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928 Nichtamtlicher Theil. 60, 13. März. war zu sehr auch Literat, als daß ihm die Bedeutung dieses Gebietes für die Geschmacksrichtung seiner Zeit entgangen wäre, und als echter Renaissance-Künstler bemühte er sich vornehmlich um die Construction und Einführung der antiken Capitalbuchstaben, wie sie in den alten römischen Inschriften überliefert und bei den Italienern wieder in Auf nahme gekommen waren. Die Wiederbelebung der edlen antiken Lettern geht Hand in Hand mit der übrigen Renaissance, schließt sich aber namentlich au jene Künstler au, die eine vorwiegend gelehrte und anti- § guarische Richtung verfolgten, als Mantcgna, Piero dal Borgo San Sepolcro, Lionardo da Vinci, Auch jener Francesco da Bologna, der für den gelehrten Buchdrucker Aldus Manntius in Venedig die schönen Cursivleltern construirt hat, soll ja Niemand anders gewesen sein, als der berühmte Maler und Goldschmied Francesco Raibolini, genannt il Francia, Während aber den Italienern gelehrte Schriftsteller zur Seite stehen, welche die theoretische Begründung und Construction des antiken Alphabetes bloß unter dem Einflüsse der Künstler und ihres Geschmackes übernehmen, besorgt Dürer beide Ausgaben allein. Der Erste, welcher sich in dieser Hinsicht Verdienste gesammelt hat, ist Fclice Feliciano von Verona, der gelehrte Freund des Andrea Mantcgna, dem er auch ein Werk: „hlpi^ruwinuta," gewidmet hat. Seine Lettern schließen sich möglichst genau an die der Röinersteiue an, von denen sic entlehnt sind; die Schäfte sind noch mager und faceltirt, so wie sie dem Meißel des Steinmetzen gerecht sind, ganz entsprechend dem plastischen Geschmacke Mantegnä's. Im Sinne des malerischen Flachornamentes bildet dann der Mathematiker Luca Pacioli ans Borgo San Sepolcro ihre Verhältnisse weiter in seiner 1497 vollendeten, wenn auch erst 1509 gedruckte» „Oivinu proporrnous"; sie werden völliger, harmonischer, elastischer. Bei den nahen Beziehungen des Gelehrten zu Piero dal Borgo und zu Lionardo ist wohl der Einfluß dieser beiden Meister auf den Geschmack der Compvsitionen kaum zu bezweifeln. An Pacioli - Alphabet schließt sich nun Dürer ziemlich genau an, wenn auch nicht ohne eine bewußte Selbständigkeit, die sich namentlich in der Vereinfachung der Constructionen bewährt und in der künstlerischen Freiheit, mit der er den Formen einen gewissen Spielraum läßt. Ob Dürer im Jahre 1506 zu Venedig persönlich die Unterweisung von Luca Pacioli genossen, oder ob er bloß daheim ans dessen Buche geschöpft habe, läßt sich zwar nicht entscheiden. Jedenfalls müßte aber das letztere gleich nach seinem Erscheinen in Dürer's Hände gekommen sein, denn die Inschriften aus seinen Bildern, Zeichnungen und Publi kationen seit 1509 verrathen alsbald die Beobachtung jener Gesetze, die er theoretisch allerdings erst in seiner „Unterweisung der Messung" 1525 begründet, oder doch erst damals veröffentlicht hat. Das Prinzip des „lateinischen ABC" von Dürer beruht aus dem regelmäßigen Quadrate, in welches durch Eintheilnng mittelst Zirkel und Richtscheit jeder einzelne Buchstabe hineingebant wird. Zum Bei spiele des Ergebnisses dienen die Initialen dieses Buches, welche sämmt- lich getreue Copien nach Dürer's Vorbildern sind und zwar so, daß das zur Construction der Letter dienende Quadrat von uns durch Zierwerk nach verschiedenen Zeichnungen oder doch Motiven Dürer's ausgesüllt wurde. Allerdings besaßt sich Dürer nach der eingehenden Schilderung seines lateinischen ABC auch in Kürze mit dem Alphabet der gothischen Schrift, die er „alte Textur" nennt, wie man sie später „Fractnr" ge nannt hat; er construirt aber nur eine alterthümliche Minuskel, deren Schäfte er als breite Bänder aufsaßt, die an den Enden schräge zurück geschlagen sind; die Bänder erscheinen aus lauter kleinen, übereinander gestellten Quadraten gebildet, die an den Enden übereck gestellt oder bis auf verschiedene dreieckige Ueberbleibsel abgeschnittcn werde». Dürer wendete wohl auch diese Texturschrift, die beiläufig unseren gewöhnlichen deutschen Drucklettern entspricht, noch an, besonders in frühen Inschriften; sie erscheint auch noch aus der Widmungstafel unten am Rahmen des Allerhciligenbildes; aber er ist weit entfernt von dein späteren Irr- wahne, als seien diese altmodischen gothischen Lettern deutschen Ur sprunges oder deutschen Charakters. Seine Vorliebe hängt entschieden an jenem Renaissance-Alphabet, das er durch seine spitzfindigen Con structionen zu seinem geistigen Eigenthum gemacht hat. Die Erinnerung daran lebte in Deutschland noch bis lies ins 17. Jahrhundert fort. Arnold Möller, Schreibmeister zu Lübeck, widmet ihm in seinem 1642 veröffentlichten „Schreibbüchlein" ein Blatt mit seinem Bildnisse in Kupfer, darunter die Worte: „Herr Albrecht Dürer, der bei Lebzeiten H. Johann Neudörffers zu Nürnberg die Romanischen Versal-Buchstaben in rechter Proportion erst abgetheilet und beschrieben: auch in so viel andern Künsten excelliret hat, sein rnhmwürdiger Name, so lange die Welt steht, wohl bleibet" rc. Wenn daher gleichwohl, im Gegensätze zu den anderen gebildeten Nationen des Abendlandes, der moderne Ge schmack in Deutschland nicht durchdrang, und der gothische, mittelalter liche, seinem Ursprünge nach französische Geschmack heute noch die äußere Form des deutschen Schristthumes beherrscht, so hat Dürer am aller wenigsten Schuld daran. . . . Und nun zum Schluß noch ein Wort. Wir alle, die wir an der literarischen Production betheiligt sind, Verleger, Drucker, Lithographen, Schriftsteller*) u. s. w. können der Kölnischen Zei tung nicht dankbar genug sein, daß sie den günstigen Augenblick, wo es sich um die große orthographische Reform unseres Schrift thums handelt, ergriffen, um der Bewegung für Abschaffung der typographischen Doppelwährung neuen Schwung zu geben. An den großen Zeitungen freilich ist cs, zuerst mit einem guten Bei spiele voranzugehen. Sind wir erst gewohnt, unser tägliches Zei tungsblatt in der schönen und lesbaren Antigua gedruckt zu sehen, so werden wir bald nicht mehr begreifen können, wie wir uns so lange Zeit mit dem Ballast einer veralteten, von allen übrigen Kultur völkern in die mittelalterliche Raritätenkammer verwiesenen Schrift gattung haben herumschleppcn können. E. A. Seemann. Einige Ziffern aus der Statistik des deutschen Reichspostverkehr» im Jahre 1875. Die soeben erfolgte Zusammenstellung der statistischen Ergeb nisse des Postverkehrs in den einzelnen Ober-Post-Directions-Be- zirken des deutschen Reichspostgebietes im Jahre 1875 enthält so viele interessante Ziffern, daß cs verftattet sein möge, auch in diesen Blättern einige derselben mitzutheilcn. Das deutsche Reichspostgcbiet umfaßt einen Flächeninhalt von 445,221,26 Quadrat-Kilometer; die Einwohnerzahl betrug nach der amtlichen Zählung vom Jahre 1871 34,339,434 Seelen. Die Zahl der Ob er-Postdireetionsbezirkc betrügt 38. Die dichteste Bevölkerung haben in nachstehender Reihen folge die Bezirke Berlin, Düsseldorf, Lübeck, Leipzig, Dresden, Köln a/R., Straßbnrg i/E., Hamburg, Carlsruhe, Frankfurt a/M., Arnsberg, Darmstadt und Breslau. Die Zahl der Einwohner, auf welche eine Postanstalt entfällt, beträgt in den Bezirken Berlin 12,912, Lübeck 8693, Hamburg 8549, Oppeln 7644, Leipzig 7318, Dresden 7199, Straßburg i/E. 7015, Danzig 6691, Breslau 6482, Düsseldorf 6306, Posen 5786, Halle 5784, Erfurt 5727 u. s. w. Die Zahl der zur Bestellung oder Ausgabe eingegangenen portopflichtigen Briefsendungen beträgt 537,640,200 Stück, und hiervon in den Bezirken Berlin58,II3,432, Leipzig 30,005,982, Düsseldorf 25,914,690, Hamburg 21,881,880, Frankfurt a/M. 21,412,926, Cöln a/Rh. 21,322,206,Breslau 21,157,380, Dresden 19,598,940, Erfurt 18,361,692, Arnsberg 18,068,526, Magdeburg 16,158,726, Carlsruhe 15,125,490, Posen 15,011,874 u. s. w. Nimmt bei der Stückzahl der Briefe Leipzig schon die zweite Stelle, unmittelbar nach Berlin, ein, so überflügelt es doch Berlin bei der Zahl der zur Bestellung oderAusgabe eingegangenen porto pflichtigen Packet- und Geldsendungen. Die Zahlenreihe ist hier folgende: 4,159,188 Leipzig, 3,605,220 Berlin, 3,209,634 Düsseldorf, 2,396,934 Cöln a/Rh., 2,387,646 Erfurt, 2,204,946 Breslau, 2,018,556 Dresden, 1,951,992 Arnsberg, 1,824,552 Magdeburg, 1,748,808 Frankfurta/M., 1,572,372 Posen,1,522,044 Potsdam, 1,513,638 Hamburg u. s. w. Die Gesammtzahl beträgt 54,487,836 Stück. Au eingelieferten Postanweisungen kommen auf Berlin 1,431,812, Düsseldorf 1,164,983, Leipzig 1,148,983, Posen 1,015,926, Breslau 1,011,729, Arnsberg 940,762, Oppeln 921,685, Danzig 876,632, Erfurt 861,122, Potsdam 834,220, Cöln a/Rh. 802,790, Magdeburg 796,469 und Frankfurt a/O. 770,938 Stück u. s. w. — Die Gesammtzahl beträgt 24,672,225 Stück, gegen 20,867,939 im Vorjahre. Insbesondere interessant für die Leser d. Bl. dürften die nach- *) Wir könnten auch noch die Volksschullehrer cinschließen, deren > Geschäft auch eine große Vereinfachung und Erleichterung erfahren würde.