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^ 214, 15. September 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. 10505 eine ganz andere Erklärung: die Verschwärung der Philosophieprofessoren gegen ihn, die sich zusammengeschlossen hätten, ihn nicht aufkommen zu lassen. Er hat an dieses Märchen steif und fest geglaubt, hat auch, als er endlich Anerkennung fand, immer noch daran festgehalten, hat, als der Ruhm feines Namens sich weiter und weiter ausbreitete, sich ge weidet an der Angst der gegen ihn verschworenen Professoren: »Ich möchte den Kriegsconseil der Herren behorchen, ihre Verlegenheit muß unbeschreiblich sein.« Was war nun der wahre Grund der beharrlichen Nichtbeachtung? Ist sie, wie Schopenhauers Biograph Wilhelm Gwinner und Kuno Fischer wollen, lediglich aus dem »Zeitgeist« zu erklären, mußte der Hegelianismus erst abgewirtschaftet haben, ehe die Bahn für Schopen hauer frei wurde? Gewiß verdunkelte das imposante Gebäude der Hegelschen Philosophie die seines Widersachers stark, gewiß war das geistige Papsttum Hegels und seiner Schule der Verbreitung anderer Ideen hinderlich; aber der Beifall des großen Publikums, der Schopen hauer in späteren Jahren so überreichlich zuteil wurde und eigentlich erst die Basis seines Ruhms bildete, hätte gewiß noch viel länger auf sich warten lassen, wenn er nicht jetzt (1851) die »Parerga und Parali- pomena«, jene glänzende Sammlung geistvoller, in blendender, faszi nierender Dialektik geschriebener Essays über Themata von allgemeinstem Interesse: über die Universitätsphilosophie, über die Weiber, die Reli gion usw. veröffentlicht hätte. Sie brachen ihm Bahn, sie brachten das Eis zum Schmelzen trotz ihres wenig glücklichen Titels, der übrigens auch auf die Verleger abschreckend gewirkt hatte. Von diesen hatten seine früheren Verleger Hermann (Suchsland) und Brockhaus — dieser deshalb, weil auch die zweite Auflage des Hauptwerkes nicht viel besser ging als die erste, — das neue Werk abgelehnt, ebenso Dieterich in Göttingen, obwohl der Verfasser auf Honorar von vornherein überall verzichtet hatte. Doch Schopenhauer hatte jetzt bereits eine Schule, einen Hofstaat, und dem tätigsten der Jünger, dem »Erzevangelisten« Frauen- und die Farben« wurde der durch fast vier Jahrzehnte geschleppte Vorrat jetzt binnen kurzem erschöpft, wie der Verleger Hartknoch ihm anzeigte. Die Schrift erschien 1854 in gleichem Verlage in zweiter Auflage (1050 Exemplare), und im selben Jahre erschien auch die Schrift »Über den Willen in der Natur« in zweiter Auflage, nicht bei dem Verleger der ersten, sondern bei der schon mehrfach genannten Hermannschen Buch handlung; für beide Neuauflagen erhielt der Verfasser übrigens Honorar. Am 6. August 1868 — Schopenhauer hatte wenige Monate zuvor das biblische Alter überschritten — zeigte nun Brockhaus an, daß des Philo sophen Prophezeiung von 1843: »Meine Philosophie wird sich sicherlich, wenn vielleicht auch erst spät, Bahn brechen«, sich erfülle; eine neue Auf- zwar »sehr erfreulich«, fetzte aber mit ungemindertem Selbstbewußtsein hinzu (8. August 1858), er habe darauf schon so lange gewartet, daß der Eindruck das Gegenteil der Überraschung gewesen sei. Die neue Auflage erschien nun in Höhe von 2250 Exemplaren im Jahre 1859; der Ver fasser forderte und erhielt das ansehnliche Honorar von drei Friedrichsdor für den Druckbogen.. In einem Alter, in dem andere nicht mehr ver dienen können, wurde Schopenhauer, wie er jetzt einmal mit Genug tuung sagte, noch zum Manne des Erwerbs. Auch von den »beiden Grundproblemen der Ethik« wurde im letzten Lebensjahre des Philo sophen (1860) eine neue (zweite) verbesserte und vermehrte Auflage im Brockhausschen Verlage veranstaltet, deren Ausgabe der Verfasser freilich nicht mehr erlebt hat. Mit der dritten Auflage des Hauptwerkes hatte Schopenhauer übrigens eine Gesamtausgabe seiner Schriften verbinden wollen; die Firma Brockhaus war auch sofort und gern darauf eingegangen, doch wurde die sofortige Ausführung durch die noch vorhandenen Vorräte der bei anderen Verlegern erschienenen Schriften verhindert. Übrigens erhielt Schopenhauer in demselben Jahre 1859, ein Jahr vor seinem Tode also, zum ersten Male den Besuch eines Inhabers der Firma Brockhaus. Der Frankfurter Buddhist schien über diesen Besuch und die Beilegung aller Differenzen, an denen es auch in der neueren Zeit nicht ganz gefehlt hatte, recht erfreut zu sein, und auch für vr. Heinrich Eduard Brockhaus war die lange Unterredung mit dem Frankfurter Philosophen »unvergeßlich«, wie er sagt. Noch im Jahre 1844 war der bereits 66 jährige Schopenhauer so Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. wenig bekannt gewesen, daß der schon erwähnte Jünger Becker, der damals zuerst an ihn schrieb, seinen Aufenthaltsort nur aus der letzten sei ihm nichts bekannt; im Konversationslexikon stehe er nicht, wie Becker »mit Erstaunen« feststellt, obgleich doch Brockhaus sein Verleger sei. In den letzten Lebensjahren hatte sich dies vollständig geändert. Auf seinen Grabstein ordnete Schopenhauer an, nur die Worte »Arthur Schopenhauer« zu setzen; nichts weiter, nicht einmal eine Jahreszahl. Er wußte, daß man die Bedeutung der zwei Worte kennen werde und, als sein Jünger und Testamentsvollstrecker Gwinner ihn fragte, wo er ruhen wolle, antwortete er: »Es ist einerlei, sie werden mich finden.« Das Verlagsrecht für alle ferneren Auflagen seiner Werke ver machte er nebst seinen wissenschaftlichen Manuskripten und den mit Papier durchschossenen Handexemplaren seiner Werke seinem schon genannten »Erzevangelisten« Frauenstädt, seiner »Posaune«, wie er auch gesagt hat. Die zweite Auflage der »Parerga« (1862) ließ Frauenstädt bei A. W. Hayn erscheinen, wohl aus Dankbarkeit dafür, daß dieser Verlag ihm seinerzeit das erste Manuskript des Werkes abgenommen hatte; ebendort ist auch sein und Lindners, des vom Meister »voobor iuckskatiZabilis« getauften Jüngers, großes Memorabilienwerk über Schopenhauer erschienen (1863). Von da ab hat Frauenstädt dann aber nur mit dem Verleger des Hauptwerkes, mit Brockhaus, gearbeitet und in diesem Verlage die neuen Auflagen aller*) Schriften Schopenhauers: der Dissertation (3. Aufl., 1864), der Schrift »Über den Willen in der Natur« (3. Aufl., 1867), der optischen Abhandlung (3. Aufl., 1870), des Hauptwerkes (4. Aufl., 1873), schließlich auch die dritte Auflage der »Parerga« (1874), sowie die Gesamtausgaben der Schopenhauerschen Werke (1. Aufl. 1873; 2. Aufl. 1877) herausgegeben. So war denn Brockhaus, der in den früheren Jahren die großen Verluste durch Schopen hauer gehabt hatte, jetzt der Verleger seiner Schriften geworden, ebenso wie er übrigens auch seinerzeit (1830—31) die »Sämtlichen Schriften von Johanna Schopenhauer« in nicht weniger als 24 Bänden heraus gebracht hatte. Nach Ablauf der Schutzfrist erschien dann alsbald (1891) eine Gesamtausgabe der Werke Arthur Schopenhauers bei Philipp Reclam jun. (in der »Universal-Bibliothek«), später eine im Jnselverlag. Auch an der sonstigen Schopenhauer-Literatur ist in erster Linie der Brockhaussche Verlag beteiligt: dort erschienen, um nur einige der wichtigsten Schriften zu nennen, das biographische Werk Wilhelm Gwinners; der Briefwechsel Schopenhauer-Becker; die große, von Ludwig Schemann veranstaltete Briefsammlung; die Gespräche und Briefe aus dem Nachlaß von Karl Bähr; eine französische Ausgabe des Haupt werkes**) usw.; in zweiter Linie sind hier besonders der schon genannte Reclamsche Verlag und der von Ernst H o f m a n n L C o., jeder mit diversen Schriften der Schopenhauer-Literatur, aufzuführen. Wenn aber von dem Schopenhauer-Verleger gesprochen werden soll, so ist dies Brockhaus. Verbote und Verbotsaufhebungen deutscher Bücher in Rußland. (Vgl. ISIO, Nr. 22, 47, L7, 76, 111, 124, 172, 181 d. Bl.> Mai 1S10. Ganz verbotene Bücher. Birnbaum, vr. Natan, Ausgewählte Schriften. Zur jüdischen Frage. Herausgegeben auf Initiative eines Komitees. I. Band. 8°. 336 S. Czernowitz 1910. Broda, vr. R., und vr. Jul. Deutsch, Das moderne Proletariat. Eine sozial-psychologische Studie. 8". IV, 226 S. Berlin 1910, Georg Reimer. 6 Halbig, Adolf, Hie Glaube! Hie Wissen! Ein Beitrag zur Auf klärung. 8°. VIII, 136 S. Dresden u. Leipzig 1910. E. Pier sons Verlag. 2 60 H. Krüger, Paul, Illustrationen zur 4. und 6. Zwickauer These. Die Person Jesu und die kirchliche Dogmatik nach geschichtlichen, mit dem historisch-kritischen Blick des weiland Superintendenten und fürstlichen Hofpredigers Johann Petrick geprüften Urkunden dargestellt. 8°. 82 S. Dresden 1909, E. Pierson. 1 .ft. *) Daß die 2. Auflage der »Grundprobleme der Ethik« (un mittelbar nach des Verfassers Tode) auch bei Brockhaus erschien, war bereits oben gesagt. **) Von den Übersetzungen und den daran beteiligten auslän dischen Verlagsfirmen ist hier sonst abgesehen. 1366