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JL 47, 26. Februar. Nichtamtlicher Tlieil. 723 burg-Altonacr, so ganz frei von Schuld und Fehle sind — oder wollen es die gestrengen Herren auf eine Probe ankommen lassen? Wie gesagt, ich finde diese einseitige Betrachtung des Geleisteten in vorliegendem Falle begreiflich. Aber wer so einseitig ist, den bibliographischen Werth einer bis ins äußerste Detail durchgcführtcn systematische» Anordnung der für das große gebildete Publicum in teressanteren Büchermasse und die dabei aufgewandte Mühe nnd Arbeit für nichts mehr als einen Pappenstiel zu achten, der ist meines Erachtens mit seinem Gutachten allzu leicht fertig geworden und ans der Oberfläche hängen geblieben, und hat um so weniger das Recht, den schweren Vorwurf einer „leichtfertigen" und „oberflächlichen" Katalogfabrikation zu erheben. Dem Sortimenter mag bei jedem Kataloge Verleger nnd Preis der irorvuü rorum sein, dem Bücherfreunde wird allein schon die von bedachtsamer Ueberlcgung und großem Fleiß zeugende systematische Zusammenstellung der Literatur jedes einzelnen Faches und seiner Unterrubriken Freude und Genuß gewähren. Und welchen Zweck hat denn unsere Publication! Nicht als Nachschlagebuch für den Sortimenter, sondern als ein zum Kaufen anregendes Vertricbs- mittcl soll dieselbe dienen, weshalb anch überall, wo es nöthig er schien, die anfangs in Aussicht genommene alphabetische Anordnung der systematischen hat Weichen müssen. Diese streng systematische Methode des Herausgebers verleiht dem Verzeichniß trotz der Fehler in Preisen und Verlegern (die nur allzu häufig dem Wechsel unter worfen sind) einen dauernden Werth und verdient gewiß mehr An erkennung als ein richtigerer Abklatsch des bisher Dagcwesene», der mit einigen Zusätzen und einigen Streichungen jedenfalls sehr bequem und mühelos hätte geleistet werden könne». Schlimmer als der Vorwurf falscher Angaben in Preisen und Verlegern*) wäre nun allerdings die Anklage, „daß das Ver zeichniß von falschen Rubricirungcn wimmelt". Einstweilen ist in dem Gutachten nur ein leichtverzeihlichcr Jrrthum der Art, „Auer bach, Spinoza" aufgestochen, dem ich noch einen zweiten, „Raumer, Kreuzzügc" hinzufügcn kann. Sodann bin ich aber der Meinung, daß Jemand, der sich darüber wundern kann, daß „Natur und Dichtung" (Nesf) „merkwürdigerweise" unter Jllustrirte Prachtausgaben gcrathen ist, zum Verbesserer und Kritiker nicht viel mehr Berechtigung besitzt, als der weiland übel berufene Johann Ballhorn. Nach alledem bin ich für meine Person sehr im Zweifel, ob cs nicht überhaupt gcrathen ist, das systematische Verzcichniß, da cs doch nur von der Elite des Publicums gewürdigt und diesem zum Nutzen gereichen kann, ganz fallen zu lassen oder auf die Erschei nungen des Vorjahrs zu beschränken. Es wäre mir lieb, wenn diese Frage von Seiten Derer, die sich für die Fortführung des begonne nen Werkes intcressircn, näher ins Auge gefaßt und begutachtet würde. Wir kämen alsdann freilich so ziemlich auf den Standpunkt des „6yii8tms8 boolrsellor", der immerhin sein langjähriges Be stehen als Grund für die Zweckmäßigkeit seiner Einrichtung geltend machen könnte. Größeres Gewicht als auf das systematische Verzcichniß lege ich auf den literarischen Jahresbericht, der fortan die von Mitte September des Vorjahres au auf den Markt gekommenen Publi- cationen in den Kreis der Betrachtung zu ziehen hätte. Auch möchte ich demselben gern durch eine Reihe von Illustrationen ein anziehen deres Aeußcre verleihen, wie es von vornherein Absicht war und auch durchgcsührt wäre, wenn Raum und Zeit nicht ein Veto ein gelegt hätten. Ich weiß mich in diesem Punkte im vollen Einver ständnisse mit vielen befreundeten College», deren Stimmen für mich mindestens ebenso schwer ins Gewicht fallen, wie die der Herren *) Für die Folge könnte diesem Ucbclilande am lcichleüen abgeholsen werde». Benrath, Noodt und Boysen, welche uns die Begründung ihrer Be hauptung, daß die Arbeit Wustmann's „in ihrer ganzen Anlage dem Wesen eines literarischen Jahresberichts für das bücherkaufcndc Publicum nicht entspreche", leider vollständig schuldig geblieben sind. Es wäre nun aber doch sehr interessant zu wissen, wie dies „Wesen" nach Meinung der Herren Kritiker beschaffen ist, um von einer posi tiven Grundlage aus — die einfache Negation ist ganz werthlos und unfruchtbar — bei einer erneuten Inangriffnahme einer so schwie rigen Aufgabe einen glücklicheren Griff thun zu können. Sollte etwa die Art der Behandlung, wie sie der 0l>iistma8 doolruollor beliebt, der uns für die allgemeinen Umrisse unseres Unternehmens als Modell gedient hat, nach Meinung jener Herren die richtige sein, so würde die Aufgabe allerdings auch hier wieder mit größerer Be quemlichkeit, aber auch mit viel geringerem Nutzen gelöst werden können. Ein großer Fehler — das erkenne ich an — ist freilich in typographischer Hinsicht bei dem Jahresbericht gemacht worden. Rubriken und Titel markircn sich nicht genug, und ich muß mich leider selbst anklagen, daß ich cs unterlassen, auf der ursprünglich in der Probecolumne projcctirtcn Anordnung des Satzes zu bestehen. Das betrifft indcß eine Acußerlichkeit, die mit dem „Wesen" nichts zu thun hat. Ich möchte nun noch einiges, den Punkt der Unvollständigkeit des systematischen Verzeichnisses Betreffende Vorbringen, ^.ci vooom Prachtwerke bedauere ich allerdings die Auslassung von Schnorr's Bildcrbibcl um so mehr, als der viel tiefer stehende Dore Aufnahme gefunden. Bei Richter genügte die Ausführung einer Anzahl seiner gangbarsten Holzschnittwerke vollkommen. Die Kaulbach'- schen Goethebilder, — bei deren Anblick ich für meine Person stets ein kaum geringeres ästhetisches Mißbehagen empfinde als gegenüber den Ungeheuerlichkeiten des leider auch in Deutschland salonfähigen Dorä — würde ich ohne Schmerz vermissen, wenn sic überhaupt ausgelassen wären. Die Angabe, Schnorr'» Nibelungen seien ver gessen, beruht gleichfalls auf einem Jrrthum. (Wer war denn da der Leichtfertige, der Verfasser oder der Kritikus? Letzterer sollte es sich unter allen Umständen anempfohlen sein lassen, erst die Augen und dann den Mund aufznspcrren. Die Kritik führt ein zweischneidiges Messer; hüte sich, wer's nicht zu handhaben weiß!) Im Allgemeinen sorgt die Prachtausgaben-Rubrik für alle Geschmacksrichtungen mit anerkennenswerther Unparteilichkeit, für die Freunde der Cornelius und Thorwaldsen, wie für die Verehrer von Pecht und Pietsch, — erfüllt also hinreichend ihren Zweck. Etwas anders als bei den Prachtwerken stellt sich der Vorwurf der Unvollständigkeit in Bezug auf die Jugendschriftcn-Rubrik. Daß hier die meisten Novitäten nicht berücksichtigt sind, erklärt sehr leicht der Umstand, daß dieselben eben sehr spät im Jahre zu erscheinen pflegen. Doch würde auch dies Hindcrniß nicht gewesen sein, so hätte der anerkenncnswerthe Grundsatz des Verfassers, in diese Rubrik nichts ungeprüft aufzunehmcn, Wohl kaum ein Dutzend Titel noch zugclassen. Mit einem Verzeichniß von Kinderschriften ist meines Erachtens Eltern nur dann gedient, wenn lediglich das vom pädagogischen Gesichtspunkte aus Empfehlenswerthc oder wenigstens Zulässige berücksichtigt ist; und wieviel derartiges bietet denn der alljährlich mit unkindlichen Kinderschristen überfluthcte Büchermarkt? Aus dem Titel einer Kindcrschrift ist überdies noch weniger bezüglich dcsJnhalts zu erfahren, alsbeijcdcmandcrsgearte ten Buche. Je größer also die Masse von Titeln, um so weniger wird sich die bedrängte Mutter oder besorgte Tante zu rathcn und zu helfen wissen. Die Bcsternung mag der Verfasser verantworten. Gute Gründe wird er dazu gehabt haben, das bin ich überzeugt, wenn ich auch vielleicht diese Hervorhebung einzelner Schriften, die leicht mißzuvcrstchcn ist, lieber nicht gesehen hätte. 95*