache der Be urteilung und Beurteilungsgabe der zuständigen Behörde, die sich zur Unterstützung bei dieser Prüfung an die staat liche literarische Sachverständigenkammer wenden oder auch lgg