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60, 13. März. Nichtamtlicher Theil. 927 die aus Fractur gesetzten. Es ist vielmehr erwiesen, daß in Amerika, in England, in Holland (über andere Länder bin ich weniger unter richtet, doch läßt sich wohl dieselbe Schlußfolge ziehen) diejenigen literarisch Gebildeten oder Gelehrten, welche überhaupt deutsch lesen, die in Fractur gedruckten Werke vorziehen. (Anders verhält es sich allerdings mit der deutschen und lateinischen Schreibschrift, welche jedoch hier nicht in Betracht kömmt.) Diese richtige und wichtige Behauptung wird von unbefange nen ausländischen Collegen überall unterstützt werden. 0. " kck. IV. In Nr. 54 des Börsenblattes befindet sich ein umfangreicher Aufsatz eines Hrn. Booch-Arkossy, der, entgegen dem eigentlich nicht heimisch klingenden Namen, im Vollgefühl eines Germanen für die Schönheit und die Festhaltung der deutschen Fracturschrift eintritt. Ohne auf die — vielfach doch recht anfechtbaren — Argu mente des Hrn.Booch-Arkossh näher einzngchcn, gestatte ich mir, hier das Urtheil eines unserer berühmtesten Schriftsteller, vr. Hnfcland's anzusührcn, welches derselbe vor circa 50 Jahren drucken ließ. — I)r. Hufeland, der seine echt deutsche Gesinnung in den ernstesten Zeiten unseres Vaterlandes durch aufopfernde Hingebung docnmcn- tirte, sagt: 1) die deutschen Lettern (Fractur) seien für das Auge keines wegs vortheilhaster als die lateinischen (Antigua), sondern ehernach theiliger; 2) er habe die Antigua für seine neueren Werke, namentlich für seine Makrobiotik deshalb gewählt, weil sie ihm zweckmäßiger und ästhetisch schöner erscheine; 3) Er finde, daß viele Gründe, namentlich aber bei wissen schaftlichen Werken, die Anwendung der Antiqua anrathen. — Zuerst, meint er, daß unsere Sprache und Literatur durch die Ein führung der Antigua ungleich mehr Eingang in den anderen Län dern finden werde, da viele Ausländer schon das Fremdartige der Typen abschrecke, und man sich schwerer zur Erlernung einer Sprache entschließe, wenn man sich erst an die Form der Lettern gewöhnen müsse. Er sagt ferner, daß es viel zur Förderung der allgemeinen Gelehrten-Republik beitragen werde, wenn wir uns „endlich" (vor 50 Jahren) der Typen bedienten, die von allen anderen aufgeklärten Nationen, wie (abgesehen von den romanischen) schon längst von den Holländern, Schweden, Norwegern, Dänen u. s. w. angenommen seien, während alle diese Nationen früher, und sogar theilweisc noch im achtzehnten Jahrhundert, sich der sogen. Mönchsschrift (des Go- thischen) bedienten, vr. Hufeland schlug schon damals vor, vorzugs weise alle wissenschaftlichen Werke (schon wegen der ost vorkommen den tsrmiui toolunei) mit Antigua drucken zu lassen, und ließ auch seine späteren Werke, wie die Nulerodiotib, das vnobirickicm ruockio. (fünfzigjähr. med. Erfahrungen) so Herstellen. Daß aber die Antigua-Lettern in ihrer abgerundeten, kräf tigeren Gestalt auch vom ästhetischen Standpunkt der oft eckigen Fractur vorzuziehcn sind, das dürfte wohl jeder Unbefangene an erkennen müssen. Liegt doch eine zahlreiche Erfahrung vor, daß die in neuerer Zeit so beliebten populär-wissenschaftlichen Werke, die mit Antiqua gedruckt, durch ihren leichteren Eingang in Holland, Dänemark, Skandinavien, eine weit größere Verbreitung und mehr neue Auflagen erlebt haben, als dies möglich gewesen wäre, wenn sie mit Fracturschrift erschienen. Der Einsender dieser Zeilen könnte dies aus thatsächlichen Erfahrungen, z.B. aus Städten wie Kopenhagen, Lund, Christiania, Stockholm, London u. s. w. belegen. Es dürfte die Zeit einst doch kommen, in welcher unsere meisten wissenschaftlichen Werke und solche, die für das gebildete Publicum bestimmt sind, mit Antiqua-Lettern gedruckt werden, und weder un sere Wissenschaft, noch unser Ansehen als gebildete Nation würde wohl darunter zu leiden haben. 6. V. Ueber das Verhältniß Dürer's zur sogenannten Fracturschrift. Mai» kann ein guter Sprachenlehrer Und doch kein Sprachgelehrtcr sein. Der sogenannten Fracturschrift ist in Hrn. M. Booch-Arkossy ein neuer Kämpe erstanden, der „endlich einmal an diesem Orte" darauf Hinweisen z» müssen glaubt, wie außerordentlich einseitig die Ansicht der Schriftresormer ist, die jetzt sogar in einem Weltblatt wie die Kölnische Zeitung ihr, nach des genannten Herrn Meinung verwerfliches Unwesen zur Vernichtung eines deutschen Cultur- factors treiben. Es würde mir nicht beikommen, aus die mehr aus den Gemüthseindruck als auf das Begriffsvermögen angelegte Lob rede des übereifrigen Fracturomanen einzugehcn, wenn nicht von neuem darin ein alter Grundirrthum breitgetreten würde, der schon vor langen Jahren von den größten Autoritäten der deutschen Sprachwissenschaft, den Brüdern Grimm, auf das gründlichste widerlegt worden ist, der Jrrthum nämlich, daß die Fracturschrift ein Erzeugniß des deutschen Geistes sei. Hr. M. Booch-Arkossy hat offenbar eine gewisse Ahnung davon, daß der Ursprung seiner geliebten und von ihm mit allerlei Koscwortcn in Schutz genommenen Afterantigna — denn weiter ist sie nichts — im Zusammenhänge stehe mit dem Auskommen des sogenannten gothischen Styls in der Baukunst. Diesen gothischen Styl hält er nun ebenfalls für ein Er zeugniß des deutschen Genius in geradem Gegensätze zu den Resul taten der kunstgeschichtlichcn Forschung, welche den französischen Ursprung dieser in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Mode kommenden Bauweise auf das klarste nachgcwiesen hat. Bei der weiteren Ausführung, zu denen der Verfasser der in Frage stehenden Lobrede auf seinen Jrrgängen gelangt, passirt ihm alsdann ein neuer kunsthistorischer Unglücksfall. Er beruft sich kühnen Muthes auf Albrecht Dürer, vermuthlich, weil er eine dunkle Ahnung davon hat, daß die vielen Geschmacklosigkeiten in der Formbehandlung, die man bei dem großen Nürnberger Meister nun einmal mit in den Kauf nehmen muß, aus dem Einfluß der zu Ende des 15. Jahrhunderts ganz und gar ins Kraut geschossenen Gothik — zum Theil wenigstens — zu erklären sind. Für Herrn Booch-Arkossy sind die krausen, harten und willkürlichen Gewand- falten, die der Gesühlsweise der damaligen Zeit zusagten, und die eckigen Bewegungen, denen wir häufig in Dürer'schen Holzschnitten begegnen, freilich keine Geschmacklosigkeiten, da seiner Empfindungs weise das Eckige, Spitzige, Krause mehr zusagt, als die runden und geschwungenen Linien des Renaissance-Ornaments. Darüber wollen wir auch mit unserem Fracturomanen nicht streiten, da er einmal das „cko Austibus non ssl ckispntanckuin" an die Spitze sei ner ästhetischen Ucberzeugnngen gestellt hat. Wir möchten ihn nur bei seiner Vorstellung von Albrecht Dürer auf die rechte Fährte brin gen, eingedenk der christlichen Cardinaltngend, die da gebietet, den Irrenden zn leiten. Zu dem Ende lassen wir einen Passus aus dem Werke des jüngsten Biographen Dürer's, M. Thausing's, folgen, der vielleicht auch noch für manchen anderen Leser des Börsenblattes von Interesse ist. Thausing sagt: .,. Die Capitalbuchstaben der Jiischristtasel, welche Dürer im Aller- heiligenbilde vor sich hält, mahnen uns daran, das; er auch aus einem ganz benachbarten Gebiete die gleichen Tendenzen verfolgte. Die nächste Verwandtschaft mit der Baukunst hat ja die Schreibkunst. Sie bildet gewissermaßen nur eine Unterabtheilung der Architektur und folgt daher auch getreulich den Gesetzen und den Stilwandlungen derselben. Auch das hat das Schristschöne mit dem Bauschönen gemein, daß es sich zunächst einem gewissen praktischen Zwecke unterordnen und anbequemen muß, und dieser ist bei der Kalligraphie die leichte Lesbarkeit. Dürer 124*