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^MÄumö^Mr'leiMreLns'öerNeÄW 83. Jahrgang. Nr. 252. Letozig. Sonnabend den 28. Oktober 1918. Redaktioneller Teil. Bekanntmachung. Die im Jahre 1887 verstorbene Frau Di. Fanny Fried- laender in Berlin hat dem Unterstützungs-Verein zur blei- benden Erinnerung an ihren verstorbenen Gatten testamentarisch ein Kapital von lOOOOMark behufs Errichtung einer Julius Friedlaender-Stiftung vermacht. Nach der lctztwilltgen Bestimmung der Erblasserin sind die Zinsen des Stiftungs-Kapitals alljährlich im November zu einer .Hälfte an die Witwe eines Buchhändlers oder Buchhandlungs gehilfen. zur andern Hälfte an einen kranken oder sonst bedrir- tigen Buchhändler oder Buchhandlungsgehilfen zur Verteilung zu bringen. Vorher sollen Reflektanten durch eine vom Vorstand im Börsenblatt zn veröffentlichende Bekanntmachung zur Mel dung aufgefordcrt werden, was hiermit geschieht. Berlin, im Oktober 1916. Der Vorstand des Unterstützungs-Vereins Deutscher Buchhändler und Buchhandlungs Gehülsc». vr. GeorgPnetel. Edmund Man gclsdorf. Max Schotte. Max Paschte. Reinhold Borstell. Aus meinen Erinnerungen. Von Gustav Wied. (Nachdruck verboten.> 111.' li/11 siehe Nr. LSO/t.j Dronningens Tvaergade. Wenn ich meine Aufzeichnungen aus dieser Zeit, so aus der Mitte der 1876er Jahre herum lese, sind sie voller Jammer, Seuf zen und Klagen. Ich war ungeheuer verstimmt darüber, kaufmännisch tätig zu sein. Wollte höher hinaus, wie es heisst, und begann Griechisch und Lateinisch bei dem Schulvorsteher Bagger auf dem St. Knudsvej zu lernen. Französischen Unterricht nahm ich bei seiner Frau. Außerdem las ich den Gatten meine Dichtungen vor, und sie gewannen ihren Beifall. In meinen Aufzeichnungen vom 29. Dezember 1877 heißt es: Was für ein Leben, das: Geschäftsmann zu sein! Lüge, Lüge und abermals Lüge! Wenn ich doch eines Tages sagen könnte: Stopp! Jetzt.ist es mit uns beiden aus. Merkur, lebe Wohl! Ein andermal stehe ich vor einer offenen Ofentür und denke daran, meine rechte Hand ins Feuer zu stecken: »Und du brauchst nicht mehr im Geschäft tätig zu sein«. Anfangs ergriff ich diesen Gedanken mit Begierde; aber mein guter Engel sprach mahnende Worte zu mir, ich ließ von meinem fürchterlichen Vorsatz ab und schloß beschämt die Ofentür. Wahrscheinlich ist mir das Feuer auch zu warm gewesen. ^ Tante Marie wohnte in Dronningens Tvaergade 56, Erd geschoß. Einen Flur gab es nicht. Man ging von der Treppe gleich ins Eßzimmer oder ins Kabinett. Mein Bruder Johann und ich schliefen im Eßzimmer. Ec »stand« damals bei Schottländer L Goldschmidt am Amager- markt. War hier tüchtig, wie überall, wohin man ihn stellte. Aber auch er war des Geschäftslebens überdrüssig. Wollte sich zum Polytechniker ausbilden, ebenso wie ich gern Student wer den wollte. Aber Vater halte nicht die Mittel, uns zu unterstützen. Vor läufig also mußten wir diese Pläne ruhen lassen. John war ein frischer und fröhlicher Junggeselle, der mich, den schweigend und tiefsinnig Umhergehenden, auslachte. Aber ich ließ ihn lachen und dichtete nach Feierabend weiter. Heim lich beneidete ich ihn um seine Lebensfreude. Aber wenn es ihm wirklich einmal abends gelungen war, mich auf die »Gaudi« mit zuschleppen, saß ich die ganze Zeit da und sehnte mich nach Feder, Tinte und Papier. Und die Art, wie er und seine Kameraden vom Weibe sprachen, empörte mich in hohem Grade. Ich betrachtete das Weib nämlich immer noch als ein er habenes Wesen. Als ich meinen Wohnsitz in Dronningens Tvaergade aufschlug, hatte Tante eben ein neues Mädchen bekomme», das einen voll ständigen Gegensatz zu dem vorigen bildete, das viele Jahre dort gewesen war und dermaßen die Herrschaft im Hanse an sich gerissen hatte, daß John ihr den Spitznamen »der Minister« gab. Sie hieß Mine, lvar ältlich und sehr sittenstreng. Das neue Mädchen hieß Rosa, war jung und lebenslustig. Unserem Hause gegenüber lag und liegt noch der Tanzsalou »Die Kette«. Dort hinüber schlich sich Rosa, wenn die Tante zur Ruhe gegangen war. Aber es wurde entdeckt, und jetzt legten Tante und ich uns im Flur auf die Lauer und fingen sie ab. John lachte uns aus und meinte, das Mädel müsse sich doch amüsieren dürfe». überhaupt war John damals sehr leichtsinnig. Und trotzdem hielt Tante mehr auf ihn als auf mich, der ich doch Sonntags getreulich mit ihr ins Abel Katharinenstift zur Kirche ging, die damals in der Dronningens Tvaergade lag. Ich war der einzige Vertreter -er Jugend, der dort in der Kirche saß, und alle die alten Männer und Frauen aus dem Stift nickten mir freundlich zu. In der Buchhandlung ging alles im gewohnten Gleise. Ich bediente im Laden, machte Besorgungen in der Stadt, ging zu Gyldendal und C. A. Reitzel, um die Wechsel meines Prinzipals vom alten Fr. Hegel, einem großen, mageren und ernsthaften Mann, der mir tiefen Respekt einflößte, diskontieren zu lassen. Die Brüder Karl und Theodor Reitzel waren milder und scherzten mit mir. Ich weiß nicht, weshalb Hegel und die Gebrüder Reitzel immer bereit waren, die Wechsel meines Chefs zu unterschreiben. Sie mochten den Mann wohl gut leiden. Auch ich gewann ihn im Laufe der Jahre lieb. Aber ein merkwürdiger Mann war er. Er wagte nicht, seinen Geschäftsführer um Geld zu bitten. Und in einer Nacht brach er in seine eigene Kasse ein, deren Schloß er gewaltsam öffnete, und deren Inhalt er an sich nahm. Und morgens fanden wir die Kasse leer. Auf den, Boden 1349